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Web 3D: Was vom Hype übrig blieb

Das Stichwort „Second Life“ kann kaum noch jemand hören. Zu sehr wurde es durch alle Medien geschleppt – und wird es immer noch. Inzwischen schlägt man allerdings gern auf die Parallelwelt ein. So sind sie die Journalistenkollegen: hochjubeln und dann fallenlassen = zweimal ordentlich Aufmerksamkeit. Was aber bleibt vom „Web 3D“? Wie es aussieht, eine ganze Menge. Nur nicht heute.

Second Life funktioniert so wie es ist für eine gewisse Anzahl von Nutzern. Es sind nicht die Millionen, die immer mal wieder genannt werden, denn es sind eine Menge Karteileichen unter den angemeldeten Usern (ich beispielsweise). Und Second Life ist sicher kein Massenphänomen. Aber für eine bestimmte Zielgruppe ist es interessant und funktioniert.

Versucht man das Web 3D und seine Zukunftschancen zu bewerten, sollte man aus meiner Sicht allerdings nicht den Fehler machen, von Second Life auszugehen.

Ich bin mir aber sicher, dass das die nächsten Jahre immer wieder passieren wird. So wie Weblogs in den alten Medien meistens „Online-Tagebücher“ sind, wird jede Unternehmung in Sachen 3D „eine Art Second Life für XY“ sein. Die Macher tun mir schon heute leid.

Denn so wie Weblogs eben deutlich mehr sind (und sein können) als Online-Tagebücher, muss ich die Idee eines 3D-Internets nicht zwangsläufig mit einer virtuellen Parallelwelt verknüpfen.

Alles in allem erinnert mich die Berichterstattung über Second Life und der Verlauf der Diskussion sehr an die Jahre 1998/99 und das Internet. Damals wurde eine Menge herbeiphantasiert, das nicht da war. Es gab kaum Nutzer, es gab nur sehr langsame Internetzugänge und alles in allem war das Netz noch eine einzige, große Baustelle – und eine ziemlich chaotische noch dazu.

Das Internet wurde hochgejubelt und dann fallengelassen. Nachdem keiner mehr etwas darüber hören wollte, hat es sich klammheimlich weiterentwickelt. Und heute ist es wieder da und die Vorhersagen von damals erfüllen sich, zumindest teilweise.

Screenshot Second Life
Erste Station im Second Life: Orientation Island.

Wie sich Second Life & Co. entwickeln könnten

„Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ – ein Kalauer, der verschiedensten Leuten in den Mund gelegt wird.

Eins aber ist doch wohl sicher: Technologie setzt sich durch, wenn sie einen erkennbaren Nutzen bringt. Dieser Nutzen muss nicht immer nützlich im eigentlich Sinne sein. Beispiel: Wer braucht schon Klingeltöne oder HD-Fernseher? Aber ein Nutzen kann eben auch Prestige sein oder Spaß.

Ich halte es für unwahrscheinlich, dass das Internet komplett dreidimensional wird – jedenfalls nicht in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Viele Anwendungen, wie das Lesen von Nachrichten, lassen sich über eine normale Website besser erledigen. Die Experimente mit 3D-Welten zeigen auch, dass sie nicht angenommen werden, wenn sie weniger Informationen bieten, als ein Text, ein Foto oder ein Film allein. Das Einkaufserlebnis eines Ladengeschäfts wird man auch in einem Web 3D kaum nachempfinden können. Interessant ist es aber sicher, über dreidimensionale Grafiken optische Verbindungen zwischen Produkten herzustellen.

Überhaupt: Visualisierungen von Zusammenhängen und von Zahlen sind die zwei Chancen, die ich persönlich in 3D-Welten sehe. Darüber wird allerdings auch schon viele Jahre philosophiert. Ich kenne das noch aus Zeiten, als das Internet in Zeitungen „Cyberspace“ genannt wurde. Uuuralt. Aber deshalb nicht automatisch falsch.

Mit Sicherheit werden die neuen Möglichkeiten außerdem wieder die Kreativität anregen. Wir werden neue Verknüpfungen von Inhalten sehen. Ich könnte als Gestalter sicher klarer deutlich machen, dass mehrere Texte, zwei Videos und eine Fotogalerie thematisch zusammenhängen.

Auch denkbar: Aktionen im Internet könnten einen echten Event-Charakter bekommen, weil die Nutzer sichtbar und ansprechbar sind. Heute weiß ich hingegen nicht, wer außer mir gerade diesen Text liest und was derjenige darüber denkt.

