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"Dem Radio der Zukunft näher kommen" (1)

„Warum ich Radio nicht mehr mag“, hieß es kürzlich hier in einem Beitrag von Jan Tißler. Und es ist bestimmt ein spannendes Thema, wenn man sich überlegt, wie sich das Radio in den kommenden Jahren entwickeln wird. Wird immer mehr über das Internet gehört? Wird es innovative neue Sendungen geben? Und überhaupt, wie wird sich der Hörfunk behaupten inmitten der Medienlandschaft? Und was wird aus den Plänen rund um das Digital Radio (DAB)? Zu diesen Themen rund um den Hörfunk aber auch zu Fragen zur Lage des Journalismus und den Herausforderungen der Digitalisierung habe ich ein Interview mit Dietmar Timm geführt, der seit 1989 beim Deutschlandfunk bzw. später Deutschlandradio tätig ist.

Dietmar Timm, DeutschlandradioDietmar Timm leitet die Stabsstelle Zentrale Aufgaben/Multimedia. Dazu gehört unter anderem die Verantwortung für das Online-Angebot des Senders. Nach seinem Volontariat beim Deutschlandfunk 1979/80 war er für verschiedene öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten tätig, darunter auch der WDR. Das Interview wird in zwei Teilen veröffentlicht.

Dradio mit seinen beiden Sendern Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur ist jetzt seit rund 14 Jahren in der Radiolandschaft vertreten. Worin liegen die besonderen Stärken des Hörfunks in einer Gesellschaft, die heute noch weitaus stärker massenmedial geprägt ist als zu den Anfangstagen von Dradio?

Der entscheidende Vorteil des Hörfunks ist natürlich seine Aktualität. Ferner sind Rundfunkredakteure nicht auf die Präsentation von Bildern angewiesen. Aber letztendlich ist die hochaktuelle Live-Berichterstattung die größte Stärke des Mediums.

Welche Veränderungen im Hörerverhalten und in der Radionutzung haben sich im Hörfunk und damit auch bei Dradio in den letzten Jahren besonders bemerkbar gemacht?

Man kann eigentlich gar nicht sagen, dass sich in den vergangenen Jahren besonders nennenswerte Änderungen im Verhalten unserer Hörer herauskristallisiert hätten. Trotz der Vielzahl der Medien – klar, darunter natürlich besonders das Internet – lässt sich beispielsweise kein „Hörerschwund“ beklagen. Deutschlandfunk hat täglich zwischen 1,2 und 1,4 Millionen Hörer. Hervorzuheben ist allerdings die Nutzung des Hörfunks via Internet, da hat sich natürlich enorm was verlagert. Ich schätze einmal grob, dass 200.000 Hörer unseren Sender via Livestream über das Internet empfangen. Darüber hinaus werden von unserer Internetseite monatlich zirka drei Millionen Audiodateien via Podcast heruntergeladen.

Deutschlandradio Kultur hat auch die Sendung „Breitband“ im Programm, in der es um Medien und digitale Kultur geht. Im Mittelpunkt stehen Audioblogs und Podcasts, neue Radioformen und Experimente. Wie werden die Sendung und die vielen Beiträge darin bei den Hörern wahrgenommen und wie läuft im einzelnen die Auswahl der Themen für „Breitband“ ab?

Breitband ist ein Magazin, das sich der ganzen Bandbreite der Medienentwicklung verschrieben hat. Dabei spielt die Digitalisierung eine wichtige Rolle, weil sie Grenzen durchlässig macht. Im Netz finden sich Video-, Audio- und Textelemente gleichberechtigt nebeneinander. Wir versuchen mit jeder Breitband-Sendung, dem Radio der Zukunft näher zu kommen und hoffen natürlich, dass die Hörer, aber natürlich auch die Besucher unserer Website www.breitband-online.de, dabei viel Spaß haben.

Sie widmen sich auch der Podcastkultur, dafür gibt es speziell die Sendung „Blogspiel“, die mit der „Breitband“-Website verknüpft ist. Hier lassen sich Radiobeiträge oder Audiokommentare der Hörer hochladen und diskutieren. In der Rückschau: Wie erfolgreich war das „Blogspiel“ seit seiner Einführung und wieviele Beiträge gehen monatlich bei Dradio schätzungsweise ein?

„Blogspiel“ ist ein Community-Projekt, das wir vor anderthalb Jahren angestoßen haben. Und die Gemeinde der unabhängigen Audioproduzenten ist ausgesprochen kreativ. Da haben wir beschlossen, aus dem Experiment eine ständige Einrichtung zu machen. Jede Breitband-Sendung hat ein Blogspiel der Woche, also einen Beitrag aus der Community. Auf unserer Website werden monatlich so um die dreißig fertig produzierte Beiträge hochgeladen. Wenn man den Aufwand berechnet, und die in der Regel hohe Qualität, dann ist das eine ganz beachtliche Menge.

Immer mehr Blogs und Foren zu politischen Themen finden sich im Web. Die Annahme, dass das Internet generell mehr politisches Interesse hervorrufe, wird von einigen Wissenschaftlern allerdings nicht geteilt. Welchen Einfluss hat dieses Medium auf die politische Meinungsbildung?

