Wie wir beinahe Ratgeber-E-Books revolutioniert hätten

Die Buchbranche ist im Umbruch und dabei geht es nicht nur darum, wer besonders erfolgreich seine gedruckten Bücher auch als E-Book zweitveröffentlicht. Es geht vor allem darum, wie ein Buch aussehen könnte, das von vornherein digital gedacht wurde. Mein UPLOAD-Mitstreiter Sebastian Schürmanns und ich hatten 2012 ein Projekt in Planung und teilweiser Umsetzung, bei dem es genau darum ging. In diesem Artikel möchte ich euch die Grundüberlegungen vorstellen, was wir schon geschafft und angefangen hatten und warum es am Ende doch nichts geworden ist.

Bild: chris.corwin, flickr.com. Lizenz: CC BY SA 2.0
Bild: chris.corwin, flickr.com. Lizenz: CC BY SA 2.0

Vorgeschichte und erste Ideen

Im Juli 2009 hatte Leander Wattig hier auf UPLOAD die Frage gestellt: Was sind Bücher in einer digitalen Welt? Dabei ging es ihm darum, die Grenzen des Begriffs Buch auszuloten. Zugleich aber stellt sich damit die Frage: Wie würde denn ein digitales Äquivalent zum Buch aussehen, würde man sich vollkommen vom althergebrachten Buchdruck mit seinen festen Abläufen und seinen Beschränkungen freimachen? Kann ein Buch heute nicht viel mehr sein, als ein Text, der bis zu einem bestimmten Termin geschrieben und dann unveränderlich einige hundert oder tausend Mal gedruckt wird?

Ob Leanders Beitrag jetzt der Ausgangspunkt war, weiß ich nicht mehr. Aber da es eine gute Geschichte hergibt, nehmen wir es einfach mal an. Mir geisterte jedenfalls die Idee im Kopf herum, selbst Teil dieser großen Wandlung zu werden, die Bücher derzeit durchmachen.

2010 bereiteten Sebastian Schürmanns und ich unser großes Special „Das Buch der Zukunft“ vor, als er mit einer Idee um die Ecke kam, die letztlich die Initialzündung war. Er skizzierte sie per E-Mail wie folgt:

  • Wir (bzw. passende Autoren) erstellen in UPLOAD-Unterblogs kleine Kurse z.B. zu PHP, JavaScript, HTML und Co., zugeschnitten z.B. auf Zielgruppen wie Publisher, Journalisten, Geisteswissenschaftler. Man denke an Data Journalism und die Diskussionen, dass Journalisten und Publisher zumindest grundlegend programmieren können sollten.
  • Dazu gibt es jeden Tag ein kurzes Kapitel (z.B. die ganzen Basics, wie stelle ich eine Datenbankverbindung her, wie füge ich einen Datensatz ein etc. – also pro Tag nur zwei bis drei Seiten). Das Ganze enthält Text/Code, einen kurzen Screencast und eventuell noch eine Tabelle mit wichtigen Befehlen à la Vokabellernen.
  • Der Kurs dauert etwa drei Monate, also 5 x 4 x 3 Kapitel = 60 Kapitel à zwei bis drei Seiten = 120 bis 180 Seiten
  • Die User können kostenlos per Mail subscriben und bekommen dann unabhängig vom Zeitpunkt jeden Tag eine Mail mit einem Kapitel zugeschickt.
  • Das Ganze könnte zum Schluss mit Anthologize zu einem kostenpflichtigen Buch (Print/EPUB) und einem kostenpflichtigen Video-Tutorial werden.

