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Warum wir Scheitern in unsere Kultur integrieren müssen

Wir befinden uns wirtschaftlich und gesellschaftlich aktuell in einer sehr spannenden Zeit. Die Digitalisierung, die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz und die Vernetzung der Welt durch das Internet of Things verändern unseren Alltag beruflich wie privat in einer Geschwindigkeit und Vehemenz, wie wir sie bisher noch nicht kannten. Dabei stehen wir noch ganz am Anfang der Veränderung. Und wir werden auf unserem langen Weg ganz sicher Fehler machen und immer wieder scheitern, bis wir die richtige Spur finden. Das Problem dabei: Scheitern gehört gar nicht zum Plan, sondern ist in Deutschland immer noch ein Stigma. Falk Hedemann erklärt in diesem Beitrag, warum das keine gute Idee ist.

(Illustration: © forestpath, depositphotos)

Einführung

Wann haben Sie selbst zuletzt einen Fehler gemacht? Ganz egal, ob es ein großer Fehler war, der entsprechende Konsequenzen nach sich gezogen hat, oder ein kleiner Fehler, der eher zum Schmunzeln angeregt hat? Sind Sie sich ihrer Fehler bewusst oder müssen Sie erst überlegen, wann und womit Sie zuletzt gescheitert sind?

Ich scheitere vermutlich beim Schreiben dieses Textes gleich mehrfach an der komplizierten deutschen Rechtschreibung (womit zum Glück auch gleich die Schuldfrage geklärt wäre!), was Sie dann wahrscheinlich gar nicht mehr sehen, weil wir die Fehler beim Redigieren (hoffentlich) behoben haben. Vielleicht scheitern Sie gerade an Ihrer Zeitplanung, weil ich Sie zum Lesen genötigt habe und wieder einmal sehr viel mehr geschrieben habe, als ich wollte…

Ganz egal was es ist, wir scheitern jeden Tag aufs Neue an den einfachsten Aufgaben. Wir vergessen den Geburtstag eines Kollegen, halten uns nicht an die selbst auferlegten Vorsätze zum neuen Jahr. Wir scheitern bei der Konzentration auf eine leichte Aufgabe und lassen uns lieber von Dingen ablenken, die wir uns abgewöhnen wollten. Wir schaffen unser Arbeitspensum nicht und scheitern selbst nach dem Feierabend noch in schöner Regelmäßigkeit – beispielsweise daran, uns mental von der Arbeit zu lösen und den Kopf frei zu bekommen.

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Versuch(en) macht klug

Dabei wissen wir es eigentlich besser. Viele unserer Fehler könnten wir locker vermeiden. Aber wir tun es dennoch nicht. Es liegt einfach in der menschlichen Natur Fehler zu machen und daraus zu lernen. Wie sonst können wir uns neuen Herausforderungen und Aufgaben stellen, deren Lösung wir noch gar nicht kennen können? Gut beobachten lässt sich das an Kindern: Sie lassen ihrer Neugierde freien Lauf und haben keine Angst vor Fehlern. Sie probieren Dinge aus, scheitern, probieren etwas anderes und scheitern erneut. Wenn der dritte Versuch dann klappt, freuen sie sich, denn sie haben etwas gelernt. Die Erwachsenen in der Beobachterrolle sanktionieren nicht etwa das zweimalige Scheitern, sondern bestärken das Kind in seinem Erfolg.

Die externe Erwartungshaltung sieht irgendwann nur noch den Erfolg vor, Scheitern hat keinen Platz mehr.

Mit zunehmendem Alter verschwindet dieses Verhalten der Bezugspersonen aber immer mehr. Die externe Erwartungshaltung sieht irgendwann nur noch den Erfolg vor, Scheitern hat keinen Platz mehr. Spätestens mit dem Eintritt ins Berufsleben und dem Austausch der familiären Bezugspersonen durch Vorgesetzte ist endgültig kein Platz mehr für Versuch und Irrtum. Natürlich hinterlässt das Spuren und führt zu einer schleichenden Veränderung des Verhaltens. Fehlervermeidung bekommt stattdessen eine größere Bedeutung, die im Laufe der Arbeitsjahre zur Top-Priorität reifen kann.

Lesetipp: In unserer „Teamwork“-Ausgabe hatte Christiane Brandes-Visbeck darüber geschrieben, warum eine Fehlerkultur entscheidend ist für den Erfolg im digitalen Wandel.

