Meeting-Wahn: Wo bleiben die professionellen Meeter?

Der Meeting-Wahn hat in Zeiten von Pandemie und Home-Office noch einmal ganz neue Extreme erreicht. Es gibt nicht nur sehr viel mehr davon, sie sind auch noch anstrengender geworden. „Wenn ich die meiste meiner Arbeitszeit in Meetings verbringe – wer macht dann bitte meine Arbeit?“ fragt sich da sicher nicht nur Falk Hedemann in dieser Kolumne.

(Foto: gulobovy, 123rf.com)

Es fängt morgens mit dem Good-Morning-Coffee-Standup-Meeting an und endet mit dem Feierabend-Bierchen-Meeting. Dazwischen ist zum Glück noch reichlich Zeit für Kickoff-Meetings, Status-Meetings und Meeting-Planning-Meetings. Während der Pandemie haben wir uns zudem schlagartig schockverliebt in die We-Cook-2gether-Meetings, damit auch die Pausen sinnvoll genutzt werden. Nicht zu vergessen die Pre- und Post-Meeting-Meetings zur Vor- und Nachbereitung. Zack, ist der Tag auch schon vorbei. Die To-do-Liste bekommt langsam Telefonbuchlänge, aber was will man machen?

Vom dauerhaftem „Meeting“ bis zum Dauer-Meeter

Ist das jetzt übertrieben? Ja klar, immerhin ist das hier eine Kolumne, da darf ich das und muss es sogar. Aber damit das keine reine Glosse wird, komme ich jetzt zu den harten Fakten meiner Erfahrungen aus gefühlt 42 Meeting-Jahren.  

Meine erste bleibende Erfahrung mit Meetings hatte ich vor vielen Jahren mit einem Dauermeeting per Skype (ja, ich weiß, aber damals hatten wir nichts anderes). Ich muss während der Pandemie immer wieder daran zurückdenken, denn viele Wissensarbeiter haben in den letzten Monaten sehr wahrscheinlich eine ganz ähnliche Erfahrung gemacht. Also nicht mit Skype, hoffe ich, aber mit der Idee hinter dem Dauermeeting.

A N Z E I G E

neuroflash

 

Solange Menschen in einem zentralen Bürogebäude arbeiten, scheint es keinerlei Zweifel zu geben, dass sie auch wirklich arbeiten. Sobald sie aber im Home-Office sind, gelten wie selbstverständlich andere Regeln: Niemand wird skeptischer beäugt als die Mitarbeitenden, die gar nicht da sind. Und da ich im Unterschied zu den sehr vielen während der Pandemie Konvertierten schon immer als Remote Worker gearbeitet habe, weiß ich eines nur zu gut: 

Arbeitsmodelle, die Remote Work als Regelfall beinhalten, sind für Micro-Manager eine Art Büchse der Pandora: Macht sie bloß nicht auf – wer weiß, was da rauskommt!

In meinem speziellen frühdigitalzeitlichen Fall hieß das für mich: Morgens schaltete ich mich per Skype quasi virtuell mit ins Bürogeschehen ein. Offiziell hieß es dazu, dass man mich so jederzeit ohne Vorlauf ansprechen könne. Das würde Zeit sparen und Teamnähe vermitteln. Vielleicht war es Zufall, dass ich mir zu der Zeit mal wieder eine Ausgabe von George Orwells 1984 zulegte. Die Entkopplung der Arbeit von Ort und Zeit war zu dieser Skype-Zeit jedenfalls fast noch Science-Fiction.

In der Praxis war es dann so, dass ich Skype für seine Unzuverlässigkeit schätzen lernte. Ihr kennt das aus der Anfangszeit des ersten Lockdowns, als technische Probleme oder schlicht fehlende Lizenzen das eine oder andere Meeting abgekürzt haben. Ich hatte damals ziemlich verlässlich nach einiger Zeit ein eingefrorenes Standbild, was ich aber gar nicht bemerkte, weil ich so konzentriert in meine Arbeit vertieft war. Du kennst das.

Apropos Konzentration: Wie eine jederzeit mögliche Anrede aus dem Skype-Parallel-Office mir bei meiner konzentrierten Arbeit helfen sollte, war mir nie ganz klar. Konzentriere du dich mal auf deine Arbeit, wenn du digitale Zuschauer hast. Damit du jetzt nicht auf komische Gedanken kommst: Ich hatte schon damals mit Content zu tun und war nicht etwa in einer anderen Branche tätig …

Mir kam das ehrlich gesagt wie eine verrückte Melange vor: aus Home-Office und dem schlechtesten, was die Präsenzarbeit im Büro zu bieten hat. Meinen Kaffee musste ich selbst kochen und einen Obstkorb hatte ich auch nicht. Dafür aber die ständig quatschenden Kollegen, die lieber dich nach Dingen fragen, als selbst danach zu suchen oder auch nur zu denken. Kennst du, oder?

