Ideen und Leidenschaft: Ein Gespräch mit Raul Krauthausen

Bei unserem Schwerpunktthema „Das Gute im Netz“ darf ein Gespräch mit Raul Krauthausen nicht fehlen: Der Berliner ist nicht nur als Aktivist in Sachen Inklusion unterwegs, sondern betreibt mit dem Verein Sozialhelden sowie als Person viele Projekte, die anderen zugute kommen. Dabei bleibt es nicht aus, dass er zur Zielscheibe von denen wird, die selbst weniger Gutes im Netz verbreiten. Wie er dennoch am Ball bleibt und welche Tipps er für andere hat, die via Internet Gutes tun wollen, erzählt er im Gespräch mit Annette Schwindt.

Raul Krauthausen
Raul Krauthausen (Foto: © Andi Weiland, Sozialhelden e.V.)

Annette: Danke, dass Du Dich zu diesem Gespräch bereiterklärt hast, Raul. Was ist es, das Dich in Bewegung hält, Dich weiter online für gute Projekte einzusetzen und welche sind da momentan vorrangig?

Raul: Was mich antreibt? Hm, ich weiß es ehrlich gesagt nicht so genau. Wahrscheinlich ist es mein ungeduldiger Charakter, der irgendwie ständig etwas Neues erleben möchte und sich manchmal auch fragt: „Warum gibt es sowas eigentlich noch nicht?“ Und dann denke ich darüber nach, was ich machen würde, beginne zu recherchieren und schwupps, ist ein Projekt entstanden… So geschehen mit der Wheelmap.org oder Leidmedien.de. Wobei ja auch Dein Infoblatt bei Leidmedien.de einer der Ausgangspunkte war.

Aktuell beschäftigen wir uns bei den SOZIALHELDEN sehr stark mit der Weiterentwicklung der Wheelmap. Da wird es demnächst spannende Neuigkeiten geben. Die letzten Jahre haben mich aber auch als Aktivisten sehr geprägt und so versuche ich mit meinem Blog raul.de behindertenpolitischer zu werden und meiner TV-Sendung „KRAUTHAUSEN – face to face“ auch für mich interessante Themen anzugehen.

Wir beide sind ja sowohl bei Leidmedien.de als auch bei Deinem Projekt 2sames.de zusammen aktiv. Wie entstehen denn Deine Projekte?

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Annette: Ich glaube, da geht es mir wie Dir, wobei ich leider kein Team hinter mir habe und auch nicht reisen kann. Dafür habe ich ein großes Netzwerk von Kollegen, auf das ich online und auch vor Ort in Bonn zurück greifen kann. Und durch dieses Netzwerken ergeben sich immer wieder neue Kontakte und daraus neue Projekte. Ist das bei Dir nicht auch so, dass sich gerade online ständig neue Türen auftun, aus denen sich dann neue Möglichkeiten ergeben?

Fast alle unsere Projekte sind irgendwie im Internet geboren.

Raul: Ja, auf jeden Fall. Fast alle unsere Projekte sind irgendwie im Internet geboren. Wheelmap.org, Leidmedien.de usw. sind Projekte, die maßgeblich vom Beitrag anderer abhängen. Auch meine TV-Sendung wird online oft gesehen.

Momentan ist es sogar so, dass sich viele Leute Rat suchend an mich und meine Kollegen wenden. Meistens zum Thema Behinderung. Leider kann ich nicht immer helfen, da ich weder Anwalt bin, noch finanziell unterstützen kann. Mit Selfpedia.de habe ich mal versucht, behinderte Menschen in einer Art FAQ-Plattform zu verknüpfen. Leider gingen mehr Fragen als Antworten ein. Das zu moderieren ist sehr viel Arbeit. Ich glaube aber immer noch an die Idee und möchte die Plattform wiederbeleben. Wie würdest du das angehen? Dass die Community sich aktiv außerhalb von Facebook unterstützt?

Ansonsten bin ich natürlich sehr vom Internet überzeugt. Ich glaube, dass viele Organisationen das Internet falsch begreifen. Sie senden mehr, als dass sie wirklich in einem interessierten Dialog mit den Menschen sind. Mir persönlich ist der persönliche Austausch und auch das Zuhören im Netz sehr wichtig. Leider mache ich mir aber in letzter Zeit auch viele Sorgen um unsere Diskussionskultur im Netz. Facebook-Kommentare oder Twitter-Replys sind eben kein wirklicher Dialog. Oft geht es eher darum, dass jemand Recht haben will.

