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Jonettag-Mediacamp: Geld verdienen mit Bürgerjournalismus

Mein letztes Protokoll vom Jonettag-Mediacamp am 8. September in Hamburg dreht sich um Bürgerjournalismus. Gogol Medien betreibt in Süddeutschland ein recht erfolgreiches Projekt, bei dem aus einer Online-Community ein Print-Produkt entsteht. Und wie es scheint, können die Macher von den Einnahmen leben. Mancher Journalist fasste das Magazin aber nur mit spitzen Fingern an.

An 17 Standorten gibt es derzeit gedruckte Magazine, die komplett mit Inhalten von Bürgerreportern gefüllt werden. „Wir versuchen, die Heimat ganz nah dran abzubilden“, erklärte Martin Huber von Gogol Medien. In 120.000 Exemplaren werden die Magazine monatlich gedruckt und verteilt.

Der Verbund von Onlineportal und Printmagazin unterscheide MyHeimat von anderen Projekten in diesem Bereich.

Kleines Segment, großes Potenzial

Die Ausrichtung ist dabei auf ein sehr kleines Segment spezialisiert: Kleinstädte zwischen 10.000 und 50.000 Einwohner. Was auf den ersten Blick nach einem winzigen Markt klingt, entpuppt sich auf den zweiten Blick als Massenmarkt. Denn immerhin leben 20 Millionen Deutsche in solchen Kleinstädten. Und Martin Huber hat festgestellt: „Kleinstädte sind ein Superfeld für ein Mitmachmedium.“ Man kenne sich untereinander. In der Community treten die Mitglieder in der Regel mit Foto und echtem Namen auf. Das wiederum verhindere den Missbrauch der Plattform. Wer es beispielsweise mit platter Eigenwerbung versuche, bekomme in den Kommentaren dafür sehr schnell die Rechnung.

Mit einer klassischen Redaktion ließen sich solche „hyperlokalen Mikrosegmente“ nicht bedienen. Es sei schlichtweg zu teuer, sagte Martin Huber.

Deshalb denkt Gogol Medien, die Lösung in der Verknüpfung von Web und Print gefunden zu haben. Sie stellen eine „Medienapplikation“ zur Verfügung und sorgen für „spezielle Formate“ mit sehr starkem Mitmach-Charakter. Die Redakteure sind mehr Animateure. Sie setzen Impulse und regen an, halten sich ansonsten aber stark zurück. Jeder solle sich angesprochen und ermächtigt fühlen, mitzumachen, sagte Martin Huber. Bei der Regionalzeitung seien es hingegen oft undurchschaubare Prozesse, warum etwas veröffentlicht wird.

Die Weisheit der Vielen

In allen Punkten wird die Community miteinbezogen. Die „Weisheit der Vielen“ entscheidet auch, was von den vielen Texten und Bildern letztlich im Printmagazin landet. Dabei entstehen Beiträge nicht selten gemeinsam: „Einer schreibt, ein anderer ergänzt, wieder ein anderer liefert ein Bild“, erklärte Martin Huber.

Relevanz werde darüber hergestellt, dass die Leser einen persönlichen Bezug zum Thema herstellen können und dass es das unmittelbare Lebensumfeld widerspiegelt. Eine Tatsache, die Journalisten zu schocken vermag. Eine Kollegin fasste das ausgelegte Printmagazin nur mit spitzen Fingern an und legte es mit einem recht angwidert scheinenden Blick wieder weg. Ob sich denn in diesen Magazinen auch etwas über EU-Subventionen oder andere komplizierte Themen finde, wurde beispielsweise gefragt. Martin Huber verwies mehrmals darauf, dass dies nicht ihre Positionierung sei. Die Leser entscheiden, was sie interessant finden. Und Themen wie EU-Subventionen hätten nur wenig mit der Lebenswirklichkeit der Menschen zu tun. „Das ist emotional nicht ansprechend.“

Hier muss sich mancher Qualitäts-Journalist natürlich im Gegenzug fragen lassen, für wen er eigentlich seine ellenlangen und gern auch einmal mit einem Journalistenpreis ausgezeichneten Abhandlungen über EU-Subventionen eigentlich verfasst…

Weitere Wachstumspläne

Das Konzept jedenfalls scheint aufzugehen. Nachdem man in den letzten Jahren schon „stark gewachsen“ sei, habe man weitere Standorte im Visier. Zu konkreten Zahlen wollte sich Martin Huber nicht äußern. Aber aus ihrer Expansion könne man ablesen, dass es sich lohne.

