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Amazon Web Services: Das (fast) unsichtbare Rückgrat des Internets

Der Erfolg der Amazon Web Services (AWS) hat so manchen Experten überrascht. Heute trägt dieses Angebot nicht nur einen erheblichen Teil zu Amazons Gewinn bei, sondern ist in vielerlei Hinsicht das Rückgrat des Internets. Die Zahl der Dienste unter dieser Dachmarke ist inzwischen enorm angewachsen. Jan Tißler erklärt in diesem Beitrag, was es mit AWS auf sich hat und was es anbietet.

Symbol Rechenzentrum
(Foto: © sdecoret, depositphotos.com)

Die Anfänge von AWS als Programmierschnittstelle

„We’re putting out a welcome mat for developers – this is an important beginning and new direction for us.“ – Amazon-Gründer und -CEO Jeff Bezos im Juli 2002

Jeff Bezos sah also einen wichtigen Anfang und eine neue Richtung für Amazon, als man im Juli 2002 die erste Version der „Web Services“ vorstellte. Dabei war der Dienst damals noch vergleichsweise bescheiden: Er stellte Schnittstellen für Programmierer bereit, über die sich Inhalte und Funktionen von Amazon in eigene Projekte integrieren ließen.

Das war damals sicher innovativ und interessant. Der eigentliche Beginn der Amazon Web Services, wie wir sie heute kennen, folgte im März 2006. Und das sollte nicht nur Amazon grundlegend verändern, sondern auch, wie Web-Anwendungen entwickelt und bereitgestellt werden. 

Den Anfang machte der „Simple Storage Service“ S3. Mit ihm konnte man flexibel  Speicherplatz  auf Amazons eigenen Ressourcen buchen. Das Versprechen: Für vergleichsweise kleines Geld greife man damit auf die gleiche leistungsfähige, schnelle und zuverlässige Infrastruktur zu, die auch Amazon für sein wachsendes E-Commerce-Imperium nutzt. Denn das war der eigentlich Clou an der Geschichte: Amazon baute das alles für sich selbst und sah es zugleich als Plattform, die auch andere gegen Geld nutzen konnten.

Lesen Sie dazu auch: „Wie konnte Amazon so allmächtig werden?“

A N Z E I G E

neuroflash

 

Wie einfach man diesen Zugriff bekommen konnte, erstaunte damals viele – u.a. James Hamilton, der später Teil des AWS-Teams wurde und sich in diesem Post zurückerinnert: Man legte sich einen Account an, hinterlegte seine Kreditkarte und das war’s. Man konnte loslegen. Keine weiteren Absprachen oder Verhandlungen nötig. Und die Preise waren unverschämt gering. Schließlich musste es für Amazon gar nicht viel Geld einspielen.

Zugleich bezahlte man nur für das, was man wirklich nutzte. Man musste sich also nicht mit komplexen Tarifsystemen herumschlagen oder gar eigene Server aufsetzen und pflegen. Es gab bei S3 stattdessen einen Preis pro genutzten Gigabyte Speicherplatz und einen Preis pro Gigabyte Datenverkehr. Das machte das Angebot nicht nur sehr transparent, sondern zugleich enorm flexibel: Wurde die eigene Seite plötzlich von Besuchern gestürmt, konnte Amazons Infrastruktur entsprechend darauf reagieren. Nahm der Verkehr wieder ab, ebenso.

Dieses Angebot war natürlich besonders für Startups interessant. Während schnelles Wachstum früher zu technischen und finanziellen Problemen führen konnte, machte AWS das deutlich einfacher und stressfreier. Zudem könnte sich kaum ein Startup leisten, so hohe Kapazitäten überall auf der Welt vorzuhalten, nur weil man sie vielleicht einmal an einem Abend nach einem TV-Bericht braucht.

Interessanterweise taucht der Begriff „Cloud Computing“ hier noch nicht auf. Der wurde laut der englischsprachigen Wikipedia durch den nächsten Dienst populär, den AWS ab August 2006 anbot: Amazon Elastic Compute Cloud (EC2). Während S3 den Speicherplatz und die Auslieferung von Dateien ermöglichte, ging es bei EC2 um Rechenkraft. Das Modell war ähnlich wie bei S3: Man konnte jederzeit und flexibel Kapazitäten hinzubuchen oder auch wieder abbestellen.