Okay, Schwamm drüber, ist ja lange her. Doch auch in der digitalen Neuzeit gibt es noch Probleme mit Meetings. Nur sind sie eben neu. Wir reden oft davon, dass die Pandemie bestimmte Trends, die es vorher schon gab, deutlich beschleunigt hat. Remote Work ist das beste Beispiel dafür. Aber es gibt auch eine dunkle Seite, die ebenfalls beschleunigt wurde. Über Micro-Management haben wir im Ansatz schon gesprochen. 

Dazu passt die sprunghaft gestiegene Anzahl von Meetings. Ja, ich weiß, wir brauchen diese Zoom- und Team-Meetings, weil wir uns nicht mehr an der Kaffeemaschine treffen. Dennoch kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass so manches Meeting eher einem Selbstzweck dient als der Produktivität oder der Effizienz. 

Pfiffige Führungskräfte entgegnen jetzt, dass es bei den informellen Kaffeemaschinentreffen auch nicht um Produktivität oder Effizienz ging. Stimmt, aber warum brauchen wir dann eigentlich eine virtuelle Form davon?

Aber das Team-Gefühl!!!

Wenn die zusätzlichen Meetings das Zwischenmenschliche ersetzen sollen, warum fühlen sich diese Meetings so völlig anders an als die Treffen an der Kaffeemaschine? Warum wird dabei über ganz andere Dinge geredet?

Was, wenn wir das Zwischenmenschliche im Remote Work ganz anders denken müssen? Was, wenn wir erst noch lernen müssen, digital so zu kommunizieren, wie wir es aus der Präsenzzeit gewohnt sind? 

Klasse Idee, dazu machen wir gleich mal ein Kickoff-Meeting …

Im Grunde ist es mir ja auch egal, wie viele Meetings jemand in seinem Kalender stehen hat. Zumindest so lange, wie es möglich ist, die Person auch noch zu erreichen, wenn es eine dringende Frage gibt. Ich hatte schon den Fall, dass ich montags eine Information für meine Arbeit brauchte und ich von meinem Kunden als Antwort erhielt:

„Vor Freitag habe ich keinen Zoom-Slot mehr frei, sorry!“

Es war für ihn scheinbar gar nicht denkbar, Informationen auch ohne ein Meeting auszutauschen. Es ging übrigens nur um eine Kleinigkeit, die dann aber eine Woche unerledigt blieb. Verrückte neue Welt, kann ich da nur sagen. So verrückt, dass einige da draußen schon zu professionellen Meetern mutiert sind, ohne es selbst zu merken. Wenn ich die meiste meiner Arbeitszeit in Meetings verbringe – wer macht dann bitte meine Arbeit? 

„Die delegiere ich ja gerade in den Meetings“, wäre eine logische Antwort eines Meeting-Pros. Ja, es wird Zeit für neue Berufsbezeichnungen.

Ist denn jetzt alles schlechter?

Keinesfalls. Besonders digitale Meetings bieten kreative und ganz neue Möglichkeiten. So kannst du dich beispielsweise einfach selbst stummschalten, um mal richtig fluchen zu können. Oder andere Dinge, die niemand hören soll. Du kannst auch anderen sagen, sie mögen sich bitte muten – mach das mal in einem Präsenzmeeting!

Was für den Ton gilt, ist selbstverständlich auch für das Bild möglich. Schalte deine Kamera wann immer du willst einfach aus. Endlich kannst du ungestört so gelangweilt gucken, wie du dich tatsächlich fühlst.

An dieser Stelle sei jedoch noch kurz erwähnt, dass handwerkliche Fehler sowohl beim Ton als auch beim Bild eine dauerhaft meetingbefreite Zeit nach sich ziehen können – bis ein neuer Arbeitgeber gefunden ist.

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Um den Meeting-Wahn für dich auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, gibt es glücklicherweise andere Möglichkeiten. Schau dir zum Beispiel mal den Zoom Escaper an. Damit kannst du dir eine Hintergrundgeräuschkulisse erzeugen, die sich prima als „Ich muss jetzt weg!“-Ausrede eignet. Ich persönlich mag ja das „Echo“, aber das ist natürlich Geschmacksache.

Vom gleichen Entwickler stammt übrigens die ultimative Lösung für zu viele Zoom-Meetings: Der Zoom Deleter prüft euren Rechner regelmäßig auf eine Zoom-Installation – und löscht sie augenblicklich. Immer wieder. Das dürfte euren IT-Admin ziemlich sicher in den Wahnsinn treiben.

Für mich ist das etwas zu hart, aber vielleicht probiere ich in einem kommenden UPLOAD-Meeting mal den Zoom-Escaper-Ton „Urination“ aus. Ich wünschte jedenfalls, dass es dieses Tool schon früher gegeben hätte.

Wir sehen uns im nächsten Meeting!


Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 98

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