Wenn ein schwerwiegendes Ereignis über Nacht die Welt auf den Kopf stellt, betrifft das nahezu alle Lebensbereiche – nicht zuletzt auch die Sprache. Ausdrücke und Sprachbilder, die wir bislang ohne groß zu überlegen eingesetzt haben, können plötzlich unpassend, unsensibel und unangemessen sein. Falk Hedemann beschäftigt sich in diesem Beitrag eingehend mit der Sensibilisierung von Sprache in Krisenzeiten und setzt dabei einen Schwerpunkt auf die Entmilitarisierung.
Einführung
Kommunizieren während einer Krise ist immer eine ganz besondere Herausforderung. Wir können und sollten uns nicht vollkommen von den erschütternden Nachrichten und Bildern aus der Ukraine abschotten, doch wer mit der Kommunikation seinen Lebensunterhalt verdient, wird nicht komplett still sein können.
Klar ist in jedem Fall, dass wir in solchen Krisensituationen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können. Das gilt besonders für Marketing-Botschaften. Aber auch in anderen Bereichen ist es eine gute Idee, in solchen Zeiten Inhalte, Kampagnen und die Kommunikation insgesamt zu überprüfen. Denn Krisen verändern über Nacht unsere Wahrnehmung und macht sie sensibel für Unsensibles. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Absender einer Botschaft in irgendeiner Art und Weise einen Bezug zur Krise haben oder nicht.
Ein besonderes Augenmerk sollten wir daher auf eine emphatische Sprache legen, die der aktuellen Situation angemessen ist. Weitreichende Krisen wie der Ukraine-Krieg manifestieren sich in den Köpfen der Menschen und lassen sie ansonsten harmlose Marketing-Botschaften kritisch hinterfragen. Schnell gerätst du „unter Beschuss“, obwohl du eigentlich nur dazu anregen wolltest, dieses „Bombenwetter“ dafür zu nutzen, den Garten „auf Vordermann“ zu bringen.
Als Empfänger von Botschaften sind wir in solch schwierigen Zeiten zurecht sensibel für militärische Begriffe, die ohne großes Nachdenken genutzt werden. Häufig werden sie gerade deshalb eingesetzt, um einen lebendigen und aktivierenden Eindruck zu hinterlassen, dabei kann der „Schuss im Eifer des Gefechts schnell nach hinten losgehen“.
Sprache ist immer auch ein Ausdruck der gesellschaftlichen Entwicklung. Oft übernehmen wir Ausdrücke des Zeitgeschehens in den allgemeinen Sprachgebrauch. Mit der Zeit verwässert allerdings dieser Kontext und übrig bleibt eine Worthülse, deren Ursprung wir bei der Verwendung nicht im Hinterkopf haben und gar nicht mehr kennen.
In vielen Fällen ist das unproblematisch oder wird zumindest so empfunden. Wir wissen ja in der Regel, was gemeint ist. Bricht dagegen mitten in Europa ein neuer Krieg aus, wird unser Sprachempfinden sensibilisiert. Der ursprüngliche, mittlerweile in Vergessenheit geratene Kontext alter Sprachbilder wird wieder aktuell. Darauf sollten wir uns einstellen und vielleicht schaffen wir es ja sogar, diesen militärischen Sprachgebrauch über die aktuellen Ereignisse hinaus zu reduzieren oder ganz zu vermeiden.