Ich habe den Eindruck, dass die große Menge der Blogs, Foren und Informationsangebote den Nutzer häufig orientierungsloser werden lassen. Es gibt einfach eine unglaubliche Angebotsfülle mit hervorragenden Quellen darunter. Aber meine Erfahrungen in den vergangenen Jahren haben mir auch stets gezeigt, wie gerade das Internet viele Nutzer unsicher zurücklässt. Und was das politische Interesse betrifft: Sicher, ein Mehr an Medien zieht nicht zwangsläufig ein steigendes Interesse nach sich. Meinem Eindruck nach interessieren sich für die politischen Angebote im Hörfunk und auch im Netz vor allem jene Personen, die das auch schon vor dem Durchbruch des Internets getan haben.

Wie ist es um die „Leuchtturm-“ oder „Lotsenfunktion“ bestellt, die immer noch mit dem Berufsbild des Journalisten verknüpft wird und welchen Veränderungen und Umbrüchen sieht sich der Journalist gegenüber?

Also es lässt sich schon klar sagen, dass die Inhalte, die heute im journalistischen Studium vermittelt werden, immer noch angemessen sind. Da wird eine Menge an solider Kenntnis vermittelt, die für ein seriöses journalistisches Arbeiten notwendig sind. Großen Veränderungsbedarf sehe ich allerdings im Bereich der Recherche. Sauber zu arbeiten, Quellen zu prüfen und Zeit für ein Nachfragen oder Nachhaken zu haben. Das kommt nach meiner Ansicht deutlich zu kurz. Natürlich hat der Journalist immer noch das Selbstverständnis eines „Lotsen“, der interessierten Hörern oder Lesern komplexe Sachverhalte anschaulich erklärt und eine Einordnungsfunktion hat. Derzeit hört man oft, man müsse mehr auf den „User“ zugehen. Da wird oft der Eindruck erweckt, dass man früher alle Zeitungsleser oder Rundfunkhörer übergangen hätte. Natürlich hat sich an der sogenannten „Partizipation“ der Nutzer was geändert, heute haben wir die Internetforen und der Leserbrief landet via E-Mail schneller in der Redaktion oder in der Onlinediskussion. An den „Kernaufgaben“ seriöser journalistischer Arbeit hat sich dabei jedoch nichts geändert.

Der Autor Johannes Ludwig hat in seinem Buch ‚Investigativer Journalismus‘ beschrieben, dass nur das auf die Agenda kommt, „was sich im Konkurrenzkampf um mediale und/oder öffentliche Aufmerksamkeit durchsetzen kann“. Wie steht es um den vielbeschworenen investigativen Journalismus in Zeiten, die häufig von Renditedruck und ausgedünnten Redaktionen gekennzeichnet sind und in der immer häufiger von „Serviceorientierung“ und „Nutzwertjournalismus“ die Rede ist? Und welchen Einfluss haben Profitorientierung und Investoren mittlerweile auf die journalistische und redaktionelle Arbeit?

Wenn man einmal genau überlegt, waren die aufwendigen Enthüllungsgeschichten wie diejenigen des SPIEGEL zum Beispiel in der Vergangenheit ja nicht die Regel. Solche journalistische Arbeit ist teuer und besonders zeitaufwendig. Sie sollte einen besonderen Stellenwert haben, aber oft fehlt es eben auch an Geld oder Zeit, um so arbeiten zu können. Es darf aber nicht der Eindruck entstehen, als hätten früher alle Journalisten per se investigativ gearbeitet – das war meiner Erfahrung nach wie gesagt nicht die Regel. Was die Situation in der Presselandschaft derzeit angeht: Klar, ich sehe diese Konzentrationsprozesse ja auch und verfolge die Sache mit der Berliner Zeitung. Natürlich halte ich da einiges für eine ungesunde Entwicklung. Ein Zeitungshaus hat in erster Linie den Auftrag, Qualitätsjournalismus zu bieten und nicht an die Gewinnmaximierung eines Investors zu denken.

Allerdings: Gegen Nutzwertjournalismus und eine Serviceorientierung ist ja grundsätzlich nichts einzuwenden. Der Orientierungsbedarf unter den Mediennutzern ist ja da, da ist ein solches Angebot auch gerechtfertigt. Allerdings ist das Verhältnis ausschlaggebend. Wenn es natürlich darauf hinausläuft, dass sich zum Beispiel eine Tageszeitung immer mehr zu einem Verbrauchermagazin wandelt und Themen aus Gesellschaft und Politik dafür immer weniger Platz finden, läuft natürlich was schief.

Eine kürzlich im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW durchgeführte Studie habe ergeben, dass Online-Quellen von Journalisten nur selten überprüft würden. Recherchen geschähen flüchtig und bei der eigenen journalistischen Arbeit greife man hauptsächlich auf die Arbeit von Berufskollegen oder Agenturen zurück. Man schreinbe „sprichwörtlich voneinander ab“, heißt es dort.

Ehrlich gesagt: Das ist eine Entwicklung, die es zu meiner Zeit auch schon gegeben hat. Natürlich ist sie nicht gut und hat mit vernünftigem journalistischen Arbeiten nichts zu tun, aber diese Erscheinung ist eben nicht neu. Natürlich hat das Internet diese Entwicklung noch einmal extrem beschleunigt. Das „Abschreiben“ ist eben noch einfacher geworden als noch vor Jahren und die ungeprüfte Übernahme von Informationen geschieht dann eben auch öfter.

Teil 2 des Interviews folgt in der nächsten Woche.

Über den Autor des Interviews

Christian Noe ist freier Publizist. Seine Website: www.christian-noe.de