Nebenbei bemerkt: Natürlich hat Amazon den Cloud-Begriff nicht erfunden. Schon in den 70ern wurde eine Wolke als Symbol für die abstrakte Gesamtheit eines Netzes genutzt. Aber der Erfolg von Amazons Angeboten machte den Begriff sicher einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Und der Erfolg war enorm.

AWS erklärt: Es ist wie eine Brauerei…

Was aber ist und macht AWS eigentlich heute? Das kann gerade für Nicht-Entwickler ein wenig nebulös erscheinen. In diesem Video gibt Amazon selbst einen Überblick auf English, der zumindest am Anfang auch für Laien geeignet ist bevor es dann um die technischen Details geht:

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Darin teilt AWS seine Angebote in vier Kategorien ein:

  • Speicherplatz (zum Beispiel für Bilder, Videos und andere Dateien bis hin zu kompletten Websites)
  • Rechenkraft (um eine Website oder einen anderen webbasierten Dienst auszuführen)
  • Datenbanken (um Informationen vorübergehend oder dauerhaft abzuspeichern, sowohl für Web-Angebote als auch für Backups)
  • Management-Tools (um all die Dienste, Bausteine und Projekte im Auge zu behalten, zu verwalten und um mit anderen zusammen zu arbeiten)

Kevin Kononenko hatte auf CodeAnalogies die schöne Idee, AWS mit einer Brauerei zu vergleichen. Demnach sind Speicher-Dienste wie S3 oder Glacier ein Platz für Dinge, die sich nicht ändern wie beispielsweise die Maschinen, mit denen das Bier gebraut wird oder für Werkzeuge, die die Mitarbeiter benötigen. Datenbanken wiederum sind auch eine Art Speicher, aber sie sind für Dinge gemacht, die dynamisch miteinander kombiniert werden, wie Flaschen und Etiketten oder auch die Zutaten fürs Bier.

Diese Analogie findet ihre Grenzen spätestens, wenn man sich mit einem Dienst wie EC2 beschäftigt. Darüber lässt sich wie erwähnt Rechenkraft passend zum Bedarf bestellen und abbestellen. Das wäre so, als würde man spontan und in Sekundenschnelle 30 weitere Brauereien bauen, weil die Nachfrage gerade steigt und sie sofort wieder aufgeben, wenn sie sinkt. Und noch besser: Diese Brauereien entstehen genau dort, wo die Nachfrage ist (siehe „Globale Infrastruktur“ weiter unten), um das Bier möglichst schnell zum Kunden zu bringen.

Was in der physischen Welt unmöglich ist, passiert laufend in der digital-virtuellen Welt von AWS. Dabei muss man sich weder als Betreiber des Web-Angebots noch als dessen Nutzer im Detail damit beschäftigen, was genau hinter den Kulissen vorgeht. Amazons Dienst schaltet Server hinzu oder lässt sie wieder weg – je nachdem, was gerade gebraucht wird.

Nach außen hin hat man eine Benutzeroberfläche, die zumindest Fachleuten simpel erscheint.

Globale Infrastruktur

Eine große Stärke des Cloud-Dienstes von Amazon ist bei alldem seine globale Infrastruktur. Es hat seine Ressourcen auf derzeit 20 „Regionen“ weltweit verteilt, die wiederum insgesamt 61 „Availability-Zonen“ vorhalten, in denen sich mehrere Rechenzentren finden können (Stand: März 2019). Vier neue Regionen sind für 2020 angekündigt: Bahrain, Hong Kong, Italien und Südafrika. In Europa finden sich derzeit die Regionen Frankfurt am Main, Irland, London, Paris und Stockholm.

Für weltweit operierende Unternehmen ergibt sich daraus eine hohe Verfügbarkeit. Und besonders Echtzeit-Dienste profitieren von kurzen Übertragungswegen: Die Daten werden nicht über den halben Globus verschickt, sondern kommen in der Regel aus einem Rechenzentrum in der Region des Nutzers.

