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Wie konnte Amazon so allmächtig werden?

Amazon startete als eine belächelte Idee: Bücher übers Internet zu verkaufen. Heute ist es ein E-Commerce-Gigant, der die Großen der Branche zu Fall bringen kann und dabei gleichzeitig verändert, wie wir einkaufen. Außerdem ist es ein wesentlicher Teil des Internet-Rückgrats. Und mit seinem Assistenten Alexa will es in unserer Zukunft allgegenwärtig sein. Wie konnte es dazu kommen? Was lässt sich aus der Geschichte lernen? Das hat sich Jan Tißler für diesen Beitrag genauer angesehen.

(Illustration nutzt eine Grafik von: © sahuad, depositphotos.com)

Amazons Meilensteine

Amazon ist heute atemberaubend groß. 2018 hat das Unternehmen 233 Milliarden US-Dollar Umsatz gemacht, also rund 205 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Damit ist es beinahe auf Augenhöhe mit Deutschlands umsatzstärkstem Unternehmen Volkswagen (235,8 Milliarden Euro). 

Aber wann ist Amazon eigentlich so groß geworden? 2016, sagt Alexis C. Madrigal in seinem Artikel für das Magazin „The Atlantic“. Er sieht das als ein entscheidendes Jahr und  macht das anhand einer Zahl fest, die Amazon in seinen Quartalsberichten bekannt gibt: wie viele Quadratmeter an Immobilien das Unternehmen besitzt. Er hat das in dieser Grafik visualisiert:

(Quelle: Alexis C. Madrigal, The Atlantic)

Konkret hat Amazon laut seines Jahresberichts für 2018 nun 26,76 Millionen Quadratmeter Lagerhäuser, Büros, Ladengeschäfte und Rechenzentren. 2017 war das Jahr des größten Wachstums: 6,93 Millionen Quadratmeter kamen hinzu. Das ist mehr als Amazon 2012 insgesamt hatte (6,79 Millionen Quadratmeter). Und zu dem Zeitpunkt war das Unternehmen bereits der größte Onlinehändler der Welt. Ein weiterer Vergleich: Amazons Immobilienbesitz ist heute 48 Mal größer als im Jahr 2004.

Wie Alexis C. Madrigal betont, wird dieses enorme Wachstum vor allem von immer mehr Lagerhäusern getrieben. Amazon will eben Waren an immer mehr Kunden immer schneller zustellen zu können. 

Die Anfänge dieses erstaunlichen Unternehmens waren dagegen mehr als bescheiden und finden sich, wie so oft in diesen Geschichten, in einer Garage. 1994 startete Jeff Bezos Amazon als Online-Buchladen. Ursprünglich sollte das Angebot „Relentless“ heißen („erbarmungslos“). Eingetragen wurde die Firma zunächst unter dem Namen Cadabra. Dann fiel die Wahl auf den größten Fluss der Erde als Namenspatron. 

Amazons erste Website (Quelle: Amazon)

Der digitale Amazonas ist seitdem mächtig angeschwollen: Die Seite hat inzwischen mehr als 30 Kategorien hinzugefügt.

Einige Highlights aus der Geschichte:

  • 1996 kam das heute berühmte Affiliate-Programm hinzu. 
  • 1997 ging Amazon bereits an die Börse. Im Zuge des Dot-Com-Booms legte die Aktie zunächst ordentlich zu, wurde dann aber im Börsencrash ebenfalls abgestraft. Seitdem aber ist sie in einer stetigen Aufwärtsbewegung.
  • Im Jahr 2000 öffnete Amazon sich für andere Händler und startete seinen Marketplace – dank eines 15%-Anteils an jedem Verkauf hat sich das sehr gelohnt. Inzwischen macht der Marketplace international 40% der Shop-Umsätze aus.
  • 2005 wird die „Prime“-Mitgliedschaft eingeführt.
  • 2007 kam der Kindle-Reader. Er war bei weitem nicht das erste Lesegerät seiner Art. Aber dank der Anbindung an Amazon war das Inhalte-Problem sofort gelöst.
  • 2014 erscheint der erste Amazon Echo.
  • 2014 wird außerdem „Prime Now“ vorgestellt: Wer in der passenden Region wohnt, kann bestimmte Waren innerhalb von zwei Stunden zugestellt bekommen – gegen einen weiteren Aufpreis auch in einer Stunde.
  • 2017 kauft Amazon die strauchelnde Bio-Supermarktkette Whole Foods für knapp 14 Milliarden US-Dollar.

