"Dem Radio der Zukunft näher kommen" (2)

Nachstehend der zweite und letzte Teil des Interviews, das ich mit Dietmar Timm zum Thema Hörfunk, Journalismus und Digitalisierung geführt habe. Timm ist seit 1989 beim Deutschlandfunk bzw. später Deutschlandradio tätig. Er leitet die Stabsstelle Zentrale Aufgaben/Multimedia. Dazu gehört unter anderem die Verantwortung für das Online-Angebot des Senders.


Dradio-Pressefoto

Was sind Ihre Erfahrungen: Ist der Durchschnittsbürger heute besser informiert als vor zehn Jahren?

Meiner Einschätzung nach ist er das nicht. Im Gegenteil: Manchmal verfestigt sich der Eindruck, dass einige Nutzer schlechter informiert sind als zu der Zeit, in der es die Medienvielfalt, wie wir sie heute vorfinden, nicht gab. Aber das ist nichts Besonderes. Vor allen Dingen über politische Themen wird ja in einigen Medien weniger berichtet als früher. Aber hier zeigt sich meiner Meinung nach auch, dass diejenigen besser in der Lage sind, sich im heutigen Informationsdschungel zurechtzufinden, die eben über Medienkompetenz verfügen und gute Quellen kennen. Dieser Kreis kann dann auch aus dem Vollen schöpfen, während vielen der Umgang mit der Informationsflut schwer fällt.

Die Journalistentätigkeit ist heute oft mit einer Reihe von Tätigkeiten verknüpft. Es geht längst nicht mehr allein um Recherchen oder das Verfassen eines Leitartikels. Medienhäuser wünschen sich den „crossmedialen“ Journalisten und Allrounder: Er soll ergänzend noch Bilder für Fotostrecken anfertigen, O-Töne für einen Audiobeitrag mitschneiden oder bloggen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Die Entwicklung zur Crossmedialität ist meines Erachtens dann falsch, wenn sie darauf hinausläuft, dass den gleichen Personen immer mehr Arbeit aufgebürdet wird. Denn ein Journalist, der vernünftig arbeiten will, kann nicht in derselben Zeit immer mehr Aufgaben übernehmen. Bei uns ist es ja auch so, dass ein Journalist seinen Bericht selber schneidet oder hier und da noch etwas zusätzlich macht, aber das war es dann auch. Aber diese Ausweitung des Profils in alle möglichen Bereiche geht dann auch ganz klar auf Kosten der Qualität, denn irgendwie muss dann auch Zeit eingespart werden, damit man das alles noch unter einen Hut bekommt. Die Zukunft wird sich natürlich crossmedial abspielen, aber dann müssen auch genug Leute da sein, damit man das ordentlich hinbekommt. Aber ob das geschieht, darf man sicherlich bezweifeln.

Kürzlich hat eine Kooperation zwischen der WAZ und dem WDR begonnen. Werden solche Modelle in Zukunft verstärkt zunehmen, so dass Medienkanäle auf gleichen oder ähnlichen „Content“ zurückgreifen? Und wenn ja, welche Haltung haben Sie dieser Entwicklung gegenüber?

Ich sehe es so, dass solche Kooperationen nicht grundsätzlich schlecht sein müssen. Wenn ein Verlag oder ein Sender ergänzend auf Angebote zurückgreifen will, die er selbst gar nicht oder nicht so kurzfristig bieten kann, ist eine solche Kooperation eine sinnvolle Sache. Allerdings muss natürlich gewährleistet sein, dass es bei einer „ergänzenden“ Funktion bleibt und die Eigenständigkeit des Mediums und der Journalisten gewahrt bleibt und bei solchen Partnerschaften nicht allein der Sparzwang ausschlaggebend ist.