Mir persönlich ist der persönliche Austausch und auch das Zuhören im Netz sehr wichtig.

Was mir manchmal fehlt, ist das gemeinsame Bier/Tee-Trinken, das man ja in einem Offline-Gespräch auch oft hat. Diese zwischenmenschliche Ebene geht im Web für mich irgendwie verloren. Auch bekomme ich viele Hate-Speech-Messages. Ich fürchte, das ist ein Problem unserer Zeit. Welche Webprojekte findest du gerade besonders spannend?

Annette: Ja, da hast du Recht. Die Diskussionskultur lässt einiges zu wünschen übrig. Das liegt vermutlich daran, dass jetzt jeder seine Meinung leicht einem großen Publikum zugänglich machen kann, egal ob sie fundiert ist, oder nicht. Und je frustrierter, umso größer das Bedürfnis gehört zu werden. Zum anderen glaube ich, dass die Digitalisierung die Menschen so verängstigt, dass sie dagegen anzuschreien versuchen. Das ist wirklich ein großes Problem. Wie kann man diese Leute mit ins Boot holen?

Das aktive Unterstützen von Projekten auch außerhalb von Facebook funktioniert meines Erachtens am besten lokal, wenn die Onlinemaßnahmen von Offlinetreffen begleitet werden oder sogar umgekehrt. Solche Projekte mag ich besonders. Dabei entstehen neue Kontakte und Projektideen. Wer sich offline kennt, wird online vermutlich auch vernünftiger miteinander umgehen – hoffe ich jedenfalls.

Wie ist Deine Erfahrung? Bekommst du Hate Speech nur von völlig Fremden, oder auch von Leuten, die Du offline kennst? Und richtet sich das dann eher gegen Dich als Person oder eher gegen das jeweilige Projekt? Welche Tipps würdest Du anderen geben, die von Hate Speech betroffen sind?

Denn letztendlich wollen wir doch alle das gleiche: In Ruhe und in Frieden miteinander leben.

Raul: Ich weiß nicht, ob man diese Leute ins Boot holen kann. Wahrscheinlich, da hast du Recht, geht das nur offline. Durch Begegnungen und dem Aufzeigen von Gemeinsamkeiten mit jenen, gegen die sich die Wut richtet. Denn letztendlich wollen wir ja am Ende doch alle das gleiche: In Ruhe und in Frieden miteinander leben.

Hate Speech bekomme ich ausschließlich online und immer von mir wildfremden Personen. Der Hass richtet sich aber sehr konkret gegen mich bzw. meine Behinderung. Was ich schlimm daran finde ist, dass ich merke, dass ich abstumpfe und es ignoriere. Ich frage mich aber schon, wie es sein kann, dass man ungesühnt im Internet hassen und hetzen kann, ohne rechtliche Konsequenzen zu spüren. Auf der Straße jemanden anzupöbeln oder Nazi-Symbole an die Wand zu schmieren, wird ja auch angezeigt und strafrechtlich verfolgt.

Mein Rat an die Betroffenen: Bloß keine Aufmerksamkeit schenken. Denn genau das ist das, was die Hetzenden wollen. Diskussionen online mit ihnen zu führen, ist zwecklos. Jede Reaktion wird als Sieg gefeiert, dass man sie beachtet.

Ich würde mir wünschen, dass wir den Fokus auch auf den Schutz der Opfer von Hass und Hetze lenken.

Ich würde mir wünschen, dass wir gesellschaftlich den Fokus auch auf den Schutz der Opfer von Hass und Hetze lenken. Zwar bin ich auch gegen Zensur im Netz, aber ich denke, dass Netzwerke wie Facebook oder Twitter auch technische Maßnahmen ergreifen könnten, um die Verbreitung von Hass und Hetze einzudämmen. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, dass man die Kommentarfunktion auf Facebook nach einer Weile schließen kann oder bei Twitter die Verwendung von @handles und Replys in fremden Tweets als Opfer kontrollieren kann. Wie denkst du darüber?