A N Z E I G E

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Amazons Grundprinzipien

Wachstum ist wichtiger als Gewinn

Ein Grundprinzip von Amazon ist besonders unter seinen Investoren berühmt: Gewinne sind nicht so wichtig wie Wachstum. Die folgende Grafik von Recode zeigt das sehr deutlich:

Amazons Umsätze (rot) und Gewinne haben sehr unterschiedliche Trendkurven… (Quelle: Recode)

Was passiert da? Amazon investiert seine steigenden Umsätze stets in neue Unternehmungen. Zugleich werden Konkurrenten unterboten, denen Gewinne wichtiger sind als Wachstum. Trotzdem hat Amazon genug Geld, um beispielsweise die Bio-Supermarktkette Whole Foods aufzukaufen, denn das Unternehmen hat jede Menge Cashflow.

Inzwischen fährt Amazon immerhin einen kleinen Gewinn ein und ist nicht mehr stets im Minus. Es ist trotzdem eindeutig, dass die Priorität weiterhin beim Wachstum liegt. Denn nach Jeff Bezos’ Worten ist es noch immer „Tag 1“ der Unternehmung.

Die Kunden sind das Wichtigste überhaupt

Letztlich konnte sich kein Investor über die ausbleibenden Gewinne beschweren, denn Jeff Bezos hatte es in seinem inzwischen berühmten Brief an die Anteilseigner 1997 bereits unmissverständlich angekündigt. Damit den keiner vergisst, wird dieser Brief auch später immer wieder ans Ende neuer Mitteilungen kopiert, so wie hier.

Ein anderer Punkt spiegelt sich in diesem Brief ebenfalls wieder: Die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden stehen im Mittelpunkt. Das wird gar als „Besessenheit“ „(„Obsession“) bezeichnet, um gar keine Zweifel aufkommen zu lassen. Dort heißt es weiterhin:

„Amazon.com uses the Internet to create real value for its customers and, by doing so, hopes to create an enduring franchise, even in established and large markets.“ – Jeff Bezos 1997

Langfristig denken

Aus dem Brief geht auch hervor, dass es bei Amazon nicht um kurzfristige, sondern um langfristige Ziele geht – teils sehr langfristige Ziele. Im Zuge dessen sei es wichtig, mutige Investitionen zu tätigen. Einige davon würden sich auszahlen, schrieb Bezos. Aus den Fehlschlägen werde man etwas lernen.

Eine solche Fehlerkultur wird selbst heute, über 20 Jahre später, von vielen sicherlich noch immer als radikal angesehen.

Beweglichkeit zahlt sich aus

Amazon ist heute nicht nur um ein Vielfaches größer, sondern auch komplexer als noch vor einigen Jahren. Trotzdem kann das Unternehmen vergleichsweise schnell auf neue Entwicklungen reagieren, wie Benedict Evans in seinem Artikel beschreibt. Aus seiner Sicht besteht Amazon aus zwei Firmen: dem Logistik-Teil und dem E-Commerce-Teil. Oberhalb dieser beiden findet sich eine radikal dezentralisierte Organisation, die aus hunderten kleiner Teams besteht. Jeff Bezos fasste dieses Prinzip dereinst unter dem Begriff „Zwei-Pizzen-Teams“ zusammen: Die Teams sollten klein genug sein, dass zum Feierabend zwei Pizzen für sie als Mahlzeit ausreichen.

Diese Teams nutzen standardisierte Werkzeuge und Systeme für ihre Arbeit. Benedict Evans schreibt:

„The obvious advantage of a small team is that you can do things quickly within the team, but the structural advantage of them, in Amazon at least (and in theory, at least) is that you can multiply them. You can add new product lines without adding new internal structure or direct reports, and you can add them without meetings and projects and process in the logistics and ecommerce platforms.“

Der Vorteil der kleinen Teams ist demnach also (zumindest theoretisch), dass sie sich schnell multiplizieren lassen. Man kann neue Produktlinien hinzufügen, ohne deshalb neue interne Strukturen aufsetzen zu müssen. Im Prinzip könne Amazon dadurch laufend weiterwachsen, ohne sich selbst im Weg zu stehen. 

Solche kleinen Teams bekommen zunächst nur ein kleines Budget und ein überschaubares Aufgabenfeld. Bewähren Sie sich, bekommen sie mehr Verantwortung, schreibt Timothy B. Lee.