Beispiele für Worthülsen mit militärischer Vergangenheit
Einige der „Worthülsen“ benötigen keine weitere Erklärung, wenn wir uns ihre wortwörtliche Bedeutung bewusst machen. Hier eine unsortierte und unvollständige Liste mit Beispielen:
- „unter Beschuss geraten“
- „Bombenwetter“
- „Bombenstimmung“
- „wir kämpfen an allen Fronten“
- „im Eifer des Gefechts“
- „alle Munition verschossen“
- „das ganze Pulver verbraucht“
- „hat sich darauf eingeschossen“
- „gut gerüstet sein“
- „generalstabsmäßig“
- „schlägt ein wie eine Bombe“
- „Grabenkämpfe“
- „Spießrutenlauf“
- „ins Gras beißen“
- „Blindgänger“
- „die Einschläge kommen näher“
- „Stellung beziehen“
- „die Stellung halten“
- „aus der Deckung kommen“
- „Rohrkrepierer“
- „in die Offensive gehen“
- „Flagge bekennen/zeigen“
- „Nebenkriegsschauplatz“
- „Ablenkungsmanöver“
- „Schützenhilfe geben“
- „Kanonenfutter“
- „unter dem Radar fliegen“
- „etwas ist nicht kriegsentscheidend“
- „Manöverkritik“
- „Volltreffer“
- „Störfeuer“
- „volles Rohr“
- „keine offene Flanke bieten“
- „durchschlagender Erfolg“
- „keine Gefangenen machen“
- „Rückendeckung“
- „verbrannte Erde hinterlassen“
- „Vorstoß wagen“
- „der Schuss geht nach hinten los“
- „Abmarsch“
- „torpedieren“
- „stürmen“
- „ins Visier nehmen“
- „außer Gefecht setzen“
- „Schlachten schlagen“
- „Geschütze auffahren“
Aber wir verwenden auch einige, deren Herkunft uns nicht sofort klar ist:
- „…die Bässe wummern…“ – wummern stammt aus dem 1. Weltkrieg und beschreibt den durchdringenden Klang von Geschützen in der Ferne.
Alternativen: „die Bässe dröhnen“, „die Bässe hallen“. - „auf Vordermann bringen“ – Ausrichtung beim Marschieren am Vordermann.
Alternativen: „in Ordnung bringen“, „Aufräumen“. - „sich am Riemen reißen“ – mit dem Riemen ist der Uniformgürtel gemeint, der im 1. Weltkrieg als Ausdruck der inneren Haltung straff sitzen sollte.
Alternativen: „sich beherrschen“, „ruhig bleiben“. - „Ich verstehe nur Bahnhof“ – ist ein Ausdruck für kriegsmüde Soldaten, die ebenfalls im 1. Weltkrieg den Zug nach Hause herbeisehnten.
Alternativen: „Ich verstehe es nicht“, „Ich begreife es nicht“. - „08/15“ – ist die Bezeichnung für das Maschinengewehr 08 aus dem Jahr 1915, weil es noch viele Jahre später zum Einsatz kam, als es längst gewöhnlich und nicht mehr modern war.
Alternativen: „Nichts Besonderes“, „ganz gewöhnlich“. - „Niemandsland“ – bezeichnet das Gebiet zwischen den Schützengräben, das von keiner Seite kontrolliert wird.
Alternativen: „Ödland“, „Nirgendwo“. - „dicke Luft“ – bezeichnet eine Luft, die mit Granatsplittern und feindlichen Geschossen durchsetzt ist.
Alternativen: „schlechte Stimmung“, „gereizte Atmosphäre“. - „verfranzen“ – bedeutet, dass sich der Kartenleser in einem Kampfflugzeug, der den Spitznamen „Franz“ hatte, verlesen hatte.
Alternativen: „sich verirren“, „abschweifen“. - „Geplänkel“ – steht für kleines Gefecht, auf Kleinigkeiten schießen
Alternativen: „Auseinandersetzung“, „Disput“.
Nicht immer sind militarisierte Sprachbilder historisch gewachsen. Auch heute entstehen immer wieder neue Begriffe, die wörtlich genommen kritisch gesehen werden können. Ein Beispiel ist der „War for Talents“, mit dem häufig der Fachkräftemangel und speziell der Wettbewerb um Nachwuchstalente beschrieben wird. Auch der „Krieg gegen einen unsichtbaren Feind“, wie der Kampf gegen die Corona-Pandemie medial umschrieben wurde, gehört in diese Kategorie.
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Was ist im Falle einer Krise zu tun?
