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"Musik ist eine Frage des Lebens, nicht des Geldes"

Die Berliner Band „ORIENTATION“ hat das junge Label des Musikportals akuma für ihr drittes Album gewählt. Warum sie sich auf dieses Experiment einlassen, wo sie doch durch die Filmmusik zu „Gegen die Wand“ viel Bekanntheit erlangt haben, erklärt Bassist und Co-Producer Andreas Advocado im UPLOAD-Interview. Außerdem: Welche Rolle das Internet für sie spielt, welche Tipps und Erfahrungen sie weitergeben möchten, ob das Netz die Vielfalt oder die Einfalt fördert und wie es eigentlich künftig mit dem Geld verdienen für Musiker aussieht – auch darum geht es. Andreas Advocado gibt sich da keinen Illusionen hin: „Wer Geld verdienen will, soll Zahnarzt werden. Jeder Musiker weiß, worauf er sich einlässt.“

Bandfoto Orientation
Die Band ORIENTATION. Links: Andreas Advocado. „Musik ist unser Leben.“

1. Wie kam es zur Veröffentlichung bei akuma records?

ORIENTATION versteht sich als innovatives Projekt, das heißt, wir versuchen mit unserer Musik bestimmte gesellschaftliche Trends vorwegzunehmen. Mit unserem Album „Bosporus Bridge“ haben wir als erste Band überhaupt einen ernsthaften und tiefgründigen Diskurs zwischen orientalischer und abendländischer Musiktradition, reflektiert auf einem zeitgenössischen, „hippen“ Niveau, versucht.

Wir arbeiten als Pioniere. Unser Studio in Neukölln ist ständig auf der Suche nach neuen Talenten, die die Straße, der Kiez (einige sagen: „das Ghetto“, das stimmt aber nicht, denn noch sind die Bezirke Berlins durchlässig und transparent) ausspuckt. Wir haben mit jungen und kreativen Rappern gearbeitet, wie z.B. Killa Hakan, Ceza und Eko Fresh. Andererseits aber mit dem angolanischen Freiheitskämpfer und Volkshelden Waldemar Bastos. Wir haben in Indien mit Tanmoy Bose, dem Tablaspieler von Ravi Shankar, gespielt und produziert, aber auch mit Ulrich Maiß, einem Avantgarde-Cellisten aus dem Umfeld des Ensemble Moderns.

Uns interessierte daher der innovative und völlig neuartige Ansatz von akuma – und das Selbstbewusstsein inmitten einer Branche, die in Selbstmitleid und Depression versunken ihre Wunden leckt. Dass es da eine Company gibt, die sagt: „Hey, mit Musik kann man Geld verdienen!“ fanden wir ganz großartig und suchten den Kontakt, der sich über die Gründer akumas, Sascha und Dirk Hottes, auch unkompliziert ergeben hat. Akuma wiederum suchte nach einem Pilotprojekt für eine physische Veröffentlichung, um auch die herkömmlichen Distributionswege des Musikbusiness nachzuvollziehen.

Für so etwas sind wir als risikofreudiges Produzententeam immer zu haben.

2. Welche Rolle (oder Rollen) spielt das Internet heute für Euch als Musiker?

Wir pflegen über MySpace unsere Fanbase, wobei es sich weniger um Groupie-Fans handelt als um echte Freunde, die uns liebevoll, aber auch kritisch begleiten. Durch MySpace hören wir Musik von überall, die es sonst nicht zu uns schaffen würde. Über kreative Anwenderplattformen wie Last FM werden wir auf Künstler aufmerksam gemacht, die uns sonst durch die Maschen der von den herkömmlichen Medien völlig monopolisierten Aufmerksamkeit rutschen würden.

Ich habe zum Beispiel im letzten Jahr über MySpace die indonesische Künstlerin Astrid Suryanto kennen gelernt und mit ihr ein Album in New York produziert. Ein Blindflug, oder aber ein musikalisches Blind Date. So etwas wäre ohne das Internet undenkbar.

