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Wearables: Das Internet am Körper

Bis zum WLAN-Anschluss fürs eigene Gehirn ist es ein weiter Weg, aber Internet und Computer rücken uns schon heute auf den Leib. Projekte wie Google Glass und zahlreiche Smartwatches sind Ausblicke in eine spannende Zukunft. Dieser Artikel zeigt die dafür wichtigen Entwicklungen, gibt einen Ausblick und führt einige aktuelle Beispiele vor.

Steve Mann
Der Kanadier Steve Mann experimentiert seit den 80ern mit technischen Erweiterungen für seinen Körper. (Bild: Angeline Stewart. Lizenz: CC BY-SA 3.0)

Fiktion „Cyborg“

Als die Macher von „Star Trek“ für die Serie „The Next Generation“ über einen neuen, übermächtigen Gegner nachdachten, kamen sie auf die Idee der Borg, deren Name wenig kreativ von Cyborg abgeleitet ist. Die Borg sind dementsprechend halb biologische Wesen, halb Maschine. Sie sind ständig miteinander vernetzt und agieren als Kollektiv, das keine Individualität mehr kennt. So gesehen kann man sie auch als Sinnbild für eine stets vorhandene Technologieangst sehen: Wie viel Mensch bleibt in Zukunft noch?

Anders beispielsweise die Serie „Der Sechs Millionen Dollar Mann“ aus den 70ern. Der Protagonist ist ein Astronaut, der nach einem schweren Unfall diverse Implantate bekommt, die seine Fähigkeiten erheblich steigern. Er nutzt sie im Dienst für eine fiktionale Regierungsorganisation. Die „bionischen Ersatzteile“ retten also sein Leben und geben ihm neue Möglichkeiten. Diese Serie steht also eher für die Frage: Wie können wir uns und unser Leben durch Technik verbessern?

Der Begriff Cyborg stammt dabei aus den 60ern und es gibt natürlich noch viele weitere Beispiele als die beiden genannten, in denen sich Menschen und Maschinen direkt miteinander verbinden. Die Idee selbst ist also alt. Je nachdem, wie weit man den Begriff „Wearable Computer“ fasst, sogar sehr alt: Die englischsprachige Wikipedia nennt als frühestes Beispiel einen Ring mit Abakus aus dem 17. Jahrhundert.

Aber das ist natürlich nicht das, was in diesem Artikel mit Wearables gemeint ist. Gemeint ist ein Computer im Sinne eines programmierbaren Geräts, der zugleich so gestaltet ist, das man ihn wie ein Kleidungs- oder Schmuckstück am Körper trägt.

Praktische Beispiele gibt es dafür bereits viele Jahre, wie den oben abgebildeten Steve Mann. Er trägt seit über 30 Jahren ein jeweils selbst entworfenes „Computer Vision System“. Der Forscher, Vordenker und Erfinder hält diverse Patente auf verschiedenen Feldern und gilt manchen als „Vater des Wearable Computing“. An der Weiterenwicklung seiner Geräte kann man zugleich sehr gut den technischen Fortschritt ablesen. Was früher kein durchschnittlicher Mensch freiwillig getragen hätte, ist inzwischen so kompakt, dass es den Massenmarkt erreichen könnte.

Locutus of Borg
Die Borg aus Star Trek repräsentieren als Mensch-Maschine-Mischwesen Ängste vor einer Entmenschlichung des Menschen durch Technologie.

Technische Entwicklungen

Dabei gibt es im Prinzip drei technische Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte, die die Fiktion heute langsam zur Wirklichkeit werden lassen.

1. Allgegenwärtige Computer

So wird Technologie vielfach kleiner und zugleich leistungsfähiger. Computer beispielsweise hatten zunächst das Format einer Halle, füllten später immerhin noch einen Raum, waren dann so groß wie ein Schrank, passten irgendwann auf einen Schreibtisch, ließen sich in Form eines Laptops mitnehmen und heute haben wir in unseren Smartphones eine Rechenkapazität, die vor noch nicht langer Zeit einem PC bestens zu Gesicht gestanden hätte.

Verfolgt man diese Linie weiter, sind ultra-portable Computer der nächste Schritt. Dazu gehören Smartwatches, die teilweise als unabhängige Einheit funktionieren. Und dazu gehört ein Produkt wie die „Datenbrille“ Google Glass.

Denkt man diese Entwicklung weiter, werden Computer so kompakt und leistungsfähig, dass wir sie überhaupt nicht mehr als solche wahrnehmen oder sie nicht einmal mehr zu Gesicht bekommen. Das Stichwort hier ist Ubiquitous Computing – was man als „allgegenwärtige Rechenkraft“ übersetzen könnte. Tablets beispielsweise haben heute jeweils eine eigene Rechenheit integriert, was sie vergleichsweise teuer und schwer macht. Künftige Tablets könnten so universell und allgegenwärtig wie heute Notizblöcke sein, weil sie nur noch ein Minimum an Hardware selbst benötigen und den Rest aus dem dann stets verfügbaren Netz holen.

