Angriff aus der zweiten Reihe

Tageszeitungen verlieren zusehends ihre Daseinsgründe ans Internet. Was die Verlage früher mit Kleinanzeigen verdienten, heimsen vermehrt Anbieter wie die Scout-Gruppe ein. Und ein Wochenmagazin wie der Spiegel informiert die Leser mit seinem Onlinedienst schneller und umfassender, als es eine gedruckte Zeitung je könnte. Zu allem Überfluss kommt nun der Angriff aus der zweiten Reihe: Weblogs und Podcasts drohen in den kommenden Jahren weitere Leser wegzuschnappen.

Eine Website haben inzwischen die meisten Tageszeitungen. In der Regel aber findet der Leser dort nur die mehr oder weniger geglückte Zweitverwertung der gedruckten Inhalte. Von exklusiven Online-Inhalten findet sich selten eine Spur. Eigene Internet-Produkte hat kaum ein Verlag entwickelt. Warum eigentlich nicht? Sie haben das Fachwissen und die Mannschaft dazu. Nur die Erfahrung im Umgang mit den Möglickeiten des Mediums Internet und den Erwartungen seiner Nutzer haben sie nicht. Man muss sagen: noch immer nicht. Elf Jahre ist es jetzt her, dass die ersten deutschen Tageszeitungen ins Internet gingen. Gelernt haben sie seitdem nicht viel.

Und das wird ihnen zunehmend zum Verhängnis.

Eine Krücke namens „E-Paper“

E-Paper sind ein schlagendes Beispiel für diese Fehlentwicklung. Mit großem technischen Aufwand werden die Seiten der Zeitung ins Internet verfrachtet. Schade nur, dass die Bildschirme quer sind und die Zeitungen hochkant. Aber mit einigen Krücken ist auch dieses Problem gelöst. Nur hat der Leser dann entweder die ganze Zeitungsseite oder aber den Artikel vor sich, nie beides. Hin- und herklicken ist angesagt, sofern das E-Paper überhaupt zuverlässig funktioniert.

Die Verlage und Journalisten sind offenbar so verliebt in die Optik einer Tageszeitung, dass sie das für eine gute Idee halten. Immerhin lassen sie sich solche Lösungen fünf- bis sechsstellige Euro-Beträge kosten.

Für das Geld hätte man sicher auch ein Produkt entwickeln können, das problemlos auf einen Computerbildschirm passt, auf jedem Rechner funktioniert, sich verlinken lässt usw. Man hätte für dieses Geld sogar den einen oder anderen Online-Journalisten einstellen können. Aber dann hätte man wahrscheinlich das Zeitungsseitenlayout nicht im Internet gehabt. Und das war wohl vielfach ein schlagendes Argument.

Ich bin schon gespannt, wie sie ihre E-Paper fit fürs mobile Internet machen wollen.

Der Spiegel macht’s vor

In der Zwischenzeit schickte sich jedenfalls ein wöchentliches Nachrichtenmagazin an, es ganz anders zu machen. Spiegel Online ist Deutschlands erfolgreichstes Nachrichtenportal. Was man am nächsten Tag in der Zeitung liest, steht dort schon heute – plus Bildergalerie, Videos und Hintergrundinformationen. Zunehmend wird Spiegel Online sogar zur Konkurrenz für TV-Nachrichten. Nur die notwendige Bandbreite bei den Nutzern fehlt noch. Aber die kommt und die Grenzen der verschiedenen Medien lösen sich so auf, wie es schon vor Jahren vorhergesagt wurde.

Leserbrief 2.0 und die Wirklichkeit

Und als wäre das nicht genug, droht in den kommenden Jahren zunehmend Gefahr aus der zweiten Reihe: Ehemalige Leser übernehmen selbst die Regie. Bei manchen Printjournalisten ist bereits der Begriff vom „User Generated Content“ angekommen. Das sieht dann beispielsweise so aus: Die Leser dürfen, da ist man ganz großzügig, gelegentlich einmal einen Beitrag kommentieren oder ein Bild hochladen – „Leserbrief 2.0“ sozusagen. Toll.

In der Wirklichkeit des Internets gehen Weblogs und Podcasts längst darüber hinaus. Fachleute profilieren sich, Firmen lassen die Nutzer an neuen Entwicklungen teilhaben, freie Journalisten entdecken viel freien Platz zum Ausleben. Ein Weblog ist in wenigen Minuten gestartet. Texte, Bilder, Audio, Videos: Alles kein Problem.

Nur an der Professionalisierung mangelt es heute oft noch. Theoretisch wäre es problemlos denkbar, mit einem Netzwerk lokaler Blogs einer Lokalzeitung gehörig Konkurrenz zu machen. Aber so weit denken viele Blogger noch nicht. Das wird sich ändern.

Ausblick

Das wird sich vor allem dann ändern, sobald interessante Einnahmemodelle zur Verfügung stehen. Denn die werbetreibende Industrie hat noch nicht angemessen auf den gewachsenen Stellenwert des Internets reagiert.

Wenn hier und auf anderen Wegen die Finanzlücke geschlossen wird, wird auch die Professionalisierungslücke geschlossen.

Und dann wird es für Tageszeitungen noch einmal deutlich enger.

Links

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3 Gedanken zu „Angriff aus der zweiten Reihe

  1. … mit einem Netzwerk lokaler Blogs einer Lokalzeitung gehörig Konkurrenz zu machen.

    Interessant. Muss halt mal jemand den kommerziellen Überbau durchdeklinieren.

    Es geht auch mit einem anderen Ansatz. hamburg.org filtert interessante Meldungen händisch zu einem aktuellen Mix zusammen.

  2. Ah, meine alte Heimatstadt. Vielen Dank für den Link. Das Projekt wäre nach meiner ersten Draufschau eine geeignete Plattform, um Hamburger Blogs zu vernetzen und gesammelt darzustellen. Was Blogs heute oft fehlt, ist ein wenig redaktionelle Feinarbeit. Es gibt zu vielen Themen sehr interessante Seiten, für die meisten Leser ist es aber zu mühsam, die alle im Auge zu behalten. Da wäre eine Redaktion gefragt, ein Redakteur allein würde vielfach sicher auch reichen.

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