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Willkommen in der Ära des selbstbewussten Digital-Journalismus

Journalismus in digitalen Medien wird selbstbewusster und erwachsener. Neue Projekte entstehen, die nicht mehr auf möglichst hohe Abrufzahlen setzen, sondern ihre Leser mit anspruchsvollen Beiträgen gewinnen wollen. Sie haben tatsächlich eine Chance, wie erste Beispiele zeigen. Das liegt auch an der Erkenntnis: Es gibt Leser, die für gut gemachte digitale Inhalte zahlen.

Glenn Greenwald
Glenn Greenwald hat den NSA-Skandal publik gemacht und arbeitet nun an The Intercept, einer Seite für investigativen Journalismus. (Bild: Gage Skidmore, flickr.com. Lizenz: CC BY-SA 2.0)

Der aktuelle Wandel

Im Zusammenhang mit Online-Journalismus und digitalen Medienangeboten gibt es aus meiner Sicht drei wesentliche Missverständnisse:

  • Online muss man schnell sein. Ja, man kann schnell sein, man muss es aber nicht. Sendezeiten, Redaktionsschlüsse und ähnliche Beschränkungen kann man hinter sich lassen. Trotzdem sehen wir vielerorts ein Rennen um die schnellste Newsmeldung, manchmal reicht es gar, nur eine Überschrift zu veröffentlichen und den Text nach und nach zu ergänzen. Das ist ohne Frage ein legitimes Mittel, aber die Gefahr dieses Wettlaufs: Zeit für das Nachprüfen der Fakten bleibt kaum noch. Wenn eine Story spannend scheint und viele Klicks verspricht, wird sie folglich sofort veröffentlicht und im Zweifel im Nachhinein korrigiert. Platz für das Einschätzen und Bewerten der Neuigkeit ist gar nicht erst vorgesehen. Die Leser bleiben eher überfordert und verwirrt zurück, als dass man einen Dienst zu Information und Aufklärung leistet. Umso mehr steigt das Bedürfnis nach verlässlicher Information und nach Inhalten, die verständlich und umfassend Hintergründe erklären. Das Gute: Auch dafür ist das Internet perfekt geeignet.
  • Alles muss kurz sein. Die Behauptung, Onlinetexte müssten kurz sein, hat aus meiner Sicht in dieser Absolutheit noch nie gestimmt. Früher war es sicherlich anstrengender als heute, auf einem Display zu lesen. Aber letztlich ist es die Aufgabe des Layouters, die Lesefreundlichkeit zu erhöhen und es ist die Aufgabe des Autors, das Interesse des Lesers wach zu halten. Wikipedia wurde beispielsweise nicht groß, weil es kurz und knapp ein Thema zusammenfasst. Ganz im Gegenteil. Wikipedia hat allen Platz der Welt, um ein Thema darzustellen und zu erklären und wird auch dafür sehr geschätzt. Zweites Beispiel: Menschen lesen heute 1000-seitige Romane auf E-Readern, Tablets und bevorzugt sogar auf dem Smartphone. Und da will jemand behaupten, die Nutzer würden keinen längeren Artikel lesen? Solange das Thema spannend ist und der Text gut geschrieben, werden sie es tun, sogar unter widrigen Umständen wie auf dem vergleichsweise kleinen Smartphone-Display.
  • Niemand bezahlt etwas. Auch die Aussage, dass man online kein Geld für Inhalte verlangen kann, hat aus meiner Sicht noch nie gestimmt. Sofern ein passendes Angebot da ist, gibt es Einnahmen, wie beispielsweise der iTunes Music Store beeindruckend gezeigt hat oder Amazon bei den E-Books. Beide hatten erfolglose Vorläufer und gezeigt, dass man ein stimmiges Gesamtprodukt braucht. Aus meiner Sicht gab es bei Verlagen bislang zu selten den Willen, fürs Digitale selbstbewusst neue Projekte zu entwickeln und darin liegt das eigentliche Problem. Ein solches Angebot muss zu den Bedürfnissen der Leser passen, spielend leicht bedienbar sein und einen angemessenen Preis verlangen – dann kann es auch funktionieren.

Das am meisten praktizierte Modell im Online-Journalismus gibt heute dagegen die Inhalte kostenlos ab und versucht sie über Werbung zu refinanzieren. Dadurch aber wird die Zahl der Abrufe  zur Währung, die über Wohl und Wehe des Angebots entscheidet. Da alle mit den gleichen Mitteln um dieselben „werberelevanten Zielgruppen“ ringen, wird dieser Kampf mit der Zeit oftmals schwieriger. Das kann unschöne Nebenwirkungen haben: Das Niveau sinkt, Fehler passieren und mit der Wahrheit nimmt es mancher auch nicht mehr so genau.

