Die Digitalisierung ist jetzt endgültig in unserer Arbeitswelt angekommen. Bei der Digitalen Transformation in Unternehmen geht es nicht mehr nur um innovative Produkte, agile Produktionsprozesse und kundenorientierte Dienstleistungen. Es reicht auch nicht, sich mit dem Konzept des Internets der Dinge, Robotern als Arbeitskräften oder der Augmented Reality auseinanderzusetzen. In unsicheren Zeiten, in denen die Veränderungsdynamiken ungewöhnlich hoch sind und die Zukunft unberechenbar geworden ist, geht es vor allem darum, wie Unternehmenslenker und Top-Führungskräfte denken und handeln. Hallo, „Digital Leadership“!
Mit digital Leadership fremde Galaxien entdecken
Echte Fans werden ihn kennen, den Spruch mit dem William Shatner in seiner Rolle als „USS Enterprise“-Captain James T. Kirk zu Beginn jeder „Star Trek“-Episode seine Raumfahrt-Mission beschrieb:
„These are the voyages of the starship Enterprise. Its five-year mission: To explore strange new worlds, to seek out new life and new civilisations, to boldly go where no man has gone before.“
„Boldly go“ heißt so viel wie „mutig vorangehen“ und beschreibt genau das, was in Zeiten des Umbruchs von Entscheidern und Unternehmenslenkern zu erwarten ist: Sich aufzumachen in die Ferne, zu fremden Galaxien vielleicht. Anstatt das eigene Denken und Handeln zu reflektieren, wurde in Führungsetagen zum Thema „Digitaler Wandel“ lange Zeit ausschließlich auf Technologie und Software gesetzt und die Zuständigkeit an den IT-Chef delegiert. So langsam beginnen Unternehmenslenker zu verstehen, dass die digitale Transformation mehr von ihnen erfordert, als innovative Produkte, agile Produktionsprozesse oder kundenorientierte IT-Dienstleistungen zu entwickeln. Dass es nicht ausreicht, sich mit dem Konzept des „Internets der Dinge“, Robotern als Arbeitskräften oder der „Augmented Reality“, der computergestützt erweiterten Wahrnehmung der Realität, auseinanderzusetzen.
In unsicheren Zeiten, in denen Veränderungsdynamiken ungewöhnlich hoch sind und die Zukunft nicht mehr berechenbar ist, bedarf es einer mutigen und intelligenten Führung. Leila Summa, Senior Vice President Marketing Solution bei Xing und Autorin des Fachbuchs „Digitale Führungsintelligenz: Adapt to win“, das in Kürze bei Springer Gabler erscheinen wird, erklärt den Sachverhalt so:
„Die kontinuierliche Veränderung durch die Digitalisierung erfordert eine neue Art von Anpassungsfähigkeit. „Digitale Führungsintelligenz“ setzt den Fokus dort, wo in einer permanenten Übergangsphase der größte Handlungsbedarf liegt: in der Führung und der Fähigkeit, den digitalen Wandel im Unternehmen zum eigenen Vorteil zu nutzen.“
Achtung, ein Weckruf!
„Alternative Führung“, „Digital Transformational Leadership Style“, „Digital Leadership Excellence“ oder einfach nur „Digital Leadership“ – die Vielzahl der Buzzwords zeigt auf, dass umgedacht werden muss in deutschen Chefetagen. Tim Cole, einer der bekanntesten Digital-Publizisten und Kolumnisten in Deutschland, bezeichnet sein neues Buch „Digitale Transformation“ als einen „Weckruf“. Er befürchtet, dass deutsche Führungskräfte nicht von den verkrusteten Strukturen lassen können. Dass sie sich mit ihrer großen Angst vor Fehlentscheidungen lieber weiterhin hinter Silo-Strukturen verstecken und weiterhin, anstatt Neues zu wagen, die vorherrschende Command-and-Control-Kultur zur Optimierung ihres eigenen Machtzentrums nutzen.
Auch Thomas Sattelberger, der als Top-Manager bei Daimler, Lufthansa, Continental und der Telekom die selbstherrliche Führungskultur der Deutschland AG mit ihren Eckbüros, Chauffeuren und taktischen Scharmützeln gegen Chefkollegen genossen hat, kritisiert die geschlossenen Systeme in Konzernen und Gesellschaft sowie die damit verbundene Chancenungleichheit. Was wir für den Weg in die Zukunft brauchen, ist genau das Gegenteil: Mehr Netzwerk und Offenheit für Engagement unabhängig von Hierarchien. In letzter Konsequenz bedeutet das weniger Macht und Einflussnahme auf allen Führungsebenen.
