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Kreatives Schreiben (2): Reizworte – Textideen nach dem Zufallsprinzip

Bei der Reizwortmethode (die auch Lexikonmethode oder Zufallsmethode oder „random words“ genannt wird) ist ein Wörterbuch das zentrale Hilfsmittel. Das Ziel dieser Kreativtechnik ist es, den Ideen- und Schreibprozess durch ein planvolles Herbeiführen von Zufallsworten anzustoßen. Planvoller Zufall? Was auf den ersten Blick paradox anmutet, entpuppt sich auf den zweiten Blick als eine hilfreiche Methode, um das eigene „Out-of-the-Box-Denken“ zu fördern, denn Zufallsworte unterstützen uns darin, aus gewohnten Denkmustern auszubrechen.

Dazu folgendes Beispiel: Vor einigen Monaten erläuterte mir ein Abteilungsleiter seine Vorstellungen von Kreativität und kreativer Teamarbeit. „Wahre Genialität“, so seine Aussage, lasse sich nicht antrainieren, Kreativitätstrainings seien somit überflüssig und letztendlich sei jeder für die eigene Kreativität selbst verantwortlich. Mich beschäftigte dieses Gespräch gedanklich noch eine Weile und ich entschloss mich, im Kreativblog einen Beitrag zu posten. Die Frage, die mich dabei besonders interessierte, lautete: Welche Vorbehalte und welche Verhaltensweisen fallen mir bei „Kreativitätsskeptikern“ immer wieder auf?

Ich saß vor dem leeren Bildschirm und – mir fiel absolut nichts ein. Spontan entschied ich mich, die Reizwortmethode anzuwenden und sieben Begriffe als Zufallsanregung aus meinem Wörterbuch herauszugreifen. Das sah dann so aus:

  • Mond
  • Gabe
  • Mord
  • Diskussion
  • Tausendfüßler
  • Waffe
  • Churchill

Mein erster Impuls war, den ehemaligen britischen Premierminister Sir Winston Churchill exemplarisch als Genie oder Nicht-Genie zu beschreiben. Die zweite Idee war, einen Beitrag über die Kreativität von Kindern zu veröffentlichen, da ich mit den Zufallsworten „Mond“ und „Tausendfüßler“ sofort Kindergeschichten oder Lieder wie „Der Mond ist aufgegangen“ assoziierte. Doch da ich weiß, dass auch beim kreativen Schreiben bestimmte Regeln einzuhalten sind, schrieb ich zunächst jeden der sieben Begriffe auf ein Extra-Blatt und clusterte meine Ideen (siehe Kreatives Schreiben (1): Clustering). Der fertige Text, der dann im Kreativblog gepostet wurde, liest sich so:

Es lebe das kreative Genie

Machen Sie sich stets bewusst: Nur wenigen Menschen ist es vergönnt, kreativ zu sein. SIE dürfen sich freuen, wenn SIE zu den wenigen genialen Köpfen gehören, die zu jedem Problem sofort eine Antwort wissen und sich sicher sind, dass keine andere Lösung richtig ist. Daher haben SIE es auch nicht nötig, andere nach deren Meinung zu befragen und eine Diskussion anzuregen. Kreativ ist man oder man ist es nicht! Nur wenigen Menschen ist diese seltene Gabe gegeben!

Da Kreativ-Genies wie SIE über ein wunderbares Gedächtnis verfügen, müssen SIE auch keine Idee aufschreiben. Da SIE sofort die einzige wahre Antwort kennen, muss der geniale Einfall nur geäußert und von anderen umgesetzt werden. Kreativität ist also eine einfache Sache: SIE haben die Idee und andere realisieren sie. Firmenmeetings, in denen die Köpfe vom vielen Nachdenken nur so rauchen und vielleicht sogar von Kreativtrainer/innen moderiert werden, sind überflüssig wie ein Kropf. Kosten nur Zeit, Geld und bringen nichts. Besprechungen oder Seminare sind ebenso sinnlos wie Bücher lesen oder Sport treiben oder einfach nur lachen oder schlafen. Wirren Geistern, die behaupten, dass derlei Aktivitäten kreativitätsfördernd sind, kontern Genies wie SIE mit folgenden Antworten:

1. Ich habe studiert und bin schon schlau.
2. Sport ist Mord. Das wusste schon Sir Winston Churchill.
3. Die Welt ist schlecht. Nur Unwissende und Sadisten können darüber lachen.
4. Schlafen kann ich immer noch, wenn ich tot bin.

Selbstverständlich werden SIE solche wissenschaftliche Statements nur dann äußern, wenn SIE danach gefragt werden. Denn im Grunde genommen hassen SIE Fragen aller Art, wie sie beispielsweise Kinder stellen: Welche Farbe hat der Mond? Hat ein Tausendfüßler wirklich 1000 Füße? Bindet man in einem Hafen eigentlich auch das Wasser an? Nun – auf solche ungeheuren, infantilen, überflüssigen Fragen wissen SIE als Genie, dass nur mitleidiges Kopfschütteln und ein entschlossenes Abwenden (um nicht zu sagen Flucht!) die wahren Waffen im Kampf gegen die geistige Verblödung darstellen. Gut, dass es Menschen wie SIE gibt, die dies wissen und beachten. Ohne SIE wäre die Welt verloren! Es lebe das kreative Genie!

