Buchkritik: "Kreative Zerstörung" – Zeitungsjournalismus in den USA

Welches Modell soll es denn nun sein, damit das Rauschen im Blätterwald nicht verstummt? Vorschläge zur Zukunft des Journalismus und der Zeitungslandschaft gibt es ja mehr als genug. Zuletzt äußerte sich Dr. Weber vom NZZ Folio hierzu in einem Interview bei UPLOAD. Allerdings werden viele Ideen manchmal ebenso schnell ad acta gelegt wie sie vorgestellt wurden, während das Zeitungsgeschäft weiter zerfällt, Auflagen dramatisch fallen und Blätter ganz verschwinden.

Der Frage, wie es zu dem Niedergang gekommen ist und wie sich aus den druckergeschwärzten Trümmern etwas Neues gestalten lässt, ist der Autor Stephan Ruß-Mohl, Professor für Journalismus und Medienmanagement an der Universität Lugano, nachgegangen. In seinem jetzt erschienenen Buch hat er sich mit dem Verfall des US-amerikanischen Zeitungsjournalismus beschäftigt und neue Ansätze untersucht, wie die Zukunft ausschauen könnte.

Auferstehung aus Ruinen?

Das Buch ist in vier Teile gegliedert, die ersten beiden beschäftigen sich mit den Rahmenbedingungen und Forschungsstand sowie der Endzeitstimmung im Zeitungsjournalismus, darunter viel Bestandsaufnahme bereits bekannter Sachverhalte. In den letzten beiden Teilen geht es dann um vertiefende Beispiele anhand vieler Blätter: Wie sind sie unter Druck gekommen, wie haben sie reagiert und wer war erfolgreich? Darunter zum Beispiel der kleine „Palo Alto Weekly“, der als Lokalblatt etabliert ist. Eine angemessene Nutzung des Internets, auf Augenhöhe mit den Bürgern zu sein und sich nicht an überholte Technologien zu klammern: Hierin sieht Ruß-Mohl das Rezept für den Erfolg der Zeitung.

Im dritten Teil wird dann ein Füllhorn mit Konzepten aus dem Reich der Online-Anbieter ausgeschüttet. Sehr interessant darunter zum Beispiel das Projekt Daily me, eine virtuelle Zeitung, bei der der Nutzer eine Online-Zeitung auf sein Handy oder via E-Mail bekommt, die auf seine Bedürfnisse aus 2000 Onlinequellen zusammengewürfelt wird. Bei True/Slant tummeln sich 65 Journalisten, die anspruchsvollen „Meinungsjournalismus und Social Networking“ kombinieren wollen.

Es sind im übrigen überhaupt die vielen eingestreuten Hinweise auf die Mechanismen innerhalb des amerikanischen Zeitungsjournalismus, die das Buch zu einer spannenden Lektüre werden lassen. Denn auch wenn sich Ruß-Mohls Betrachtungen auf die USA fokussieren, erhält der Leser einen profunden Einblick in die Zusammenhänge des Zeitungs- und Journalismusbetriebs allgemein. Dies auch anhand zahlreicher amerikanischer Blätter wie dem „San Francisco Chronicle“ oder der „San Jose Mercury News“, deren Absturz genau nachgezeichnet wird. Ausgedünnte Redaktionen, der fast völlige Verlust von Auslandsberichterstattung besonders in den US-Großstadtzeitungen und eine Schwerfälligkeit, sich offener mit den neuen digitalen Möglichkeiten auseinanderzusetzen, sind dabei nur einzelne Punkte, die Ruß-Mohl herausstreicht. Und wenn man nebenbei noch erfährt, dass trotz der heute unzähligen Medienangebote im Jahr 2008 die Hälfte aller verbreiteten Nachrichten nur zwei Themen gegolten habe (US-Wahlkampf und Wirtschaftskrise), rückt auch das Thema Medienaufmerksamkeit wieder ein wenig ins Blickfeld.

Darüber hinaus erfährt man allerlei Hintergründe über die Unterschiede amerikanischer und europäischer Zeitungskulturen: Die Hochschätzung der Lokalberichterstattung zum Beispiel, oder aber welche Bedeutung dortigen Eigentümerdynastien für das Zeitungsgeschäft zukommt. Am Beispiel der New York Times wird der Frage nachgegangen, inwieweit die Webpräsenz journalistische Standards verändert. Mit monatlich 20,1 Millionen Besuchern steht ihr Angebot „an der Spitze aller Online-Nachrichtenangebote von Tageszeitungen in den USA“. Die erfolgreiche Integration von „Online- und Offlineoperationen im Newsroom“ haben nach Meinung des Autors dabei wahrscheinlich eine Rolle gespielt.