Zugleich haben Menschen aber auch ganz grundsätzlich unterschiedliche Sichtweisen auf das Thema Scheitern. Die Psychologie-Professorin Carol Dweck beschäftigt sich beispielsweise seit vielen Jahren mit der Frage, warum junge Menschen unterschiedlich auf ihr eigenes Scheitern reagieren und was sich daraus für die Voraussage zukünftiger Erfolge ableiten lässt. In einem ihrer Experimente gab sie Schülern eine Aufgabe, die für sie zu schwer war. Ein Scheitern war also vorprogrammiert. Der Großteil der Schüler reagierte negativ: Sie waren geschockt und empfanden das Scheitern als persönliche Tragödie. In der Annahme, sie würden auf ihre grundsätzliche Intelligenz hin getestet, bewerteten sie ihre Leistung als Versagen.

Im Gegensatz zu einem „Fixed Mindset“ glauben Menschen mit einem „Growth Mindset“ unabhängig vom Ergebnis an ihre Fähigkeiten.

Ein Teil der Schüler reagierte jedoch positiv: Sie fanden die Herausforderung „cool“ und „lehrreich“, auch wenn sie die Aufgabe nicht lösen konnten. Dweck folgerte daraus, dass diese Schüler eine wachstumsorientierte Einstellung besitzen, ein sogenanntes „Growth Mindset“. Im Gegensatz zu einem „Fixed Mindset“ glauben Menschen mit einem Growth Mindset unabhängig vom Ergebnis an ihre Fähigkeiten. Sie sind nicht auf schnelle Erfolge angewiesen, um motiviert zu sein. Sie beziehen ihre Motivation vielmehr aus dem Prozess, der zur Lösung führt. Versuch und Irrtum sind für sie dann ein überdauerndes Werkzeug, um mit Herausforderungen fertig zu werden und eine Lösung für ein neues Problem zu finden. Mit einem Fixed Mindset sind Versuch und Irrtum dagegen viel zu riskant. Sie weichen lieber der Herausforderung aus oder versuchen gar zu schummeln, wie Dweck in ihrem Experiment herausfand.

Das Fixed Mindset wirkt sich aber nicht nur bei jungen Menschen aus. Zu finden ist es auch bei Menschen in Führungspositionen. Sie verfügen dann zwar über genügend Wissen, um sich in einer solchen Position zu halten, doch sie vermitteln ihrem Team auch ihre Einstellung: Statt Neues offensiv und mit Neugierde anzugehen, verharren sie lieber in ihrer Komfortzone des Bekannten. Damit sind sie schließlich so weit gekommen, warum sollten sie plötzlich etwas ändern? Sie nehmen auch selten Kritik an und sind kaum bereit von anderen Experten etwas zu lernen. Warum sollten sie sich weiterentwickeln, wenn sie offensichtlich schon erfolgreich sind? Damit verhindern diese Manager oft auch die Weiterentwicklung des gesamten Teams, das sie eigentlich führen sollen. Ihr persönliches Scheitern besteht also in der Teamführung und -entwicklung, nur erkennen sie es selbst nicht. Sichtbar wird diese Form des Scheiterns oft erst durch eine erhöhte Personalfluktuation: Wenn vor allem viele neue Mitarbeiter das Team schnell wieder verlassen, sollte die Unternehmensleitung die Gründe dafür analysieren.

Lesetipp: In unserer schon genannten „Teamwork“-Ausgabe finden Sie zwei weiterführende Artikel zu dieser Thematik. Zum einen erkläre ich, was es mit „New Work“ auf sich hat. Und Valentin Nowotny zeigt auf, warum und wann selbstorganisierte Teams besser funktionieren.

Was bedeutet das für die Unternehmenskultur?

Wie eingangs bereits ausgeführt, befinden wir uns aktuell mitten in einem fundamentalen Wandel. Diese Transformation hat weder einen konkreten Anfang, noch ist irgendwann ein Ende erreicht. Karl Kratz hat das in seinem UPLOAD-Gastbeitrag sehr schön beschrieben:

Veränderung ist keine Konstante mehr, sondern wird ein Prozess werden … müssen! Oder genauer: Ein Lernprozess. Noch genauer: Ein Unternehmens-Lernprozess. Und zwar auf allen Ebenen: Strategisch, taktisch, operational. Prozessual, technisch, rechtlich, finanziell. Im Großen, wie im Kleinen. Auf Infrastruktur-Ebene, durch Dekonstruktion und Neukonstruktion von Wertschöpfungsketten, bis hinein in operative Prozesse.

