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Scrum & Co: Ein Plädoyer für selbstorganisierte Teams

Teams können Erstaunliches leisten – wenn man denn die Arbeit richtig organisiert. Valentin Nowotny zeigt in diesem Beitrag auf, welche Stärken agile Methoden wie Scrum in diesem Zusammenhang haben. Sie setzen unter anderem auf Selbstorganisation statt Micromanagement. Dafür schaffen sie klare Strukturen und Formate.

Symbol Teamwork
(Illustration: © wowomnom, depositphotos)

 

„A bad system will beat a good person every time“ – W. Edwards Deming

Auch Michelangelo war kein Einzelkämpfer

Wir beamen uns einmal zurück ins 15. Jahrhundert. Michelangelo di Lodovico Buonarroti Simoni, der italienischer Bildhauer, Maler, Architekt und Poet, gewinnt durch unterschiedlichste Aufträge an Bekanntheit und Rennomee. Papst Julius II erhält Kunde von diesem „Universalgenie“ und ruft Michelangelo nach Rom. Sein Auftrag: Er soll die Gewölbedecke in der Sixtinischen Kapelle ausmalen. Michelangelo selber wollte den Auftrag ablehnen, da er sich dieser malerischen Mammut-Aufgabe nicht gewachsen sah, zudem habe er noch nie etwas in Farbe gemacht, erklärte er. Um Michelangelo trotzdem zu gewinnen, gewährte der Papst dem Künstler vollständige Unabhängigkeit und Freiheit hinsichtlich des Motivs und der Umsetzung. Er sprach zu ihm: „Mach, was du willst!“

Das gab Michelangelo die Freiheit, für dieses Projekt viele begabte und engagierte Mitarbeiter einzubinden, die mit ihm zusammen eng an der Umsetzung gearbeitet haben. Diese haben zwar nicht mit einem Scrumboard gearbeitet, aber waren hoch fokussiert, mutmaßlich im Flow und haben als hochperformantes Team in vier Jahren die Sixtinische Kapelle in Rom zu dem gemacht, was sie heute ist: ein Meisterwerk! Eine 520 Quadratmeter große Fläche, die von Michelangelos Team über Kopf ausgemalt wurde.

Am 23. August 1787 schrieb Goethe: „… ohne die Sixtinische Kapelle gesehen zu haben, kann man sich keinen anschauenden Begriff machen, was ein Mensch vermag.“ Ein Mensch – oder eben doch ein gut eingespieltes Team!

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Warum Teams ihr Potenzial nicht ausschöpfen

Teams haben überragende Fähigkeiten, wenn man denn die Arbeit richtig organisiert. Ein gutes Beispiel dafür ist aus meiner Sicht die Scrum-Methode. Falls Sie damit noch nicht so vertraut sind, hier die Kurzfassung: Scrum ist ein System, das zunächst für die Software-Entwicklung entstand, heute aber auch andernorts genutzt wird. Es ist ein Gegenentwurf zum klassischen „Wasserfall“-Modell der Projektplanung, bei der man alle Handgriffe und Meilensteine von Start bis Ziel vorausplant. Scrum setzt hingegen u.a. auf kurze, überschaubare Abschnitte („Sprints“) und einen regelmäßigen und kurzen Austausch zum Stand der Dinge („Daily Scrum“). Alle Aufgaben werden in einem „Backlog“ festgehalten und die aktuellen Aufgaben im „Sprint Backlog“. Wie das Entwicklungsteam dieses Backlog abarbeitet und die aufkommenden Probleme löst, ist den Mitglieder dieses Teams dabei bewusst selbst überlassen. Mehr dazu weiter unten.

Teams haben überragende Fähigkeiten, wenn man denn die Arbeit richtig organisiert.

Scrum jedenfalls gehört zum Bereich der „agilen“ Systeme und eignet sich daher für alle Projekte, deren Ablauf nicht vorhersagbar ist, da zu viele Punkte erst während der Umsetzung geklärt werden können.