Ich war begeistert. „Man kann ja mal rumspinnen“ hatte Sebastian einschränkend vorweg geschickt in seiner Mail. Und ich sage: Man kann, man darf, man soll sogar! Und so unrealistisch kam mir das gar nicht vor…

Vor allem passten seine Anmerkungen perfekt zu dem, was mir schon eine Weile im Kopf herumgegangen war. Gedacht war meine Idee vor allem für Ratgeber. Auch für Sach- und Fachbücher wäre es gut denkbar. Warum? Weil es mir vor allem um Aktualität ging. Schnelle, aktuelle Information. Denn das ist ein großer Vorteil des E-Books: Im Gegensatz zum gedruckten Buch lässt es sich jederzeit überarbeiten und sogar als „Update“ an die bisherigen Käufer ausliefern. Und könnte so ein Buch nicht sogar direkt online entstehen, quasi vor den Augen der Leser? Hinzu kam die Idee des „Freemium“: Ein Teil ist kostenlos verfügbar, andere hingegen sind kostenpflichtig. Man denke hier an „Free – The Future of a Radical Price“ von Chris Anderson oder auch an „What Would Google Do?“ von Jeff Jarvis. Grundidee: Wer etwas verschenkt, kann preislich nicht mehr unterboten werden. Und: Es hat den Vorteil, dass Leser darauf reagieren, Hinweise geben und Fragen stellen können, auch wenn sie nichts gekauft haben. Sofern das passiert, könnte dieses Feedback später wieder einfließen. Und alles in allem bekommt man dadurch natürlich mehr Aufmerksamkeit.

Meine Ideen, die ich mit einbrachte:

  • Die Ratgeber sollten auf das Wesentliche reduziert sein. Kein Füllmaterial, nur die besten Tipps und Tricks, sofort anwendbar. Das „Warum“ eines Themas würde ebenso wenig eine Rolle spielen wie seine Vorgeschichte, sofern es nicht zum Verständnis benötigt wird.
  • Aktualitätsgarantie: Wer einen Ratgeber gekauft hat, bekommt künftig immer die aktuellste Fassung.
  • Bei den Preisen für die kostenpflichtigen Teile des Angebots sollte es deutlich unter vergleichbaren Print-Ratgebern liegen, also beispielsweise 10 Euro.
  • Die E-Books liegen in zwei Formaten vor: PDF, EPUB. PDF kann praktisch auf allen Geräten gelesen werden – vom PC übers iPad bis hin zum Kindle. EPUB wiederum ist eine Art „MP3 für Bücher“ und speziell für die Darstellung von Text optimiert. Es bietet sich vor allem für spezielle Lesegeräte und den mobilen Einsatz an.
  • Die E-Books sind generell frei von jedem DRM.

Es gingen noch etliche Mails hin und her, wir haben uns persönlich getroffen, die Idee mit Coverentwürfen und in Präsentationen durchgespielt… Aber beiden von uns fehlte zu dem Zeitpunkt schlichtweg die Zeit. Letztlich blieb die Idee dann ein Jahr liegen, obwohl wir schon viele Überlegungen angestellt hatten und beide das Gefühl hatten, dass das funktionieren könnte. Ende 2011 kamen wir darauf zurück. Ich stand vor meinem Jobwechsel zu Blogwerk und hatte ab dann ja mehr Zeit für eigene Projekte.

Die konkrete Umsetzungsidee und ihre Hürden

Nach einigen Überlegungen hatten Sebastian und ich die Idee konkretisiert und dabei soweit reduziert, dass sie machbar sein könnte. Das dachten wir jedenfalls. Es gab viele Ideen, was man noch aus dem Projekt machen könnte, aber wir versuchten, uns auf das absolut Notwendige zu beschränken. Es sah aus wie folgt:

  • Zum Start suchen Sebastian und ich uns je ein Thema für einen Ratgeber, den wir dann mit unserem Projekt veröffentlichen wollten. Hintergrund war, dass wir nicht abschätzen konnten, wie erfolgreich das alles werden würde, so dass man schlecht jemand anderem diese Arbeit aufdrücken konnte. Zudem würde so der Abstimmungsaufwand minimiert. Schließlich mussten wir so manches auch noch herausfinden.
  • Das Projekt würde eine eigene Website auf Basis von WordPress bekommen. Dort kann man schließlich einfach Unterblogs anlegen. Jeder Ratgeber bekäme ein Blog und die Inhalte dort sollten auch der „Master“ sein. Sprich: Wenn etwas aktualisiert werden muss, würde es zuerst hier aktualisiert und dann alle anderen Formate daraus generiert. Das warf natürlich diverse Fragen auf, denn ein entsprechendes One-Click-Publishing-System schien es nicht zu geben. Zudem stellten sich auch grundsätzliche Fragen wie beispielsweise: Wie werden Links im Blog und in den E-Books dargestellt?
  • Trotz mancher Widrigkeiten schien das Plugin Anthologize die beste Lösung zu sein. Sebastian setzte sich mit den Formaten und der holprigen Umwandlung auseinander, bei der man leider auch nie ganz auf Nachbearbeitung verzichten konnte. Das ist wahrscheinlich einen eigenen Beitrag wert…
  • Als Endformate stellten wir uns PDF, EPUB und Kindle vor. Vielleicht würde PDF auch wegbleiben müssen, denn das warf das Problem auf, ein Layout schaffen zu müssen und eine One-Click-Aktualisierung war hier sowieso undenkbar.
  • Die Ratgeber sollten vollständig online erscheinen und in dieser Form kostenlos sein. Kostenpflichtig würde es für die Leser, wenn sie die Download-Formate haben wollten und zudem dachten wir darüber nach, den Käufern weitere exklusive Inhalte mitzugeben – Video-Tutorials beispielsweise oder Checklisten.
  • Beim Verkauf dachten wir zunächst daran, ein eigenes Shopsystem innerhalb von WordPress zu nutzen. Die meisten Lösungen haben aber das Problem, nicht für den deutschen Markt geeignet zu sein. Sebastian hat sich dafür wpShopGermany angesehen, ein auf die deutsche Rechtslage ausgerichtetes E-Commerce-Plugin. Das hätte funktioniert, war allerdings auch recht komplex.
  • Die Veröffentlichung der E-Books sollte kapitelweise erfolgen – jedes Kapitel entspräche dabei einem Blogpost. Sofort vom Start weg würde aber der kostenpflichtige Download des kompletten Ratgebers bereit stehen. Wer es sofort haben und auf dem Reader seiner Wahl lesen wollte, kaufte sich den Ratgeber. Wer warten konnte oder mit der Web-Version zufrieden war, konnte es kostenlos lesen. Da die Inhalte sowohl umfangreich, als auch hilfreich und kostenlos sein sollten, erhofften wir uns darüber einiges an Aufmerksamkeit.

Beim Layout der Website hatte ich einen Freund von mir aktiviert, der uns unterstützt hätte. Notfalls wäre die Seite aber auch erst einmal mit einem fertigen Template online gegangen. Weggelassen hatten wir zunächst die Idee eines Mail-Abos, da das entsprechende Mailinglistensystem weitere Arbeit gekostet hätte. Ebenfalls auf später verlegt wurde die Idee, mit externen Autoren oder sogar externen Partnern zu arbeiten, die über unsere Plattform ihre Inhalte verbreiten.

Dass Anfang 2012 wieder einiges auf UPLOAD passierte, war somit kein Zufall. Um Video-Tutorials anbieten zu können und ihren Aufwand abzuschätzen, setzten wir uns mit Screencasts auseinander. Daraus entstand das Special „Screencasting für Einsteiger„.

Als eine große Hürde stellte sich heraus, was ich bei früheren Buchprojekten schon mitbekommen hatte: Ein Buch zu schreiben, kostet sehr viel mehr Zeit, als man so denkt. In einem einzelnen Beitrag kann man auf überschaubarem Platz etwas vermitteln. Ein Buch aber braucht mehr Überlegungen und vor allem muss man über Wochen und Monate hinweg immer weiter an ein und demselben Thema arbeiten.

Zudem war das Projekt trotz Reduzierung extrem aufwändig für ein Zweierteam, das es letztlich nur in der Freizeit umsetzt. Am ehesten stand dabei der Shop auf der Kippe, denn den Verkauf hätte man nötigenfalls auch über eine externe Lösung abwickeln können.