Die digitale Transformation ist also kein Projekt mit einer bestimmten Laufzeit, an dessen Ende ein neues Unternehmen herauskommt. Es ist ein Prozess, der bereits im vollen Gange ist – ganz gleich, ob Sie mit Ihrem Unternehmen aktiv mitmachen oder nicht. Zum aktiven Gestalten gehört aber viel mehr als nur die Implementierung digitaler Technologien in weiter Teile der Wertschöpfungskette. Dazu gehört genauso eine Veränderung der Unternehmenskultur, die sich an die veränderten Rahmenbedingungen anpasst. Oder mit anderen Worten: Wer Innovationen entwickeln will, muss dafür einen kulturellen Nährboden schaffen!

Für die Digitale Transformation brauchen Unternehmen kreative Freigeister mit einem Growth Mindset, die sich über jede Herausforderung freuen.

Was nützt ein Innovationlab mit reichlich moderner Technik wie beispielsweise 3D-Drucker, Laser-Cutter und computergestützten Maschinen zur Holz- und Metallbearbeitung, wenn den Mitarbeitern der nötige zeitliche Freiraum fehlt und ihre Arbeit nur anhand fertiger und erfolgreicher Produkte bemessen wird? Mit solchen Rahmenbedingungen werden die Fixed Mindsets kultiviert. Doch für die Transformation brauchen Unternehmen kreative Freigeister mit einem Growth Mindset, die sich über jede Herausforderung freuen und sich so die für die Bewältigung nötigen Fähigkeiten aneignen können. Fehler sind für sie Erfahrungen, aus denen sie lernen, wie man es besser machen kann. Und indem sie Scheitern als Option anerkennen und nicht von vornherein alle Situationen meiden, in denen sie scheitern könnten, werden sie – so paradox das auch klingen mag – am Ende tatsächlich weniger oft scheitern.

Denn: Wer sich heute nicht bewegt, weil er Angst vor dem Scheitern hat oder glaubt bereits alles zu wissen, wird morgen schon überholt sein. 

Lesetipp: In einem ausführlichen UPLOAD-Beitrag von Pia Kleine Wieskamp erfahren Sie, wie Sie Change-Prozesse mit Storytelling begleiten können.

Sunk Cost Fallacy – Scheitern kann teuer sein, es nicht einzusehen noch teurer

Eine Kultur des Scheitern findet auf verschiedenen Ebenen Widerhall. Auf der persönlichen Ebene kann jeder Mitarbeiter an Aufgaben scheitern. Teams können mit Projekten baden gehen und schließlich kann auch das gesamte Unternehmen Schiffbruch erleiden. Das muss nicht gleich das Ende des Unternehmens bedeuten, denn oft ist beispielsweise nur ein einzelnes Produkt ein Fehlgriff.

Aber egal auf welcher Ebene etwas schiefgegangen ist, wichtig ist der richtige Umfang mit dem „Fail“. Dabei geht es keinesfalls nur darum, aus dem Fehler zu lernen und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Der Schritt davor ist viel wichtiger, denn zunächst muss der Fehler auch als solcher erkannt werden.

Ein Scheitern anzuerkennen ist aber gar nicht so einfach, gerade weil oft die Kultur des Scheitern komplett fehlt. Unter Umständen vergeht bis zu diesem Punkt sehr viel Zeit und alleine dadurch können einem Unternehmen größere Kosten entstehen, als der Fehler selbst bis zur frühestmöglichen Aufdeckung erzeugt hätte. 

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Das Fehlen einer Kultur des Scheiterns zeigt sich auch darin, dass wir Projekte selbst dann nicht aufgeben wollen, wenn wir eigentlich wissen, dass sie längst gescheitert sind. Nach dem Motto: „Wir ziehen das jetzt durch, wir haben schon zu viel investiert, um es einfach auszuknipsen!“

Dieses, von außen betrachtet, irrationale Verhalten basiert auf der Tendenz, Investitionen aus der Vergangenheit für Entscheidungen der Gegenwart heranzuziehen. Je mehr Geld und Zeit bereits in ein Projekt gesteckt wurde, desto eher wird daran festgehalten – selbst wenn es weiter viel Geld kostet und ein Erfolg weder greifbar noch überhaupt sichergestellt werden kann. In solchen Fällen wäre ein frühes Scheitern deutlich ökonomischer gewesen.