2. Allgegenwärtiger Internetzugang

Und damit sind wir bei einer zweiten Beobachtung: die jederzeitige Verfügbarkeit des Internet. War das Web in seinen Anfängen eine spezialisierte Anwendung fürs Militär und damit nur wenigen zugänglich, ist es mit der Erfindung des World Wide Web und seiner Standards und Protokolle Anfang der 90er explosionsartig gewachsen. In den Anfangstagen wählte man sich aber in der Regel erst ein, um etwas im Netz abzurufen. Inzwischen sind wir sogar unterwegs stets online. Die Verfügbarkeit und Bandbreite solcher Mobilnetze wird sich weiter steigern.

Die Entwicklung dieses Szenarios kann man wunderbar beobachten. Erst wurden Handys von der Kuriosität zum Alltagsgegenstand. Jetzt werden sie von Smartphones abgelöst. Viele Menschen tragen dadurch bereits heute einen Computer mit ständiger Internetverbindung am Körper. Ein weiteres Beispiel sind Tablets der iPad-Ära. Sie werden im Gegensatz zu vielen Laptops praktisch überhaupt nicht mehr abgeschaltet, sie haben langlaufende Akkus und lassen sich per Touch auch unterwegs schnell und leicht bedienen. Und nicht nur unterwegs: Tablets sind dabei, sich langsam, still und heimlich als Wohnzimmer-PC zu etablieren. Selbst Laptops sind dafür zu klobig und sperrig. Aber ein Tablet wie das Nexus 7 oder ein iPad Mini lässt man wie selbstverständlich auch auf dem Wohnzimmertisch liegen, weil sie nicht mehr wie ein technisches Gerät wirken, das in einen dafür vorgesehenen Raum wie ein Arbeitszimmer gehört.

Noch aber sind Smartphones und Tablets ein Gegenstand, den wir einstecken und wieder weglegen, für den wir zumindest aber einen Platz in unserer Hosentasche, in der Handtasche oder im Rucksack benötigen. Wearables wollen hingegen so kompakt und elegant sein, dass wir sie wie eine Brille, eine Armbanduhr, eine Kette oder einen Ring gerne und nahezu ständig am Körper tragen.

3. Natürliche Mensch-Maschine-Schnittstellen

Google Now
Google Now reagiert auf Sprachbefehle und versucht nützliche Informationen zu liefern, ohne dass der Nutzer überhaupt danach fragen müsste.

Dazu gehört außerdem, dass sich die Bedienung solcher Computer immer weiter menschlichen Gewohnheiten anpasst. Das ist gut zu erkennen, wenn man sich einmal die Entwicklung der Benutzeroberflächen aus den Anfangstagen bis heute anschaut.

Computer waren zunächst Geräte, die nur von Fachleuten bedient werden konnten und die Art und Weise in der das geschah, hatte praktisch nichts mit dem zu tun, was ein durchschnittlicher Mensch aus seinem Alltag kennt.

Die Einführung von Tastatur und Bildschirm führt immerhin schon dazu, dass man eher verstehen konnte, was zu tun war und wie das Ergebnis aussah. Dennoch konnte man es sich nicht durch Ausprobieren erschließen, sondern musste lernen, welche Befehle es gab und wie man sie anwenden konnte.

Die grafische Benutzeroberfläche inklusive Bedienung mit der Maus ist ein weiterer wichtiger Schritt nach vorn. Sie geht erneut etwas mehr auf den Menschen zu: Ein Vorgang wie das Löschen einer Datei wird symbolisiert, in dem man eine grafische Repräsentanz dieser Datei auf das grafische Symbol eines Mülleimers zieht (und den auch hoffentlich irgendwann einmal entleert). Aber noch immer muss man erst lernen, welchen Zusammenhang es zwischen Maus und Pfeil auf dem Bildschirm gibt, was „Fenster“ und „Menüs“ sind und welcher Klick welche Funktion auslöst.

Die Touch-Bedienung hat das weiter vereinfacht, in dem Menüs in den Hintergrund rücken und man direkt per Finger mit den dargestellten Inhalten interagiert. Um sich eine Bildergalerie anzusehen, klickt man bei der Mausbedienung beispielsweise in der Regel auf entsprechende Pfeile, bei der Touch-Bedienung schiebt man die Bilder schlichtweg zur Seite. Wen man etwas vergrößern will, fand man einen entsprechenden Befehl früher möglicherweise in einem Menü „Anzeige“ und dort „Zoom“ oder man klickte auf Plus- oder Minus-Symbole. Bei der Touch-Bedienung zieht man es mit der inzwischen landläufig bekannten Spreizgeste direkt auseinander oder zusammen. Will man auf einer Internetseite scrollen, schiebt man sie nach oben oder unten, anstatt das Konzept eines Scrollbalkens oder eines Scrollrades verstehen zu müssen.

