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Was sind Bücher in einer digitalen Welt?

Wir beschäftigen uns heutzutage in der Buchbranche und darüber hinaus immer intensiver mit E-Books. Die sogenannten elektronischen Bücher werden derart in den Fokus gerückt, dass viele schon von einem Boom oder sogar von einem Hype sprechen. Das ist nicht neu. Schon Ende der 1990er gab es einen Medienrummel rund um das Thema E-Books, der in den letzten Jahren aber noch übertroffen wurde.

Logo zu Leander Wattigs Buchnotizen

Während wir also selbstverständlich von elektronischen Büchern sprechen, ließe sich durchaus fragen, was ein Buch in einer digitalen Welt überhaupt ist? Was ein Buch in der analogen Welt ist, wurde 1964 von der UNESCO definiert:

„A book is a non-periodical printed publication of at least 49 pages, exclusive of the cover pages, published in the country and made available to the public;“

Wenn wir uns also an der Definition der UNESCO orientieren, so werden letztlich vier Anforderungen an ein Buch gestellt. Ein Buch müsse

1. gedruckt sein,
2. veröffentlicht sein,
3. nicht-periodisch erscheinen und
4. der Inhalt muss eine bestimmte Mindestlänge aufweisen.

Vielleicht lässt sich ja eingrenzen, was ein Buch in einer digitalen Welt sein könnte, indem wir diese Kriterien übertragen:

Zu 1.) Die Anforderung, ein Buch müsse zwangsläufig (auf Papier) gedruckt werden, ist in einer digitalen Buchwelt vermutlich nicht zeitgemäß. Schließlich bezeichnen wir E-Books und auch Hörbücher als Bücher, obwohl sie nicht (auf Papier) gedruckt werden.

Zu 2.) In einer digitalen Welt ist anzunehmen, dass nahezu jeder für die Öffentlichkeit bestimmte Inhalt der Öffentlichkeit über das Internet auch zugänglich gemacht wird. Daher dient diese Anforderung kaum mehr der Abgrenzung, wie das noch in einer massenmedialen Medienlandschaft der Fall gewesen ist, als es sehr teuer war, Bücher zu veröffentlichen. Im Gegensatz dazu kann heute jeder mit einem Computer und Internetzugang Ausgestattete problemlos Bücher veröffentlichen.

Zu 3.) Ein klassisches Buch erscheint im Gegensatz zu Zeitungen und Zeitschriften nicht-periodisch. Im Internet wären Entsprechungen von periodisch erscheinenden Druckwerken u.a. auf Dauer angelegte Content-Websites wie Nachrichtenseiten und Blogs. Nicht-periodisch wären dementsprechend im Internet publizierte Inhalte, die in sich relativ abgeschlossen sind und zusammenhängend erscheinen.

Zu 4.) Bücher bestehen aus umfangreicheren Inhalten. Im Internet entfällt eine Messung nach Seitenzahlen. Eine Website oder PDF mit wenigen Worten wäre aber sicherlich noch kein Buch. Daher müsste man hier eine andere Messzahl wählen, um den Umfang eines Buches zu messen. Natürlich könnte man bspw. die Anzahl der Zeichen oder Wörter nutzen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das wirklich die sinnvollste Messzahl wäre.

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass wir bei der Definition dessen, was ein Buch in der digitalen Welt ist, zwischen dem Datenträger bzw. Medium auf der einen Seite und dem Inhalt auf der anderen Seite unterscheiden sollten. Ich tendiere dazu, der Art des Inhaltes größeres Gewicht als der Art des Datenträgers einzuräumen. Sonst wären Bücher bspw. nur die auf Papier gedruckten Verkörperungen eines bestimmten Contents. Eine solche Definition halte ich für nicht allzu sinnvoll und für durch die Praxis auch widerlegt.

Wenn man sich bei der Abgrenzung dessen, was ein Buch sein könnte, jedoch am Inhalt orientiert, verschwimmen die Grenzen relativ schnell. Der UNESCO-Definition folgend könnten relativ abgeschlossene Inhalte von größerem Umfang als Bücher angesehen werden – egal auf welchem Datenträger sie fixiert sind. Wichtig wäre dann vielmehr, dass der Inhalt ein besimmtes Thema umfassend behandelt. Dann müsste man folglich Webseiten wie bspw. Nach 100 Jahren (Annette von Droste-Hülshoff in Briefen) als Buch bezeichnen. Interessanterweise bezeichnet der bekannte Blog Mashable die thematisch orientierte Zusammenstellung von Blog-Artikeln als eine Art Buch.

Eine Abgrenzung fällt auch insofern schwer, als dass sich die Art der Darstellung von Inhalten derzeit enorm wandelt. Wir leben zunehmend in einer Welt der Echtzeit-Streams. Hier könnte ein Charakteristikum von Büchern sein, dass sie stetig sich verändernde Inhalte aus dem „Stream“ herausfischen und fixieren. Letztlich haben Bücher genau das schon immer getan. Nur dass der „Stream“ früher ausschließlich durch die Massenmedien sowie die Köpfe und Gespräche der Menschen floss. Natürlich floss er auch langsamer.