3. Welche Tipps aus Euren Erfahrungen mit dem Internet könntet Ihr an andere Bands und Einzelmusiker weitergeben? Was funktioniert z.B. gut und was schlecht?

Man muss sich immer vergegenwärtigen, dass es ein Pakt mit dem „Teufel“ ist: Die gesteigerte Aufmerksamkeit dient dem Profit eines Konzerns, der seine Plattform früher oder später gewinnbringend verkaufen wird, siehe den vieldiskutierten MySpace-Deal. So schön es ist, Freundschaften in aller Welt zu knüpfen, letztlich dient es dem Ausverkauf der Musik. Bezahlt wird nirgends. In einer kapitalistischen Welt wiegt der Satz: „Was nichts kostet, ist nichts wert!“ besonders schwer. Deswegen schätzen wir akuma, weil dort Musik ihren Preis hat und über feste Kundenbeziehungen ein regelmäßiger Austausch angestrebt wird.

Screenshot der Orientation-Homepage auf Akuma
Die Homepage der Band auf Akuma. „Ohne das Netz hätten die Majors das Spiel doch schon lange gewonnen.“

4. Manche sagen, das Netz fördere musikalische Vielfalt. Andere sagen, wie überall stürze sich das Publikum auf einige wenige Stars. Wie seht Ihr das?

Wir sehen die musikalische Vielfalt ganz klar im Vordergrund. Ohne das Netz hätten die Majors das Spiel doch schon lange gewonnen und von allen Plakatwänden würden uns die Britney Spears dieser Welt anlachen. Wer suchet, der findet. Das Internet ist ein Perlentaucher. Insofern bin ich dem Mp3-Format, das ich ansonsten aufgrund seiner katastrophalen Qualität hasse, zutiefst dankbar. Upload your stuff and share it!

5. Die freie Verfügbarkeit von Musik scheint bekannte Geschäftsmodelle wie den Verkauf von Musik zu gefährden. Stattdessen sollten Musiker mit Fanartikeln, aufwändigen CD-Boxen und Auftritten Geld verdienen, heißt es bisweilen. Wie sieht Euer persönlicher Blick in die Zukunft aus?

Ganz ehrlich: Wir machen uns keine Illusionen mehr. Geld verdienen, wenn überhaupt, vielleicht noch 5 Prozent der Musiker und Künstler. Einige Projekte werden subventioniert (Oper, klassische Musik, zeitgenössische Projekte), andere werden den Teenager-Gemeinden als Droge solange verabreicht, bis die gewünschte Abhängigkeit entstanden ist.

Die vielen ernsthaften und enthusiastischen Musiker, die wir kennen, hangeln sich so gerade durch. Es ist wie auf dem berühmten Spitzweg-Gemälde: Der wahre Künstler ist ein armer Künstler.

Trotz unserer Bekanntheit wissen wir zum Teil nicht, wie wir das Spritgeld zum nächsten Gig auftreiben sollen. Aber: who gives a fuck. Wer Geld verdienen will, soll Zahnarzt werden. Jeder Musiker weiß, worauf er sich einlässt. Es ist ja nicht so, dass einem vorgegaukelt wird, man könne als Musiker ein gemütliches Einkommen erzielen.

An den Fanartikeln, CD-Boxen und Auftritten verdienen – und wieder mal schließt sich der Kreis – in erster Linie die Verwertungsunternehmen (früher: Labels), die mit sogenannten „360 Grad Deals“ zu ihrem eigenen Nutzen eine lückenlose Rundum-Ausbeutung („exploitation„) ihrer Künstler gewährleisten. Inzwischen verdienen die Labels an den Auftritten, an den Urheberrechten, an den Merchandise-Artikeln, also summa summarum an allem mit, was der Künstler an kreativem Output bietet. Die Künstler partizipieren – wie schon immer – in der Regel nur sehr mittelmäßig von ihrem eigenen Schaffen (es sei denn, sie lassen sich klug beraten!).