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Zugleich sind Angebote für tiefgehende und ausführliche Inhalte unterrepräsentiert. Dabei sind deren potenziellen Leser längst online, haben ihre Internet-Flatrates zu Hause, im Büro und unterwegs. Sie kommunizieren via Smartphone und nutzen ein Tablet. Sie kaufen Fachzeitschriften und Hochglanzmagazine (oder haben das früher getan) und sie geben viel Geld für Fach- und Sachbücher aus, buchen Seminare, Kurse und Konferenzen. Kurzum: Das Interesse ist da. Das Geld ist da. Allein es fehlt an entsprechenden Angeboten.

Das scheint sich nun langsam zu ändern. Dabei sind es aber nicht unbedingt die etablierten Medienhäuser und Verlage, sondern oftmals engagierte Blogger und Journalisten, die den Vorstoß hin zu mehr Qualität wagen.

Einige Beispiele.

De Correspondent

De Correspondent
De Correspondent

Das niederländische Projekt De Correspondent wäre einen eigenen Artikel wert, so anders und neu ist es in vielen Punkten. So haben die Macher den Start im September 2013 durch eine Crowdfunding-Kampagne finanziert, die mehr als erfolgreich war: Die erhofften 15.000 Abonnenten hatten sie bereits nach acht Tagen, insgesamt kamen rund 1,3 Millionen Euro zusammen – weltweiter Crowdfunding-Rekord für ein Journalismusprojekt. Inzwischen konnte man bereits 30.000 zahlende Leser vermelden. Mehr über die Hintergründe kann man in diesem Post nachlesen.

Die Seite setzt sich dabei bewusst ab vom Tagesgeschehen und dem, was andere Medien daraus machen. Die Autoren und ihre Themen stehen im Vordergrund und es erscheinen nicht mehr als eine handvoll Beiträge pro Tag. De Correspondent konzentriert sich nach eigenen Worten auf Hintergründe, Analysen und investigative Recherchen sowie „jene Geschichten, die dem Radar der Mainstream-Medien entgehen, weil sie nicht zu dem passen, was man normalerweise als ‚News‘ begreift.“ In der englischen Selbstbeschreibung findet sich die lesenswerte Liste der Ideale, für die De Correspondent steht. Generell sieht man sich aber nicht etwa als Ersatz für andere Medienangebote, sondern als eine bislang fehlende Ergänzung.

Werbung gibt es keine, man finanziert sich vor allem über die 60 Euro, die die Leser pro Jahr bezahlen. Daneben sind Kooperationen zum Beispiel mit Universitäten denkbar, die die Macher von De Correspondent jeweils für die Leser transparent halten wollen. Elf festangestellte Redakteure hat das Projekt momentan sowie 15 freischaffende Autoren. Hinter dem Projekt steht mit Rob Wijnberg ein erfahrener Mann: Er war vorher Chefredakteur der überregionalen Tageszeitung NRC Next. Sie setzte ebenfalls stark auf Hintergründe und Analysen, sollte aber dem Vernehmen nach stärker in Richtung News getrimmt werden. Für Rob Wijnberg war das offenbar nichts, also nahm er das Heft selbst in die Hand, kündigte und gründete neu.

The Intercept

Startseite von "The Intercept"
Startseite von „The Intercept“

Zwei Dinge sind an The Intercept besonders interessant. Punkt 1: Glenn Greenwald gehört zu den Gründern und den Autoren. Er wurde 2013 schlagartig weltberühmt als derjenige, den ein gewisser Edward Snowden ansprach, weil er vertrauliche Informationen mitzuteilen hatte. Entsprechend stehen hier die NSA-Dokumente und andere Informationen rund um diesen Themenkomplex im Mittelpunkt. Aber The Intercept soll sich künftig generell zu einer Plattform für mutigen und unabhängigen Journalismus entwickeln, ist auf der About-Seite zu lesen. Letztlich soll es nicht nur Politik, sondern zahlreiche weitere Themenbereiche abdecken und somit investigativen Journalismus machen, der eine breite Masse an Lesern erreicht.