Noch schwieriger wird die Abgrenzung, wenn wir z.B. Video- und Bildmaterial in die Betrachtung einschließen. Bekanntlich gibt es viele Bilderbücher und Bildbände. Doch welche Fotoseite würden wir als Buch bezeichnen? Zudem können auch Bewegtbilder bestimmte Themen umfassend behandeln, wie es auch Bücher tun. Dennoch werden wir Filme nicht als Buch bezeichnen wollen. Daher könnten Bücher auch künftig durch eine Textlastigkeit gekennzeichnet sein.

Insgesamt ergeben sich aus meiner Sicht derzeit viele Fragen und nur wenige Antworten. Dass die Buchwelt aber auch schon vor dem Aufkommen der manche Definition sprengenden digitalen Medien kompliziert gewesen ist, zeigt das sogenannte „größte Buch der Welt“: die Kuthodaw-Pagode in der myanmarischen Stadt Mandalay. Sie besteht aus 729 Tempeln, in denen jeweils eine Marmorplatte liegt. Auf allen Marmorplatten zusammen sind das Leben und die Lehren von Buddha dargestellt. Wenn wir uns jeden Tempel als eine Microsite im Internet denken, ist der gedankliche Weg zu vernetzten Formen digitaler Bücher gar nicht so weit. Letztlich zeigt das Beispiel auf, dass wir auch früher schon verschiedene Buch-Formen bei unseren Buch-Definitionen berücksichtigt haben.

Nun bin ich gespannt auf Ihr/Euer Feedback: Sicherlich gibt es noch ganz andere Ansatzpunkte für die Abgrenzung des Buchbegriffs!? Ich freue mich auf Vorschläge und Anmerkungen.

Über den Autor

Leander Wattig schreibt für UPLOAD die Kolumne “Buchnotizen” zu den Veränderungen der Buchbranche durch das Internet und die Digitalisierung. Darüber hinaus führt er einen Blog über Trends in neuen und alten Medien.

A N Z E I G E

 

16 Gedanken zu „Was sind Bücher in einer digitalen Welt?

  1. Neben den formalen Kriterien, mit denen sich das klassische Buch definiert, sollte auch das komplexe Leseerlebnis verbunden werden, das die Lektüre eines Buches im Unterschied zu einem Zeitungsartikel oder einer kürzeren Betrachtung bietet. verspricht. Für mich ist dieses Kriterium auch für ein E-Book ausschlaggebend.

  2. Für mich sind Bücher in der digitalen Welt einfach besser. Da man ja oft mit dem Buch zusammenarbeiten muss (in der Schule auf jeden Fall), sind Ebooks praktischer, denn man kann, wenn man etwas Bestimmtes sucht, über die Suchfunktion suchen, was bei einem normalen Buch nicht ginge. Da muss man alles nachblättern und das braucht seine Zeit bis man es gefunden hat.

  3. Wenn es um Fachliteratur geht, haben E-Books durchaus ihre Vorteile, wie eben die schnelle Auffindbarkeit der gesuchten Information. (Wie einer der Vorredner schon erwähnt angesprochen hat.)
    Aber wenn es um das Leseerlebnis z.B. eines Romans geht, dann ist das analoge Buch für mich einfach unschlagbar. Da möchte ich das Papier beim Umblättern spüren und nicht durch einen simplen Tastendruck auf die nächste Seite gelangen. Außerdem kann ich es nach dem Lesen in ein Regal stellen und jederzeit wieder herausnehmen. Es verschwindet nicht einfach als schnöde Datei auf der Festplatte eines elektronischen Lesegerätes…

  4. Ganz ehrlich: Mir scheint es wenig sinnvoll, die Einordnung »Buch« in der digitalen Welt überhaupt weiterzuführen. Du sprichst es ja selbst an: Die ursprüngliche Definition des Begriffs »Buch« ist untrennbar verbunden mit kategorischen Abgrenzungen, die in der neuen Medienwelt ihre Bedeutung verloren haben.

    Die zunehmende Medienkonvergenz führt dazu, dass in Zukunft alle möglichen Medien- und Wiedergabeformen beliebig miteinander kombiniert werden können. Trägermedien und Übertragungswege werden nur noch Komponenten einer universellen technischen Infrastruktur sein. Aus medientheoretischer Sicht werden daher die Medienform (im Sinne der Modalität und der Kodalität: Text, Bild, Video und Kombinationen) und der Inhalt umso mehr in den Vordergrund rücken.

    Es sind also nicht nur einfach die Begriffe und Bezeichnungen, die sich ändern, sondern die Kategorien. Kernfunktionen, mediale Vermittlungsleistungen können von der analogen in die digitale Medienwelt übertragen werden, Funktionsweisen und Wirkungsbereiche jedoch nur punktuell und sehr begrenzt. Das gilt für ökonomische, kulturelle und journalistische Aspekte des Medienbetriebs gleichermaßen.