Ein weiterer Schritt ist die Sprachbedienung. Sie ist inzwischen soweit, dass sie sich  bald im Alltag nützlich machen kann. Vor allem sind moderne Systeme nicht mehr auf bestimmte Befehle beschränkt, die man als Nutzer kennen muss, sondern reagieren im Idealfall auf zahlreiche mögliche Formulierungen und beziehen den Kontext eines Sprachbefehls mit ein.

Nicht zuletzt ist ein Assistent wie Google Now eine interessante Entwicklung: Das System versucht Antworten zu geben, bevor man die Frage überhaupt gestellt hat.

Solche möglichst „natürlichen“ Mensch-Maschine-Schnittstellen sind der dritte wichtige Baustein für Wearables, die benutzbar und sinnvoll sind. Daran hat auch der eingangs erwähnte Steve Mann bereits geforscht und dabei Konzepte für etwas entworfen, das er „Metaphor-Free Computing“ oder auch „Natural User Interface“ nennt.

Heutige Beispiele

Kleidung

Eine Möglichkeit, Technologie am Körper zu tragen: sie in die Kleidung zu integrieren. Dafür reicht schon ein T-Shirt, wie das programmierbare „T-Shirt OS“ zeigt, das wahrscheinlich vor allem für Geeks ein großer Spaß mit begrenztem Sinn ist. Für Stars wie Katy Perry werden ganze Bühnenkostüme entworfen. Aber es gibt daneben zugleich ernsthafte Anwendungen, beispielsweise das VivoMetrics LifeShirt: eine Weste, die wesentliche Körperdaten wie den Puls erfasst. Oder sehr praktische, wie etwa die Zegna Icon Jacke mit ihren integrierten Kabelkanälen und einer Handy-Fernbedienung via Bluetooth im Ärmel. Oder sogar politische wie den Twitter Dress, der für eine Aktion in Schweden entstand. Dessen Making-of sieht man hier:

Vimeo

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Smartwatches

Der Großvater der Smartwatch sind die digitalen Armbanduhren mit eingebautem Taschenrechner aus den 80ern. Aber die aktuellen Modelle können natürlich viel mehr. Für viel Aufsehen sorgte die Pebble mit ihrem E-Ink-Display, die sich via Kickstarter vorfinanzierte und inzwischen regulär im Handel erhältlich ist. Aber auch Sony war recht früh dabei und hat gerade kürzlich die neueste Generation seiner schlicht „SmartWatch“ genannten Smartwatch herausgebracht. Es gibt besonders leistungsfähige Modelle, besonders flache oder solche speziell für Sportler. Der Markt wächst und wächst. Kein Wunder, dass ebenfalls Google, Samsung und Apple Ambitionen in diesem Bereich nachgesagt werden.

Smartwatches gibt es dabei grundsätzlich gesehen in zwei Kategorien:

  1. Modelle, die als Erweiterung des Smartphones dienen. Sie sind dessen zweiter Bildschirm und Fernbedienung am Handgelenk. Folglich machen sie sich auch nur dann wirklich nützlich, wenn das Smartphone in Reichweite ist.
  2. Modelle, die eigenständige Geräte sind, beispielsweise auf Android als Betriebssystem setzen und zumindest WLAN oder Mobilfunk haben. Sie können als Zweithandy oder gar als Ersatz dienen.

Noch sind viele Smartwatches vergleichsweise klobig und selten elegant. So kommt es, dass sogar so mancher Gadgetfreund „niemals“ eine Smartwatch tragen würde. Aber man braucht nicht viel Phantasie, um sich eine potenzielle Zukunft auszumalen: Durch die weiter fortschreitende Miniaturisierung können die schlauen Uhren immer kompakter werden und sollte der Markt beständig weiter wachsen, würde sicher auch der eine oder andere klassische Uhrenhersteller mit einsteigen.

Datenbrillen

Der prominenteste Vertreter der Wearables in Brillenform ist natürlich Google Glass. Ende 2013 oder Anfang 2014 soll es allgemein erhältlich sein. Ein kleiner Kreis von Entwicklern und anderen Auserwählten kann es schon heute nutzen. Der Nutzer bekommt Informationen oben rechts in sein Blickfeld eingeblendet und kann die Brille mit Sprachbefehlen sowie einem Touchpad am Gestell bedienen. Google Glass ist ebenfalls wie die meisten aktuellen Smartwatches eine Ergänzung zu einem Smartphone und funktioniert nur sinnvoll im Verbund mit einem. Ein Problem haben derzeit noch Brillenträger, aber Google arbeitet daran.