Punkt 2: Die Finanzierung ist ungewöhnlich: eBay-Gründer und Milliardär Pierre Omidyar ist der Geldgeber für die dahinterstehende Firma First Look Media. Es ist bei Weitem nicht sein erstes Engagement, für solche Unternehmungen hat er sein Omidyar Network geschaffen. Aber laut Berichten ist er Willens, 250 Millionen US-Dollar in First Look Media zu investieren. 50 Millionen US-Dollar hat er bereits als Anschubfinanzierung zur Verfügung gestellt. Ausgangspunkt dieses Engagements ist interessanterweise der Moment, als man ihn als einen Kandidaten für den Kauf der Washington Post angesprochen hatte. Amazon-Gründer Jeff Bezos schlug bekanntlich zu. Pierre Omidyar aber fragte sich, was man mit der gleichen Summe wohl anfangen könnte, wenn man sie in ein vollkommen neues Projekt investierte. Er suchte in der Folge auch das Gespräch mit Glenn Greenwald und stellte fest, dass der gemeinsam mit  Laura Poitras und Jeremy Scahill gerade an einem neuen Projekt arbeitete. Ihre Ideen und Vorhaben passten bestens zusammenpassen. Weitere Hintergründe dazu finden sich in diesem Artikel. Die Verknüpfung zu Omidyar führt allerdings auch immer wieder zu Kritik, da sie die redaktionelle Unabhängigkeit von The Intercept in Frage stellt.

Mit dem Geldpolster von Pierre Omidyar können sie sich auf der anderen Seite einen Luxus leisten: Wann und wie The Intercept Geld einbringen wird, ist noch nicht klar. Dabei ist Omidyar nicht etwa naiv, er hat bereits auf Hawaii Erfahrungen mit einem Journalismus-Projekt gesammelt, das zunächst komplett auf Bezahlinhalte gesetzt hat. Tatsächlich besteht First Look Media aus verschiedenen Komponenten, die teilweise als Non-Profit und teilweise als Unternehmen angelegt sind. Weitere Hintergründe dazu finden sich hier.

The Information

The Information
The Information

Das Angebot The Information sorgte vor allem mit seinem ungewöhnlich hohen Preis für Aufsehen: 39 US-Dollar im Monat oder 399 US-Dollar im Jahr sollen die Leser für den Zugang bezahlen. Freie Inhalte gibt es ebenso wenig wie Werbung. Kann das funktionieren? Nicholas Carlson machte bei Business Insider eine einfache Rechnung auf: The Information braucht keine 2.000 Abonnenten, um sich mit der jetzigen Mannschaft komplett zu refinanzieren.

Inhaltlich richtet sich die Seite an Leser aus der Techszene, die sich von anderen Nachrichtenangeboten schlecht informiert fühlen. Gestartet wurde sie von Jessica E. Lessin, die zuvor acht Jahre lang für das angesehene Wall Street Journal aus dem Silicon Valley berichtet hat. Sie kennt also ihren Job und ihr Thema. Diese Nähe zu den Objekten ihrer Berichterstattung wird dabei auch kritisch betrachtet.

„Wir haben die Latte sehr hoch gelegt. Nun müssen wir Beiträge liefern, für die es sich zu zahlen lohnt“, hatte sie in ihrem Posting zum Start der Seite geschrieben. Natürlich sei sie sich bewusst, wie viele kostenlose Inhalte im Netz es gebe. „Um erfolgreich zu sein, müssen wir mehr mit weniger erreichen, schonungslos fokussiert sein, kreativ und verlässlich.“

Zahlen zum Erfolg der Website gibt es noch keine. Interessant ist der mutige Ansatz aber dennoch und in der anvisierten Business-Zielgruppe sitzt das Geld bekanntlich lockerer als wenn man sich an Konsumenten wendet. Davon leben schließlich viele Fachzeitschriften, Buchverlage und Seminaranbieter. Stellt sich nur die Frage, wie man dieses Informationsbedürfnis am Besten aufs Internet überträgt und ob The Information hier das passende Angebot macht.

Substanz

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Auch in Deutschland gibt es interessante neue Medienprojekte: „Substanz“ nennt sich das geplante App-Magazin von Georg Dahm und Denis Dilba. Beide sind gestandene Wissenschaftsjournalisten und genau in diesem Themenumfeld soll ihr rein digitales Magazin auch erscheinen. Eine Anschubfinanzierung von gut 35.000 Euro haben sie via Crowdfunding auf Startnext eingesammelt.

Ihr Versprechen: „Wir geben den besten Wissenschaftsjournalisten die Zeit, vor Ort zu recherchieren. Und wir geben ihnen den Raum, die ganze Geschichte zu erzählen. Sorgfältig. Kritisch. Und offen für alle Überraschungen, die das Thema birgt.“ Auch hier also setzt man ganz auf Tiefe und sagt mit Selbstbewusstsein: „Wir unterscheiden nicht mehr zwischen Print und Online. Wir unterscheiden zwischen schlecht und gut erzählten Geschichten.“

Substanz soll dabei ein „anspruchsvolles, zeitgemäßes Wissenschaftsmagazin“ werden. Es richtet sich an Schüler, Eltern, Lehrer, Studenten, Postgraduierte und Professoren. „Unsere Zielgruppe sind alle, die eine verständliche und mutige Stimme im Gewühl vermissen“, heißt es im Beschreibungstext des Crowdfunding-Projekts.