Der erste Schritt in einer Krisensituation sollte immer sein, Ruhe zu bewahren und nichts zu überstürzen. Wenn es einfach und schnell machbar ist, solltest du im nächsten Schritt die Veröffentlichung aller geplanten Inhalte aussetzen. Dieser Schritt erlaubt zum einen eine gründliche Prüfung der anstehenden Inhalte und zum anderen zeigt sich in der so gewonnenen Zeit, wie sich die Krise entwickelt.
Außerdem brauchst du die Zeit, um alle aktuellen Inhalte zu überprüfen, die bereits online sind. Sie wurden schließlich noch unter anderen Rahmenbedingungen geplant, erstellt und distribuiert und könnten demnach problematisch sein. Wichtig ist hier eine gründliche Analyse, die alle Contentarten und -formate auf allen Plattformen einbezieht.
Besonders kritisch könnten beispielsweise Werbeformate auf Social-Media-Plattformen sein. Dazu ein konkretes Beispiel, bei dem genau das versäumt wurde:
Am 7. Juli 2017 kam es in Hamburg anlässlich des G20-Treffens zu schweren Ausschreitungen. Unter anderem warfen militante Protestierende Steine und Gesteinsbrocken vom Dach eines Hauses auf Polizisten. Zehn Tage später sorgte ein Facebook-Post eines Reiseanbieters für zahlreiche negative Kommentare, weil darin die Sehenswürdigkeiten Hamburgs mit „nur einen Steinwurf entfernt“ beworben wurden. Im zeitlichen und lokalen Kontext der gewalttätigen Ausschreitungen, bei denen in Hamburg tatsächlich Steine geworfen wurden, war das ein kommunikatives No-Go.
Natürlich lassen sich mit unpassenden und provozierenden Sprachbildern sehr hohe Aufmerksamkeiten erzielen, doch von einer bewussten Provokation ist dringend abzuraten. Ob das hier der Fall war oder das Sprachbild „einen Steinwurf entfernt“ lediglich fahrlässig gewählt wurde, ist für das Ergebnis unerheblich. Zwar war die Aufmerksamkeit enorm, doch sie war negativ tonalisiert.
Fazit: Sprachbilder mit Bedacht einsetzen
Dieser Artikel will keinesfalls den Einsatz von Sprachbildern verteufeln. Eher ist das Gegenteil der Fall: Wenn wir uns als Autor:innen wieder mehr Gedanken über den sinnvollen und emphatischen Einsatz von sprachlichen Bildern machen, können unsere Inhalte davon nur profitieren. Eine bildhafte Sprache vereinfacht es für die Lesenden, den Kontext zu erfassen und sich ihn buchstäblich „vor Augen zu führen“. Darauf sollte kein Inhalt verzichten.
Dennoch zeigen die Beispiele für militarisierte Sprachbilder sehr eindringlich, dass wir uns für ihren Einsatz jeweils genau überlegen müssen, welchen konkreten Hintergrund sie haben.
Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 102
Für Content-Spezialist:innen ist Sprache ein täglich genutztes Werkzeug und die treffenden Wörter zu finden, ist eine wichtige Fertigkeit. Darum dreht sich der Schwerpunkt dieser Ausgabe. Darin: Marketingsprech und andere Unsitten, Wortwahl in Krisenzeiten, KI-Schreibtools. Außerdem findest du darin die erste UPLOAD-Kolumne des Usability- und UX-Fachmanns Jens Jacobsen: Warum Fragebögen meist so unterirdisch schlecht sind. In zwei weiteren Kolumnen geht es um Content-Pläne, die mit der Wirklicheit kollidieren und warum „mehr Content“ meist nicht die richtige Antwort ist. Plus: Eine Anleitung für internationales Content-Marketing.
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Falk ist Freier Journalist und Blogger und berät zudem Unternehmen bei ihrer digitalen Kommunikation, der Content Strategie und der Distribution von Inhalten im Social Web. Online zu finden ist er auf seinem privaten Blog, bei Twitter und LinkedIn.