Woran liegt es nun aber, dass klassisch organisierte Teams oft suboptimal zusammenarbeiten? Dazu drei Thesen:

These 1: Die meisten Teams oder Projektgruppen haben zu viele Mitglieder

Warum passiert das immer wieder? Perfektionismus speist den Gedanken, dass nur so all das Wissen verfügbar ist, um ein optimales Setup hinzubekommen.

Das ist falsch. Die optimale Gruppengröße liegt bei fünf bis neun Menschen, um konzentriert und fokussiert ein Thema voranbringen zu können. Bei mehr als zehn Teilnehmern zerfällt jedes Team in Subgruppen, bei vier und weniger wird es schwierig, wenn einzelne ausfallen.

Kleine überschaubare Gruppen sind offenbar die Lebens- und Arbeitsform, die wir aus der Evolution gewohnt sind, alles andere ist überfordernd, nicht gut für den Flow also!

These 2: Micro-Management statt intelligenter Selbstorganisation

So heißt es in den zwölf Prinzipien des Scrum-Manifesto:

„The best architectures, requirements, and designs emerge from self-organizing teams.“

Und außerdem findet man dort:

„Build projects around motivated individuals. Give them the environment and support they need, and trust them to get the job done.“

Kontrolle und Qualitätssicherung sind für eine hochwertige Arbeit natürlich trotzdem unerlässlich. Doch wer macht’s? Die Führungskraft allein oder ein smartes System der Selbstkontrolle?

Das Schöne an agilen Arbeitsmethoden wie Scrum ist, dass sie nicht entstanden sind, weil Menschen unfehlbar sind. Sie sind entstanden, gerade weil Menschen unvollkommen, vergesslich, und auf andere Weise fehlbar sind. Die Idee: Statt auf Perfektionismus und Kontrollinstanzen zu setzen, arbeitet man besser mit Routinen, Ritualen und bewussten Redundanzen. Schließlich weiß man: Jeder Fehler, der passieren kann, passiert auch einmal („Murphy’s Law“). Wenn dem so ist, dann muss dies immer wieder mit einem intelligenten Arbeits- und Kommunikationssystem abgefangen werden.

Kanban, Scrum, Design Thinking und Lean Startup sind genau solche Systeme, die nicht davon ausgehen, dass Menschen perfekt sind, sehr wohl jedoch davon, dass diese lernfähig sind, wenn die entsprechenden Lern-Umgebungen gerade auch in einem Business-Context bereitgestellt werden.

These 3: Auch heute werden immer noch zu wenig Synergien im Team genutzt

Ideen können entweder nicht „aufpoppen“ oder wenn Sie mal „aufpoppen“ werden sie nicht festgehalten. Teams arbeiten oft eher sporadisch oder temporär zusammen, man lernt sich aber kaum gut kennen (und schätzen) – leider!

All dies findet sich hingegen in einer guten Teamkultur mit etablierten agilen Ritualen. Denn hier wird immer wieder – z.B. in dem Scrum-Format der Retrospektive – gefragt: Was können wir besser machen? Unzufriedenheit wird in einer Frühphase abgeschöpft, und zu gemeinsam geteilten Erkenntnissen verfeinert und veredelt. Das gute System macht’s also auch hier!

Merkmale eines guten Systems

Ein gutes System ist immer nach oben offen, hat keine Grenzen, sondern Perspektiven und verlockt zur Weiterentwicklung. Jeff Sutherland, einer der Erfinder der agilen Methode Scrum, hat gesagt, Scrum sei dafür entworfen, zehnmal schneller zu sein als herkömmliche Vorgehensweisen. Berater, Speaker und Autor Steve Tendon wiederum spricht von „hyper-produktiven Teams“: Teams, die sich gewissermaßen in einer Art Überschallgeschwindigkeit bewegen. Die Team-Lern-Logik von Scrum schafft das, indem die Feedback Loops häufig und gut verzahnt sind.

Allerdings: Das was Scrum nicht enthält ist z.B. ein ergänzendes Teambuilding etwa mit einem Persönlichkeits-Modell wie dem D-I-S-G Modell oder über die Analyse der Lebensmotive aller Teammitglieder mit dem Reiss-Profil. Auch das Teamrollen-Modell von Meredith Belbin lässt sich hier ergänzend und wertgenerierend einsetzen.

