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Basiswissen Journalismus: Buchkritik "Investigativer Journalismus" (2. Auflage)

In der renommierten Serie Praktischer Journalismus des UVK Verlages ist kürzlich das Werk „Investigativer Journalismus“ von Johannes Ludwig erschienen. Das Buch will investigativ arbeitenden Journalisten das „notwendige Know-how hierfür“ vermitteln; dies soll „systematisch und anhand zahlreicher Fallbeispiele von aufgedeckten Affären“ geschehen. Wird die Publikation diesem Anspruch gerecht?


Basiswissen Journalismus

Foto: Jenzig71/Photocase.com

Auf rund 400 Seiten widmet sich Ludwig den Themen rund um das investigative, also das erforschende, beharrlich recherchierende Arbeiten bei Presse und Rundfunk, erläutert Herangehensweisen und Recherchestrategien, gibt fundierte Hinweise zu Informationssuche, Recherche- und Auskunftsrechten bei Behörden und Ämtern und beleuchtet den Umgang mit Informanten. Zu dem Thema Recherchen verweist der Autor allerdings auf ergänzende Standardwerke, da dieses Thema innerhalb des Buches verständlicherweise nicht vollumfänglich abgehandelt werden kann.

Investigatives Arbeiten in der Praxis

Ludwig veranschaulicht investigative Arbeit in der Praxis anhand einer Vielzahl von Beispielen: Sowohl „Klassiker“ wie Watergate um US-Präsident Nixon in den 70ern, die Barschel-Affäre in Deutschland Ende der 80er als auch aktuelle Exempel wie journalistische Recherchen im Rahmen des Gefangenenlagers Guantánamo werden aufgegriffen. Ludwig erläutert eingehend und vor allem gut verständlich, wie die Journalisten gearbeitet haben, welche Quellen genutzt und Ermittlungswege beschritten wurden. Der Leser erfährt darüber hinaus, wie oft „Kommissar Zufall“ bei der forschenden Arbeit zur Stelle war und welchen Stellenwert ein unermüdliches und oft zermürbendes „Dranbleiben“ innehat.

Als eines der eindringlichsten Beispiele für die Bedeutung solch investigativer, langandauernder Tätigkeit in dem Buch ist sicherlich der Fall „Lucona“ in Österreich Ende der 70er Jahre hervorzuheben. Die ausführliche Schilderung dieses Skandals um Explosion und Untergang eines Schiffes zeigt, wie „über lange Jahre jegliche juristische und/oder politischen Aufklärungsversuche absolut unmöglich“ gemacht wurden und verdeutlicht vor allem eine zentrale Denkweise beim investigativen Arbeiten: „Die Unglaublichkeit von Dingen, die man nicht für möglich gehalten hat.“ Der Skandal wurde vom SPIEGEL seinerzeit treffend als ein solcher beschrieben, der die „Phantasie jeden Krimi-Autors überfordern“ würde und die einzelnen skizzierten Etappen im Buch veranschaulichen, welch mächtigen Netzwerken investigativ arbeitende Journalisten sich gegenübersehen können.

Rechtsprechung – Informationsfreiheitsgesetze – Internetressourcen

Die verständliche Aufbereitung juristischer Einzelheiten und ergangener Gerichtsentscheide in dem Buch ist sehr gelungen. Insbesondere was das Thema öffentliches Interesse und verfassungsrechtlicher Schutz der Pressearbeit angeht. In diesem Zusammenhang nimmt Ludwig auch Bezug auf die Tätigkeit des Journalisten Wallraff in den 70ern, als sich dieser unter einem Pseudonym bei der „Bild“ anstellen ließ und seine Erfahrungen später in Buchform publizierte. Die hieraus resultierenden Auseinandersetzungen sollten das deutsche Pressewesen entscheidend prägen.