Ambitioniert ist ihr Plan allerdings nicht nur inhaltlich, sondern ebenso beim Preis: Einen Monat Substanz bekam man via Startnext für 30 Euro. Das macht es sicher nicht einfacher, eine neue Medienmarke zu etablieren. Auf der anderen Seite ist das Preisniveau im Wissenschaftsbereich vielfach höher und sofern sich die erhoffte Zielgruppe von den Inhalten angesprochen fühlt, kann das funktionieren.

Sympathischerweise haben die beiden Macher ihr Unternehmen „Fail Better Media“ genannt, eine Anspielung auf Samuel Beckett.

Weitere Beispiele

Die Seite AngelList verzeichnet aktuell gut 180 Journalismus-Startups. Eine weitere Liste findet sich bei Columbia Journalism Review. Hier noch zwei beachtenswerte ältere Beispiele und zwei kommende Projekte:

Matter
Matters neues Zuhause auf Medium.com

Erstes Beispiel ist das mit hohen Zielen gestartete Matter. Es wurde inzwischen von Medium übernommen, dem aktuellen Projekt des Twitter-Mitgründers und Blogger-Erfinders Ev Williams. Bei beiden geht es um die Langform, über deren Renaissance wir ja bei UPLOAD bereits geschrieben hatten. Matter hatte zunächst 140.000 US-Dollar via Crowdfunding einsammeln können. Ihr radikaler Ansatz: Nur ein einziger Beitrag pro Monat, aber der ist dann entsprechend aufwändig. Für nur 99 Cent pro Artikel konnte man es auf der Website lesen oder auch als „Kindle Single“ herunterladen. Inzwischen leitet die ursprüngliche Matter-URL auf ihre Präsenz auf Medium um. Hier gibt es die ausführlichen Beiträge nun kostenlos zu lesen. Wie Ev Williams Medium refinanzieren will, hat er bislang nicht verraten. Ihm geht es erst einmal darum, seine Seite als Ort für ausführliche Inhalte im Netz zu etablieren.

NSFWCorp.
NSFWCorp. gehört inzwischen zu Pando

Ebenfalls interessant ist der rasante Aufstieg und Fall von NSFW Corp., die inzwischen von Pando übernommen wurden. Immerhin 6.000 zahlende Leser hatte die Seite für ihre investigativen Stücke gewinnen können. Sie hatten dabei eine interessante Bezahlschranken-Variante entwickelt: Alles war hinter der Paywall, aber die Abonnenten konnten bis zu zehn Beiträge pro Monat frei teilen – das funktionierte über eine speziell generierte URL, die die Bezahlschranke dann umging. Letztlich aber scheiterte NSFW Corp. daran, keine weitere Investorengelder mehr einsammeln zu können. NSFW-Gründer Paul Carr hatte dabei wohl u.a. seine Hauptgeldgeber CrunchFund und VegasTech vor den Kopf gestoßen, denn auch wenn sie ihn finanzierten, wurden sie von ihm für manche Geschäftspraktiken trotzdem öffentlich kritisiert. Sie verzichteten letztlich auf weitere Unterstützung. Paul Carr dazu: „Ich bin lieber arm und dafür glaubwürdig, als dass ich 250 Millionen habe und so einen Bullshit wie ‚Kein Kommentar‘ sagen muss.“

Vox
Vorschaltseite von Vox

Ein Projekt, dessen Start mit Spannung erwartet wird, ist Vox. Dahinter steht mit Vox Media das Unternehmen, dem u.a. die erfolgreiche Tech-Newsseite The Verge gehört. Chefredakteur ist Ezra Klein, der vorher als politischer Berichterstatter der Washington Post das erfolgreichste Blog der Zeitung gemacht hat. Bei der Post wollte er laut Berichten mit einem Budget von über 10 Millionen US-Dollar eine neue, unabhängige Newswebsite auf die Beine stellen. Die Zeitung wollte oder konnte nicht und Ezra Klein zog von dannen. Bei Vox soll es nun darum gehen, Nachrichten zu erklären, wie man der Vorschaltseite entnehmen kann. Ihrer Überzeugung nach gebe es kein wichtiges Thema, das man nicht interessant aufbereiten könne. Man darf gespannt sein, wie das Endprodukt aussieht. Einen Starttermin gibt es noch nicht.

