Journalisten müssen das Aufkommen des „User Generated Content“ nicht als Gefahr für ihren Job fürchten. Es stimmt: Millionen von Leser informieren sich heute online in Publikationen, die es vor einem Jahrzehnt noch nicht gab. Aber diese Inhalte kommen nicht aus dem Nichts. Jeder Artikel, Blogpost, Kommentar und Wiki-Eintrag stammt von irgendeinem Internetnutzer. Stellen wir uns diese Nutzer einmal als Informationsquellen vor. Wer ist nun die ideale Person, um aus diesen Informationen übersichtliche und relevante Inhalte für Leser zu machen? Das ist der erfahrene Journalist – die Person, die 14 Seiten mit Notizen nehmen und in ihnen den einen Clou finden kann, den eine gute Story ausmacht. Hier nun einige Gründe, warum Journalisten die idealen Manager für Online-Content-Communities sein könnten.
Foto: Marcel Drechsler, photocase.com
Inhaltsverzeichnis
Journalisten wissen, wie man Quellen findet
Was wäre, wenn Du eine Online-Community aufbaust, aber niemand Mitglied wird? Das ist die Angst jedes Machers in diesem Bereich. Wenn Du online erfolgreich sein willst, kannst Du den Erfolg Deines interaktiven Angebots nicht dem Zufall überlassen. Du musst eine erste Generation von Teilnehmern finden und begeistern, die mit ihren Kommentaren und Einsichten das Gespräch beginnen.
Reporter wissen, wie man solche Leute findet. Tatsächlich finden sie sie schon seit Jahren. Jeder Journalist, der eine Liste von vertrauenswürdigen Informationsquellen für sein Offline-Projekt hat, kann eine Liste möglicher Erstnutzer einer Online-Community zusammenstellen. Wen kennst Du, der etwas zu Deinem Thema zu sagen hat? Eine freundliche E-Mail, ein Anruf oder ein Treffen beim Kaffee sollte genügen, um viele von ihnen zu erreichen, vergiss auch nicht, mit einem „Hallo“ auf ihrer Website vorbeizuschauen. Das bringt Deiner Seite zugleich die wichtige Mundpropaganda.
Wenn die Neugierigen, die Deine Seite über Suchmaschinen, Social Networks und gemailte Links finden, andere Postings sehen, können sie sich sicher genug fühlen, um sich ebenfalls zu beteiligen. Aber alles beginnt mit Deiner Liste von Informationsquellen.
Journalisten wissen, wie man die richtigen Fragen stellt
So, nun hast Du Leute auf Deiner Website: Was willst Du als nächstes tun? Die Nutzer werden einige interessante Fragen brauchen, über die sie sprechen und diskutieren können. Und jeder, der das kleine 1×1 des Reporters kennt, sollte wissen, wie man Fragen stellt, die informative und interessante Antworten hervorlocken.
Das ist alles, was Du zum Starten brauchst. Stell die Fragen, die die Leser dazu herausfordern, ihr Fachwissen preiszugeben. Was haben sie getan? Was wissen sie? Was haben sie gehört? Eine Online-Diskussion zu leiten ist wie eine Anrufsendung im Radio zu moderieren: Stell Fragen, führe das Gespräch fort, versuch, so viele Zuhörer wie möglich in die Diskussion einzubeziehen.
Frag, hör zu, antworte. Und wieder von vorn. Dieses Prinzip ist sehr einfach und Journalisten folgen ihm seit Jahren, um Gespräche anzuregen.
Journalisten wissen, wie ihre Äußerungen wirken
Wörter können informieren, aber sie können auch verletzen. Nichts zerstört eine Gemeinschaft schneller als ein „Flame War“, eine überhitzte Diskussion, die Leser dazu bringt, einander anzugreifen.
Erfahrene Reporter sollten Menschen verschiedener Herkunft, Kulturen und Gemeinschaften kennengelernt haben. Sie haben etwas gelernt über unterschiedliche Konventionen und Einstellungen. Und noch wichtiger: Sie haben gelernt, was Menschen aus verschiedenen Gemeinschaften provoziert und haben gelernt, diese empfindlichen Punkte zu respektieren und wichtige Fragen auf eine einfühlsame Weise zu stellen.
Diese Erfahrung ist von unschätzbarem Wert, um eine Online-Community zu managen, die Mitglieder aus der ganzen Welt anziehen kann. Aussprüche, die in der einen Community kein Problem sind, können eine andere entflammen. Deine Online-Community ermöglicht es Menschen, ihre geographischen, wirtschaftlichen und kulturellen Barrieren zu überwinden, die sie in der Offline-Welt trennen. Sie brauchen einen einfühlsamen, bedächtigen und wortgewandten Leiter, der den Ton der Diskussion so bestimmt, dass unnötige Konflikte vermieden werden.
Sicher: Eine gelegentliche hitzige Diskussion kann eine Seite beleben. Die Leser sollten sich wohl genug fühlen, um sich auch einmal an die Kehle zu gehen. Aber Du solltest nicht zulassen, dass sich Leser persönlich angreifen oder gegenseitig einschüchtern.