Communitys könnten über solche virtuellen Räume eine noch größere Bedeutung für bestimmte Anwendungen und Zielgruppen bekommen. Das lässt sich aber nicht verallgemeinern. Ich wüsste beispielsweise nicht, was man an XING per 3D verbessern könnte. Da gäbe es ganz andere Baustellen zu beackern…

Spannend können 3D-Welten auch immer dann sein, wenn Inhalte auf eine eher spielerische Weise vermittelt werden sollen. Im Marketing ist das denkbar, aber auch in der Vermittlung von Wissen.

Und was bedeutet das für mich?

Wie bei allen Entwicklungen ist es erst einmal wichtig, sie überhaupt im Auge zu behalten, sie zu beobachten und zu schauen, welche Chancen sich ergeben. Für redaktionelle Inhalte kann ich mir derzeit einen Nutzen für Dreidimensionalität kaum vorstellen. Wo sollte er liegen? Texte, Videos und Podcasts kann ich mit den heutigen Mitteln bereits recht gut konsumieren. Hier wären vor allem Portale gefragt, über die ich neue Inhalte leicht und schnell entdecken kann. Mehr Komfort ist sicher ein Punkt, der in den nächsten Jahren zählt. Die Inhalte sind in Massen vorhanden, nur sind die hochwertigen und für mich persönlich interessanten schwer zu finden. Aber dabei hilft mir 3D kaum.

Weblogs werden durch solche Entwicklungen jedenfalls sicher nicht ersetzt, eher ergänzt. Weblogs bieten wie Foren eine Möglichkeit der zeitlich versetzten Kommunikation. 3D-Welten wie Second Life hingegen sind auf Echtzeit-Kommunikation ausgelegt. Das sind zwei vollkommen verschiedene Paar Schuhe.

Was fehlt

Woran es in diesem Bereich heute vor allem mangelt, sind frei verfügbare, leicht bedienbare Tools. Will ich eine Website starten, habe ich inzwischen die Auswahl zwischen diversen Werkzeugen und kann das jederzeit tun. Bei 3D-Welten wie Second Life sieht das noch ganz anders aus. Sie sind viel geschlossener, bilden einen eigenen Bereich und sind oftmals von der Firma abhängig, die sie betreiben. Das Internet hingegen wird von keiner einzelnen Firma betrieben, es gibt offene Standards und frei zugängliche Programme wie beispielsweise WordPress. Innerhalb von Minuten kann ich eine neue Website starten. Mit dem 3D-Internet ist das heute noch nicht möglich. Entwicklungen wie x3d müssen sich erst noch beweisen.

Wie das Internet vor zehn Jahren sind 3D-Welten heute eine Sache für Spezialisten.

Fazit

Die Auswirkungen auf das digitale Publizieren sind kaum abzuschätzen. Zwar werden Texte, Filme und Audio sicher durch 3D nicht leichter konsumierbar, es lassen sich aber neue Darstellungs- und Verknüpfungsarten denken. Neue Anlässe für Kommunikation können entstehen, wenn sich die gleichzeitig anwesenden Nutzer sehen. Nicht zuletzt können dreidimensionale Welten einen spielerischen Zugang zu Informationen und Funktionen bieten.

3D-Welten sind für mich nach dem jetzigen Stand der Dinge kein Ersatz für das zweidimensionale Internet. Sie können aber ein spannender neuer Bereich werden und sie werden Teile des Internets erweitern und beeinflussen.

Viele Projekte in diesem Bereich werden in den nächsten Monaten und Jahren scheitern. So wie eine Homepage anfangs oft zum Selbstzweck entstand, sind Dependancen im Second Life heute kaum wirtschaftlich sinnvoll.

Nicht immer macht es den Nutzern das Leben leichter, wenn sie sich durch eine dreidimensionale Welt zum Ziel durchschlagen müssen, so wie Flash eben nicht für jeden Inhalt als Darstellungsmedium geeignet ist. Hier wird künftig noch viel Lehrgeld gezahlt.

Eins dürfte trotz aller Bedenken und Unsicherheiten klar sein: Wer sich in diesem Bereich kundig macht, setzt auf jeden Fall auf das richtige Pferd. Denn dreidimensionale Welten sind ein Markt der Zukunft. Unklar ist nur, wie groß er sein wird…

Linktipp: Dieser Artikel bei Robert Basic und die anschließende Diskussion haben mich dazu angeregt, diesen schon länger geplanten Artikel nun endlich fertigzustellen.