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Interspecies Internet: Wenn Delfine online gehen

Das Internet hat zuerst Computer miteinander verbunden und soll als „Internet der Dinge“ bald unser gesamtes Leben durchdringen. Aber alles das ist für Menschen gemacht. Dabei gibt es neben uns noch andere verständige und bewusste Lebensformen auf diesem Planeten, u.a. Menschenaffen, Delfine und Elefanten. Das „Interspecies Internet“ will sie uns näherbringen. Zu den Förderern der Idee gehören mit Vint Cerf ein „Vater des Internets“ und der Musiker Peter Gabriel.

Peter Gabriel
Peter Gabriel ist eine der treibenden Kräfte hinter der Idee des „Interspecies Internet“. Foto: mohamedn. Lizenz: CC BY 2.0

Ein 20 Jahre alter Cartoon wird aktuell

Am 5. Juli 1993 wurde im Magazin „New Yorker“ ein Cartoon von Peter Steiner abgedruckt, der in der Folge zum meistabgedruckten überhaupt wurde. Darin sehen wir zwei Hunde, einer von ihnen sitzt auf einem Stuhl vor einem Computer und erklärt seinem auf dem Boden sitzenden Kameraden: „Im Internet weiß niemand, dass du ein Hund bist.“ Hier bei Wikipedia kann man ihn sehen.

Er ist so erfolgreich, weil er die Anonymität des Internets auf witzige Weise aufs Korn nimmt. Im Netz können wir alles und jeder sein, so der Gedanke. In Deutschland haben wir sogar das Recht, einen Webdienst anonym zu nutzen. Sollten wir also ein Hund sein, müssen wir uns nicht als solcher zu erkennen geben…

Fast auf den Tag genau 20 Jahre später bekommt der Cartoon eine damals noch ungeahnte Aktualität. Die Konferenz-Reihe TED stellt das Video zu einem Vortrag online, bei dem es ums „Interspecies Internet“ geht. War das Internet zunächst ein Netzwerk für Computer, wurde es bald zu einem Netzwerk für Menschen und könnte zukünftig ein Netzwerk sein, dass Menschen mit empfindungsfähigen und intelligenten Tieren verbindet. Hunde werden in dem Vortrag übrigens nicht genannt, nur Delfine, Elefanten und natürlich unsere nächsten Verwandten: die Menschenaffen.

Vier Personen arbeiten an dieser Idee und haben sie im Rahmen eines TED-Talks vorgestellt.

Es gibt nicht nur die physische Evolution

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Die Konferenzreihe TED hat es sich zur Aufgabe gemacht, neue Ideen und überraschende Erkenntnisse einem breiten Publikum nahe zu bringen. Das Video oben ist die Aufzeichnung dieses Vortrags, die kürzlich veröffentlicht wurde.

„Wir haben zwar Darwins Sichtweise der physischen Evolution akzeptiert“, erklärt Diana Reiss darin. „Aber wir sind sehr viel langsamer darin, das auch für Wahrnehmung, Gefühle und Bewusstsein bei anderen Tieren zu sehen.“

Sie wollte ursprünglich Künstlerin und Bühnenbauerin werden, aber ihr Leben nahm eine ganz andere Wendung. In der „New York Times“ sah sie in einem Foto, wie ein Babywal getötet wird und hatte eine lebensverändernde Eingebung. Sie dachte sich, dass es eine Schande sei, dass diese Tiere getötet werden und wir so wenig über sie wissen. Die Psychologin erforscht nun seit vielen Jahren die kognitiven Möglichkeiten von Delfinen und Elefanten. Es stellt sich heraus, dass diese beiden Tierarten ebenso wie Menschenaffen und einige wenige andere eine besondere Fähigkeit haben: Sie erkennen sich selbst im Spiegel. Was uns im Alltag als Kleinigkeit erscheinen mag, gilt tatsächlich ein erheblicher Sprung. Wir Menschen erreichen diese Stufe im Alter von etwa 18 Monaten. Diana Reiss setzt sich neben der Forschung für den Schutz der Delfine ein.