Ein Nachteil nach den Worten von Benedict Evans ist allerdings, dass alles auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert werden muss, damit dieses flexible Prinzip so nahtlos klappt. Amazon könne sich breit aufstellen, aber eben nicht tief. Auf diesen Nachteil gehe ich weiter unten noch ein. Denn das gibt spezialisierten und smarten Onlineshops eine Chance, gegen den Giganten Amazon zu bestehen.


Amazons Gegenwart

Shop und Marktplatz

Natürlich ist Amazon noch immer ein E-Commerce-Angebot. Allerdings zeigt der Erfolg des Marktplatzes, warum manche Beobachter das Unternehmen eher als Plattform-Anbieter ansehen. Schon seit dem Jahr 2000 ist Amazon schließlich offen für andere Händler und auch für Hersteller. Das führt so weit, dass so manches Startup gar keinen anderen Drittanbieter in Sachen Vertrieb mehr in Erwägung zieht, wie das Beispiel Wyze zeigt. 

Werbung

Letztlich ist Amazons Website nicht nur ein Shop und Marktplatz, sondern auch eine Suchmaschine. Wer etwas kaufen will, schaut heute nicht mehr unbedingt bei Google, sondern bei Amazon. Insofern ist nur folgerichtig, dass Amazon inzwischen einen Werbeservice anbietet, der den Google Ads sehr ähnlich ist. Mehr dazu in einem weiteren Artikel in dieser Ausgabe. Zugleich aber weiß Amazon natürlich eine ganze Menge über seine Kunden. Dazu gehören offensichtliche Dinge wie der Wohnort. Aber auch aus den Bestellungen selbst lässt sich erstaunlich viel ableiten, das dann wiederum für gezielte Werbung genutzt werden kann.

Ein konkretes Beispiel aus der Praxis: Ein Hersteller von kohlenhydratarmen Snacks wusste bereits, welche anderen Produkte seine potenziellen Kunden kaufen. Via Amazon konnte das Unternehmen genau diese Menschen mit seiner Werbung erreichen und erzielte dabei eine sagenhafte Konversionsrate von 20 Prozent, wie die New York Times berichtet.

In den USA ist Amazon inzwischen zur Nummer 3 hinter Google und Facebook aufgestiegen, wenn es um digitale Werbung geht. 4,15% Marktanteil sehen natürlich gegenüber Google (37,14%) und Facebook (20,57%) trotzdem bescheiden aus. Aber aufgrund seiner Datenbasis hat Amazon eine echte Chance, seine Position hier weiter auszubauen.

Ein Indiz: Laut einer Berfragung der Marketing-Spezialisten Catalyst hatten nur 15% der Unternehmen das Gefühl, bereits genug Ressourcen auf Amazons Ads zu verwenden. 63% erklärten, sie wollten ihre Investitionen erhöhen.

Und diesen Plan haben nicht nur Unternehmen, die Produkte auf Amazon anbieten, wie die New York Times weiter berichtet. Auch Unternehmen wie Verizon, AT&T und Geico haben ihre Werbeausgaben auf Amazon inzwischen erhöht. Zugleich geht es dabei gar nicht immer nur um digitale Werbung: Unternehmen experimentieren u.a. auch mit Anzeigen auf Amazon-Paketen. Die Wachstums-Potenziale scheinen enorm.

Neben der kaufbereiten Zielgruppe und einem oftmals treffsicheren Targeting gibt es dafür noch ein weiteres Argument: Brand Safety. Während Plattformen wie YouTube regelmäßig mit Skandalen zu kämpfen haben, ist Amazons Website eine vergleichsweise sichere und regulierte Umgebung.

Eigenmarken wie Amazon Basics

Inzwischen finden sich unter der „Amazon Basics“-Marke nicht mehr nur simple Dinge wie Kabel, sondern zum Beispiel auch diese Mikrowelle. (Foto: Amazon)

Die Daten aus Suchen, Verkäufen und Bewertungen nutzt Amazon inzwischen nicht mehr nur, um die eigene Seite zu optimieren oder Werbung auszuliefern: Zunehmend stellt der Shop seine eigenen Waren her. Produkte mit dem „Amazon Basics“-Logo finden sich in immer mehr Kategorien. Für so manchen Hersteller und Händler ist es deshalb ein mulmiges Gefühl, auf Amazon zu verkaufen oder Werbung zu schalten: Schließlich verdient die Plattform nicht nur mit, sondern lernt auch mit.

