Verantwortung übernehmen

Können Blogger sich darauf verlassen, dass falsche oder irreführende Informationen durch ihre Leser aufgedeckt und korrigiert werden oder inwiefern müssen sie sich selbst dafür verantwortlich fühlen, dass sie korrekt informieren? Diese Diskussion läuft gerade zwischen den Top-Bloggern Robert Basic auf der einen Seite und Johnny Haeusler und Max Winde (Spreeblick) auf der anderen Seite. Ich selbst habe für UPLOAD den Pressekodex als Maßstab proklamiert. Was hinter all diesen Meinungen und Begriffen steckt, möchte ich einmal kurz erklären.

Journalisten sollten sich eigentlich ganz automatisch dem Pressekodex verpflichtet fühlen. Macht man sich einmal die Mühe und liest ihn, findet man darin ganz erstaunliche Dinge. Zum Beispiel: „Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.“ Inwiefern sich Journalisten und Redaktionen heute noch daran halten, soll jetzt nicht das Thema sein.

Worum es eigentlich geht, steht in Ziffer 2:

Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.

Für mich steht unzweifelhaft fest, dass ich diesen Maßstab gut finde und dass jeder, der Informationen verbreitet, sich daran messen sollte. Ich behaupte nicht, dass diese Messung bei mir selbst immer zu positiven Ergebnissen führt. Aber ich stehe öffentlich dazu, dass das mein Ideal ist und dass ich diese inzwischen altmodisch scheinenden Vorgaben wichtig finde.

Also zum Beispiel: „auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen“. Heißt: Nicht einfach nur abschreiben, sondern auch selbst einmal nachlesen. Wenn eine Pressemitteilung zitiert wird, sie selbst ansehen. Wichtige Informationen gegenchecken. Die ursprüngliche Quelle einer Information suchen. Dem „Stille Post“-Effekt entgegenarbeiten.

Weiteres Beispiel: „wahrheitsgetreu wiedergeben“. Also nicht alles hochjazzen, nur um eine schicke Überschrift zu bekommen. Dinge so darstellen, wie sie nach dem aktuellen Stand der Dinge sind, auch wenn das langweiliger ist und weniger Klicks bringt.

Spreeblick…

Warum werden viele, viele Blog-Posts, die mittlerweile als Blödsinn widerlegt sind, nicht mit einem Hinweis, einem Update versehen?

Die Antwort ist leicht: Weil Sachlichkeit keine K(l)icks bringt. Weil wir alle BILD sind, auf der Suche nach der Sensation, dem Skandal, der einfachen Erklärung, dem klaren Feind- und damit Weltbild.

In dem Artikel von Spreeblick geht es beispielsweise um die Blogpostings zu Google Chrome und die Tatsache, dass es als unverrückbares Faktum gilt, dass Google eine böse Datensammelfirma ist. Bestätigt man diese Meinung, bekommt man viele Klicks. Das ist eine alte Medienregel. Man darf dem Leser nicht mit Fakten kommen, die sein Weltbild erschüttern, denn man mag nicht öffentlich auf Fehler hingewiesen werden. Wenn ich aber immer fleißig schreibe, dass durch den Euro alles teurer geworden ist, Politiker faule Abzocker sind und Google eine böse Datensammelfirma ist, kann ich mir der Zustimmung meiner Leser und vieler Klicks sicher sein.

Das Problem in dieser speziellen Diskussion um den Browser Chrome ist, dass Informationen offenbar nicht wahrheitsgetreu wiedergegeben wurden oder gar auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft worden sind. Dass es die angeblich so fürchterliche individuelle ID nicht nur bei Google Chrome, sondern auch bei Mozilla Firefox gibt, habe ich vorher noch nicht gelesen – mal als ein Beispiel. Dass auch andere Browser Daten nach Hause senden, um bestimmte Funktionen überhaupt anbieten zu können, hat man ebenfalls selten bis nie gelesen. Denn Mozilla sind ja die Guten. Bei Microsoft wäre das wieder was anderes.