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Es gebe inzwischen viele Beweise für mentale Fähigkeiten bei Tieren, die sich körperlich teils sehr von uns unterscheiden, sagt sie im TED-Talk. „Einer meiner größten Träume ist, dass wir diesen Tieren den Respekt und den Schutz geben, den sie verdienen, wenn uns klarer wird, dass sie ein Bewusstsein haben und in welcher Verbindung wir zum Rest der Tierwelt stehen.“

Um das zu erreichen, versucht Diana Reiss, die geistigen Möglichkeiten der Delfine sichtbar zu machen. Aber wie schafft man das bei einem Tier, das von seinem Körperbau und seinem Lebensraum her gesehen so anders ist als wir? Diana Reiss entwarf eine Unterwasser-Tastatur mit neun Symbolen, die die Delfine mit ihrer Schnauze bedienen konnten. Über dieses Keyboard konnten die Delfine eine bestimmte Aktion auslösen oder um einen bestimmten Gegenstand bitten. Wie das funktioniert, mussten sie selbst herausfinden. Sie wurden dafür nicht etwa trainiert.

Neue Fenster in den Geist der Tiere

Interspecies Internet
Website des Projekts Interspecies Internet

Eine Frage habe sie dabei schon länger beschäftigt, erklärt sie: „Wie können wir neue Interfaces entwerfen, neue Fenster in den Geist der Tiere, indem wir die Techniken benutzen, die uns heute zur Verfügung stehen?“ Und dann bekam sie eines Tages einen Anruf von Peter Gabriel.

Der Engländer ist nicht nur als Mitgründer der Band „Genesis“ und als erfolgreicher Solokünstler bekannt. Er ist zudem ein Menschenrechts-Aktivist und seit jeher fasziniert, welche neuen Möglichkeiten ihm Technik als Künstler geben. So gilt seine Multimedia-Musik-CD-ROM „Xplora“ als Meilenstein, ebenso das Musik- und Kunst-Adventure „EVE“.

„Ich arbeite mit vielen Musikern aus der ganzen Welt zusammen“, sagt Peter Gabriel im Rahmen des TED-Talks. „Oftmals haben wir keine gemeinsame Sprache, aber wir setzen uns an unsere Instrumente und plötzlich gibt es etwas, was uns verbindet.“ Zugleich war er schon seit längerer Zeit von den Fähigkeiten fasziniert, die manche Tiere an den Tag legten. Fast schien es ihm, als würden diese Tiere es eher schaffen mit uns zu kommunizieren als umgekehrt.

2001 hatte er eine besondere Begegnung an der Georgia State University. Peter Gabriel hatte Kontakt zu Sue Savage-Rumbaugh aufgenommen und bekam die Chance einer Musik-Session mit dem Bonobo-Affen Banisha. Das Erlebnis beeindruckte ihn sehr und die Überlegungen starteten, ob und wie man das Internet nutzen könnte, um den Menschen mit anderen Spezies zusammenzubringen. Wie könnten audio-visuelle Interfaces aussehen, um das zu ermöglichen? Eine Idee war das Projekt ApeNet, das Menschenaffen Zugang zum Internet geben sollte. Man kann es als Vorläufer des Interspecies Internet sehen.

Peter Gabriel und Sue Savage-Rumbaugh spielten die Idee weiter durch und nahmen Kontakt zu anderen auf. Das brachte sie schließlich mit Diana Reiss zusammen und ebenso mit Neil Gershenfeld. Er leitet das „Center for Bits and Atoms“ am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Hier geht es vor allem darum, die Grenzen zwischen der digitalen und der physischen Welt aufzubrechen. Er ist einer der Fürsprecher und Förderer der „dritten Revolution“ nach Kommunikation und Computer: dem Herstellen von Dingen in Eigenregie, beispielsweise 3D-Druck. Auf ihn geht die „Fab Lab“-Bewegung zurück: Einrichtungen, die Interessierten alle notwendigen Gerätschaften bereitstellen, um selbst etwas herzustellen. Er ist Director der Fab Academy.

Neil Gershenfeld wiederum brachte mit Vint Cerf eine Person ins Spiel, der an den Grundlagen des Internets mitgearbeitet hat, die wir noch heute nutzen.