Standard- oder Hochleistungs-Team?

An der Kommunikation eines Teams lässt sich bei alldem bereits vieles ablesen. Hochleistungsteams kommunizieren in der Regel über eine positive Wortwahl, und sie motivieren sich wechselseitig, bleiben in einem für alle funktionierendem Flow-Zustand. In Low-Performance-Teams fallen hingegen oft Worte der Abwertung, es wird harsche Kritik geübt und zynische Sprüche sind an der Tagesordnung. Diese „Niedrigperformer“ unter den Teams blocken zudem Ideen von außen und verfechten den eigenen Standpunkt als das Nonplusultra.

Hochleistungsteams tendieren zudem ferner dazu, bewusst wertvollen Input und neue Gedanken von außen in das Team zu bringen. Sie sind darüber hinaus in der Lage, den Vorschlägen und Gedanken anderer zu folgen und diese weiterzuentwickeln, und die Kommunikation ist in der Regel von Offenheit und wechselseitigem Respekt geprägt.

Klare Strukturen und Formate weisen den Weg

Wichtig ist zu verstehen: Agile Teams arbeiten in klar definierten Strukturen und Formaten. Anders als im klassischen Projekt sind agile Teams dabei bestrebt, die eigenen Performance ständig zu verbessern. Die Basis dafür ist personelle Kontinuität und konsequentes Selbstmonitoring. Was passiert, wenn man einer Gruppe Menschen ein Ziel vorgibt und ihnen die Freiheit lässt, das Ziel auf eigenem Wege zu erreichen? Oft endet dies in einem Desaster: Entweder es kümmert sich jeder um sich selbst oder ausschließlich um die Belange der anderen. Chaos entsteht.

Selbstorganisation in einem agilen Rahmen funktioniert anders. Hier zieht nicht jeder in „seine“ Richtung, sondern die Teams setzen gemeinsam das um, was zum jeweiligen Zeitpunkt den internen oder externen Kundenwert maximal steigert. Dies ist ein grundlegender Unterschied zu Organisationen, in denen viele Mitarbeiter in jeweils ganz vielen unterschiedlichen Projekten tätig sind. Auch dort wird oftmals mit gewissen Freiheitsgraden gearbeitet. Jedoch verselbständigt sich so manches Projekt und wird dabei immer „langsamer“. Manches Projekt kommt sogar vollständig zum Erliegen, ohne dass dies vom Management eingestanden wird.

Natürlich kann man agile Methoden auch in einer Projektorganisation einüben. Die volle Wirkung erreicht der agile Ansatz jedoch erst dann, wenn ganze Teams dauerhaft agil werden und anfangen Ihre eigene Fortschrittsgeschwindigkeit zu reflektieren. Zum Beispiel indem diese mit geeigneten Hilfsmitteln gemessen wird, wie etwa einem Burndown-Chart oder über die Team-Velocity. Teams beginnen so, sich selbst zu monitoren und sich im Folgeprozess immer weiter selbst zu optimieren.

Sebstkontrolle ersetzt Fremdkontrolle

In der agilen Welt ersetzt die Selbstkontrolle somit die Fremdkontrolle: Die Entwicklungsteams sind selbst für das „Wie“ zuständig. Das „Was“ hingegen – die Priorisierung – kommt von der Rolle des Product Owners. Der „Prozess“ wird von einer dritten Rolle, dem so genannten Scrum Master, unterstützt. Ein Scrum Team ist dabei grundsätzlich hierarchiefrei. Jedes Teammitglied hat seine Aufgaben, die über die drei Rollen definiert sind, und hat in diesem Rahmen Einfluss auf das Geschehen.

Wir können hier von geteilter Verantwortung oder auch kollegialer Führung sprechen. Abgesehen von dem Management, welches den Rahmen schafft und gewissermaßen die „Leitplanken“ vorgibt, und insofern auch zusätzliche Verantwortungen trägt, gibt es in agilen Organisationen kein „oben“ oder „unten“. Alle tragen dazu bei, dass die Unternehmensziele erreicht werden. Lediglich die Aufgabenfelder sind unterschiedlich – und können zudem je nach Situation immer wieder wechseln.

