Vergleicht man die französische Blogosphäre mit der deutschen, fallen einige Unterschiede auf. Besonders in Sachen Politik werden Blogs sehr viel stärker genutzt – von interessierten Bürgern, aber auch von den Parteien und anderen Institutionen. Viele Zahlen, Fakten und Links finden sich zum Abschluss der „Themenwoche Frankreich“ in diesem Gastbeitrag.
Dieser Beitrag ist ein Zwischenbericht von meinen Vorbreitungen zur Session über die französische Blogosphäre auf dem Barcamp in Stuttgart am 27./28 September.
Das Nein der Franzosen zum Referendum über die Europa-Verfassung am 29. Mai 2005 kann vielleicht weniger mit ihrer grundsätzlichen Einstellung zu Europa als an einer allgemeinen Unzufriedenheit mit der Regierung erklärt werden. Besonders interessant war die große Zahl an Internet-Seiten, unter ihnen viele Blogs, die in die Debatte um die Europäische Verfassung (www.observatoire-presidentielle.fr) eingriffen und möglicherweise bei dieser speziellen Konstellation das Endergebnis mitbeeinflusst haben. Das Observatoire hat 161 Websites des Lagers der Gegner und ca. 70 der Befürworter der Verfassung eingehend untersucht. Einige Websites, die zu Beginn der Debatte quasi unbekannt waren, konnten schließlich wie die von Gérard Filoche (www.democratie-socialisme.org) 30.000 Besucher am Tag verzeichnen. Die genannte Anzahl der Websites bezieht sich nicht nur auf Blogs, sie belegen, wie das anlässlich dieses Ereignisses sprunghaft gestiegene Interesse auch an der wachsenden Zahl der Blogs zu erkennen ist.
Inhaltsverzeichnis
Ein bisschen Statistik
Statistiken und Untersuchungen über die Besucher und PIs der Blogs gibte es viele. Eine davon steht auf der Seite von Vincent Abry: Classement Feedburner 2008 des Blogs en français (Top100). Er ordnet die Blogs gemäß der Anzahl der Abonnenten ihrer Feeds. („Ce tableau classe les blogs francophones selon le nombre d’abonnés Google Feedburner.“) Auf deutscher Seite gibt es die Deutschen Blogcharts, die die 100 meistverlinkten Blogs nennen.
Im März 2006 gab es gemäß dem Journal du Net in Frankreich rund 2,5 Mio. aktive Blogs gegenüber etwas 0,4 Mio. Blogs in Deutschland. Die Präsidentschaftswahl 2007 bestätigte diesen Trend. Übrigens: Zum 1. und 2. Wahlabend hatte der Fernsehsender France 24 Blogger aus europäischen Staaten in die Redaktion eingeladen, um von dort aus die Präsidentschaftswahl zu kommentieren. Vielleicht lassen sich deutsche Sender bei einem ähnlichen Ereignis so etwas auch mal einfallen.
Während der Wahl des französischen Staatspräsidenten hat das Observatoire présidentielle 2007 die rund 2000 Blogs aller politischen Lager untersucht und mit einer interessanten, dynamischen Grafik dargestellt, die die Verbindung der Blogs untereinander und somit deren Gewichtung visualisiert. Darunter sind viele lokale Blogs, die die Zugriffszahlen von Blogs bekannter Persönlichkeiten bestimmt nicht erreicht haben. Aber hier darf der lokale Aspekt der Blogs nicht unterschätzt werden. Die Vielfalt und die Zahl der Blogs ist beeindruckend. Noch heute gibt es in Deutschland auf die Anfrage bei der SPD zum Beispiel nur die Auskunft, man kenne etwa fünf Blogs einiger Landesverbände. Bei der CDU gibt es das Blog von Friedhelm Pflüger und das der CDU nahestehenden Blog cdu-politik.de von Philipp Schwab. Meine Liste Blogs in Frankreich und Deutschland von Politikern hat ohne Zweifel erhebliche Lücken, aber es wird doch deutlich, dass zum Beispiel französische Abgeordnete viel bloginteressierter als ihre deutsche Kollegen sind. Ob das daran liegt, dass die Hälfte der deutschen Abgeordneten über Listen in den Bundestag einzieht?
Politiker-Blogs
Blogs herausstehender Politiker wie das des ersten Sekretärs der Sozialistischen Partei und Abgeordneten François Hollande oder wie des Senators und früheren Premierministers Jean-Pierre Raffarin oder eines Regierungsmitglieds wie des französischen Staatssekretärs im Außenministerium Jean-Pierre Jouyet, Vues d’Europe, sind in Deutschland nahezu unbekannt. Besonders das Blog von Raffarin ist bemerkenswert, gibt es doch die ganze Bandbreite der Themen seiner politischen Arbeit wieder, die sich keinesfalls nur auf regionale Themen beschränkt, sondern auch Themen der internationalen Politik und auch aus gegebenem Anlass institutionelle Fragen, wie die des Senats zur Diskussion stellt. Lokale Politiker, Parteien, Ortsverbände: eine lange Blogliste wird von Christophe Asselin angezeigt. Während deutsche Parteien sich um dieses Kommunikationsmittel kaum zu kümmern scheinen, zeigt eine Seite der Partei Union pour un mouvement populaire UMP eine lange Liste von Webinitiativen einschließlich der Blogs ihrer Mitglieder an: Web UMP. Nebenbei bemerkt, die Website der Parti socialiste ist im Web 2.0 Modus gehalten, kann leicht personalisiert werden und fordert zum Einbringen von Inhalten auf. Gehen wir einmal über den Bereich der Politik hinaus. Auf der Website La blogosphère francophone steht eine Karte der französischen Blogosphäre.