Johnny Haeusler und Max Winde mahnen nun mehr Sorgfalt an. Sie wünschen sich auch, dass die Jagd nach Klicks mit sensationsheischenden Schlagzeilen in Blogs aufhören möge und vergleichen das mit der „Bild“. Deren Geschäftsmodell fußt schließlich darauf, dass sie jeden Tag wieder aufs Neue mit ihren Überschriften und Storys überzeugt. Bei dieser Jagd nach dem ultimativen Kick für den Kiosk werden die Grenzen des Pressekodex immer wieder überschritten – siehe Bildblog.

Blogs müssen sich natürlich nicht an diesen Kodex halten. Es zwingt sie aber auch nichts und niemand, ihn zu verletzen. Grenzen finden Blogger übrigens wie alle Bürger dieses Landes in den geltenden Gesetzen. Und auch über die kann die Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen geahndet werden.

…vs. Robert Basic

Meine Aussage ist im Kern, das Gelaber mal oben weggestrichen, dass der Leser mind. genauso schlau wie Du bist, einseitige Fokussierungen und auch falsche Informationen erkennt wie auch erweitert, wenn ihm danach ist. Ein Blog besteht nicht nur aus einem Artikel, sondern entsteht erst durch Interaktion, auch wenn das top-down Blogger so nie sehen werden.

In seiner Replik auf den Spreeblick-Beitrag setzt Robert Basic hingegen auf die Weisheit der Massen – in seinem Fall verkörpert in Form von Kommentaren. Ein Blogposting bestehe eben nicht nur aus dem Beitrag des Bloggers, sondern auch aus den Erwiderungen der Leser. Einen Blogpost müsse man so als Ganzes betrachten. Und er ist somit ein Ganzes, das stets im Fluss ist.

Aber hat jemand, der wie Robert Basic jeden Monat mehrere hunderttausend Seitenabrufe und tausende regelmäßige Leser hat, nicht auch selbst eine Verantwortung? Kann man die auf die Leser abwälzen? Ich finde nicht.

Es ist gut, dass es dieses Korrektiv in Form von Kommentaren und Trackbacks/Pingbacks gibt und es hilft, die Qualität von Informationen im Internet zu verbessern. Aber man sollte sich nicht darauf ausruhen und sich sagen: Wenn ich oben Stuss schreibe, der unten widerlegt wird, ist alles in Ordnung. Denn: Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass der Stuss als solcher erkannt wird. Ich kann nicht erwarten, dass meine Leser denselben Einblick ins Thema haben wie ich. Teilweise werden sie mich lesen, gerade weil ich in einem Thema mehr weiß als sie. Sie werden sich auf meine Informationen verlassen wollen und das auch tun.

Es gibt eine Menge Informationen im Netz, die immer wieder auftauchen und immer wieder weiterverbreitet werden, obwohl sie falsch sind. Und da muss es Menschen geben, die Verantwortung übernehmen und eine Info gegenchecken, einen Link selbst klicken, eine nicht bestätigte Information nicht weiterverbreiten oder als möglicherweise falsch kennzeichnen. Das ist total schnarchnasig langweilig, überhaupt nicht webzwonullig obercheckermäßig und riecht leider so gar nicht nach medienrevolutionärem Feuerwerk – aber so bin ich halt. Mir ist es auch vollkommen egal, wenn sich Leute daran nicht halten. Das nur mal zur Klarstellung: Ich habe anderes zu tun, als anderen Leuten Vorschriften zu machen, wie sie denn bitte bloggen sollen. Wenn allerdings jemand das Gegenteil meiner Ansicht als das einzig Wahre proklamiert, ist Widerspruch angebracht. Und das ist hiermit geschehen. Guten Abend.