Im positiven Sinne erlaubt das Konzept der „Hierarchiefreiheit“ somit, sich nicht sklavisch an einer scheinbar vorgegebenen „heiligen Ordnung” orientieren zu müssen. Wichtiger ist, dass Entscheidungen immer wieder inhaltlich begründet werden, damit sie für den Einzelnen Sinn ergeben und für die Gesamtorganisation Wert erzeugen. Jedoch bedeutet diese Form der Selbstorganisation nicht zwingend, dass ein Team alle Entscheidungen immer auch selbstorganisiert treffen muss. Vielmehr ist damit gemeint, dass es Teams erlaubt sein muss, zwischen dem „Ausführungs-Modus“ und dem „Innovations-Modus“ flexibel hin- und herzuwechseln, je nachdem was der Kontext konkret erfordert.

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Mit Delegation Poker das Entscheidungs-Vakuum beheben

Eine Methode, die sich beim agilen Arbeiten durchgesetzt hat, ist das sogenannte Delegation Poker. Was sind die Vorteile? Beim Übergang in die Selbstorganisation ist es oft nicht klar, wer eigentlich was entscheidet. Wie lässt sich nun verhindern, dass wichtige Entscheidungen verzögert oder am Ende gar nicht getroffen werden? Mit der Methode Delegation Poker wird dieses Problem positiv angegangen: „It’s not a problem, it’s a feature!“

Der Grundgedanke ist die Visualisierung der Entscheidungsräume und der spielerische, wenngleich systematische Umgang damit: Alle für das Team existierenden Entscheidungsfragen werden auf einem großen Poster gesammelt, und zwar nachdem im Kartenspiel eine klare Entscheidung von allen Beteiligten gefällt wurde.

Es stehen sieben Stufen zur Auswahl: (1) Tell, (2) Sell, (3) Consult, (4) Agree, (5) Advise, (6) Inquire und (7) Delegate. Bei dem Punkte (1) bis (3) liegt die Entscheidung im Kern bei der vorgesetzen Führungkraft, (4) ist eine Konsens-Entscheidung und bei (5) bis (7) liegt die jeweilige Entscheidung in verschiedenen Abstufungen beim Team.

Kann ein gemeinsamer Modus gefunden werden, dann ist damit klar, wer für die jeweilige Entscheidungsfrage die Leitplanken festlegt bzw. nach welchen Spielregeln diese geschaffen werden: Entweder die Entscheidung liegt eher auf Seiten von Chef, Führungskraft, Senior Management, oder eben in der Gruppe bzw. bei einzelnen Team-Mitgliedern.

Ist das Bild hingegen nicht eindeutig, so wird hierüber zunächst diskutiert und dann geht es in die nächste Runde. Lässt sich kein Konsens erzielen, so wird die Entscheidung zurückgestellt. Jeder hat Zeit, es sich durch den Kopf gehen zu lassen. Das nächste Mal wird erneut versucht, einen Konsens zu erzielen. Ein intelligenter Weg, der immer wieder neu miteinander austariert wird.

Fazit

Teams können mehr als viele Menschen bisher angenommen haben. Statt kleinstem gemeinsamen Nenner bedarf es neuer Methoden der engen Verzahnung durch kurze knackige Meetings, praktische Hilfsmittel für das Selbstmonitoring, Spaß als Flow-Verstärker sowie gezielten Maßnahmen zum Abbau des Entscheidungs-Vakuums. Dann geht – oder besser fliegt – ein ansonsten vielleicht nicht wirklich motiviertes Team, und mutiert vielleicht auch mal zum Highperformance Team.

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Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 54

In diesem Schwerpunkt „Teamwork“ schauen wir uns an, wie eine positive Fehlerkultur die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen verbessern kann, was es mit „New Work“ auf sich hat, was bedenkenswert an Selbstorganisation à la Scrum ist und wie verteilte Teams effizient bleiben. Plus: Startup-Steckbrief Staffbase.

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