The Upshot
Ankündigung von The Upshot

Aber es sind nicht nur Medienstartups, die Neues ausprobieren wie das letzte Beispiel zeigt: Die New York Times hat The Upshot angekündigt. Auch sie haben sich zum Ziel gesetzt, die täglichen Nachrichten zu erklären – oder wie sie es formulieren: Politik, Wirtschaft und andere Themen zu „entmystifizieren“. Gelingen soll das mit analytischen Artikeln wie diesem vorab veröffentlichten Beispiel. Grafiken in interaktiver oder klassischer Form werden eine zentrale Rolle spielen und damit auch Daten. Inwiefern sie damit in Konkurrenz zu Nate Silvers Seite fiftythirtyeight stehen, wird man erst nach dem Start einschätzen können. Nate Silver hat sich ganz und gar dem Datenjournalismus verschrieben und nimmt die detaillierte Analyse von Umfrageergebnissen und anderen Zahlen als Ausgangspunkt der Berichterstattung. So konnte er beispielsweise schon Wahlausgänge mit einem hohen Maß an Präzision vorhersagen. Er ist ein Statistikfan mit journalistischen Ambitionen. Seine 2008 gegründete Seite hatte von 2010 bis 2013 der New York Times gehört, wurde aber letztes Jahr von ESPN übernommen.

Was folgt daraus?

Um einen Punkt vom Anfang hier zu betonen: Im Digitalen können Medienmacher bisherige Beschränkungen und Grenzen hinter sich lassen. Jetzt geht es darum, die Grenzen der neuen Medien auszuloten. Man ist nicht mehr beschränkt durch vorgegebene Formate, seien es bestimmte Längen für Video- und Audiobeiträge oder für Texte in einem Magazin oder einer Zeitung. Man kann eine Geschichte so erzählen, wie es die Geschichte verlangt.

Natürlich haben beispielsweise sehr kurze Videos auf YouTube ihr Publikum. Aber das gilt auch für Videos jenseits von 20 Minuten. Nicht umsonst finden sich (teils illegal) komplette TV-Dokus auf YouTube. Hier ist es ebenso wie ich oben bei den Texten ausgeführt habe: Wenn die Leute ein Video nicht ansehen, dann sind Thema und Umsetzung eventuell nicht passend oder es wird schlichtweg nicht gefunden. Menschen schauen online teilweise viele Stunden am Stück Dokumentationen, Serien, Spielfilme – und suchen dabei gezielt nach Anregungen, Informationen und Unterhaltung. Wer seine Zuschauer hingegen für Idioten hält, die sich nicht länger als 1:30 min auf ein Video konzentrieren können, wird entsprechend an die Sache herangehen und ein entsprechendes Publikum anziehen. Das andere Publikum ist aber ebenfalls da, es bekommt nur seltener etwas geboten. Und aus meiner Wahrnehmung heraus ist das genau das Publikum, das für gute, nützliche und spannende Inhalte auch etwas bezahlt.

Will ich mir einen Stamm von zahlenden Lesern, Zuhörer oder Zuschauern aufbauen, muss ich allerdings etwas Besonderes bieten. Ich muss mir auch darüber klar werden, was meine Zielgruppe eigentlich möchte. Und ich muss herausfinden, wie ich das mit den vielseitigen Mitteln digitaler Medien so gut wie möglich umsetzen kann. Mancher hat dafür schlichtweg ein Talent. Andere müssen es durch Ausprobieren herausfinden. Viele Vorbilder zum Nachahmen gibt es noch nicht. Das bedeutet zugleich aber auch: Es gibt etliche Chancen, sich zu etablieren.

Mit der Zeit werden sich neue Modelle finden. Man wird sehen, welche digitalen Formate besonders gut funktionieren und was sich wofür einigt. Nur um das herauszufinden, muss man es eben probieren und im Zweifel scheitern. Oder zweimal. Oder dreimal.