Wie unschwer zu erkennen ist, schrieb ich eine Glosse – ein journalistischen Genre, das von mir vorab überhaupt nicht geplant war. Der Text ist im wahrsten Sinne ein „Zufallsprodukt mit Zufallsworten“ und wäre sicherlich nicht so entstanden, hätte ich mich streng wissenschaftlich mit meiner Fragestellung beschäftigt. Mein Tipp für alle Blogger/innen lautet also: Lasst Euch vom Zufall inspirieren. Zögert nicht lange und nehmt bei der nächsten Denk- oder Schreibblockade ein Lexikon oder eine Zeitung zu Hand. Pickt ohne lange zu überlegen drei bis sieben Begriffe raus und nutzt diese Reizworte als kreative Anregung für Eure Blogtexte. Viel Spaß dabei.

Die Phasen der Reizwortmethode im Überblick

  • 1. Um was geht es? Formuliere eine Fragestellung zu einem Thema, über das Du schreiben willst
  • 2. Suche spontan einige Zufallsworte aus einem Wörterbuch (drei bis sieben Begriffe). Alternativ kann auch ein Katalog oder eine Zeitung als „Fundgrube“ dienen
  • 3. Verknüpfe die verschiedenen Zufallsworten mit der Ausgangsfrage und halte deine Assoziationen mit der Clustering-Methode schriftlich fest
  • 4. Erstelle nun einen kleinen, zusammenhängenden Text (wichtig: es müssen dabei nicht alle Assoziationscluster verwendet werden; siehe Folge 1: Clustering).

Über die Autorin

Ruth PinkRuth Pink ist Diplom-Politologin und seit vielen Jahren in der journalistischen Aus- und Fortbildung tätig. Zwei Fachbücher von ihr wenden sich speziell an Medienleute: „Kommunikation in Redaktionen“ und „Kreativität im Journalismus“, siehe www.zv-online.de

Weitere kreative Informationen inklusive verschiedener Podcasts finden sich im Kreativblog von Pink & Stock, siehe www.kreativblog.de

Über die Serie „Kreatives Schreiben“

Alle Artikel auf einen Blick:

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19 Gedanken zu „Kreatives Schreiben (2): Reizworte – Textideen nach dem Zufallsprinzip

  1. Liebe Frau Pink,
    die Reizwortmethode wenden wir seit nunmehr zwei Jahren erfolgreich bei unserem Online-Schreibspiel „Sensation! an. Das Grundprinzip: Der Spieler bekommt für seine Story ein Thema, vier Wörter und fünf Minuten Zeit. Die fertigen Storys werden von den Mitspielern bewertet und landen auf einer virtuellen Zeitungsseite.
    Wir laden Sie und Ihre Leser herzlich ein, Sensation! zu testen.
    Mit freundlichen Grüßen
    Achim Fehrenbach
    Redakteur Tagesspiegel Online

  2. Hallo Herr Fehrenbach,
    ich kennne „Sensation“ und finde es eine gute Idee, die Reizwortmethode mit der fünf-Min.-Frist zu kombinieren. Dadurch wird das Ganze zu einem schnellen Schreibspiel. Aber auch ohne Zeitdruck sind „random words“ eine prima Hilfestellung für alle, die schreiben müssen (wollen, dürfen, sollen).
    Grüße nach Berlin und weiterhin viele, gute, kreative Ideen.
    Ruth Pink

  3. Ich selbst halte mich für sehr kreativ und nutze diese Methode auch schon seit einigen Jahren und bin sehr zufrieden damit!
    Die zwei Fachbücher von Ruth Pink habe ich auch gelesen und finde sie klasse!

  4. Hallo Ruth,

    um ehrlich zu sein, die Reizworte-Methode ist nicht unbedingt mein Ding, aber es war sicherlich mal eine ganz andere Art einen Text zu schreiben ;)

    In diesem Sinne…
    Dominik

  5. Hallo Dominik,
    egal, was dabei herauskommt, wenn man zum ersten Mal eine Methode ausprobiert, sollte man unbedingt einen zweiten-dritten-vierten Versuch wagen. Du kennst ja die alte Trainingsregel: üben, üben, üben :-)
    Viel Freude weiterhin beim Texten!
    Ruth

  6. Hehe die Methode ist auf jeden Fall witzig und sicherlich gut geeignet ausgetretene Pfade zu verlasen. Da kann man praktisch die neuen Synapsen sich verbinden hören im eigenen Gehirn ;-)

  7. Hi,

    wenn ich es richtig verstehe, ist diese Methode geeignet, wenn mir gar nicht einfällt was ich schreiben soll. Was mich persönlich aber mehr beschäftigt ist die Frage, wie ich ein Thema, was ich schon mit Stichpunkten untersetzt habe, erfolgeich aufs Papier bringe. Aber mal schauen, vielleicht kommt dazu auch noch ein paar Anregungen in den nächsten Beiträgen dieser Serie :-)

    Gruß,

    Sebastian

  8. Hallo Sebastian,
    mal sehen, ob mein Betrag Nr. 3 (der übrigens Anfang Feb. bei upload veröffentlicht wird) für dich eine Hilfestellung ist. Mehr will ich noch nicht verraten ;-)
    Aber vielleicht gibt Dir ja zwischenzeitlich jemand von der upload-Leseschaft den einen oder anderen Geheimtipp? Grüße und ein schönes Wochenende. Ruth

  9. Bin grade über diesen Artikel gestoplert und finde die Idee wirklich witzig. Habe es vorhin mal ausprobiert. Ist wirklich sehr inspirierend die ausgelatschten Denkpfade zu verlassen. Danke dafür Ruth.

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