Google Glass ist dabei längst nicht die erste oder einzige Augmented-Reality-Brille. Das Unternehmen hat das Konzept aber gut umgesetzt und es verstanden, die Zielgruppe der Technikbegeisterten für sich zu gewinnen. Zudem hat Google im Gegensatz zu vielen anderen Konkurrenten eine Menge Trümpfe in der Hand: das überaus erfolgreiche und weit verbreitete Smartphone-Betriebssystem Android, die zahlreichen Webdienste wie Maps und Gmail für die Funktionalität sowie die bekannt gute Spracherkennung für die Bedienung.

Ob Google Glass ein Nerdspielzeug bleibt oder ob wir hier den Beginn einer neuen Ära sehen, ist heute nicht wirklich einzuschätzen. Manche glauben, dass es so erfolgreich wie das Handy wird, andere meinen, dass es ein Nischenprodukt wie Bluetooth-Headsets bleibt.

Fitnessgadgets

Im Gegensatz zu den meisten bislang genannten Geräten und Kategorien haben es die Fitnessgadgets sehr leicht: Ihr Sinn erschließt sich sofort und man ist nicht in Gefahr, ganz schrecklich albern auszusehen… Es gibt sie in der Form eines Armbands wie Jawbone Up,  Fitbit Flex oder das Nike Fuelband, oder als Kästchen im Format eines USB-Sticks, das man in eine Tasche steckt, an der Kleidung befestigt oder auch um den Hals trägt. Beispiele sind hier Withings Pulse, Fitbit One und Fitbit Zip.

Diese Geräte erfassen in der Regel Informationen wie beispielsweise die Bewegung und leiten daraus ab, wie viele Schritte man zurückgelegt hat. Es steht eine App fürs Smartphone zur Verfügung und oftmals kann man die Daten auch bei einem passenden Webdienst speichern und mit anderen teilen.

Insgesamt sollen sie den Nutzer unter anderem zu mehr Bewegung anspornen, was wohl tatsächlich funktionieren kann. Und sie machen sich auch nützlich, wenn man sein Training gezielter angehen möchte.

Jawbone Up
Ein Fitnessarmband wie das Jawbone Up integriert sich so sehr, dass man es selbst auf diesem Werbebild kaum ausmachen kann.

Ausblick

Wie eingangs erwähnt: Die technischen Entwicklungen sind für jedermann gut sichtbar und nicht weiter geheimnisvoll. Leistungsfähige Computer mit dauerhaftem Internetzugang haben wir in der Form von Smartphones bereits heute vielfach bei uns. Die Miniaturisierung wird weiter voranschreiten.

Das Hauptproblem ist dann allerdings zunächst das Display, das heute noch der definierende Faktor für die Gerätegröße in diesem Bereich ist. Aber flexible sowie falt- und rollbare Displays sind nicht mehr weit. Es wäre künftig beispielsweise eine Kombination aus Smartphone in Uhrform am Handgelenk sowie einem zusammengefalteten Display in der Jackentasche denkbar. Um auf dem Laufenden zu bleiben, würde die schlaue Uhr reichen. Via Bluetooth-Headset könnte man mit ihr sogar bequem telefonieren. Braucht man mehr Platz, um beispielsweise ein Video zu schauen oder etwas zu lesen, holt man Display aus der Tasche, das dann als zweiter Bildschirm dient – also genau andersherum als heute.

Ob Nutzer hingegen in Massen bereit sein werden, so etwas wie Google Glass aufzusetzen, steht in den Sternen. Solche auffälligen Geräte sind bislang meist in der Nische geblieben oder wurden nur dann aufgesetzt, wenn man sie gerade brauchte (Headset, Kopfhörer allgemein). Ein Gerät wie Google Glass wird allerdings erst dann sinnvoll, wenn man es mehr oder weniger durchgehend auf der Nase hat. Vielleicht wird es künftig so sein, dass wir Geräte wie Google Glass vorübergehend, aber dann für eine längere Periode aufsetzen, wenn wir gerade besonders gut erreichbar sein wollen oder uns durch eine unbekannte Stadt navigieren lassen.

Computer in die Kleidung zu integrieren, ist ein weiterer interessanter Trend. Hier steht die Industrie nur vor dem Problem, die Technik entsprechend günstig zu machen. Denn viele Menschen haben mehr als eine Jacke, wollen aber nicht für jede über 1.000 Dollar ausgeben wie für die oben genannte Zegna Icon.

A N Z E I G E

 

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