In der US-amerikanischen Startup-Szene existiert daher auch das Mantra: „Fail Hard. Fail Fast. Fail Often.“ Einer, der dieses Silicon-Valley-Mantra sehr offensiv lebt, ist der gebürtige Ukrainer Max Levchin:

Das erste Unternehmen, das ich gegründet habe, ist mit einem großen Knall gescheitert. Das zweite Unternehmen ist ein bisschen weniger schlimm gescheitert, das dritte Unternehmen ist auch anständig gescheitert, aber das war irgendwie okay. Ich habe mich rasch erholt, und das vierte Unternehmen überlebte bereits. Nummer fünf war dann Paypal.

Natürlich kann Scheitern selbst nicht das Ziel sein. Würde Paypal heute als etabliertes Unternehmen scheitern, wäre das sicher eine andere Größenordnung als die ersten Fails von Max Levchin. Im Kleinen können aber auch die großen Unternehmen aus seiner Geschichte etwas lernen. Stellt sich bei einem Projekt oder einem Produkt der erhoffte Erfolg nicht ein, sollten bereits getätigte Investitionen nicht den Ausschlag für eine Weiterführung geben. Zielführender ist eine ergebnisoffene Analyse, die die Zukunftsaussichten in den Mittelpunkt stellt und dabei ein Scheitern als sinnvolle Option bereithält. 

Lesetipp: Jürgen Kroder zeigt Ihnen in seinem UPLOAD-Beitrag, wie auch weltbekannte Unternehmen sich immer wieder neu erfunden haben. Sie erfahren darin außerdem, dass erfolgreiche Angebote wie Slack aus einem gescheiterten Plan hervorgegangen sind.

Denn letztlich ist es genau das, was eine Kultur des Scheiterns ausmacht: Es nicht nur zulassen und offen kommunizieren, sondern es als Teil des Prozesses zu betrachten, statt es als Drama oder Tragödie zu bewerten. Dazu gehört auch die anschließende Analyse. Sie sollte offen auf einen Erkenntnisgewinn ausgelegt werden, statt sich auf die Suche nach einem Schuldigen zu begeben. Sobald die Schuldfrage nicht mehr im Mittelpunkt steht, verschwinden auch die Ängste der Mitarbeiter. Sie gewinnen gedanklichen Freiraum und können ihn für die Herausforderungen der Digitalisierung nutzen.

Fehler machen zu können ist die Stärke des Menschen

Zum Abschluss möchte ich Ihnen über einen kleinen Exkurs noch einen Gedankenimpuls mit auf den Weg geben. Vielleicht gehören Sie auch zu den Menschen, die sich rund um die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz und der damit fortschreitenden Automatisierung von Arbeit fragen, ob sie morgen noch einen Arbeitsplatz haben, oder ob der von einer Maschine übernommen werden könnte. Der Druck auf Arbeitnehmer wird sicherlich steigen, aber wir haben einen großen Vorteil gegenüber den intelligenten Maschinen und Computern: Wir können Fehler machen und daraus lernen, macht ein Computer einen Fehler, stürzt er im Zweifelsfall ab. Die Fähigkeit Fehler machen zu können, ist eine der Stärke der Menschen. Und gerade wenn es um etwas Neues geht, müssen wir uns auf diese Fähigkeit stützen. Denn was wir noch nicht kennen, können wir nicht ohne Versuch und Irrtum lösen – oder einer Maschine beibringen.


Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 58

Ob nun ein neues Produkt kläglich scheitert oder sich im Social Web Unheil zusammen braut: Die meisten Menschen (und Unternehmen) möchten Fehler am liebsten ganz vermeiden. Zum einen ist das allerdings gar nicht möglich und zum anderen auch nicht unbedingt erstrebenswert. Das Beste aber ist sowieso die richtige Vorbereitung auf den Fall der Fälle. Nützliche Tipps, Meinungen und Erfahrungen dazu finden Sie in dieser neuen Ausgabe. Plus: Standalone-VR-Headsets versprechen Virtual Reality für alle.

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