Medienhäuser füllen ihre Angebote immer mehr mit „user generated content“, fragen nach Wünschen und Interessen der Nutzer und starten Themen für Diskussionen in eigenen Onlineforen. Kann man tatsächlich generell von einer verstärkten „Partizipation“ des Nutzers oder ein Eingehen auf diesen sprechen? Oder entsteht vielleicht der Eindruck einer Art Marktforschung – um ein möglichst passgenaues und renditeträchtiges Produkt zu entwickeln? So veröffentlichte das Medienmagazin „journalist“ in seiner April-Ausgabe die bezeichnende Aussage eines Chefredakteurs: „Frag nicht, was du für deinen Leser tun kannst, sondern, was der Leser für dich tun kann.“

Also, da kommt sicherlich beides zusammen. Natürlich will man den Leser, Hörer oder Forumsbesucher an das eigene Angebot binden, er soll wiederkommen, Page Impressions spielen eine Rolle, man will das Gefühl vermitteln, dass er zu Wort kommen kann und sich zu gesellschaftlichen Themen einbringt. Aber natürlich nutzt man das auch um zu schauen, was kommt an, was liefern uns die Nutzer? Wenn man einmal an die ganzen Fotos von Lesern denkt, die an die Redaktionen gesandt werden; das sind Fotos, die die Redaktion schon einmal nicht mehr selbst herbeischaffen muss. Da arbeitet der Nutzer natürlich für die Zeitung mit; insoweit liegt man mit dem vorhin genannten Zitat des Redakteurs natürlich nicht falsch.

Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur sind Sender mit überwiegend Wortbeiträgen zu Themen aus Politik, Gesellschaft und Geschichte und aufwendigen Hörspielen. Welche Bedeutung wird der Hörfunk in der künftigen Mediennutzung haben?

Dietmar Timm, DeutschlandradioKlar hat unser Programm seinem Schwerpunkt bei den Hintergrundberichten aus Politik, Wirtschaft und Kultur, interessante Features sind auch immer dabei. Aber auch die Hörspiele sind beliebt und hier wollen wir natürlich weiterhin anspruchsvolle Sendungen machen. Da sind wir dann auch wieder bei der „Lotsenfunktion“. Nehmen Sie nur einmal komplexe Wirtschaftsthemen wie die aktuelle amerikanische Immobilienkrise und wie und warum die sich auf Europa auswirkt. Das sind solche klassische Themen, die man im Hörfunk einfach gut abhandeln kann, ob nun in einem Bericht, einem Interview oder einer gemeinsamen Gesprächsrunde. Insoweit bleibt das Radio in der Mediennutzung einfach ein wichtiges Pfund.

Dradio strahlt sein Programm auch digital aus. Eigentlich war für die kommenden Jahre das Ende des analogen Hörfunks eingeläutet worden. Führt Digitalradio in Deutschland immer noch ein Schattendasein? In England zum Beispiel ist DAB ja ein großer Erfolg.

Das stimmt schon, DAB ist immer noch eine Randerscheinung. Die meisten empfangen uns im „normalen“ Hörfunk oder eben via Internet. Ich sehe derzeit auch nicht, dass sich hier entscheidend was tut, immerhin gibt es den Standard ja jetzt schon länger. Offenbar genügt den meisten die Qualität ihres Empfangs. Ich denke aber auch, dass man hier die Möglichkeiten des Digitalradios bei den Empfangsgeräten noch nicht richtig ausnutzt. Also solche Funktionen wie das einfache Mitschneiden von Hörfunkbeiträgen oder das „Zurückspulen“ während einer Sendung. Manche Geräte bieten das ja, und wenn hier der Funktionsumfang der Empfangsgeräte steigt, würde DAB vielleicht auch attraktiver. Ich glaube, dass uns der analoge Empfang noch lange erhalten bleibt.

Nachdem so viel von digitalen Aktivitäten die Rede war, soll das Interview mit einer Frage zum guten alten Print enden: Wie steht es eigentlich um die monatliche Programmzeitschrift, die von Dradio immer noch herausgegeben wird? Lassen sich diese noch viele Hörer zuschicken?

Klar, die läuft immer noch gut. Es ist eben immer noch vielen Hörern wichtig, etwas „in der Hand“ zu haben. Und es ist ja nicht nur das reine Monatsprogramm, sondern es stehen noch einige Erläuterungen rund um Sendungen drin und vertiefende Infos zu unseren Programmschwerpunkten. Das gute alte Programmheft bleibt uns also erhalten. Die Auflage liegt derzeit bei 70.000.

Vielen Dank für Ihre Antworten.

Über den Autor des Interviews

Christian Noe ist freier Publizist. Seine Website: www.christian-noe.de