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Das Leistungsschutzrecht, Frankreich und die heimlichen Gedanken von Frau Burmester

Die öffentliche Anhörung zum Leistungsschutzrecht vom 30.1.2013 und die Einigung von Google mit den Verlagen in Frankreich vom 1.2.2013 sind Anlass genug für ein kleines UPLOAD-LSR-Update. Wie sehen die nächsten Schritte aus? Wie stehen die Chancen? Was halten die Akteure hierzulande von dem Ergebnis in Frankreich? Ein kurzer Überblick und wichtige Informationen von Frau Burmester zu einem völlig anderen Thema…

Mann an Kopierer 1969
Hinkender Vergleich aus vergangenen Zeiten: Christoph Keese vergleicht Google mit Kopiermaschinen. Für die meisten dürften Suchmaschinen und Aggregatoren jedoch unverzichtbare Vertriebskanäle und Traffic-Lieferanten sein. Foto: SnapMan/Flickr

Viel Neues hat die Anhörung zum Leistungsschutzrecht im Rechtsausschuss nicht ergeben: Die Fronten sind klar, die Positionen der verschiedenen Interessenvertreter und Experten nicht neu, und alles in allem dürfte die Anhörung kaum mehr als eine Pflichtveranstaltung im parlamentarischen Verfahren gewesen sein. Interessanter ist da schon das Verfahren selbst, das ein anschauliches Lehrstück darüber bietet, wie ein von vielen Seiten ungeliebtes Gesetz bei bestimmten Konstellationen doch irgendwie alle Hürden nimmt.

Zur Erinnerung nochmal ein paar Schlaglichter: Über eine Lobby-Kampagne insbesondere des Springer-Verlags (mit Christoph Keese) ist das Gesetzesvorhaben in den Koalitionsvertrag von 2009 gelangt, die Regierung ließ sich dann bis zum März 2012 Zeit, um im Koalitionsausschuss den Start des Gesetzes zu beschließen. Im Juli 2012  lag dann der Referentenentwurf vor, der Ende August mit ein paar Änderungen vom Bundeskabinett abgesegnet wurde. Es folgte eine überraschend positive Stellungnahme des Bundesrates Mitte Oktober und schließlich die allseits bekannte erste Lesung im Bundestag vom 29.11.2012 (genauer nachzulesen in unserem damaligen UPLOAD-Beitrag). Danach wurde der Entwurf an die Ausschüsse des Bundestags übergeben, wobei der Rechtsausschuss die Federführung übernahm und  der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie und der Ausschuss für Kultur und Medien beratend mitwirken.

#Aufreger

Beim Verfahren gab es davon mindestens fünf:

  • Der Zeitplan für das Gesetzgebungsverfahren wurde – sagen wir mal – mit Bedacht entworfen, denn ein Verlags-Bonus-Gesetz im Wahlkampf-Theater nutzt entweder der Regierung („die Gegner, im Zweifelsfall also die Opposition, legt sich mit der Bild-Zeitung an“) oder den Verlagen („die Gegner lassen es am Ende dann doch lieber durch“)
  • Die erste Lesung fand – aus welchen Hintergründen auch immer – zu einer rekordverdächtigen Zeit statt, bei der die meisten Menschen ihren wohlverdienten Schlaf genießen. Aber immerhin gab es einen Live-Stream, der dann auch rege genutzt wurde.
  • Der Termin für die öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss überschnitt sich zunächst mit der Abschlusssitzung der Enquete-Kommission Internet, wodurch die profiliertesten Kritiker des Gesetzes (aus dem Ausschuss Neue Medien) der öffentlichen Anhörung hätten fern bleiben müssen. Diese Terminüberschneidung wurde dann zum Glück umgangen.
  • Dennoch fand die Anhörung unter Ausschluss der Internet-Öffentlichkeit statt, da offensichtlich alle die Beantragung verschlafen haben und so der parallel tagende Gesundheitsausschuss zum Zuge kam.
  • Für einiges Erstaunen sorgte die Entscheidung, für das als „Lex-Google“ bezeichnete Gesetz bei der öffentlichen Anhörung ausgerechnet auf einen Vertreter von Google zu verzichten.

Sei’s drum, auch solche formalistische Winkelzüge gehören zur Spielwiese der Politik und werden sicher auch bei anderen Gesetzesvorhaben rege genutzt.

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Richard Gutjahr hat im Schutze des Sekt-Nebels ein paar Medienvertreter interviewed. Mir gefällt vor allem die Aussage des radioeins-Medienmagazin-Moderators Jörg Wagner, nach dessen Ansicht sich im Wahljahr 2013 wohl kaum eine Partei mit der vierten Gewalt, „dem Leumund“, anlegt. Frau Burmesters Ausführungen (1:25) sind natürlich auch interessant…

Viva La France!

In diese ganzen Diskussionen schwappte nun am Freitag (1.2.2013) die Nachricht aus dem Nachbarland herüber, dass sich Google  in einer ganz ähnlich gelagerten Auseinandersetzung mit den französischen Verlagen ohne gesetzgeberische Einmischung geeinigt hat (allerdings unter dem Damokles-Schwert eines drohenden Leistungsschutzrechts). Im Kern wird Google den Verlagen mit einem 60 Mio. Euro schweren Fonds bei den  Innovationen im digitalen Publishing unter die Arme greifen, zu denen sie offensichtlich selbst nicht in der Lage sind. Zum anderen gibt es eine Partnerschaft zur Steigerung der Verlagseinnahmen durch Google-Werbung (AdWords-Deal?). Anders als in Deutschland hatte Google in Frankreich mit dem Rauswurf der Medien aus dem Index gedroht, und diese Drohung in Belgien kurzzeitig auch wahr gemacht.

