Zugegeben, die Lean-Back-Modi von YouTube und Vimeo existieren schon etwas länger. Nachdem allerdings auch Kickstarter seit Dezember 2012 mit einem Leanback-Mode experimentiert und etwa zur gleichen Zeit Roche&Böhmermann das Aus ihrer Sendung bekannt gegeben haben, war für mich endgültig der Zeitpunkt gekommen, die Fernbedienung gegen die Remote-App auszutauschen und der TV-Hölle zu entfliehen. Ein Überblick mit Anleitung.
Als „Lean-Back-Mode“ bezeichnet man die passive, konsumorientierte Berieselungs-Haltung, in der die halbe Republik jeden Sonntag vor dem Tatort verharrt. Demgegenüber wird die etwas demütig gebeugte, aktiv-klickende Haltung vor dem Laptop als „Lean-Forward-Mode“ bezeichnet.
Ansätze im Web, verstreute und aktiv anzusteuernde Inhalte in einen passiven Endlos-Stream zu verwandeln, gibt es natürlich seit einer halben Ewigkeit, vor allem im Musikbereich. Die Zusammenstellung solcher Streams wird immer durch ein Empfehlungssystem geregelt, sei es nun auf Basis sozialer Empfehlungen oder auf Grundlage von Algorithmen wie die Analyse der Nutzergewohnheiten. Zwei Musikangebote, die ich in dieser Hinsicht sehr gelungen finde, sind Shuffler.fm und Musicplayr. Shuffler.fm aggregiert Musikblogs und erstellt daraus Musikkanäle für so ziemlich jeden Geschmack. Musicplayr nutzt das Follower-Prinzip, um eine Timeline verlinkter Musikfiles zu erstellen und so den Empfehlungen der Follower lauschen zu lassen. Beide Dienste in Kombination decken inzwischen meinen kompletten Musik-Konsum ab.
Dem Angriff auf das Radio folgten in den vergangenen Jahren einige Substitutionsversuche des deutlich hartnäckigeren Fernseh-Geräts. Den Anfang machte YouTube mit der Einführung des „Leanback“-Modus im Sommer 2010. Als Antwort folgte der Couch-Mode von Vimeo im Oktober 2010. Seit Dezember 2012 experimentiert nun auch Kickstarter mit einem „super geheimen“ Leanback-Mode, bei dem die neuesten Projektvideos in Fullscreen abgespielt werden.
Der „super-secret“ Lean-Back-Mode von Kickstarter
Der Lean-Back-Mode von Kickstarter funktioniert denkbar einfach: Man geht auf die Kickstarter-Webseite, drückt die Pfleil-Oben-Taste und schon wechselt man in den neuen Modus.
Mehr bietet Kickstarter derzeit noch nicht, also weder die Möglichkeit einer Fernbedienung bzw. eines Remote-Controls, noch einen irgendwie personalisierten Stream (es scheint immer nur ein vordefiniertes Video-Set zu laufen).
Der Couchmode von Vimeo
Deutlich mehr Funktionalitäten bietet Vimeo mit seinem Couchmode. Ein kleines Control-Panel bietet neben der normalen Forward, Back und Pause-Funktion auch die bekannten Like-, Watch-Later etc. -Buttons an. Ein zusätzlich aufklappbares Menü am unteren Rand bietet noch mehr Komfort, eingeloggt kann man neben den Vorschlägen der Vimeo-Crew auch seine eigenen Channels, Groups etc. im Couchmode genießen. Der Wechsel in den Mode erfolgt entweder über die URL (vimeo.com/couchmode) oder über ein kleines Bildschirm- bzw. TV-Symbol, das im normalen Modus eigentlich überall zu finden ist.