Annette: Ich kann mich nur schwer in die Köpfe von solchen Leuten, die Hate Speech posten, reinversetzen. Warum tun die das? Fühlen sie sich von irgendwas bedroht? Wovor haben sie Angst, dass sie so heftig reagieren? Wenn man das wüsste, könnte man vielleicht das Problem an der Ursache angehen? Vielleicht bin ich da aber auch zu idealistisch, ich weiß nicht. Inzwischen wäre es auf jeden Fall hilfreich, wenn man Kommentare schließen und sich wenigstens technisch gezielter wehren könnte. Gerade bei Facebook ist das Melden ja ein Krampf für sich.

Wie schaffst Du es, Dich von solchen Widrigkeiten nicht unterkriegen zu lassen? Und könnte man nicht ein eigenes Projekt aus diesen Erfahrungen machen? Unternehmen und vor allem Medien haben ja auch oft das Problem, das in ihren Kommentarthreads gepöbelt wird, weil die Kunden oder Leser/Zuschauer etc. das Gefühl haben, nicht gehört zu werden.

Lesetipp: Ulrich Heister schreibt bei uns darüber, woher der Hass im Netz kommt und wie man ihm begegnen kann.

Raul: Ich ignoriere sie. Alles andere hilft nicht. Ignorieren ist schon schlimm genug. Ich finde den Ansatz, den die Facebook-Gruppe #ichbinhier fährt, ganz spannend: Einfach die Counter Speech organisieren. Das kann sicher helfen. Kommentarspalten auf Medienseiten habe ich selten als fruchtbar empfunden. Ich glaube, dass sie nur dafür da sind, damit die Leute klicken. Und das bringt ja bekanntlich die Kohle. Aber der Mehrwert ist gering. Wahrscheinlich macht es Sinn, sie einfach abzuschaffen bei kritischen Themen.

Aber wir wollten ja über das Gute im Netz reden. Ich mag ja diese ganzen Crowdsourcing- und Crowdfunding-Sachen. Wikipedia, OpenStreetMap, Kickstarter, betterplace und change.org usw. Sie helfen uns dabei, Dinge die vielleicht nicht unbedingt auf den ersten Blick einen monetären Mehrwert haben, trotzdem entstehen zu lassen. Letztes Jahr haben wir beispielsweise über ein geschicktes Zusammenspiel von change.org als Petitionsplattform gegen das Teilhabegesetz und Spenden via betterplace.org einen Großteil des Protests finanziert bekommen. Wenn viele Menschen einen kleinen Beitrag leisten, kann man wirklich was bewegen. Aber genau diese Bewegung muss eben gut geplant und gesteuert werden, sonst ist es nur ein Rauschen. Hast du schon Erfahrungen mit der „Crowd“ gemacht?

Annette: Ja, meine Sachbücher haben quasi auf Crowdsourcing basiert: Ich habe meinen Lesern zugehört, Dialog mit ihnen geführt und konnte darüber erkennen, wo sie Probleme haben und Hilfe brauchen. Und auch die Lösungen haben wir oft zusammen erarbeitet. Beim  zweiten Buch habe ich dann sogar explizit Crowdsourcing gemacht und die Leute am Schreibprozess teilhaben lassen.

An Crowdfunding-Aktionen habe ich mich schon öfter als Spender beteiligt und kürzlich meine erste mitorganisiert. Und das braucht wie Du sagst, einiges an Vorbereitung. Hast Du Tipps für die Durchführung von solchen Aktionen, oder Erfahrungswerte, von denen andere profitieren könnten?

Raul: Der wichtigste Tipp, den ich habe, ist das Aufbauen und Pflegen von Kontakten, die mitmachen. D.h. halte die Unterzeichner*innen der Petition auf dem Laufenden. Bau einen Verteiler auf und bleibe in stetigem Kontakt. Ein Facebook-Post reicht da nicht. Das ist richtige Kontaktpflege, die man da machen muss. Wenn die Leute dann das Gefühl haben, dass sie dazugehören, dann sind sie auch bereit etwas zu spenden. Oft mussten wir dabei über unseren eigenen Schatten springen. Wir hatten oft das Gefühl, die Leute zu nerven mit unseren Mails. Aber sie waren sehr dankbar, weil wir es eben nicht übertrieben. Gleichzeitig ist aber auch jede Aktion was eigenes. D.h. es ist nicht immer alles übertragbar. Was ich aber schon sagen kann ist, dass Crowdsourcing und Crowdfunding im Ergebnis fast genauso viel Arbeit ist, wie wenn man es selber machen würde. Es ist also nicht zu unterschätzen. Wo siehst du die Grenzen des Onlineaktivismus?

