Kolumne: Zeit wird’s – Barrierefreiheit wird Pflicht

Barrierefreiheit wird für viele Websites bald zur Pflicht und Jens Jacobsen freut sich darüber in seiner neuesten Kolumne. Er hat bereits seit Jahrzehnten empfohlen, darauf zu achten. Jetzt hofft er nur, dass das Web dadurch tatsächlich für alle besser wird – und nicht etwa nerviger wie durch die Cookie-Banner.

Symbolhafte Illustration des Themas Accessibility
(Illustration: © VisualGeneration, depositphotos.com)

Die Aufregung in vielen deutschen Web-Teams ist groß: Ab Mitte 2025 sind wir alle gesetzlich verpflichtet, unsere Angebote barrierefrei zu machen. Viele, die jahrelang das Thema nicht gekümmert hat, brechen in hektische Aktivität aus. Was müssen wir da eigentlich genau tun? Und was passiert, wenn wir es nicht richtig machen? Welche Strafen drohen uns?

Es liegt es nahe, etwas hämisch zu sein. Für mich zumindest. Vor über 20 Jahren (!), im Januar 2003, habe ich bereits einen Newsletter geschrieben, in dem ich alle aufgerufen habe, die Websites betreiben, ihre Websites barrierefrei zu machen. Fast alles, was ich dort geschrieben habe, ist heute noch richtig.

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Was mich dabei am meisten ärgert: Wenn man einmal das Grundwissen Barrierefreiheit hat, dann bedeuten viele Anstrengungen, die Barrierefreiheit zu verbessern, nicht mehr Arbeit, sondern weniger. Zumindest auf lange Sicht. Die Website wird für alle leichter benutzbar, sie wird besser gefunden und sie ist leichter zu warten.

Und doch, Häme ist fehl am Platz. Denn es gibt natürlich Gründe dafür, warum das Thema bei der ganz überwiegenden Menge der Websites jahrelang komplett ignoriert wurde.

Ein Grund ist, dass hinter den meisten großen Sites ein Unternehmen steckt. Und das Ziel von Unternehmen ist, Gewinn zu machen. Gewinn zu machen steht für alle, die in leitender Position dort arbeiten, zwangsläufig im Mittelpunkt. Und so ist es nachvollziehbar, dass Dinge wenig Aufmerksamkeit bekommen, die dazu nicht direkt beitragen. Gefühlt wird die Geschwindigkeit von Updates, Relaunches, Neuvorstellungen und Produktentwicklungen immer größer. Da bleibt immer weniger Zeit, innezuhalten und nachzudenken, ob man Dinge nicht anders besser machen kann. Und ob man seine Zielgruppe nicht erweitern könnte um Menschen, die in irgend einer Form Probleme haben, mit unseren Websites umzugehen – dauerhaft oder zeitweise. Oder darüber nachzudenken, ob es nicht einfach das Richtige ist, diesen Menschen den Umgang mit unseren Sites zu ermöglichen.

Das Problem liegt also zumindest in Teilen in unserem Wirtschaftssystem. Und daran, dass wir – warum auch immer und seit wann auch immer – getrieben sind, Dinge möglichst schnell fertig zu bringen und möglichst schnell mit Neuem zu beginnen.

Daher bin ich froh darum, dass diese gesetzliche Regelung jetzt kommt, und uns alle dazu zwingt, über die Barrierefreiheit nachzudenken.

Zunächst hatte ich die Befürchtung, dass es werden würde wie bei der Cookie-Regelung: Die gesetzlichen Vorgaben zum Datenschutz haben dazu geführt, dass viele Websites sehr, sehr mühsam in der Benutzung wurden. In Usability-Tests habe ich anfangs viele Menschen darüber fluchen hören. Die Wut ist mittlerweile Gewöhnung und Resignation gewichen, die meisten Menschen klicken die nervtötenden Cookie-Consent-Banner einfach so schnell wie möglich weg. Die einen mit Zustimmung für alles – geht am schnellsten – die anderen reflexhaft mit Ablehnung von allem. Aber: Es ist auch besser geworden. Einige Betreibende von Websites haben begriffen, dass diese Banner einige Menschen sehr, sehr ärgerlich gemacht haben. Als Folge haben sie diese verbessert. Das hat eine Weile gedauert, aber immerhin.

Droht uns nun der gleiche mühsame Prozess bei der Barrierefreiheit mit irgendwelchen Elementen, die auf die Sites geklebt werden, mit denen man den Kontrast und die Schriftgröße ändern kann? Die kaum was bringen für Eingeschränkte und andere eher behindern – oder lediglich nerven?

Ich bin optimistisch, dass das diesmal nicht passiert. Denn immer mehr sehe ich auf Websites gute Lösungen. Sites, die sauber umgesetzt sind, und auf die Basics bei Texten, Bildbeschreibung, Programmierung, Auszeichnung und Pflege achten. Die sinnvolle Hilfestellungen anbieten, die andere Nutzer weder irritieren noch stören.

Es wird dennoch ein langsamer Prozess. Das muss vielleicht auch nicht schlimm sein, etwas mehr Ruhe tut uns allen auch im Arbeitsleben gut.

Und wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Auch bei meiner eigenen Site gibt es Verbesserungsbedarf. Die Punkte stehen auf einer To-do-Liste. Einer gar nicht so kurzen. Zusammen mit etlichen Dingen, die ich an der Usability der Website auch schon lange mal verbessern wollte. Mit mehr Ruhe werde ich diese Dinge angehen, bestimmt.

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Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 109

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