Vor allem Hersteller und Händler mit günstigen, leicht herzustellenden und viel gesuchten Produkten müssen sich hier in acht nehmen. Denn was die Globalisierung ihnen ermöglicht, ist auch ihre Achillesverse: Amazon kann es ebenso in Auftrag geben, dabei all das richtig machen, was Kunden bei anderen Angeboten bemängeln und sie aufgrund der schieren Größe beim Preis unterbieten.

Aber es gibt nicht nur Amazon Basics: Das Unternehmen ist beispielsweise auch mit eigenen Marken für Schuhe und Kleidung präsent. Und da ist es oft gar nicht nach außen hin sichtbar, dass es sich um eine Amazon-Hausmarke handelt.

Alexa und Echo

Mit dem Amazon Echo hat das Unternehmen eine neue Produktkategorie geschaffen und seinen Assistenten Alexa in viele Haushalte gebracht. (Foto: Amazon)

Anfangs wurde der Smartspeaker Echo nicht so recht ernst genommen. Inzwischen hat er aber eine ganze Gerätekategorie gestartet. Konkurrenten wie Google oder auch Apple versuchen mit unterschiedlich viel Erfolg, den Vorsprung aufzuholen.

Zugleich ist der Sprachassistent Alexa nicht auf die hauseigenen Geräte beschränkt. Amazon bot ihn als Plattform an und mit einem Mal fand er sich in zahlreichen Produkten der unterschiedlichsten Anbieter. Über „Skills“ lässt sich der Funktionsumfang zudem durch jeden Interessierten erweitern. 

Lesen Sie dazu auch: „Sprachsuche, digitale Assistenten und Smart Speaker verändern das Marketing“

Im Grunde hat Amazon mit Alexa das gemacht, was Google zuvor mit Android vorgemacht hat: Es wollte sich seinen Platz auf einer neuen Plattform sichern, also bot es kostenlos eine Lösung dafür an. Der Such- und Werberiese Google kopiert nun dieses von ihm kopierte Vorgehen – mit massivem Geldeinsatz.

Ob sich Alexa für Amazon lohnt, ist dagegen bisher offen. Nur wenige Nutzer scheinen darüber bisher einzukaufen. Aber wie oben ausgeführt: Amazon denkt langfristig. Was heute noch eine Nische ist, kann in drei, fünf, sieben Jahren zu einem einträglichen Geschäft werden.

Kindle

Mit den Kindle-Lesegeräten plus E-Book-Store hat Amazon den Bereich umgekrempelt und weitgehend für sich gewonnen. Vor allem seit mit Kindle Unlimited eine Flatrate eingeführt wurde, hatte das interessante Nebenwirkungen: Eine lebendige Szene unabhängiger Schreiber und Publisher ist hier entstanden. Auch in Deutschland verdient sich so mancher damit etwas dazu, einige können auch vollständig davon leben.

Und auch wenn sich nicht jeder ein Gerät nur zum Lesen anschaffen mag, ist die Kindle-App natürlich auf allen wesentlichen Plattformen präsent. Mit den „Fire Tablets“ versuchte man auch in diesen Markt vorzustoßen. Wie erfolgreich die sind, ist unbekannt. 

Andere Hardware

Unter der „Fire“-Marke erschien außerdem ein letztlich geflopptes Smartphone. Hier hatte sich Amazon wohl nicht auf die eigenen Daten verlassen, als es entwickelt wurde. Und auch „Fire TV“-Geräte gehören dazu, mit denen man jeden Fernseher in einen smarten Fernseher verwandeln kann (der dann natürlich problemlos mit Amazons Angeboten zusammenarbeitet). Die wiederum scheinen beliebt und erfolgreich, soweit sich das von außen beurteilen lässt.

Amazon kauft darüber hinaus gern passende Startups ein. Blink, Ring oder auch Eero gehören dazu und zeigen alle in eine Richtung: Smart Home. Hier kommt  erneut der digitale Assistent Alexa samt der Echo-Produktfamilie ins Spiel: Sie fungieren als zentrale Schaltstelle und setzen Kommandos auf Zuruf um.