Überhaupt ist die Erläuterung presserechtlicher Fakten sowie der Rechtsprechung der höchsten Gerichte für alle Journalisten eine Bereicherung, die investigativ arbeiten und sich dabei genau über den rechtlichen Rahmen vergewissern wollen. Im vierten Kapitel „Quellen und Informationen“ wird besonders auf die (teilweise noch recht neuen) Informationsfreiheitsgesetze in Deutschland eingegangen, wobei der Autor hervorhebt, welche Auskunftsansprüche sich den Journalisten gegenüber Institutionen bieten. Bei der Erläuterung der Quelle Handelsregister werden dem Leser zum besseren Verständnis Abbildungen von Registerauszügen dargestellt und Hinweise zur Interpretation der Eintragungen gegeben. Hervorzuheben ist ferner, dass der Autor seine Ausführungen mit den von ihm betriebenen Internetseiten verknüpft, auf denen sich ergänzende Ausführungen und Hintergründe finden lassen (siehe unten). Darüber hinaus stellt der Autor in den verschiedenen Kapiteln seines Werkes eine Vielzahl von unterstützenden Internetressourcen vor.

Fazit

Das Werk unterstreicht den Qualitätsanspruch der Verlagsserie. Es leistet nicht nur eine Einführung, sondern geht in wesentlichen Punkten in die Tiefe der Materie und bietet fundierte Hinweise für Journalisten und Redaktionen. Herausragende Stärken der Publikation sind die anschaulich aufbereiteten Beispiele und die Erläuterungen zur pressebezogenen Rechtsprechung. Ebenso die ausführlichen Tipps zur umsichtigen Vorgehensweise bei Recherchen und zu dem Umgang mit Quellen und Informanten sowie die einschlägig skizzierten Gesetze, deren Kenntnis das investigative Arbeiten unterstützen. Darüber hinaus sind die Ausführungen zu den unterschiedlichen politischen Kulturen und journalistischen Bräuchen in den USA und Deutschland sehr aufschlussreich. Insoweit ist das Buch wegen seiner Beispielfülle und seines Praxisbezugs auch für Nichtjournalisten oder Blogger interessant: Denn allein die Skizzierung der bedeutenden Enthüllungsgeschichten in dem Buch gibt interessierten Laien einen tiefen Einblick in die deutsche Pressekultur. Und viele der Tipps sind für alle Journalisten von Interesse, unabhängig von ihrem Tätigkeitsschwerpunkt.

Die Frage, wie hoch der investigative Anteil an journalistischer Arbeit heute noch ist bzw. sein kann, ist eine wichtige: Ludwig macht in seinem Buch „unzureichende Arbeitsbedingungen und zu wenig Know-how bzw. Routine beim (harten) Recherchieren“ als entscheidende Hemmnisse aus. An diesen Fakt will der Autor mit seinem Werk anknüpfen und dies gelingt ihm erfreulicherweise mit seinen substanziellen Ausführungen voll und ganz.

Perspektiven des investigativen Arbeitens

Investigative Recherchen sind zeitaufwendig und bedürfen geschulter und erfahrener Journalisten – mithin allesamt Dinge, die nicht unbedingt hoch im (Rendite-)Kurs vieler Medienmacher stehen. Die künftige Entwicklung im Journalismus bleibt abzuwarten. Aber wenn es beispielsweise „stimmt, dass heute ganze Zeitungsredaktionen ihr Hintergrundwissen von Wikipedia beziehen, dann ist das tatsächlich problematisch“, wie die NZZ in ihrem Dossier Medien vom 27.04.2007 feststellte. Angesichts einer immer schärferen Konzentration des Pressemarktes und expansionshungriger Investoren mag man zurecht einen skeptischen Blick in die Zukunft wagen, wie es um den investigativen Journalismus und die Bereitschaft, in diesen zu investieren, in den kommenden Jahren bestellt sein wird. Der Bedarf indes an solch journalistischer Arbeit steigt. Ludwig führt im Schlusskapitel seiner Veröffentlichung aus, dass im medialen Zeitalter die „Masse der Informationen über einzelne Dinge und größere Zusammenhänge, egal aus welchen Bereichen,“ übergroß ist und Journalisten sich einer Öffentlichkeit gegenübersehen, die „immer weniger konkrete Hintergründe oder größere Zusammenhänge kennt“.
„Investigativer Journalismus“ ist vor wenigen Wochen in der zweiten, überarbeiteten Auflage bei UVK zum Preis von 29,90 EUR erschienen (438 Seiten).

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Über den Autor

Christian Noe ist Rechtsanwaltsfachangestellter und freier Publizist. Er beschäftigt sich in seinen Beiträgen mit den Themen Journalismus, Medien und Kulturwissenschaften. Seine Website: www.christian-noe.de

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