Aber wir machen nunmal die Musik nicht des Geldes wegen: Wir machen Musik, weil wir Musik machen müssen, weil wir nicht anders können, weil wir ohne Musik nicht leben können und wollen. Musik ist unser Leben. Es ist eine Frage des Lebens, nicht des Geldes. Und deswegen schauen wir auch ganz beruhigt und heiter in die Zukunft: Solange wir leben, werden wir Musik machen. Und solange wir Musik machen, werden wir leben.

C´est ça!

Links

Zum Album „ORIENTATION BIZ“

Cover "Orientation: Biz"„Oriental Soul“ heißt das Etikett, das akuma auf das Album klebt. Ehrlich: Ich kann mit diesen Klassifizierungen immer wenig anfangen. Stellt es Euch als eine Mischung aus populärer westlicher und orientalischer Musik vor – mal groovig, mal entspannt, aber auf jeden Fall nie langweilig. Noch ein ehrliches Bekenntnis: Ich bin voreingenommen. Nicht nur, weil ich mich über die interessanten Antworten von Andreas Advocado in diesem Interview gefreut habe, sondern vor allem, weil ich vor einem Jahr für einen Kurztrip in Istanbul war. Und dieser besondere Sound, diese besondere Art der Musik, dieser eigenwillige Takt… das ist mir ungeheuer positiv im Gedächtnis geblieben. Wer einmal einen musikalischen Schritt in Richtung Orient gehen will, dabei aber gern mit einem Fuß in seiner mitteleuropäischen Heimat bleiben möchte, der sollte auf jeden Fall in dieses Album reinhören.

Zu akuma

Das Musikportal akuma hatte ich bereits hier einmal im Rahmen einer Trigami-Rezension vorgestellt. Darin auch ein Interview mit Sascha Hottes, einem der beiden Gründer.

A N Z E I G E

 

7 Gedanken zu „"Musik ist eine Frage des Lebens, nicht des Geldes"

  1. Ich muss gestehen, dass ich bisher als Musiker vollkommen andere Erfahrungen gemacht habe und auch in meinem Musikerbekanntenkreis sieht die Welt vollkommen anders aus.
    Obwohl niemand nebenbei Zahnarzt ist, verdienen alle gut bis sehr gut, obwohl sie sicherlich nicht zu den 5% der 1. Musikbundesliga gehören.
    Warum denken viele Musiker oder diejenigen, die es werden wollen, dass man mit Musik nur bedingt Geld verdienen kann?

    Wer lässt sich heute, ein bisschen Grips vorausgesetzt, noch von Labels auf den Arm nehmen? Die Welt der Informationen steht heute jedem offen.

    Es bleibt mit ein Rätsel.

    Grüße aus Hamburg:
    Liedschatten

  2. @Liedschatten: freut mich, dass es bei Dir so gut läuft. Chill out und Lounge als Hybride zwischen DJ und elektronischer Musik sind immer gefragt und relativ kostengünstig zu produzieren und zu vermarkten. Ein echter Nischenmarkt, durchaus im besten positiven Sinne. Wir sind auch auf unzähligen Lounge-Samplern vertreten und freuen uns darüber. Ich rede allerdings bei „Musikern“ von diesen seltsamen Faktoten, die mit Instrument und Koffer durch die Lande ziehen … ;-) Schaut Euch zum besseren Verständnis doch mal auf unserer Myspace Seite die Fotos von unserem Gig in Greifswald gestern an…

  3. @ Advocado:
    Auch den Leuten mit Instrument im Koffer geht es gut – zumindest wieder aus meinem Bekanntenkreis….gewissermaßen gehöre ich auch dazu, aber egal.
    Ich denke, wenn man etwas mit Leidenschaft macht, dann kommt auch der finanzielle Erfolg.

  4. Ich finde es immer bewundernswert, wenn Menschen sich dafür entscheiden, Musik zu ihrem Leben zu machen, auch wenn einem da eine bestimmte Absicherung fehlt. Aber na und? Dafür macht man, was man so gerne macht und nicht etwas nur für Geld.

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