Sammelsurium Amazon Prime

Amazon Prime ist im Grunde nichts anderes als ein Abo- oder Mitgliedschafts-Geschäftsmodell: Man bezahlt einen jährlichen Preis und hat dafür exklusive Vorteile. So bezahlt man für eine besonders schnelle Lieferung nicht mehr extra. Zugleich fügt Amazon laufend neue Inhalte und Angebote hinzu. So hat man hier einen Netflix-Konkurrenten, Musikstreaming und einiges mehr.

Die Idee ist: Irgendetwas wird dich schon dazu bringen, Prime-Kunde zu werden. Und dann wird es genug Angebote geben, dass du es nicht so schnell wieder abbestellst. Platform-Lock-In nennt man das: Man hat sich selbst in den Plüschkäfig eines Unternehmens begeben. 

Und das funktioniert: In den USA soll nach Angaben von Analysten mehr als die Hälfte aller Internethaushalte zugleich Prime-Mitglieder sein, wie das Wall Street Journal berichtet. Wie Untersuchungen zeigen, bestellen Prime-Kunden zudem mehr, je länger sie Mitglied sind. Und wozu noch nach Alternativen schauen, wenn man doch schon für Amazons Service vorab bezahlt hat? 

AWS

Ein eigener Artikel stellt die Amazon Web Services genauer vor. Sie starteten im Grunde als Nebenprojekt: Amazon stellte seine technische Infrastruktur auf ein neues, stärker automatisiertes, global aufgestelltes und flexibles System um. Zugleich dachte man sich: Warum nicht einige dieser Kapazitäten auch gegen Geld anbieten? Inzwischen trägt AWS etwa 10 Prozent des Umsatze und rund die Hälfte aller Gewinne bei. Dabei hatte so mancher Marktbeobachter anfangs gewettet, dass es ein Verlustgeschäft für Amazon werden würde.

Während es anfangs vor allem gern von Startups genutzt wurde, sind inzwischen mehr und mehr große Namen unter den Kunden – selbst Konkurrenten wie Netflix.

Logistik

Frachtflieger „Amazon One“ (Foto: Amazon)

Amazon schaut sich jeden einzelnen Bestandteil seines Geschäfts an, um nach Optimierungspotenzial zu suchen. Zugleich denkt das Unternehmen gleichzeitig an neue Plattformen, die man anderen anbieten kann. Logistik gehört natürlich dazu: Nicht nur hat Amazon inzwischen atemberaubend viel Lagerfläche, es hat eigene Lieferdienste vom Zustellwagen bis zum Frachtflugzeug. Mit dem „Amazon Locker“ hat es einen Konkurrenten zur DHL „Packstation“ im Angebot. Und mit Zustellrobotern ist die nächste Langzeit-Wette auf die Zukunft bereits unterwegs.

Zudem will Amazon das alles nicht nur selbst nutzen. Schon heute können schließlich Händler den Lagerraum und Versand via Amazon nutzen (Fulfillment by Amazon, FBA genannt). Dadurch kann das Unternehmen Projekte wie neue Lagerhäuser von Anfang an größer planen, es verdient etwas an diesen Angeboten mit und zugleich wird das Kundenerlebnis besser: Schließlich kann man sich bei „Versand durch Amazon“ darauf verlassen, die gleiche Qualität zu bekommen wie bei Waren, die Amazon selbst anbietet.

Ladengeschäfte

Kassenloses Ladengeschäft „Amazon Go“ in Seattle. (Foto: Amazon)

Seit 2017 gehört wie oben erwähnt die Bio-Supermarktkette „Whole Foods“ mit ihren fast 500 Geschäften zu Amazon. Und damit nicht genug: Amazon plant weitere Ladengeschäfte – sowohl für Lebensmittel als auch für andere Waren. Es experimentiert bereits mit Buchläden und will kassenlose Geschäfte einführen.

Für Amazon ergibt das eine Menge Sinn, denn der meiste Umsatz im Handel wird noch immer in physischen Ladengeschäften gemacht. Zudem lässt sich deren Kundschaft über Lieferdienste erweitern. Und natürlich kann das Unternehmen auf seinen Datenschatz zugreifen und wiederum Amazon Prime ins Spiel bringen.

Überraschend ist das alles nicht. Amazon will viel mehr als nur den Online-Handel dominieren. Und Lebensmittel beispielsweise stehen für 20 Prozent der Verbraucher-Ausgaben, wie Ben Thompson hier ausführt. Da ist also ein lohnendes Geschäftsfeld zu finden. Warum es nicht besetzen und mit digitalen Diensten auf das nächste Level heben? 