Der Trick ist, die Diskussion zu gestalten. Jemand, der bereits ein wenig in seinem Leben darüber nachgedacht hat, wie seine Worte auf tausende von Menschen wirken, ist für diesen harten Job besser vorbereitet als jemand, der noch nie zu mehr Leuten gesprochen hat, als in einen Klassenraum passen.
Journalisten wissen, was ankommt
Clevere Online-Publisher wissen, dass ihre eigentliche Zielgruppe nicht die Leute sind, die sich bereits an einer Online-Diskussion beteiligten, sondern die viel größere Masse der stillen Nutzer, die nur lesen, ohne sich selbst zu beteiligen. Alles in allem schreiben gute Journalisten nicht für ihre Informationsquellen. Sie schreiben für ihre Leser. Als Manager einer Online-Community kann ein Journalist die Beiträge und Diskussionen finden, die für das größtmögliche Publikum von größtmöglichem Interesse sind und kann dafür sorgen, dass Neugierige und unregelmäßige Besucher sie leicht entdecken können. Du könntest ein neues Thema mit einer besonders nützlichen Antwort aus einer anderen Diskussion beginnen. Oder Du verhilfst wertvollen Beiträgen und Themen zu mehr Aufmerksamkeit auf der Startseite der Community oder in einem E-Mail-Newsletter.
Online-Gespräche können in eine unbegrenzte Zahl von Richtungen abdriften. Leser aber werden unweigerlich von Webseiten angezogen, auf denen sie nützliche Informationen finden, anstatt sich in Streitereien oder Insiderwitzen anderer Leute zu verlieren. Journalisten sind gut vorbereitet, um eine Community für solche Leser zu formen.
Journalisten wissen, wie man etwas bekannt macht
Wahrscheinlich hat jemand bereits eine Online-Community zu Deinem Thema gestartet. Wie willst Du diese Leser für Dich begeistern? Ja, sicher: Deine oben aufgeführten Stärken werden Dir helfen. Aber ebenso, wenn Du Dich ins Gespräch bringst.
Es gibt einen guten Grund, warum die PR-Industrie bei Journalistenschulen und Nachrichtenreportern nach Nachwuchs sucht. Journalisten haben gelernt, welche Informationen andere Journalisten benötigen, um eine gute Story zu schreiben. Eine Online-Community gibt Dir die Möglichkeit der PR in eigener Sache. Wenn Deine Leser eine interessante Information veröffentlichen oder über etwas sprechen, das auch außerhalb lesenswert ist, dann schick eine Pressemitteilung dazu raus. Organisiere einige Offline-Veranstaltungen für Deine Community oder eine gemeinnützige Aktion, damit man über Dich berichtet. Schick anderen Webmastern eine E-Mail, wenn Du neue Informationen auf Deiner Seite hast, die sie nicht haben und bitte um einen Link. (Ein freundlicher „Ich dachte, ich sollte es Dich wissen lassen“-Ton funktioniert dabei natürlich wesentlich besser als eine „Ha, ha, wir hatten’s als erste“-Frechheit.)
Und erzähl uns bei Online Journalism Review darüber. Wir suchen immer Journalisten mit Unternehmergeist und innovative Webprojekte, um sie vorzustellen.
Hab keine Angst
Es gibt keinen Grund, um „User Generated Content“ zu fürchten, sich über ihn zu ärgern oder sich gegen ihn zu wehren. Wenn Du besorgt bist, ob Du neue Fähigkeiten brauchst, um den Übergang vom redaktionellen Publizieren zum gemeinschaftlichen Publizieren zu schaffen: Sei es nicht. Die wichtigen Fertigkeiten, die man braucht, um eine aktive, informative und höfliche Online-Community aufzubauen, sind exakt dieselben Fertigkeiten, die Reporter und Redakteure seit Generationen lernen, um gute Journalisten zu werden.
Leg los.
Über diesen Artikel
Der Artikel erschien ursprünglich unter dem Titel „Why journalists make ideal online community leaders“ in der Online Journalism Review (OJR) und wurde UPLOAD freundlicherweise zur übersetzten Neuveröffentlichung zur Verfügung gestellt. Die OJR ist ein Projekt der Annenberg School of Communication an der University of Southern California (USC).
Über den Autor
Robert Niles ist Redakteur der Online Journalism Review. Er ist ein Mathe- und Computer-Freak, arbeitet als Journalist, erstellt Webseiten und lehrt an der USC.
Über „Eine andere Perspektive“
Unter dem Titel „Eine andere Perspektive“ erscheinen künftig in unregelmäßigen Abständen Beiträge, die bisweilen ungewohnt sein können oder gelegentlich auch irritierend. Sie stammen nicht unbedingt von Bloggern oder Podcastern, beschäftigen sich aber dennoch mit den Möglichkeiten und Entwicklungen des digitalen Publizierens und sind hoffentlich immer wieder eine interessante Anregung, um diesen Bereich mit anderen Augen zu sehen.
dann gibts ja doch noch hoffnung ;-)
Sowieso :-)