Buchkritik: Web-Adressbuch mit Web 2.0-Special

Bereits in der 11. Auflage liegt das „Web-Adressbuch für Deutschland“ vor – eine Art Webkatalog in Buchform. Das Sonderthema widmet sich diesmal dem ominösen „Web 2.0“. Grund genug, sich das Nachschlagewerk genauer anzusehen. Ob es wohl das Zeug zu einem Standardwerk hat? Und: Wer braucht es eigentlich?

Titelbild "Web-Adressbuch für Deutschland 2008"Die Idee eines Web-Adressbuchs wirkt erst einmal seltsam: Wozu etwas gedruckt herausgeben, was ich in Sekunden bei Google finden kann? Hat man das über 800 Seiten starke Werk aber dann in der Hand, gibt es schon einen kleinen „Aha-Effekt“: Sich mit dem Wälzer auf die Couch zu fläzen und ohne Ladezeiten und blinkende Banner durchs Web zu surfen, hat schon was…

Auf den ersten Blick ist das Buch gut gemacht. Auf fast jeder Seite wird eine Website im Bild vorgestellt, die Homepages sind nach diversen Rubriken und Unterrubriken sortiert. Jeder wird hier seine Lieblingsthemen sicher schnell finden.

Redaktionelle Unabhängigkeit? Naja…

An dieser Stelle hat das Web-Adressbuch allerdings auch seine größte Schwäche: Die Screenshots sind in der Regel bezahlt. Sehr dezent steht auch „Anzeige“ daneben, ausdrücklich erläutert wird das dem Leser nicht. Was auf mich zunächst wie eine redaktionelle Hervorhebung wirkte, ist also eigentlich eine immense Werbestrecke. 599 Euro plus Mehrwertsteuer bezahlen die Webseiten für diese Art der Präsentation. Für 99,- Euro plus Mehrwertsteuer gibt es einen ausführlichen Eintrag mit bis zu 300 Zeichen.

Immerhin: „Ein Anspruch auf Aufnahme besteht nicht. Die Redaktion behält sich vor, Aufnahmeanträge abzulehnen, die nicht den Aufnahmekriterien entsprechen.“ So steht es auf der Bestellseite namens „Aufnahmeantrag“. Die Aufnahmekriterien sind aber nicht so schwer zu erfüllen. Die Seite muss auf deutsch sein, sollte eine kurze Adresse und „möglichst viele“ kommentierte Links enthalten. Eine „übersichtliche“ Bedienerführung und ein „großes Service-Angebot für den Surfer“ gehören ebenfalls dazu. Naja, harte Kriterien sehen anders aus.

Warum ist das nun schlecht? Aus meiner persönlichen Sicht verliert das Buch dadurch sehr an Wert. Es ist zwar die Redaktion, die die Inhalte aussucht, aber sie bestimmt nicht die Gewichtung. So sind viele interessante Websites in dem Buch zu finden, aber wie wichtig und umfangreich sie sind, ist kaum zu erkennen. Alles steht recht gleichwertig nebeneinander. Die Sortierung innerhalb der Rubriken ist rein alphabetisch. Und die Hervorhebungen sind, wie oben beschrieben, in der Regel bezahlt – und somit für den Leser längst nicht so wertvoll wie eine redaktionell begründete Hervorhebung. Allein die Highlights am Anfang der jeweiligen Kapitel können so etwas wie eine Orientierung bieten. Mir ist das zu wenig.

Das Web 2.0-Special

Das Web 2.0-Special wirkte auf mich ein wenig seltsam. Als Vertreter zehntausender deutschsprachiger Blogs müssen allein Basicthinking, Blogbar, Factorfake, der Schockwellenreiter und Spreeblick herhalten. Das war’s. Bei den „Verzeichnissen“ offenbart sich eine altbekannte Schwäche von Print: Blogscout wird empfohlen – zum Erscheinungstermin ist der Dienst schon Geschichte. Gut, dafür kann natürlich keiner was.

Zum Thema Fotos und Videos gibt es zwar neben Sevenload auch das (nicht gerade „deutsche“) YouTube, Flickr hingegen nicht. Und unter „Freunde & Bekanntschaften“ finden sich zwar Plappadu und Wamadu, aber nicht deren Vorbild Twitter. Während beim Original die Nachrichten im Sekundentakt herumzwitschern, liegen bei den von der Adressbuch-Redaktion empfohlenen Klonen teilweise Stunden dazwischen. Wer hat das ausgesucht? Anderes Beispiel: del.icio.us fehlt, ico.de hingegen nicht – aber die haben auch eine Anzeige gekauft… Dass Facebook als Studentencommunity firmiert, mag man einem frühen Redaktionsschluss in die Schuhe schieben. Aus meiner Sicht hat Facebook dieses Etikett in diesem Jahr nachhaltig abgelegt.