Zudem könne Amazon dieses System rund um Lebensmittel auch für andere Zwecke nutzen und bspw. zum Lieferant für Restaurants werden, spekuliert Thompson. Es gehe Amazon nicht darum, Ladengeschäfte zu haben. Es gehe um eine weitere Plattform, auf der sich aufbauen lässt – genauso wie der Online-Shop samt Marketplace oder AWS. Ein weiteres Beispiel dafür ist eventuell der Lieferdienst „Amazon Restaurants“, der ebenfalls auf vorhandenen Strukturen aufbauen kann.

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Amazons Zukunft

Trotz seiner beeindruckenden Größe hat Amazon noch viele Wachstums-Chancen, selbst wenn es nur ums Kerngeschäft E-Commerce geht. Man sieht das beispielhaft an zwei Zahlen: In den USA hat das Unternehmen zwar rund die Hälfte des E-Commerce-Marktes in der Hand. Insgesamt steht es aber für nur fünf Prozent des Umsatzes im Handel (ohne Autohandel, Restaurants und Bars). Zum Vergleich: Walmart erreicht hier zehn Prozent. Es scheint aber unvermeidlich, dass der Handel auch in den USA mehr und mehr ins Internet abwandern wird. In anderen Ländern wie China oder Südkorea ist der Anteil des E-Commerce schon bedeutend höher: 23 und 16 Prozent, verglichen mit 10 Prozent in den USA. Eine weitere Zahl: Weltweit hat Amazon nach eigenen Aussagen nur einen Marktanteil von unter einem Prozent an den Handelsumsätzen.

Kein Wunder, dass Amazon zu den vielen Unternehmen gehört, die autonome Zustellroboter entwickeln und einsetzen wollen. Die könnten schließlich nicht nur den Onlinehandel verändern, wenn sie punktgenaue und schnelle Zustellung rund um die Uhr ermöglichen. Sie haben dasselbe Potenzial auch für den stationären Handel: Zustellung auf Abruf ist heute nur für wenige Waren wie beispielsweise Essens-Lieferdienste sinnvoll. Mit autonomen Flotten von Zustellrobotern könnte das auch für andere Einkäufe gelten.

Aber natürlich fliegen Amazon nicht automatisch die Kunden zu, wie sich in China zeigt. Das sonst so übermächtige scheinende Unternehmen hat hier nicht viel zu melden.

Das aber hält es nicht davon ab, in viele weitere Bereiche vorzustoßen. Künstliche Intelligenz gehört dazu, aber auch Augmented und Virtual Reality. Wer mehr darüber wissen möchte, dem sei dieser sehr ausführliche Überblick auf English empfohlen.

Die neuen „Spheres“ sind Teil von Amazons Hauptquartier in Seattle. (Foto: Amazon)

Kritik und Stolpersteine

Aber auch bei Amazon ist nicht alles eitel Sonnenschein. Amazons Website und Marktplatz galten zum Beispiel lange als Vorbild und als Grund für den Erfolg des Unternehmens. Die Webpräsenz taugt heute aber besser als abschreckendes Beispiel. Dutzende von hässlichen Elementen buhlen hier um die Aufmerksamkeit des Nutzers, ein Wimmelbild, in dem man nur noch mit Mühe das findet, wonach man sucht. Produkte und Produktvarianten finden sich über etliche Angebotsseiten verstreut. Die Suche lässt sich oftmals nur schwer eingrenzen. Vergleiche sind nur mit hohem Aufwand möglich. 

In Deutschland mag das (noch) anders sein. Ich berichte von meinen Erfahrungen mit Amazon in den USA und bin damit nicht allein: Katie Notopoulos beschreibt es bei BuzzFeed, Ian Bogost schildert ähnlichen Frust beim Atlantic.

Amazon hat zudem ein Problem mit Fälschungen oder schlicht Betrügern. Dem will man jetzt zwar stärker entgegenwirken. Aber ob das mehr ist als ein Lippenbekenntnis, muss man erst einmal abwarten.

Und nicht zuletzt floriert das Geschäft mit gefälschten Bewertungen.

Mit anderen Worten: Es wird zum einen immer schwieriger, genau das zu finden, was man sucht. Und selbst wenn man es findet, kann man sich zum anderen nicht darauf verlassen, was man am Ende wirklich bekommt. Und das ist ein Problem, das Amazon zu vernachlässigen scheint oder auf jeden Fall lange vernachlässigt hat.