Platz für neue Ideen

Spiegel-Online-Redakteur Konrad Lischka hatte dazu in einem sehr lesenswerten Blogpost über „gelassene Digitalmedien“ nachgedacht. Mit Blick auf das niederländische Projekt De Correspondent schreibt er:

„Ich bin mir absolut sicher: Ein paar Zehntausend dieser Leser gibt es in Deutschland. Von jedem von ihnen 60 Euro im Jahr und jemand hat ein kleines, sogar ohne Online-Werbung funktionierendes Geschäftsmodell.“

Nach seinen Worten zahlen solche Leser für Digitalmedien Geld, „wenn sie etwas anderes bieten als das Nachrichtenrauschen, das jeder von Twitter und all den Aggregatoren kennt, die mit einer Flut an Schnipseln Publikum binden.“ Aus meiner Sicht trifft er damit den Nagel auf den Kopf und ich würde sogar noch ergänzen: Gerade weil der Informationslärm durch das Internet so laut geworden ist, braucht es ruhige und gelassene Stimmen. Wie angenehm wäre es doch, würden sich mehr Newswebsites ganz bewusst einschränken. Denn den Newsstrom auszufiltern ist doch schließlich die ureigenste Aufgabe des Journalisten.

Das Internet bietet Platz für alle Formen der Berichterstattung – sensationsheischend oder bedacht, kurz oder lang, bebildert oder textlastig, interaktiv erzählt oder klassisch. Es wird Zeit, dass alle diese Möglichkeiten genutzt werden und nicht nur die, die viele Klicks bringen. Genügend Leserinnen und Leser werden es danken.

Niedrige Einstiegshürden

Für engagierte Blogger, Podcaster, YouTuber und Journalisten gibt es zugleich so viele Möglichkeiten wie noch nie, ihr eigenes Projekt auf die Beine zu stellen. Um die technische Seite muss man sich dabei kaum Gedanken machen. Ob es um das Hosting für die eigene Website geht, ein Content Management System oder um Geräte, um Medien herzustellen: Sie sind alle vorhanden, oftmals kostenlos oder zumindest zu sehr überschaubaren Preisen zu haben. Zudem sollte man sich gerade anfangs als erstes auf die Inhalte und deren Qualität konzentrieren und sich nicht zu sehr mit Nebenschauplätzen wie einem bis ins letzte ausgefeilten Design der Website oder der perfekten Ausleuchtung eines Videos aufhalten. Erst einmal machen, das Ergebnis und die Reaktionen begutachten, daraus lernen, weitermachen. Release early, release often ist einer meiner Lieblingsmotti aus dem Bereich der Entwicklung. Und das kann man aus meiner Sicht wunderbar auf neue Medienprojekte übertragen. Ordentlich aussehende Blogdesigns mit gut lesbarem Text gibt es beispielsweise von der Stange. Ist man mit seinen Inhalten erfolgreich, kann man auch beim Design den nächsten Schritt gehen. Alternativ lässt sich eine Idee gar zunächst unter einem ganz anderen Namen testen oder nur als Privatprojekt betreiben.

Ausreden fürs bloße Zuschauen gibt es insofern keine mehr. Jeder kann heute selbst machen. Und aus meiner Sicht: Jeder sollte es machen, der Lust darauf verspürt. Je mehr es machen, desto mehr werden wir lernen und desto mehr gelungene Beispiele werden wir sehen. Aus Blogs sind weltweit spannende Projekte hervorgegangen, die heute zentrale Ankerpunkte in ihrem Themenbereich sind. Mit dieser neuen Form „gelassener Digitalmedien“ stelle ich es mir ganz ähnlich vor. Zudem ist es gut möglich, dass sich manche Autorin und mancher Autor davon sehr viel mehr angesprochen fühlt von diesem Modell als vom oftmals schnellen und vergänglichen Bloggen. Mancher sortiert eben gern erst seine Gedanken, ordnet seine Fakten und feilt an seinem Text. Solche Menschen werden hoffentlich ebenfalls ermutigt.

Scheitern schafft Fakten

Gibt es eine Garantie auf Erfolg? Natürlich nicht! Und das ist vollkommen in Ordnung so. Von Joi Ito hörte ich neulich den Satz: „Wenn ich scheitere, liefert mir das Fakten. Und ich mag Fakten.“ Nur durchs Ausprobieren erfährt man, ob eine Vermutung stimmt oder nicht.

Dabei muss man nicht gleich den Globus aus den Angeln heben wollen. Die niedrigen Einstiegshürden im Netz bedeuten ebenfalls, dass man eine Idee nebenbei umsetzen kann – einfach aus Neugier oder Gestaltungswillen. Was daraus wird, sieht man dann schon. Ein Publikum erreicht man so oder so. Und es wäre nicht das erste Mal im Internet, dass aus einem Wohnzimmerprojekt irgendwann doch etwas Großes wird.


Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 9

Die Themen dieser Ausgabe: Es geht um Social Buzz als Messwert, OpenStreetMap im praktischen Einsatz, E-Mail-Marketing jenseits des Newsletters und die Ära eines „selbstbewussten Digital-Journalismus“.