Ich möchte das Adressbuch hier nicht in Grund und Boden schreiben. Aber wenn ich mir die Web 2.0-Seiten anschaue, habe ich meine erheblichen Zweifel, ob ein Außenstehender damit wirklich eine Hilfe an die Hand bekommt. Und ich kann mir darüber hinaus nicht vorstellen, dass ein Insider des Web 2.0-Geschehens in Deutschland diese Auswahl vorgenommen hat.

Fazit

Einerseits ist das Web-Adressbuch, von den oben genannten Schwächen abgesehen, ein interessantes Nachschlagewerk. In vielen Bereichen kann man auf Websites stoßen, die man vorher so nicht kannte. Und einen Webkatalog als Buch herauszubringen, ist eine gute Idee. Mir persönlich wäre es andererseits lieber, man würde auf den teuren (weil hochwertigen) Druck ganz verzichten und stattdessen einen entsprechenden Service ins Netz stellen. Warum? Weil ein solcher Dienst aktueller und redaktionell unabhängiger sein könnte, da zur Refinanzierung nicht solche Mengen an Werbung nötig wären. In der jetzigen Form empfinde ich das Adressbuch leider als unausgewogen. Zielgruppe sind sicher neue Internetnutzer. Denen kann es zum Teil hilfreich sein und die Nachfrage wird da sein. Sein ganzes Potenzial schöpft das Buch aber längst nicht aus, denn als echten Wegweiser kann ich es nicht ernstnehmen. Sehr schade.

Eckdaten

832 Seiten, 600 farbige Abbildungen, 16,90 Euro (in Deutschland)

A N Z E I G E

BMA - Business Management Akademie

 

14 Gedanken zu „Buchkritik: Web-Adressbuch mit Web 2.0-Special

  1. Als Herausgeber des Web-Adressbuches für Deutschland möchte ich zu diesem Artikel kurz Stellung nehmen:

    In dem Artikel wird der Eindruck erweckt, dass man sich in das Web-Adressbuch einkaufen kann. Dies ist nicht der Fall. Vielmehr wird der Inhalt des Web-Adressbuches durch die Redaktion jährlich neu zusammengestellt. Nur die aufgenommenen Web-Seiten haben die Möglichkeit, Ihre Web-Seite mit einem Bild zu präsentieren. Wir müssen sehr hohe Qualitätskritrien ansetzen, sonst würde niemand das Buch kaufen und wir hätten nicht schon über 1.200 begeisterte Pressestimmen erhalten und wären nicht mehrfacher Testsieger bei Suchmaschinentests gewesen. Durch die Einnahmnen können wir das Buch sehr hochwertig farbig drucken und können 832 farbige Seiten für nur 16,90 Euro verkaufen und der Leser hat den Vorteil, einige Web-Seiten als Bilder anschauen zu können. Durch viele Tests durch Computer-Fachredakteure wurde bewiesen, dass das Web-Adressuch viele interessante Web-Seite präsentiert, die bei den Suchmaschinen oftmals nur schwer oder gar nicht mit den jeweiligen Stichwörtern zu finden sind. Wir präsentieren (fast) nur deutschsprachige Web-Seiten, daher sind die o.g. Web-Seiten nicht aufgenommen worden. Von den 6.000 Web-Adressen haben wir nur ca. 10 sehr wichtige englischsprachige Web-Seiten aufgenommen.

    Tipp: Einfach mal vergleichen, was z.B: Google zu den jeweiligen Stichworten anzeigt. Außerdem stößt man auf Web-Seiten nach denen man gar nicht gesucht hätte.

    Mathias Weber
    Herausgbeber Web-Adressbuch

    Pressestimmen:
    „Die Alternative zu ‚Google‘ und Co.“
    HAMBURGER ABENDBLATT

    „Das papierne Web-Adressbuch kann sogar Google abhängen.“
    WIESBADENER KURIER

    „Wer sich durch die Themengebiete treiben lässt, der findet immer neue gut gemachte Webseiten, die Google & Co nicht als Treffer anzeigen.“
    BAYERN 3

  2. Hallo Herr Weber, vielen Dank für die Reaktion. Dass es „Aufnahmekriterien“ gibt, habe ich in meinem Artikel geschrieben. Dass die nach meiner persönlichen Einschätzung allerdings recht leicht zu erfüllen sind, auch. Und dass die Screenshots in der Regel keine redaktionelle Hervorhebung sind, sondern bezahlte Anzeigen, bleibt aus meiner Sicht eine große Schwäche dieses Buchs. Zumal ich mich gefragt habe, wie vielen Lesern dieser Zusammenhang tatsächlich klar wird.

  3. Hallo Herr Tißler,
    es kann nur derjenige eine Abbildung buchen, der auch mit einem normalen Standard-Eintrag aufgenommen worden wäre. Wir haben schon viele bezahlte Screenshot-Einträge aus Qualitätsgründen ablehnen müssen. Außerdem sind die Screenshot-Anzeigen klar mit dem Zusatz „Anzeige“ versehen, das kann jeder Leser sehen. Wir suchen zu dem jeweiligen Themengebiet die 2 bis 10 besten Web-Seiten heraus – unabhängig davon, ob ein Screenshot gebucht wird oder nicht.