Vint Cerf. Foto: Elon University. Lizenz: CC BY 2.0
Vint Cerf. Foto: Elon University. Lizenz: CC BY 2.0

Der Computerwissenschaftler hat für sein Schaffen bereits diverse hohe Auszeichnungen entgegen nehmen können: die National Medal of Technology, den Turing Award, die Presidential Medal of Freedom. In seinen frühen Jahren hatte er bei IBM gearbeitet und später in der Gruppe mitgewirkt, die den Internet-Vorläufer ARPAnet entwickelte. Bob Kahn und Vint Cerf waren schließlich diejenigen, die TCP/IP schufen – eines der Fundamente des Internets, wie wir es heute kennen und nutzen. Seit 2005 ist er unter anderem Chief Internet Evangelist bei Google. Mit dem Jet Propulsion Laboratory der NASA arbeitet er außerdem an einem Interplanetary Internet für den Datenaustausch jenseits der Grenzen unseres Heimatplaneten, beispielsweise für die Kommunikation zwischen Erde und Mars.

„Als Bob Kahn und ich das Internet entwarfen, glaubten wir an einem System zu arbeiten, das Computer miteinander verbindet“, erklärt Vint Cerf. „Wir fanden aber bald heraus, dass es ein System war, um Menschen miteinander zu verbinden.“ Wir sollten dieses Netzwerk aber nicht auf eine Spezies beschränken, sagt er im Rahmen des TED-Talks. Andere intelligente, empfindungsfähige Spezies sollten ebenso einbezogen werden. Und dazu sei das „Internet der Dinge“ ein erster Schritt. Darüber würden wir heute lernen, wie man mit etwas kommuniziert, was nicht zwingend eine andere Person sein muss. „Alle Arten von empfindungsfähigen Wesen könnten über ein solches System miteinander verbunden werden und ich kann kaum erwarten, die Ergebnisse dieser Experimente zu sehen.“

„Intelligente Interfaces“ sind nun gefragt

Über den TED-Talk wurde das gemeinsame Projekt dieser vier unterschiedlichen Personen erstmals öffentlich gemacht. Nun gehe es darum möglichst viele Menschen dafür zu begeistern, um „intelligente Interfaces“ zu entwickeln, sagt Peter Gabriel. Zudem sei das Interspecies Internet als ein verbindendes Element für viele bereits existierende Projekte zu sehen, ergänzt Neil Gershwin. „So wie auch das Internet aus zahlreichen einzelnen Netzwerken besteht, die über einen gemeinsamen Standard miteinander kommunzieren.“ Das erste Projekt ist  bereits vorfinanziert: ein interaktiver Touchscreen für Delfine.

Wenn es um den Sinn des Projekts geht, kann man viele Argument aufführen: Tiere besser zu verstehen, hilft uns uns selbst besser zu verstehen. Ein Bewusstsein zu schaffen dafür, dass wir Teil eines Ökosystems sind, rettet uns vielleicht vor der Selbstvernichtung. Verstehen wir, dass Tiere uns bei aller Unterschiedlichkeit ähnlich sind, gelingt es uns am Ende eventuell besser, ebenso bei uns Menschen statt der Unterschiede die Gemeinsamkeiten zu sehen. Vint Cerf aber hat noch eine weitere Vision: Eine Kommunikation mit Tieren zu ermöglichen, könne uns bei der Kommunikation mit einer außerirdischen Intelligenz helfen. Und das klingt dann sogar noch verrückter als Affen, Delfine, Elefanten und Menschen bei der gemeinsamen Kommunikation.

Auf der anderen Seite hätten 1973 wohl nur die wenigsten wie Vint Cerf und Bob Kahn an die Vision eines weltumspannenden Computernetzes geglaubt.

Links zum Thema

Hier gibt es mehr über das Projekt und seine Hintergründe zu erfahren:


Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 3

Themen: Eine Anleitung zu Blogger-Relations, eine Review zur brandneuen Blog-Software Ghost, ein spannender Gastbeitrag zum Thema Content-Marketing von Wibke Ladwig und der Verzicht auf das eigene Auto mit Hilfe des Internets.

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