Dass erst dieser Kontrollverlust in Unternehmen und Gesellschaft überhaupt eine Teilhabe ermöglicht, hat der im letzten Jahr überraschend verstorbene Unternehmer und Honorarprofessor für Organisationspsychologie Peter Kruse in seinen jüngsten Arbeiten über lernende Systeme herausgearbeitet. Seine feste Überzeugung: Das Internet und die zunehmende Digitalisierung wird alles in unserer Welt auf den Kopf stellen. Dass aber kaum ein Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft an diesen Veränderungen teilhaben möchte, hat Kruse mit seinen „Acht Regeln für den totalen Stillstand im Unternehmen“ unermüdlich auf Management-Veranstaltungen vorgetragen.
Hier gibt es seinen Vortrag dazu als Video:
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Unreife Führung
Jeder weiß, dass es um die digitale Transformation in Deutschland nicht so gut bestellt ist, weil unsere QM-überzertifizierten, rechtlich bis ins kleinste Detail abgesicherten Organisationssysteme vielfach festgefahren sind und unsere Top-Manager und Entscheider ängstlich alles das vermeiden, was Irritationen und Unsicherheiten auslösen könnte. Dadurch wird offensichtlich, dass der Schlüssel für den Fortschritt im „Digital Leadership“ liegt. Doch warum tun sich unsere Top-Entscheider so schwer mit ihrer digitalen Führungsintelligenz?
Dass in Organisationen noch immer die „cover my ass“-Einstellung herrscht anstatt „trial and error“, liegt vor allem an der Personalauswahl. Wie Volker Jacobs, Geschäftsführer der Hamburger Führungskräfteberatung CEB, im „Harvard Business manager“ berichtet, werden in rund einem Viertel aller Unternehmen „Chefposten an Menschen vergeben, die ihnen nicht dabei helfen werden, das Unternehmen in die Zukunft zu bringen“. Im selben Artikel führt der Berater mit IT-Hintergrund aus, was seine weltweite Umfrage unter 5.000 Personalleitern ergab: Nur 12 Prozent aller Führungskräfte verfügen über „Denkweisen, Fähigkeiten und Verhaltensweisen“, die „ihnen helfen könnten, Wert für das Unternehmen als Ganzes zu schaffen.“
In eine ähnliche Richtung zielt auch auch das Ergebnis einer empirischen Studie zur „Digital Business Readiness“, die das IT- und Beratungsunternehmen Crisp Research im vergangenen März veröffentlicht hat. Sie befragten 503 Business- und IT-Entscheider der DACH-Region, ob sie reif seien für die digitale Transformation. Beim Testen ihrer „Digital Skills“ (Wissen und Fähigkeiten) und ihres „Digital Mindsets“ (digitale Führungskompetenz und „Digital First“-Denkweise) stellte sich heraus, dass 71 Prozent der Befragten als „Digital Beginner“ einzustufen sind, 17 Prozent als „Technologie-Experten“, sieben Prozent als „Digital Leader“ und lediglich drei Prozent als „Digitale Visionäre“.
Dazu ein Zitat aus der „Readiness“-Studie:
„Fast jedes fünfte Unternehmen (19 Prozent) in Deutschland gehört zur Gruppe der Skeptiker beziehungsweise Verweigerer. Diese Unternehmen scheinen noch nicht erkannt zu haben, dass Digitalisierung kein Hype oder Marketingphänomen ist, sondern eine langfristige, nachhaltige und tiefgreifende Veränderung von Ökonomie und Gesellschaft, der sie sich früher oder später ohnehin stellen müssen. Insgesamt sieht sich über die Hälfte der Unternehmen (61 Prozent) als Getriebene der digitalen Transformation. Insbesondere die Entscheider außerhalb der IT sehen sich nicht als Gestalter dieses Wandels.“
Ein vernichtendes Urteil über die Leadership-Bereitschaft in deutschen Führungsetagen. Es fehlt an Zielen und der Bereitschaft zur Veränderung. Unser Top-Management scheint überfordert zu sein. Es erstarrt im ewig Gestrigen und mutiert zu „Chefs aus der Hölle“: Sie sitzen aus, dreschen Phrasen, geben unrealistische Ziele vor und verschieben Schuld. Was ihnen fehlt, umschreibt Summa so: „Je höher die digitale Führungsintelligenz, desto größer die Erfolgschancen der digitalen Business Transformation.“ Digital Leader haben Visionen und gehen der Zukunft mutig entgegengehen. Wir brauchen weniger „Chef aus der Hölle“ und mehr „boldly go“.