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13 Gedanken zu „Willkommen in der Ära des selbstbewussten Digital-Journalismus

  1. Kleine Ergänzung: vox.com ist (seit 6.4.14, scheint es) nun online und hat einige Artikel, Features und Dossiers im Angebot, etwa zur Ukraine-Krise.
    Das schlichte Design ist responsive, es gibt (noch) keine integrierter Infografiken und Videos sind integriert, interne und externe Links deutlich unterschiedlich gekennzeichnet und Dossiers im Lern-Karten-Stil erinnern ein wenig an das gute, alte HyperCard von 1987 (!): http://de.wikipedia.org/wiki/HyperCard

  2. Lieber Jan, diesen Artikel hättest Du so auch vor 10 Jahren schreiben können, als die Blogs kamen. Damals schon dachten wir alle, wir könnten mal so richtig aufräumen mit Journalismus und Medienkonzernen. Und viele von uns haben mit ihrem Blog Geld verdient, mit Werbung, Workshops und Vorträgen – und wurden immer wieder als Beispiel genannt, dass es geht. Nur geht es nicht.

    Ein Start-Up ist ein Startup und muss erst mal beweisen, dass es wirtschaftlich überleben kann. Dieser Beweis dauert mindestens zwei Jahre und ist geführt, wenn man sich aus den laufenden Einnahmen finanziert, nicht aus Investorengeldern. Ich bin ein großer Freund des Publizierend für Jedermann, aber ein Blog macht eben nicht die Washington Post. Wie beim Podcasting bewegen wir uns in durchaus komfortablen Nischen, und für eine bestimmte Zahl von Journalisten kann sich das auch rechnen. Nur werden die kaum einen Wettbewerb überleben, wenn da ein anderer in die Nische kommt und auch noch Geld mitbringt. Schau nur Flattr an: Da verdienen ein paar großkopferte Blogger und Podcaster nettes Geld, aber ein (Klein)-Unternehmen finanziert sich damit nicht.

    Ach so, die Aussage dass man sich um die Technik keine Sorgen machen muss, ist sehr gewagt. Es reicht eben nicht auf WordPress.com zu schreiben, man muss sehr wohl hosten und ein ordentliches Design haben, das eben nicht von der Stange ist. Und viel Spaß dabei Geld zu verlangen für Videos, die nicht ordentlich ausgeleuchtet sind (meist ist der Ton das Problem, und das ist noch viel schlimmer).

  3. Ich glaub‘ nicht dran.
    Solange ich einigermaßen „gut“ informiert werde, und zwar kostenlos im Netz, wieso sollte ich zahlen? Auch noch für Informationen und Artikel in Sprachen, die nicht meine eigene ist (siehe oben: fast alle Vorgestellten sind englischsprachige Sites).
    Mir reichen die vorhandenen Sites (von fefe und seinen Links … bis zum Postillon und reichlich dazwischen).
    .
    Die Masse der Internetnutzer interessiert nun leider mal anderes als gut gemachter Journalismus mittels langer Texte.
    Da hilft auch kein noch so gut gemeinter Artikel wie der hier oben. Pfeifen im Wald. Es bringt nix.
    In der alten Welt des Papiers gilt immer noch: Die Bild verkauft jeden Tag ’ne Million Schmuddelblätter, und (Gegenbeispiel) ist Tag für Tag dicht am Konkurs.
    Da müssten sich die Menschen ändern. Stichwort Bildung. Tun sie aber nicht. Nach meiner Beobachtung werden sie sogar immer blöder (gemacht? resp. sie lassen’s sich gefallen).

  4. @Thomas: Ich glaube, Leute wie Caschy wären sehr überrascht von dir zu hören, dass sie nicht von ihrem Blog leben können ;) Niemand behauptet, dass jeder davon leben kann und dass jedes Projekt zu einem Startup wird und aus jedem Startup ein Unternehmen. Man kann sich entweder auf all die konzentrieren, die gescheitert sind oder auf die paar, die es geschafft haben. Aber das ist ja nicht nur bei Medienprojekten so, sondern überall in der Wirtschaft. Nur weil es etwa 90 bis 95 Prozent der Autohersteller heute nicht mehr gibt, kann man deshalb ja nicht sagen, dass Autos kein gutes Geschäftsmodell sind. Ich will dir deine Sicht auf die Welt dabei nicht streitig machen, es ist halt nicht meine.