A N Z E I G E

BMA - Business Management Akademie

 

15 Gedanken zu „Verantwortung übernehmen

  1. „Gut gebrüllt, Löwe!“

    Wohin die „Weisheit der Massen“ führt, kann man immer wieder erleben, wenn der Mob ausser Kontrolle gerät…

    Vielleicht sollten sich Blogger unter einem gemeinsamen Logo dem Pressekodex verpflichten, um dem Geschwätz und der Weitergabe von Gerüchten etwas entgegenzusetzen? (Der Pressekodex könnte dann unter dem Logo verlinkt sein.)

  2. Danke für diesen umfassenden Statusreport.
    Ich muss sagen, dass mich allein die Existenz dieser Diskussion optimistisch in Bzeug auf die deutschsprachige Blogosphäre stimmt. Denn solche qualitativen Inhaltsdiskurse finden abseits quantitativer Spamschleuder-Tipps sog. Problogger statt, die ich zur Zeit bei einigen englischsprachigen Blogs zum Thema Bloggen beobachte.

    Da geht es nämlich fast ausschließlich darum, wie Klicks, Feedabonnenten, LeserInnen etc. generiert/gesammelt werden, indem man die hundertste stupide „Die besten 10 Tricks um schnell reich zu werden“-Bulletpoint-Liste als originellen Content verkauft.

    Die Tatsache, dass bei sich nun eine Content-orientierte Diskussion bis hin zum Thema Freiwilliger Bloggerkodex ausweitet, zeigt doch ein gesundes Reflexionsvermögen unserer Blogosphäre, die ja gerne auch mal Nabelschau betreibt. ;)

  3. Lieber Jan,

    für diesen Beitrag verdienst du eigentlich den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis. Aber den gibt es halt nur fürs Fernsehen. Womit Herr Friedrichs postum bestätigt und die Wertigkeit von Blogs in der Medienlandschaft paradox aber doch hinreichend erklärt wäre.

  4. Bei Basic bin ich mir nie ganz sicher, ob er nicht an manchen Tagen einfach wahllose Ausschnitte aus einen permanenten stream of consciuosness publiziert, siehe den Artikel zur „Multi-Ehe“. Da scheint er sich selbst für die Auffindung des passenden Terminus (Polygamie) auf die Leser verlassen zu haben.

    Ich halte das für ungeeignet, eben auf Grund der ungleichen Gewichtung zwischen dem in der Nische renommierten Autor und dem „dahergelaufenen“ Kommentator.

  5. Vielen Dank für Eure Rückmeldungen – ich bin nicht allein! :-)

    Ein Logo o.ä. müsste gar nicht sein. Ich bin immer dafür, solche Dinge einfach zu halten. Ich habe beispielsweise einen Beitrag dazu veröffentlicht, dass ich den Pressekodex eine gute Sache finde und verweise im Footer dieser Seite seitdem entsprechend darauf. Und wenn mal wieder über das Thema diskutiert wird, klinke ich mich ein. So wie hier ;-)

  6. Also ich möchte Jan mal zustimmen. Ich würde sogar festhalten, dass gerade ein häufig gelesener Blog eine entsprechende Qualität mitbringen sollte. Natürlich kann man Fehler nicht immer vermeiden und sicher sind Leser wichtig, die auch darauf hinweisen.
    Aber ich sehe den Autor, auf den sich wie Jan so schön schreibt die Leser auch irgendwo verlassen, in der Pflicht eben keine Augenwischerei um der Klicks willen zu betreiben.
    Diese Diskussion ist wirklich wichtig und bedarf eindeutig der Diskussion, dav on ab, dass die 35.000 „Wie verdiene ich schnell Geld im Internet!“-Blogs und deren Folgen aus meiner Sicht für den Informationsfluß ohnehin eine gewisse negative Tendenz bedeuten.

    Die Idee einer Vereinigung von Bloggern, die sich dem Pressekodex verpflichtet fühlen und eben damit auch für die Qualität ihrer Inhalte bürgen, sollte wirklich aufgegriffen werden.

  7. Oh, ich hätte aktualisieren sollen. ;D

    Natürlich benötigt es nicht zwangsweise eines Logos, da gebe ich Dir Recht, aber eine solche Initiative lässt sich am besten mit sowas pushen. Ich denke, dass UPLOAD dafür auch genau der richtige Ausgangspunkt wäre.