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Hallo, Digital Leadership
Mit dem Begriff „Digital Leadership“ bezeichne ich einen Führungsstil, der Unternehmen und unsere Gesellschaft sicher die neue Zeit transportieren soll. Meine Definition von „Digital Leadership“ geht weit über die Managementfunktion eines Chief Digital Officers (CDO) hinaus, die gelegentlich auch mit „Digital Leadership“ bezeichnet wird. Meine Definition geht eher in die Richtung von B.J. Avolio et al (2001), die „Digital Leadership“ als einen Prozess der sozialer Einflussnahme beschreiben, der durch moderne Informationstechnologien in Gang gesetzt wird, um Veränderungen in der Einstellung, Wahrnehmung, den Emotionen, des Denkens und Verhaltens und/oder der Performance von einzelnen Menschen, Gruppen oder Organisationen zu bewirken. Im Original:
„… a social influence process mediated by advanced information technologies to produce changes in attitudes, feelings, thinking, behavior, and/ or performance of individuals, groups, and/or organizations.“
Auch diese Definition greift meines Erachtens zu kurz. Natürlich müssen sich Digital Leader fragen, was es für die Organisation ihres Arbeitsalltags bedeutet, wenn Menschen hauptsächlich digital miteinander kommunizieren und die formale und schwerfällige E-Mail von schnellen informellen Nachrichtentools wie WhatsApp, Facebook Messenger und ICQ oder von kollaborativen Tools wie Slack oder Intranetdiensten wie Yammer flankiert bzw. ersetzt werden können. Warum Mitarbeiter im Büro sitzen und Arbeitszeiterfassungstools bedienen müssen, wenn sie „always on“ sein können und sich mit den Kollegen virtuell per Skype, Whatsapp, Google Apps und Cloud-Technologie austauschen können. Und warum sich Strategie und Konzeption ändern muss, wenn jeder digitale Prozess dokumentiert und ausgewertet werden kann.
Für mich gehört zum Begriff „Digital Leadership“ auch die Überzeugung, dass intrinsische Motivation wichtiger ist als Control and Command. Joël Luc Cachelin von der schweizerischen Wissenschaftsfabrik beschreibt diesen Aspekt mit seiner Definition von „Digital Leadership“ so:
„Bei der neuen Führungslogik liegt der Fokus nicht mehr auf der Führungskraft, sondern auf dem Netz, in dem sie tätig ist. Ihre primäre Aufgabe ist es nicht, Menschen zu führen, sondern durch Vernetzen, Verbinden und Verknüpfung das Netzwerk zu entfalten. Der Radius des Führens nimmt zu, der direkte Einfluss der Führungskraft ab. Führen ist in erster Linie eine Gestaltungsaufgabe.“
Diese Gestaltungsaufgabe umfasst in erster Linie, einen Leadership Style zu entwickeln, der Menschen dazu motiviert, dem digitalen Wandel zu begegnen. Damit sie sich ohne wenn und aber in Unternehmen und Organisationen auf Veränderung einlassen können und den evolutionsbedingten Übergang von streng hierarchischen Strukturen zu flexiblen selbstorganisierenden Systemen meistern.
„Digital Leadership“ umfasst das Gebot unserer Zeit, unternehmerische und gesellschaftlich relevante Aktivitäten an die sich ständig verändernden Gegebenheiten anzupassen, um die Digitale Revolution zu überleben und auch in Zukunft erfolgreich und gemäß unserer eigenen Werte leben zu können.
Wie das funktionieren kann, beschreibt Teil 2 dieses Beitrags. Darin finden Sie fünf konkrete Denkanstöße für eine moderne Führungskultur.
Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 31
Wie die digitale Transformationen unsere Arbeitswelt verändert und Unternehmen gleich mit. Mit Beiträgen zu Digital Leadership, Arbeiten 4.0, Changemanagement und Social Intranets.
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Christiane Brandes-Visbeck ist Kommunikationswissenschaftlerin, Autorin und Unternehmerin. Sie war unter anderem in unterschiedlichen leitenden Positionen bei der Bertelsmann AG tätig und gründete 2019 ihr eigenes Beratungsunternehmen Ahoi Innovationen GmbH. Von Hamburg aus ist sie als innovative Impulsgeberin, Transformationsberaterin und Kommunikationsstrategin aktiv und auf die Themen Innovation, Diversity, New Work und Digital Leadership spezialisiert. Christiane Brandes-Visbeck hat mit Co-Autorinnen die Fachbücher „Netzwerk schlägt Hierarchie. Neue Führung mit Digital Leadership“ und „Fit für New Work“ veröffentlicht. Als Beirätin des jungen Frauennetzwerks nushu und Gründerin der Initiative Zukunftsnarrative setzt sie sich aktiv für Diversität und Menschenorientierung in der Wirtschaft ein. Autorenfoto: © Katrin Schmitt, Outshot