    Und ich bleibe auf jeden Fall dabei: Um anzufangen musst du dir um die Technik überhaupt gar keine Gedanken machen. Auf jeden Fall sollte das nicht im Vordergrund stehen. Deine Inhalte sind wichtig, deine Zielgruppe, deine Nische eben. Wenn sich das Wohl und Wehe deines Projekts nach dem Design entscheidet, hast du dir diese Nische eventuell nicht gut ausgesucht. Smashing Magazine fing mit einem Gratis-Template an, soweit ich weiß und bei denen geht es um Design ;) Gerade online hast du ja die Chance, erst einmal zu machen, daraus zu lernen, es anzupassen. Vielleicht wirfst du es dann auch ganz weg und machst ganz was anderes. Ich sehe das als Chance.

  5. @Klaus: Ich brauche nicht „die Internetnutzer“. Das genannte Beispiel De Correspondent hat 30.000 zahlende Leser. Die überwiegende Mehrheit der Niederländer zahlt also nicht dafür. Deshalb kann man von 30.000 x 60 Euro aber schon einiges auf die Beine stellen, jedenfalls online. Mir ist egal, was „die Masse“ interessiert. Mir geht es darum, was eine spezielle, besonders interessierte Zielgruppe will. Denn die ist im Zweifel auch bereit, Geld dafür auszugeben. Beispiele dafür gibt es zu Hauf, wie ich oben ja geschrieben habe, eben in anderen, verwandten Bereichen wie Fachbüchern, Seminaren etc.

    Ich teile auch deinen Pessimismus über die generelle Entwicklung nicht und glaube auch nicht, dass die Menschen immer dümmer werden. Ansonsten gäbe es Projekte wie Wikipedia nicht. Auch auf YouTube gibt es etliche tolle Kanäle, die Wissen vermitteln. Die Liste ließe sich fortsetzen. Wer interessiert ist, kann umfassender gebildet sein als je zuvor. Und wenn man sich den Erfolg solcher Projekte anschaut, gibt es die Zielgruppe dafür weiterhin. Ist das deshalb die ganze Menschheit? Nein, natürlich nicht. Aber das war ja auch noch nie so und das behaupte ich (hoffentlich) in meinem Text auch nicht.

    Es geht hier um teilweise sehr spezialisierte Angebote. Und die werden eben in sehr viel größerem Rahmen möglich als in klassischen Medien.

  6. Und je länger ich darüber nachdenke, Thomas, desto weniger verstehe ich, wie ich diesen Artikel hätte vor zehn Jahren schreiben können… Vor zehn Jahren war ein Bruchteil der heutigen Leute online und sie saßen dazu an Desktop-Rechnern und hatten selten Flatrates oder Breitband. Allein die Nutzung des Internets hat sich massiv verändert und die Medienlandschaft drumherum erst recht. Vielleicht missverstehe ich deinen Kommentar auch komplett.

    Ich muss auch keinen Beweis mehr dafür antreten, dass es online Geschäftsmodelle für neue Medienangebote gibt. Man schaue sich nur den rasanten Aufstieg von The Verge und seinen Schwesterseiten an. So etwas wie Vox.com wird nun darüber finanziert. GigaOm existiert als frei zugängliche Website und als kostenpflichtiger Informationsdienst. Und so weiter. Ich könnte problemlos einen Artikel über langjährig erfolgreiche Medienangebote machen, die ihre Wurzeln direkt im Netz haben. Im deutschsprachigen Raum mag das alles ein paar Nummern kleiner sein, aber es gibt etliche Leute, die davon leben, was man Blog nennen könnte. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt bei einer Firma, die es vor zehn Jahren nicht gab, es aber immerhin schon acht Jahre gibt und die rein online existiert.

    Das ganze Thema, ob und wie diese Seiten finanziert werden, ist dabei generell nur ein Nebenschauplatz des Artikels. Ich freue mich natürlich, wenn es Beispiele wie De Correspondent gibt. Immerhin hat hier jemand mal versucht, was ja angeblich nicht geht. Und selbst wenn das nach zwei, drei Jahren wieder am Ende ist, bedeutet das ja noch lange nicht, dass die Idee generell falsch ist. Wir brauchen noch viel mehr solche mutigen Experimente. Zeit Online macht da ja beispielsweise sehr viel.

    Was ich vor allem spannend finde, ist wie viele neue Projekte es im Netz von gestandenen und hoch angesehen Journalisten gibt. Wie fließend die Grenzen zwischen Online und Print geworden sind (man schaue sich mal den Werdegang von Glenn Greenwald an). Dass man endlich kapiert, dass man online mehr machen kann als Klicks zu schinden. Dass es gerade hier Menschen gibt, die gute Inhalte zu schätzen wissen und denen klar ist, dass man eben nicht alles über Werbung refinanzieren oder verschenken kann.

    Das habe ich versucht, in dem Artikel oben zu beschreiben.

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