Wenn ein neues Gebiet erobert werden soll, geht zunächst der Online-Auftritt voran. Dann gehe man mit einem „sehr fokussierten Ausroll-Prozess“ in den Markt. Wichtig sei es, die Menschen zu gewinnen, die vor Ort das Leben prägen.

Ganz ohne Festangestellte geht es allerdings nicht. 16 feste Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen. Die gedruckten Magazine landen monatlich in jedem Haushalt der entsprechenden Region. Die Druckvorlage wird dabei offenbar automatisiert aus den Online-Inhalten erstellt. Ein Gruselkabinett für manchen altgedienten Journalisten: Bürger schreiben und ein Automatismus erstellt die Zeitschrift…

Neben der Moderation der Community ist eine der Hauptaufgaben der Mitarbeiter, die Formate weiterzuentwickeln, die die Leser zu Autoren machen soll.

Und das Geld?

Finanziert wird das Projekt über Werbung. Hier konkurrieren die Printmagazine mit den Anzeigen- und Wochenblättern, die es in den jeweiligen Regionen bereits gibt. Insofern kaum verwunderlich, dass redaktionell wirkende PR-Texte ebenfalls in den Magazinen zu finden sind. Zwar sind sie dezent als „Anzeige“ gekennzeichnet, aber diese Abgrenzung spiele für viele Leser gar keine Rolle. „Wenn Sie jemandem sagen, er solle die zehn interessantesten Artikel ankreuzen, sind oft auch die PR-Texte dabei“, hat Martin Huber festgestellt. Wenn der örtliche Friseur ein neues Angebot hat, ist das eben für die Menschen relevant.

Beschwert habe sich darüber noch kein Leser.

Die Bürgerautoren selbst bekommen kein Honorar. Geld mache das Anreizsystem kaputt, erklärte Huber. „Man zieht andere Leute an, als bei einem Mitmachangebot, das freiwillig ist und einen Unterhaltungsfaktor hat.“ Man wolle nicht den freien Mitarbeiter der Tageszeitung abwerben.

In einem Punkt unterscheiden sich die Printmagazine von MyHeimat deutlich von den konkurrierenden Anzeigenblättern: Die eigentlichen Inhalte sind im Internet, das Magazin ist nur „die Spitze des Eisbergs“, wie Martin Huber erklärt. Die anderen Wochenzeitungen hätten hingegen in der Regel keinen ernsthaften Internetauftritt.

Und in Zukunft…

Ein Potenzial für das Modell von MyHeimat sieht Martin Huber unterdessen nicht nur bei „hyperlokalen Medien“. Auch im Special-Interest-Bereich gebe es Chancen, also mit Medien für kleine und kleinste Zielgruppen. Mit der Nutzung von „User Generated Content“ habe man hier ganz neue Möglichkeiten.

„Der Bedarf auf Leserseite ist da, mit einer Redaktion war es aber nicht nachhaltig machbar“, sagte Martin Huber.

Linktipps

Weitere Protokolle und Zusammenfassungen dieses Workshops gibt es bei Medienlese und Blog Age.

A N Z E I G E

BMA - Business Management Akademie

 

8 Gedanken zu „Jonettag-Mediacamp: Geld verdienen mit Bürgerjournalismus

  1. Also ich bin nun wahrlich kein Journalist – und war (leider) auch nicht bei diesem Panel dabei: Das Printresultat dieses Verlages habe ich allerdings in der Hand gehabt. Mein vollkommen subjektiver Eindruck: Da versucht jemand, sich auch noch die paar „Journalisten“ zu sparen, welche einem von Werbung vollkommen dominierten Blättchen noch ein paar mehr oder weniger sinnvolle Inhalte verleihen. Das sich unter den Umständen damit gut Geld machen lässt, sollte nicht verwundern.

  2. Pingback: gogol medien
  3. Man muss allerdings schon bedenken, dass das Modell nur funktioniert, weil die Leute mitmachen. Und die kennen das Endprodukt. Soweit ich das beurteilen kann, verheimlicht und verschleiert MyHeimat nicht, wie das Produkt entsteht und wie es sich finanziert.

    Ich will damit nicht verteidigen, dass hier mit kostenlosen Inhalten Geld verdient wird. Aber das Produkt scheint die Bedürfnisse seiner Leser und Autoren zu befriedigen.

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