Die Verlagsvertreter hierzulande gaben sich in einer ersten Stellungnahme erst einmal unbeeindruckt von der französischen Einigung (in diesem Fall ist Keeses Statement ausnahmsweise noch eher nachvollziehbar, als die Aussage des VDZ-Sprechers, das Deutsche Leistungsschutzrecht sei „anders als der französische Interventionismus kein staatlicher Markteingriff„. Wahlweise wird das Zitat aber auch Keese untergeschoben, da herrscht wohl etwas Verwirrung, verwirrend finde ich vor allem auch die Logik der Argumentation). Der netzpolitische Sprecher des Berliner Landesverbandes der Grünen hat die französische Einigung genauso wie das deutsche LSR als unnötigen Markteingriff in einem Carta-Beitrag abgelehnt.

Von den Netzpolitikern auf Bundesebene gab es bislang nur wenige Reaktionen, hier mal zwei Parteien in ungewohnter Einigkeit (wer sie nicht kennt: Petra Sitte (PDS) und Jimmy Schulz (FDP), beides Kritiker des LSR):

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Last Exit Bundesrat?

Bleibt abzuwarten, ob die Einigung in Frankreich möglicherweise doch noch das Gesetzgebungsverfahren in Deutschland beeinflusst. Erst einmal geht alles seinen normalen Gang, und der sieht so aus: Der beratende Unterausschuss für Neue Medien scheint – unbestätigten Tweets zufolge – unbedingt noch einmal einen Livestream unters Volk bringen zu wollen, und unter dem Eindruck Frankreichs dürfte es vielleicht auch etwas zu diskutieren geben:

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Der Rechtsausschuss wird sich wohl zurückziehen und eine Beschlussempfehlung verfassen, über die dann im Bundestag abgestimmt wird (Netzpolitik orakelte über den 22. Februar als Termin). Beim Leistungsschutzgesetz handelt es sich nicht um ein Zustimmungs- sondern um ein Einspruchsgesetz. D.h. das Gesetz kann noch im Vermittlungsausschuss landen, sofern sich eine Mehrheit im Bundesrat gegen das Gesetz ausspricht. Ein entsprechender Antrag ist vom Landtag in Schleswig-Holstein eingebracht worden:

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Nun hatte die Opposition zwar nach der Niedersachsen-Wahl angekündigt, die Mehrheit im Bundesrat für Gesetzes-Blockaden und politische Tauschgeschäfte nutzen zu wollen. Allerdings hatte sich der Bundesrat im Oktober recht deutlich hinter den Regierungsentwurf gestellt (siehe alten UPLOAD-Beitrag). Ob der Bundesrat trotz Wahlkampf und Boulevard-Schlachten Mut fasst und das Gesetz vor den Vermittlungsausschuss zerrt?

Und alle so … !!

Während das Gesetz also eine Hürde nach der andern nimmt, lebt es sich in der Netz-Szene ungenierter den je: Der Start von Projekten wie 10000Flies und oder Filtr in den letzten Wochen sendet ein „Jetzt erst recht!“ an die Welt, während man gespannt sein darf, ob im Falle eines In-Krafttretens Google ähnlich trotzig reagiert und die Verlagsangebote wie in Belgien aus dem Index schmeißt. Ganz verständlich ist mir die recht zugeknöpfte Art der seit einiger Zeit in Berlin residierenden Google-Lobby ehrlich gesagt nicht, und das Poker-Spiel des Christoph Keese erschließt sich auch mir nicht in vollen Zügen: Bluffen die Verlage oder ist ihnen das Risiko eines Rausschmisses aus dem Index egal? Ist das alles nur eine Drohkulisse für einen möglichen Deal? Oder glauben die Akteure, dass im Falle eines Gesetzes Google gegen Bing oder Yahoo ausgespielt werden kann? Keese nannte den französischen Kompromiss eine Wette auf die dauerhafte Monopolstellung Googles: Spielt er damit schon auf einen Bing-Deal an oder vertrauen die Verlage auf die zunehmende Bedeutung von Links aus Social Networks, die vom LSR jedoch auch betroffen sein könnten? Oder wäre Google tatsächlich zu Zahlungen bereit, auch wenn das möglicherweise Modellcharakter für andere Länder haben könnte?

Bei all der undurchsichtigen Pokerei war ein eher leiser Beitrag von Martin Weigert auf Netzwertig geradezu wohltuend. Dort ging er auf den Widerspruch ein, dass große Verlage wie Springer und Burda auf der einen Seite das Leistungsschutzrecht forcieren und auf der anderen Seite das Netz mit hochkarätigen Digital-Veranstaltungen wie die DLD bereichern. Der Aufruf, mit Innovationen gemeinsam das Web zu gestalten ist vermutlich die einzig sinnvolle Botschaft in diesem ganzen Theater…