Bloggen für ein Projekt
Besonders interessant finde ich Blogprojekte, mit denen Politiker ihre Arbeit für ein bestimmtes Projekt dokumentieren. Als Beispiel sei hier der Senator Philippe Dallier genannt, der mit der Entwicklung des L’avenir institutionnel du Grand Paris beauftragt wurde. Ein weiteres nicht minder interessantes Beispiel ist das Blog von David Assouline L’impact des nouveaux médias sur la jeunesse, der damit beauftragt wurde, die Auswirkungen der neuen Medien auf die Jugend zu untersuchen. Ähnliches habe ich in Deutschland noch nicht gefunden. Vielleicht habe ich da auch etwas übersehen.
Bloggen in Frankreich
Bemerkenswert sind die vielfältigen Möglichkeiten, ein Blog anzulegen. Die beiden interessantesten Möglichkeiten ohne viel Programmierung bieten LE MONDE und die drei großen Fernsehprogramme an. Hat man bei LE MONDE die Online Edition Abonnés für 6 Euro gebucht, kann man die Online-Plattform für sein eigenes Blog benutzen. Pierre Assouline mit seinem bekanntnen Literatur-Blog La république des livres nutzt dieses Angbot. Das Fernsehen france2.fr bietet auch eine Blogplattform an. Beide Angebote sichern unter Umständen den Bloggern durch die Anzeige auf ihren Homepages auch ein bestimmtes Maß an Publizität. Andere Typen von Blogplattformen, diesmal nur für die eigenen Journalisten wie die Blogs von France-Inter bieten interessante Zusatz- und Hintergrundinfos ähnlich wie die Journalisten des Blogs der Tagesschau an.
Erfolge und Perspektiven
Ein bemerkenswerter Erfolg ist dem Projekt Media Part gelungen, das mittlerweile 500 Blogs beherbergt. Es gibt eine Untersuchung von Fabienne Greffet (2005) über politische Blogs in Frankeich: Politics as usual? Les blogs politiques français en 2005. Sie stellt wichtige Fragen und deutet eine Klassifizierung politischer Blogs an. Sie lässt aber auch ihre Skepsis erkennen, wenn sie auf die Möglichkeit oder Gefahr einer Utopie eines int
eressierten Bürgers hinweist, der informiert und hyperaktiv wäre und der in einer direkten Demokratie keine Mittler mehr benötigt. (vgl. S. 9). Es gibt in Frankreich eine große Zahl von Blogs, die sich mit politischen Fragen beschäftigen.
Luc Mandret hat sich auf seinem Blog kürzlich explizit mit der Frage nach dem Potential politischer Blogs beschäftigt. Er weiß, dass die Blogs weit davon entfernt sind, mit dem Medien gleichzuziehen. Er kann auch berichten, dass diese selten in der Lage sind, ein Sujet oder ein Thema zu lancieren, sondern immer eher nur auf Meldungen aus den Medien reagieren. Außer zu Wahlzeiten ist tatsächlich in der Medienlandschaft nur selten ein Kommentar zu Blogs zu verzeichnen. Man kann zwar die großen Zeitungen mit dem Stichwort Blog durchsuchen, wesentliche Erkenntnisse sind dabei nicht zu gewinnen, eher vielleicht doch eine gewissen Normalität, bei der doch hin und wieder Blogs zitiert werden.
Zahlenmäßige Vergleiche reichen alleine bestimmt nicht nicht aus, um Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland zu identifizieren. Man kommt nicht umhin, sich die Kommentare auf den Blogs genau anzusehen, um die Qualität der politischen Diskussionen einschätzen zu können. Allerdings sprechen die Zahlen der Blogs dafür, dass dieses Kommunikationsmittel in Frankreich deutlich stärker genutzt wird als in Deutschland. Damit ist noch nichts über die Reichweite oder den Wirkungsgrad französischer Blogs gesagt. Möglicherweise dienen sie, besonders im Fall der Blogs von Politikern ungleich stärker der regionalen Kommunikation und der Kommunikation mit den Stammwählern als dem Versuch, auch Leser der politischen Gegner zu erreichen.
Über den Autor
Dr. Heiner Wittmann ist Romanist und Historiker. Er koordiniert die Online-Aktivitäten in der Klett Verlagsgruppe und betreibt unter anderem www.france-blog.info und www.romanistik-online.de.
Danke für den interessanten Artikel. Hierzulande besteht da wirklich noch ein wenig Nachholbedarf. Angesichts der nächsten Bundestagswahl bin ich tatsächlich mal gespannt, welcher Mittel sich die Parteien bedienen werden, um online auf Stimmenfang zu gehen. Man wird sicherlich bemüht sein, sich ein paar Tricks von den amerikanischen Kollegen abzuschauen…wenn das mal gut geht.
Ist Dir bekannt, ob die von Dir erwähnten Politiker-Blogs wirklich von den Politikern geschrieben werden?
Ich kann mir das bei jemand wie Hollande schwer vorstellen.