Die Bereiche der Amazon Web Services

AWS-Angebote
Übersicht zu AWS-Angeboten auf der Website aws.amazon.com

Letztlich muss man festhalten: Über seine bescheidenen Anfänge ist AWS inzwischen deutlich hinausgewachsen. Mittlerweile werden beinahe 100 verschiedene Cloud-Dienste angeboten. Hier einige wichtige Bestandteile von AWS kurz erläutert:

Netzwerk: Die Inhalte der AWS-Dienste können mithilfe eines Content Delivery Network, kurz CDN, namens CloudFront bereitgestellt werden. Nicht nur einzelne Dateien lassen sich darüber verbreiten: Bei entsprechender Konfiguration ist das auch für komplette Domains möglich. Dies kann auf Wunsch natürlich auch SSL-verschlüsselt geschehen. Ein CDN sorgt dafür, dass Inhalte zuverlässig und schnell ausgeliefert werden, auch wenn gerade besonders viele Nutzer darauf zugreifen. Es entlastet so gesehen den Webserver, auf dem die eigentliche Web-Applikation liegt.

Speicherplatz: Unternehmen können über AWS nahezu beliebig große Datenmengen speichern. Über den oben bereits genannten Filehosting-Dienst S3 wird die Speicherung sichergestellt. Der Dienst Glacier wiederum ist für Langzeit-Speicherung gedacht. Der Nutzer zahlt wie erwähnt nur für den tatsächlich verbrauchten Speicherplatz.

Cloud Server: AWS-Anwender können auf virtuelle Server zugreifen (die „Brauereien“ aus dem Beispiel oben). Bei der Wahl des Betriebssystems ist das Angebot flexibel: Damit wird Microsoft-Windows-Anwendern ebenso entsprochen wie Linux-Nutzern. Abgerechnet wird Stunden- oder auch Sekundenweise.

Datenbankservices: Datenbank ist nicht gleich Datenbank und so bietet AWS verschiedene Arten und Systeme an. Sie alle haben das Versprechen gemein, dass sie in Millisekunden antworten und Millionen von Anfragen pro Sekunde bearbeiten können.

Entwicklungstools: Programmierer finden praktisch alle notwendigen Werkzeuge – von der Entwicklung, der Analyse, des Testings und der Bereitstellung mobiler Anwendungen.

AWS Marktplace: Hier stellen unabhängige Anbieter Software zur Verfügung, die dann direkt auf der AWS-Infrastruktur läuft. Nutzer finden eine große Auswahl an Anwendungen aus den Bereichen Big Data, IoT oder auch AI.

AWS und künstliche Intelligenz 

Apropos AI: AWS kann und will sich auch dem boomenden Thema Artificial Intelligence nicht verschließen. Entwickler sollen zukünftig mit Optionen für Deep Learning versorgt werden.

Mit Amazon Lex lassen sich Konversationsschnittstellen für Text und Sprache erstellen. Amazon Polly wiederum ermöglicht es, Text in natürliche Sprache zu konvertieren. Dabei werden 24 Sprachen und 47 Stimmen unterstützt. Amazon Rekognition soll es möglich machen, Gesichter in Bildern zu erkennen – ein auch intern höchst umstrittenes Projekt, weil es mit zweifelhafter Zuverlässigkeit u.a. von der Polizei eingesetzt wird.

Wer nutzt den Dienst?

AWS ist längst nicht mehr nur ein Anlaufpunkt für Startups, die aus Kostengründen auf ein eigenes Rechenzentrum verzichten. Auch renommierte Firmen wie Bayer, Philips, Airbnb oder Zalando nutzen AWS. In Deutschland zählen 80 Prozent der DAX-Unternehmen zu den Kunden der Dienste.

Seit einigen Jahren wird ebenfalls der AWS-Einsatz in Behörden und öffentlichen Einrichtungen vorangetrieben. Vorreiter dieses Kundensegmentes sind die Universität in Heidelberg oder die Berliner Philharmoniker, die ihren Video-Bestand in die AWS-Cloud verlagert haben.

Ausgewählte Fallstudien gibt es auf der AWS-Website auch auf Deutsch. Dies sind natürlich nur die Erfolgsgeschichten, denn es ist Werbung in eigener Sache. Nützlich sind diese Beispiele trotzdem, da sie verschiedene Anwendungsmöglichkeiten und Einsatzszenarien zeigen.