Stattdessen konzentriert man sich darauf, die kostenpflichtige Prime-Mitgliedschaft zu verkaufen. Bisweilen sind beliebte Produkte sogar nur noch für Mitglieder bestellbar. Das war für mich persönlich der Punkt, an dem ich mich nach Alternativen umgesehen habe und nur noch bei Amazon bestelle, wenn es tatsächlich die beste Variante ist. Dank Amazons Verkaufstaktik bin ich deshalb hier in den USA zum Beispiel auf B&H aufmerksam geworden: ein ursympathisches Unternehmen mit Sitz in New York, bei dem ich nun alles kaufe, was mit Foto, Video, Computern und anderer Elektronik zu tun hat.

Und das zeigt zugleich: Auch wenn Amazon riesig und übermächtig erscheint, haben andere Onlinehändler trotzdem eine Chance. So wie B&H eine klar umrissene Zielgruppe bedient, können das andere auch. Guter und möglichst persönlicher Service gehören natürlich dazu und eine gut gemachte Website mit nützlichen Inhalten. In Deutschland ist ein Beispiel dafür Thomann: klare Nische, hilfreiche Informationen auf der Website, persönliche Ansprechpartner, gute Preise bei prompter Lieferung. Und natürlich hat es ein spezialisierter Onlineshop viel einfacher, seine Produktkategorien sinnvoll und zielgruppengerecht aufzubereiten als ein Anbieter wie Amazon, bei dem ein System alles abbilden soll.

Darüber hinaus gerät Amazon immer wieder in die Schlagzeilen, weil es ethisches Wirtschaften nicht als Priorität ansieht. Man denke nur an die minimale Bezahlung vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, während Jeff Bezos seine Milliarden vor allen in Raketen steckt, Auch das Gerangel um den Standort des zweiten Amazon-Hauptquartiers in den USA sorgte für einige nicht besonders freundliche Schlagzeilen. Städte und Regionen über- und unterboten sich in diesem Schauspiel gegenseitig. 

Derweil bezahlt Amazon keinerlei US-Bundessteuern auf seine 11,2 Milliarden Dollar Gewinn aus dem Jahr 2018. Müssen sie natürlich auch nicht. Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass es Aufgabe des Gesetzgebers wäre, entsprechende Schlupflöcher zu schließen. Oder man könnte andererseits erwarten, dass ein Unternehmen freiwillig etwas an die Gesellschaft zurück gibt, ohne die es nie möglich gewesen wäre. Stattdessen hat Amazon bspw. seinen Heimatstandort Seattle massiv unter Druck gesetzt, um eine zusätzliche Steuer zu verhindern – erfolgreich. Das Geld daraus sollte u.a. gegen das wachsende Problem mit Obdachlosigkeit eingesetzt werden. Zugleich ist Jeff Bezos außerordentlich geizig, wenn es um Wohltätigkeit geht.

Die Liste ließe sich fortsetzen. Amazon ist leider wie so viele Unternehmen vor allem am eigenen Wachstum interessiert und an nicht viel anderem – außer man kann eine gute Pressemitteilung daraus stricken. Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, dieses Thema erschöpfend zu behandeln. 


Schlusswort

Amazon ist ein bemerkenswertes Unternehmen. Und man muss sicherlich eine ganze Menge Respekt vor Jeff Bezos haben – zumindest wenn es um seinen Geschäftssinn geht. Es ist erstaunlich, wie konsequent das Unternehmen bis heute noch verfolgt, was es bereits 1997 in seinem Brief an die Anteilseigner beschrieben hat. Und es ist auch erstaunlich, wie radikal viele der Ideen und Prinzipien noch immer wirken, auf dessen Grundlage Amazon so erfolgreich geworden ist.

Amazons erstes Büro (Foto: Amazon)

Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 69

Amazon gehört neben Facebook und Google zu den Unternehmen, die das Internet zumindest in vielen westlichen Ländern prägen und mitbestimmen. Wir schauen uns in dieser neuen Ausgabe an, wie Amazon so mächtig werden konnte. Wir erklären, wie Sie mit Ihren Produkten auf dem Marktplatz vordere Plätze erreichen. Wir geben Ihnen Tipps zu effizienten Werbekampagnen. Und wir erklären, was es mit den Amazon Web Services auf sich hat. Bonus-Artikel: So vermeiden Sie Betrug im Affiliate-Marketing.

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