Bei alldem hatten wir uns einen Zeitplan aufgestellt mit Meilensteinen. Einmal die Woche haben Sebastian und ich zu der Zeit telefoniert, um uns über den Stand der Dinge abzustimmen. Wir setzten uns wöchentliche Ziele. Schließlich wissen wir ja beide recht gut, wie sehr man bei solchen Projekten aufpassen muss, dass man sie nicht einfach verschleppt.

Trotzdem wurde bald klar, dass unser Zeitplan unrealistisch war, obwohl wir ihn schon viel großzügiger angelegt hatten, als uns eigentlich lieb gewesen wäre.

Im Scherz überlegten wir damals auch, wie wir unser Projekt vermarkten könnten. Wären wir Amerikaner, würden wir natürlich die ganz große Trommel rühren. Unsere Blog-E-Book-Ratgeber wären nichts weniger als eine Revolution. Die großen Verlage mit ihren überteuerten und stets veralteten Print-Ratgebern könnten einpacken.

Natürlich hätten wir so nicht herumgetönt und ich bin auch sehr froh, dass ich nie öffentlich über dieses Projekt gesprochen habe. Denn letztlich haben wir es eingemottet. Und bevor es ganz verstaubt, dachte ich mir: Gehe ich doch einfach damit an die Öffentlichkeit. Vielleicht sind die Ideen daraus für jemanden interessant.

Und das ist die Geschichte, wie wir beinahe Ratgeber-E-Books revolutioniert hätten. So knapp war’s. Und doch haben wir viel dabei gelernt und ganz nebenbei UPLOAD wiederbelebt.

P.S.: Letztlich sind wir zudem auf ein Projekt in der Schweiz gestoßen, das vom ehemaligen Blogwerker Andreas von Gunten ins Leben gerufen wurde: buch&netz. Es hat einen ganz ähnlichen Ansatz. Alle Ratgeber stehen grundsätzlich vollumfänglich kostenlos im Web zur Verfügung. Nur wenn man sie als Download haben will, muss man dafür bezahlen. Und natürlich ist da „Sobooks“ von Sascha Lobo und Christoph Kappes. Ein Buchprojekt, über das man noch nicht viel weiß, außer dass die Ratgeber hier Teil des Internets sein sollen.

A N Z E I G E

BMA - Business Management Akademie

 

8 Gedanken zu „Wie wir beinahe Ratgeber-E-Books revolutioniert hätten

  1. aaaach, DAS hattest Du im Sinn. Jetzt hast Du natürlich nicht wirklich verraten, warum Ihr die Idee eingemottet habt. Allein aus Zeitmangel? Wie auch immer: Es gab schon in den web einsnullerjahren einen Dienst, der in Japan sehr populär gewesen ist. Frag mich nicht nach dem Namen, das weiß ich gar nicht mehr, jedenfalls konnte man mit diesem Dienst sehr einfach eZines auf Emailbasis anbieten, zu allen möglichen Themen. Das finde ich bis heute eine Spitzenidee, die Ihr ja auch im Blick hattet. Warum so etwas nicht noch einmal umsetzen?

  2. Andreas: Danke für den Tipp. Wir bleiben darüber hinaus ja sowieso in Kontakt :)

    Michael „3imsinn“: Zeitmangel oder Ressourcenmangel allgemein. Man könnte jetzt viel privates Geld in die Hand nehmen und sich Leute besorgen, die beispielsweise den Shop einrichten etc. Das war aber für uns nicht drin. Mal abgesehen davon, dass es Sebastian und mir auch Spaß macht, es selbst umzusetzen und auf dem Weg etwas zu lernen. Letztlich ließ es sich aber nebenbei einfach nicht alles zugleich umsetzen. Und bevor wir unsere Termine noch weiter verschieben und verschieben, haben wir uns dazu entschlossen, das Scheitern der Umsetzung zu akzeptieren.

  3. Ja, da wart ihr wohl eurer Zeit etwas voraus…

    Die Links wären das geringste Problem. Die stellt man genauso dar wie im Online-Journalismus, also direkt verlinken oder unter dem Artikel anklickbare URLs mit einer Zusatzinfo drüber listen.

    Und noch ein Software-Tipp: Sigil!

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