Wie allgegenwärtig AWS tatsächlich ist, fand die Gizmodo-Autorin Kashmir Hill in einem Selbstversuch heraus. Sie verzichtete im Zuge dessen auf Angebote der Techgiganten. Gleich in der ersten Woche versuchte sie sich an Amazon und ließ nicht nur auf die Shopping-Seite weg oder die Alexa-Geräte. Über eine technische Vorrichtung wurde jedes Angebot automatisch blockiert, das in irgendeiner Form Amazons Cloud-Dienste nutzte. Ergebnis: Sie konnte nur noch einige wenige ihrer gewohnten Dienste nutzen. Denn selbst Konkurrenten wie Netflix, die mit Amazon um den Video-Streamingmarkt kämpfen, setzen auf AWS.

Inzwischen ist AWS zu einer bedeutenden Einnahmequelle für Amazon geworden. Im April 2015 konnte das Unternehmen erstmals berichten, dass das Angebot profitabel ist. Analysten waren damals deutlich überrascht. Im ersten Quartal 2016 machte AWS schließlich mehr Gewinn als Amazons Shop in Nordamerika.

Und das Wachstum geht munter weiter: Im vierten Quartal 2018 konnte man eine Steigerung um 45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr vermelden. Im gesamten Jahr lag der Umsatz bei knapp 30 Milliarden Dollar. Interessant ist dabei, wie profitabel die Cloud-Angebote sind: 70 Prozent von Amazons Betriebsgewinn kommen von AWS, obwohl es nur 10 Prozent des Umsatzes ausmacht.

Die größten AWS-Konkurrenten sind Microsoft, Google und IBM.

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Datenschutz und andere Kritik

Amazon ist wie Facebook oder Google ein Unternehmen, dessen Geschäftsmodell zumindest auch auf dem Sammeln von Nutzerdaten beruht. Dass ausgerechnet dieses Unternehmen nun das Rückgrat des Internets stellt, lässt so manchen Datenschützer unruhig werden. Dass Amazon dabei US-Behörden wie die Polizei oder die CIA als Kunden hat, macht das nicht gerade einfacher. Und es erscheint zweifelhaft, dass Amazon seine Kunden in Europa lange verteidigen und schützen würde, wenn der Druck aus Washington zu groß würde.

Immerhin erlaubt AWS es, Daten nur in einer definierten Region vorzuhalten, also in Europa beispielsweise in Frankfurt am Main. Dann sollen sie auch nur dort zu finden sein. Amazon betont zudem, dass die Datensicherheit sowohl durch die internationale Normungsorganisation ISO als auch das deutsche Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zertifiziert sei. Außerdem können Unternehmen ihre Daten noch einmal selbst verschlüsseln – was aber natürlich nur für Daten gilt, die lediglich abgelegt werden. Sollen sie mit einem der zahlreichen anderen AWS-Dienste be- und verarbeitet werden, müssen sie vorher entschlüsselt werden.

Andere Kritik richtete sich gegen AWS vor allem, wenn ein Ausfall in ihren Rechenzentren zu Ausfällen in weiten Teilen des Internets führt. Das Unternehmen hat hier eine enorme Verantwortung, da es nun einmal von so vielen großen Anbietern im Netz eingesetzt wird. Allerdings muss man sich hier auch die Frage stellen, mit welchem Ressourceneinsatz man in Eigenregie eine ähnlich hohe Performance und Verfügbarkeit erreichen könnte.

Schlusswort

Die Vielfalt des Amazon Web Services hat auch ihre Schattenseiten: Unternehmen mit wenig Cloud-Erfahrung zeigen sich nicht selten vom Angebot überfordert. Damit scheint AWS seinen vorrangigen Kundenkreis auch weiterhin in Entwicklern und Infrastruktur-Profis zu finden. Und selbst die haben eine doch recht steile Lernkurve zu absolvieren, um sich im Dickicht der Angebote zurechtzufinden. Eine Hilfe gibt hier der Artikel „AWS in Plain English“: Er erklärt die Services und findet sinnvolle Alternativen zu den oftmals kryptischen Namen.

Und die Flexibilität der Kosten kann auch zu überraschend hohen Rechnungen führen, wenn man erfolgreicher ist als erwartet. Das hat gerade erst Pinterest erleben müssen: Statt 170 Millionen US-Dollar kostet sie Amazons Cloud-Infrastruktur 190 Millionen US-Dollar im letzten Jahr.

Die Nutzer hatten gerade in der Vorweihnachtszeit deutlich mehr geklickt als geplant.


Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 69

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