Ich denke es kommt auf die richtige Mischung von on- und offline an.

Annette: Ich denke es kommt auf die richtige Mischung von on- und offline an. Die Menschen müssen die Dinge immer noch im wahrsten Sinnes des Wortes be-greifen können. Wenn etwas nur virtuell stattfinden würde, wäre das, glaub ich, für viele schwer zu verstehen.

Wie hat sich das bei dir entwickelt? Hast du am Anfang auch Rückschläge einstecken müssen? Was hast du wo gelernt und dann aber vielleicht für spätere Projekte positiv einbringen können?

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Raul: Na klar, Rückschläge gab es immer. Ich habe gelernt, dass es eh nie so läuft, wie geplant. Dass es aber hilfreich ist, sich Meilensteine zu geben. In Zwei-Wochen-Abständen zum Beispiel. Es gibt die großartigen Bücher „re:work“ und „Phase 0. How to make some action“, die mir geholfen haben, Projekte zu planen und zu verstehen. Mein Cousin, mit dem ich die SOZIALHELDEN vor 13 Jahren gegründet habe, hat mir als Leichtathlet einmal gesagt: Du lernst aus einer Niederlage doppelt soviel wie aus einem Sieg. Niemand weiß, warum er im sportlichen Wettkampf Erster wird. Aber alle wissen, warum sie 2. oder 3. geworden sind. Und ich muss zugeben, dass er recht hat. Krone richten, weitergehen. Das ist mein Motto. Einfach irgendwie weiter machen. Hast du ein Motto?

Krone richten, weitergehen. Das ist mein Motto.

Annette: Ja, das hab ich: Jeder Mensch hat Einschränkungen und jeder Mensch hat Talente. Wichtig ist nicht, was man alles nicht kann, sondern was man aus dem, was man hat, macht. Ich schätze, Du siehst das genauso, oder?

Welche Projekte von anderen kannst du uns zum Schluss noch empfehlen? Ich fand ja beispielsweise die Initiative von William Pike für mehr Barrierefreiheit toll gemacht und hab da gleich an Eure Rampen-Initiative denken müssen. Habt Ihr mal Kontakt zu ihm aufgenommen? Was ich auch wirklich gut finde und oft nutze, ist die App „Share the meal“ (siehe zu solche und anderen Beispielen den UPLOAD-Artikel von Jürgen Kroder). Das nenne ich mal Spenden leicht gemacht! Gibt es Inititativen von anderen, die Dich inspirieren?

Raul: Ja, das sehe ich genauso. Aus diesem Grund haben wir das Projekt „Die Andersmacher“ ins Leben gerufen. Behinderte Menschen erzählen hier in Portraits was sie anders gemacht haben um Ihren Traum zu verwirklichen. Offen und ehrlich sprechen Sie dabei auch über ihre Rückschläge.

Ja, ich mag so Inititativen wie „mein Grundeinkommen“ oder sanktionsfrei.de. Ich finde, dass das Thema Armut in Deutschland viel zu wenig aktiv angegangen wird.
Annette: Was würdest du denn jemandem raten, der Ideen für Projekte hat und sich gern engagieren möchte? Wie sollte er/sie das angehen?

Raul: Mein Rat: Bleib bei deiner Idee. Recherchiere, ob es sie schon gibt. Was würdest du anders machen? Fang bloß nicht an, dich mit Dingen zu beschäftigen, die dich nicht interessieren, z.B. Steuerrecht oder Finanzen, wenn es nicht deine Leidenschaft ist. Such dir Mitstreiter, die mit der gleichen Leidenschaft diese Themen bearbeiten, wie du leidenschaftlich an deinen. Bau dir ein Team.

Annette: Herzlichen Dank für dieses Gespräch, Raul! :)


Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 46

In dieser Ausgabe konzentrieren wir uns einmal auf die Dinge im Internet, die helfen, die voranbringen, die verbinden. Sie lesen darin, wie die virtuelle Gemeinschaft anderen Menschen hilft oder sich gegenseitig unterstützt. Sie erfahren, wie Sie selbst per App und Web Gutes tun können. Und wir erklären, woher eigentlich der Hass im Netz kommt und wie Sie ihm begegnen können.

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