    Entscheidend ist doch, ob die Auswahl der Web-Seiten erstklassig ist, die wir präsentieren. Das wurde ja schon tausendfach durch die Presse in Artikeln und Tests bestätigt. Daß auch die Leser das Buch schätzen, zeigt sich ja daran, dass wir gerade die 11. Auflage herausgebracht haben und der Webguide zu den Top-Büchern Deutschlands gehört. Würden wir nicht jedes Jahr aufs neue eine strenge Auswahl der Web-Seiten vornehmen, wäre das Buch längst vom Markt und würde nicht schon 10 Jahre publiziert werden.

    Unser Ziel ist es die besten Web-Seiten Deutschlands übersichtlich und kompakt zu präsentieren.

    Übrigens haben wir Blogscout am 27.8.07 in unserem Datenbestand entfernt, da war das Buch aber schon in Druck. Im Web-Adressbuch gibt es inhaltslose Links höchstens bis zur nächsten Ausgabe. In Suchmaschinen finden sich inhaltslose Links oftmals mehrere Jahre.

    Mathias Weber
    Herausgeber Web-Adressbuch

  4. Da kann der Herr Weber argumentieren wie er will, wer übers Web 2.0 schreibt sollte wissen was Twitter ist wie man bei del.icio.us bookmarkt und dass es die 30+ Mio Nutzer im Gesichtsbuch nicht nur Studenten gibt. Da google ich lieber ne Stunde länger oder klicke mich durch die Bloggosphäre…

  5. @ Falko:

    Unsere Redakteure durchforsten das ganze Jahr über täglich das Internet auf der Suche nach den besten Web-Seiten. Daher sind uns die englischen Web-Seiten durchaus bekannt und wir wissen auch was Twitter und del.icio.us ist. Nur veröffentlichen wir keine englischsprachigen Web-Seiten (abgesehen von ganz wenigen Foto und Videoseiten, bei denen die Sprache nicht im Vordergrund steht). Das Web-Adressbuch FÜR DEUTSCHLAND beschränkt sich auf DEUTSCHSPRACHIGE Web-Seiten. Und gerade im Web 2.0-Kapitel haben wir viele tolle deutschsprachige Internet-Seiten präsentiert, die die Suchmschinen nicht auf den ersten Treffelisten anzeigen und die teilweise nicht sehr bekannt sind.

    Mathias Weber
    Herausgeber Web-Adressbuch für Deutschland

  6. connie, das ist nicht nett und nicht nötig.

    wahrheit ist immer etwas sehr subjektives, von daher ist herr weber von seiner seite aus durchaus im recht, genauso wie die kritiker.

    ihr hab das buch von der professionellen seite angeschaut, d.h. von der seite der menschen, die das internet „leben“ und „darstellen“. jemand, der so gar keinen plan hat, wird das buch mit anderen augen anschauen.
    ich seh das immer wieder an meinen eltern, die beide noch nie am pc gesessen sind und mich immer wieder mit rechercheaufträgen beglücken. wenn ich da nicht auf anhieb was finde (was die so auf anhieb nennen *fg*) kommt immer wieder: „das internet ist doch scheiße!“ das ist halt die generation, die noch in der unibibliothek anhand der karteikästen nachgeforscht hat. und für solche leute ist ein buch wie das obige sicher eine erleichterung. wenn diese menschen dann fest im sattel sitzen, werden die sicher nicht die neuauflage kaufen. aber wie gesagt, zum einstieg hervorragend geeignet.

    ich zb. habe mir bis ich einen pc mit internetzugang hatte (ist jetzt etwas über 10 jahre her) im teletext und aus zeitschriften die urls von seiten aufeg4eschrieben, die mich interessiert haben, die habe ich dann nach und nach abgearbeitet. :-)

  7. Klar, für solche Neueinsteiger kann es wirklich eine sinnvolle Sache sein – habe ich ja auch geschrieben. Allerdings würde ich mir dann erst recht eine stärkere Gewichtung und Einschätzung der Einträge wünschen. Durch die alphabetische Sortierung stehen kleine und große Projekte gleichwertig nebeneinander und die Screenshots sind ja, wie schon erwähnt ;-) , in der Regel Werbung, also keine rein redaktionelle Hervorhebung. Und das finde ich sehr schade.

    Geeignet ist das Buch übrigens auch für Leute, die noch überhaupt gar kein Internet haben. Ich könnte mir z.B. vorstellen, es meinen Eltern in die Hand zu drücken, damit die mal gucken können, was es da alles so gibt.

  8. ok, aber wer bestimmt, was für wen wichtig ist? jemand der katzencontent liebt, wäre bei upload sicher nicht gut aufgehoben. ;-)

    von daher ist a-z nicht schlecht.

  9. Den Sinn von dem Buch habe ich noch nie verstanden. Ob nun unabhängige oder gekaufte Beschreibungen finde ich dabei unerheblich. Die gekauften haben vielleicht sogar den Vorteil etwas länger bestehen zu bleiben (die verlinkte Seite).

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