  8. Sympathisch und interessant. Was die US amerikanische Blogger Szene betrifft gilt dort denke ich bereits das Presserecht, zumindest haben Blogs einen journalistischen Status. Aber auch andere Gesetze sollten für eine ordentliche Berichterstattung sorgen und gegen Falschdarstellungen verwendet werden können. Ein Punkt mit dem sich jeder Blogger ab eines gewissen Erfolges konfrontieren sollte. Einen eigenen Kodex würde ich jedoch kontrovers bewerten, dieser hätte sicher ebenso mit Schwierigkeiten zu tun wie sonstiges. Und wie sollten Blogs von etablierten Verlagen gegen sonstige abgegrenzt werden?

  9. Ich habe selbst schon mal nachgedacht meinem Blog – und damit mir – einen Art Codex zu geben. Ich bin „nur“ ein Privat-Blogger, man kann von mir nicht erwarten, dass ich all die Recherchemaschinerie und auch die Zeit hinter (bei mir) habe. Aber ich fühle mich durchaus verpflichtet – so gut es geht – meine Fakten mit Material zu untermauern, mal einen zweiten oder dritten Link noch zu checken.
    Natürlich schätze ich die Kommentare, die mich auf Inkorrektes etc. hinweisen.
    Aber ich gebe dir recht Jan, in manchen Bereichen suchen/finden mich LeserInnen weil ich angeblich mehr weiß als die Vorbeikommenden und gerade dort muss ich mal auf mich selbst bauen.
    Als privater Blogger darf ich jedoch auch ganz einfach mal Fragen offen lassen – und diese dann auch explizit als Fragen benennen. Ich darf zugeben, dass ich das und jenes auch nicht weiß und hier gerne Hilfe und Unterstützung meiner LeserInnen hätte. Das ist ein Privileg, dass ich ebenso schätze.

  10. Ja, das sehe ich genauso und dagegen ist auch überhaupt nichts einzuwenden. Im ursprünglichen Artikel von Spreeblick ging es hingegen um solche Blogger, die eben nicht zugeben, dass sie keine Ahnung haben, zugleich alles ungeprüft weiterverbreiten und am Ende die angeblichen Fakten noch weiter aufbauschen, um möglichst viele Klicks zu bekommen. Darin sehe ich wiederum nichts, was man verteidigen müsste.

  11. Jan, ich gebe Dir in vielen Dingen Recht. Ein Kodex, auf den sich vernünftige Blogger einigen können (Pressekodex) wäre mit Sicherheit gut. Anmerkung: Wenn denn alle wissen, dass es ihn gibt, und dass es ein Verlässlichkeits-Kriterium ist (hält die B… sich an diesen Kodex?). Andererseits möchte ich eine Lanze für Robert brechen, denn es gibt wirklich nur wenige Menschen, die sehr ordentlich mit inhaltlicher Kritik umgehen. Ich zähle Robert dazu, und ich denke wirklich, dass er sehr vernünftig mit seinen sehr subjektiven und privaten Meinungen umgeht. Was dem Vorgenannten widerum nicht widersprechen soll.

  12. Es geht mir auch überhaupt nicht darum, Robert an sich zu kritisieren oder generell in ein schlechtes Licht zu stellen. Er ist Deutschlands Blogger Nr. 1 und das nicht ohne Grund. Dafür zolle ich ihm allen Respekt. Seine Aussage in diesem speziellen Fall konnte ich allerdings so nicht unterschreiben :-) Aber lassen wir’s gut sein damit.

    Und was die „Bild“ und den Pressekodex angeht – das ist eine eigene Story wert. Wie oben schon kurz angedeutet: Viele Medien interessieren sich nach meinem Eindruck nicht mehr die Bohne für diesen Kodex. Und viele Blogger handeln heute schon mehr danach als so mancher Journalist – ohne sich dessen bewusst zu sein.

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