Schade und ein bisschen unverständlich ist das Fehlen einer Remote-Funktion per Smartphone, wie sie YouTube anbietet. Es gibt lediglich eine Chrome-App, die diese Funktion erfüllt, von mir allerdings nicht getestet wurde. Damit bleibt der Lean-Back-Mode etwas unvollständig, weil man zum Navigieren dann doch wieder in den Lean-Forward-Mode wechseln und in die Tastatur hauen muss (konkret muss man die Pfeiltasten bedienen oder die Maus massieren). Abhilfe können Remote-Apps wie gmote oder teamviewer schaffen, über die sich die Maus per Smartphone steuern lässt.
Lean-Back-Mode von YouTube
YouTube hatte mit seinem Lean-Back-Mode den Startschuss gegeben und dürfte die am weitesten entwickelte Variante sein. Strategisch war der Leanback-Mode vor allem für Google-TV gedacht, um das Internet mit dem Fernsehgerät zu verbinden und YouTube in die Wohnzimmer zu bringen. Allerdings hat Google zum Glück auf die Möglichkeit geachtet, den Mode auch ganz normal über den Laptop oder per angeschlossenem Bildschirm nutzen zu können. Anders als bei Vimeo lässt sich der Leanback-Mode von YouTube (soweit ich sehe) nicht über Icons, sondern nur über die URL ansteuern (www.youtube.com/leanback).
Im Leanback-Mode sind bereits voreingestellt diverse Kanäle versammelt, die sich über die linke Icon-Leiste ansteuern lassen. Will man die Channels personalisieren bzw. auf seine eigenen Channels zugreifen, muss man den Leanback-Mode für seinen Account aktivieren. Dazu erhält man über „Anmeldungen und Einstellungen“ (Zahnrad in der linken Icon-Leiste) einen Aktivierungscode, mit dem man den Mode unter www.youtube.com/activate freischalten kann. Die ganze Zugriffsprozedur ist bei Vimeo deutlich einfacher geregelt.
Der große Vorteil gegenüber Vimeo ist jedoch die Remote-App von YouTube: Neben der Steuerung über die Maus oder über die Pfeiltasten liefert YouTube auch eine eigene Smartphone-App, mit der sich das Programm dann tatsächlich vom Sofa aus steuern lässt. Dazu muss man natürlich erst einmal die App herunterladen und anschließend mit dem PC verbinden. Das funktioniert über einen Code, den man unter „Anmeldungen und Einstellungen“ erhält.
Leanback Modi vor dem Durchbruch?
Nicht wirklich, denn in den gut zwei Jahren seit der Verkündung des Modus von YouTube ist neben Vimeo lediglich Kickstarter mit einer reichlich abgespeckten Version in Erscheinung getreten. In Deutschland ist natürlich seit langem Tape.tv bekannt, die die Musikvideos schon immer als Viva-gleiches Fernseh-Erlebnis präsentiert haben und garnichts anderes als Leanback anbieten. Cull.tv versucht ähnliches mit MTV als Vorbild. Es gibt gerätebezogene Apps wie showyou für das Tablet oder Social-TV-Curation-Ansätze wie shelby.tv oder Redux.
Insgesamt bleibt aber das Problem, dass man für jede Lösung entweder ein Gerät benötigt, oder wieder eine eigene Remote-Control-Variante überlegen muss. Ebenso möchte man seine Playlisten, Empfehlungen etc. nicht über dutzende Plattformen verstreuen, sondern in einer zentralen Plattform sammlen. Durch die Integration von Twitter- und Facebook-Empfehlungen sowie die gute Remote-App für das Smartphone ist YouTube (neben der großen inhaltlichen Auswahl) natürlich der Kandidat mit dem größten Potential. Wünschenswert wäre nur noch ein breiteres Angebot, aber damit streift man schon wieder ein anderes, nicht ganz einfaches Thema …
Sebastian ist Senior Product Owner und Web-Entwickler. Seit 2017 entwickelt er das kleine Open Source CMS Typemill und betreibt damit unter anderem cmsstash.de, eine Fach-Publikation zum Thema Content Management Systeme.
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1 Gedanke zu „Ich glotz TV: YouTube, Vimeo und Kickstarter im Lean-Back-Mode“
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