Ruß-Mohl stützt sich auf eine Menge interessanter Quellen, wie dem Project for Excellence in Journalism (PEJ) zum Beispiel, dessen jährliche Zustandsberichte Einblicke in den Zeitungsbetrieb ermöglichen, oder der Columbia Journalism Review, einer Fachzeitschrift für Journalismus in den Staaten.

Okay, und wie überleben wir jetzt?

Wenn 86 Prozent der Kosten eines Blattes auf Papier, Druck, Vertrieb und Marketing entfallen, ist über die Wettbewerbsfähigkeit einer gedruckten Zeitung schon einiges gesagt. Ruß-Mohl tickert eine Menge möglicher Alternativen durch, wobei er diese in zwei Gruppen teilt: Solche, mit denen wie bisher Geld verdient werden soll und jene, die im Non-Profit-Sektor beheimatet sind. Mitarbeitergeführte Zeitungshäuser seien eine Möglichkeit oder die Leser zu Miteigentümern zu machen. Die „St. Petersburg Times“ wird als gelungenes Bespiel für das Stiftungsmodell herausgestellt, allerdings sind hier keine geringen Summen notwendig. Die New York Times beispielsweise bräuchte demnach 200 Millionen Dollar pro Jahr, so dass ein entsprechend hoher Kapitalstock notwendig wäre. Auch ein Spendenmodell ist denkbar, um journalistische Arbeit zu finanzieren. Ruß-Mohl sieht darin eher eine „mühselige und wenig zukunftsweisende Form des Fundraising“, mit der der Journalist David Cohn samt seiner Idee des Crowd-Funding auf sich aufmerksam gemacht hat.

Online-Abonnements und Flatrates sind ebenfalls im Rennen, wobei das Wall Street Journal zum Beispiel 75 Prozent seines Onlineangebots den Abonnenten vorbehält, die dafür 109 Dollar jährlich hinblättern, also viel weniger als für die Printausgabe. Und auch das Micropayment wird diskutiert, lässt es sich doch für alle Formen nutzen: „Magazine und Blogs, Spiele und Computerapplikationen, TV-Nachrichten und Amateurvideos“, so der frühere TIME-Chefredakteur, Walter Isaacson, in einem Zitat. „Ein solches Bezahlsystem würde es Normalmenschen (…) erlauben, etwas dazu zu verdienen, wenn sie als Bürgerjournalisten etwas Wertvolles zur Gemeinschaft beisteuern.“

Ruß-Mohl sieht eine Marktspaltung als wahrscheinlich an. Die wichtigsten sowie Junk-Journalism-Nachrichten werde es gratis geben, für hochwertigen Journalismus mit aufwendigen Inhalten werde bezahlt werden müssen, außer jene Zeitungshäuser werden von „Google, Yahoo und ihresgleichen aufgekauft und quersubventioniert“ oder von Konzernen künstlich am Leben gehalten, „weil diese ein politisch einflussreiches Flaggschiff“ benötigten.

Fazit

091028-kreative-zerstoerungHohe Aktualität (viele Informationen und Daten in dem Buch stammen aus 2009), ein tiefer Einblick in die Strukturen des amerikanischen Journalismus- und Zeitungsbetriebs sowie eine Vielzahl interessanter Beispiele, wie „konsequent“ die Existenz eines Blattes an die Wand gefahren oder neue Formen im Online-Journalismus erschaffen wurden, machen das Buch zu einer interessanten Lektüre. Ruß-Mohl ist eine spannende Darstellung sowohl für Fachleute als auch Laien gelungen, die er mit zahlreichen Quellen und statistischen Angaben unterfüttert, ohne daß dies das Schmökern zäh gestalten würde.

„Kreative Zerstörung. Niedergang und Neuerfindung des Zeitungsjournalismus in den USA von Stephan Ruß-Mohl ist bei UVK in erster Auflage zum Preis von 29,90 EUR erschienen (284 Seiten).

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Über den Rezensenten

Christian Noe ist freier Journalist. Seine Website: www.christian-noe.de Eine weitere Buchrezension von ihm zum Thema Journalismus findet sich hier

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