    In der Konsequenz aus diesen Überlegungen erwarte ich, dass zukünftig die Frage nicht lauten wird: »Website oder eBook?«, ebensowenig wie »Blog oder Zeitung?«, sondern eher »Roman oder Hintergrundartikel, Tagebucheintrag oder Essay, Hörbuch oder Handbuch?«. Schließlich können eBook-Reader auch aktuelle und periodische Inhalte darstellen, die Geschäftsmodelle der Anbieter setzen zu einem wesentlichen Teil darauf. Das Alleinstellungsmerkmal von eBook-Readern ist ja nicht die (technisch bedingte) Beschränkung auf textuelle Darstellungsformen, sondern die angenehme Anzeige und lange Akkulaufzeiten. Irgendwann wird es sicher auch Geräte geben, diese Vorteile mit der Fähigkeit zur flüssigen Bewegtbildwiedergabe (in Farbe!) von TFTs verbinden.

    Spätestens dann wird die Analog-Metapher des eBooks ausgedient haben. Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal von dann universellen Endgeräten wird Größe, Eingabeform und Design sein. Die Einbürgerung der Bezeichnung eBook für in (mal mehr, mal weniger) universelle Container-Dateiformate eingebettete graphisch-textuelle Inhalte scheint mir nicht etwa einer tatsächlichen Notwendigkeit der Fortführung bzw. Übertragung dieser Kategorie geschuldet. Eher schon entspringt sie der menschlichen Natur, durch Stereotypen zeitnah einem Orientierungsbedürfnis entgegenzukommen. Doch wie es Stereotypen so an sich haben, nimmt ihr Nutzen nach der anfänglichen Einordnung rapide ab.

    Es lassen sich bestimmt eine Menge Beispiele finden, bei denen der Verlagerung einer Kernfunktion auf ein ungleich komplexeres und leistungsfähigeres, und daher eher wesensfremdes technisches System zunächst mit einem Vergleich begegnet wird. Ich wähle mal ein ganz aktuelles Beispiel, bei dem wir gerade erst anfangen, uns von den alten Funktionsmetaphern zu trennen: Die E-Mail. In ihren Anfängen Mitte der 70er Jahre war die Analogie zur guten alten Post das einzig naheliegende. Und obwohl uns das Wort E-Mail inzwischen (oder: noch) ganz selbstverständlich über die Lippen gleitet, ist bereits ein Trend weg von dieser im Grunde ziemlich anachronistischen Metapher erkennbar: Instant Messenger, Twitter und die Sofortnachrichten sozialer Netzwerke ersetzen in immer mehr Nutzungsszenarien die E-Mail. Es werden »Messages« oder »Nachrichten« verschickt, keine Mails. Google hat vor kurzem den Dienst »Google Wave« vorgestellt – mit dem Anspruch, die gute alte E-Mail zu beerben. Von Mails ist auch dort an keiner Stelle die Rede. Selbst der Begriff »Nachricht« stößt bei diesem Konzept an seine Grenzen, weshalb Google die ausgetauschten, von jedem Kommunikationsteilnehmer editierbaren Informationseinheiten eben als „Waves“ bezeichnet.

    Das atemberaubende am Medienumbruch, den wir derzeit erleben, ist, wie umfassend jede Form der Kommunikation betroffen ist, und wie umfassend auch mediale Kategorien verschwinden, die bisher als Orientierungsraster für Abgrenzungen, Definitionen und ganze Erklärungsmodelle herhalten mussten. Das führt auf der einen Seite dazu, dass auch bisherige Vermittlungs- und Finanzierungsmodelle ins schwanken geraten. Auf der anderen Seite – und das ist meiner Meinung nach eine riesige Chance – geben diese eingerissenen Grenzen den Blick auf die wesentlichen Fragen zur Funktionsweise und den Aufgaben kultureller Güter frei. Wenn – zum Beispiel – nicht mehr das Trägermedium den Grad an Aktualität vorgibt, wird Entschleunigung zugunsten einer vertieften Analyse zu einer bewussten Entscheidung. Ich finde deine Beschreibung einer Welt der »Echtzeit-Streams« ziemlich passend. Ich glaube aber nicht, dass Entschleunigung ein Alleinstellungsmerkmal für eBooks ist. Echtzeit und Entschleunigung können im Web parallel oder sogar verknüpft bestehen. Das Romane in der Regel nicht auf Webseiten veröffentlicht werden, liegt wohl vor allem an den fehlenden Kontrollmöglichkeiten (Stichwort DRM und Gerätebindung). Gemeinfreie Werke, Online-Handbücher, Essays, Sammlungen wie das von dir angesprochene »Nach 100 Jahren« sind Inhalte, die nicht auf Aktualität setzen, in der analogen Welt in Form von Büchern erschienen wären und in der digitalen Welt trotzdem ausserhalb des eBook-Begriffs bestehen können.

  5. Ich bin gerade auf der recherche nach infos zu meiner bachelor thesis. geht um neue medien vs alte medien im groben.
    danke für eure ansichten. hab mich von euch noch ein wenig inspirieren lassen.

    danke nochmal

    gruß

    Nobbi

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