Six Apart ist die Geschichte eines Ehepaars, das in einer Zeit großer Not den Grundstein für ein international tätiges Technologie-Unternehmen gelegt hat. Und es ist die Geschichte einer amerikanischen Firma, in der Frankreich eine entscheidende Rolle spielt. Nicht zuletzt ist es die Geschichte eines Unternehmens im Umbruch, das einer der Auslöser der Medienrevolution war und das die nächsten Revolutionen nicht den anderen überlassen will.
„Nach allem, was ich über Sie gelesen habe, habe ich weniger Erfahrung mit Blogs als Sie“, sagt Olivier Creiche, Europachef von Six Apart, noch bevor ich meine erste Frage stellen kann. Ein Charmeur. Er wird wissen, dass es nicht stimmt. Als ich 2003 mit meinem ersten Blog herumspielte, hatten er und Loïc Le Meur bereits eine Firma zum Boomthema Blogs gegründet: Ublog. Sie ging kaum ein Jahr später im amerikanischen Blog-Spezialisten Six Apart auf. Movable Type und TypePad sind die bekanntesten Produkte.
Loïc Le Meur rührt inzwischen die Trommel für sein neues Startup Seesmic und ist von Paris nach San Francisco gezogen. Er ist einer der herausragenden Köpfe der Social-Media-Szene und wird dabei so gefeiert und angefeindet wie mancher Popstar. Olivier Creiche übernahm von ihm im März dieses Jahres den Posten des „General Manager Europe, Middle East and Africa“ und ist außerdem „Head of European Operations“.
Schöne Titel, viel Verantwortung und eine schwierige Aufgabe. Denn nicht überall in Europa ist die Begeisterung für Blogs so groß wie in Frankreich oder den USA. Zudem ist Six Apart insgesamt an einem spannenden Punkt angelangt: Blogs sind nicht mehr allein einfach zu bedienende, sich vernetzende Publikationssysteme, die jedem Menschen Gehör verschaffen können. Sie werden als künftige Grundlage von Social Networks gesehen. Und sie sollen gemeinsam mit anderen typischen Angeboten des Web 2.0 die Kommunikation innerhalb eines Unternehmens so sehr revolutionieren, dass aus einer klassischen Firma des 20. Jahrhunderts das Enterprise 2.0 des 21. Jahrhunderts wird.
Analysten erahnen eine Goldader: 4,6 Milliarden US-Dollar weltweit – so groß soll 2013 allein der Markt rund um Community-basierte Webseiten von Medienunternehmen und anderen Organisationen sein, sagt Forrester. Die Claims dafür werden heute abgesteckt und Konkurrenten lauern an jeder Ecke. WordPress ist einer. Aber auch Systeme wie TYPO3, Drupal oder eZ Publish gehören dazu. Die Grenzen verwischen. Schwer, sich zu positionieren. Und mittendrin: Six Apart.
Olivier Creiche, Europachef von Six Apart
Der Beginn von Six Apart ist dagegen sehr viel ruhiger, geradezu beschaulich, und dabei erstaunlich unspektakulär. Ben und Mena Trott waren bereits eine Weile arbeitslos, als sie die erste Version dessen programmierten, was wir heute als Movable Type kennen. Eigentlich ging es nur darum, dass Mena ein besseres Tool brauchte, um ihr Blog dollarshort.org zu betreiben – in dem sie noch heute recht regelmäßig schreibt. Sie dachten, es sei eine gute Ablenkung, während sie nach neuen Jobs suchten, schreibt Mena Trott in der Firmengeschichte von Six Apart. Sie veröffentlichten die fertige Software im Internet.
Und die Dinge nahmen ihren Lauf.
Movable Type wurde vielfach heruntergeladen und bald waren Ben und Mena Trott Vollzeit mit dem Support für die Nutzer beschäftigt. Sie erkannten, dass sie dort auf etwas Großes gestoßen waren, aus dem ein Geschäft werden konnte. Und sie ergriffen die Chance: Six Apart entstand. Benannt haben sie die Firma übrigens nach den sechs Tagen Altersunterschied zwischen ihnen. Eine Firma, die nicht in der sprichwörtlichen Garage, aber im Wohnzimmer einer Mietwohnung entstanden ist.
Mena Trott, Gründerin von Six Apart
In den nächsten Jahren legte Six Apart ein ungeheures Wachstum hin. Erster Investor war Joi Ito im Jahr 2002. Zunächst lehnte das Ehepaar die Idee ab, die Firma mit fremdem Geld zu versorgen. Aber sie erkannten bald, dass Six Apart etwas noch viel Größeres werden konnte, wenn sie annahmen. Und sie nahmen an.
In den folgenden Jahren entstand beispielsweise TypePad, eine Plattform, auf der jeder ein Blog einrichten konnte, ohne Ahnung von Technik oder Design zu haben.
2003 gingen sie auf den japanischen Markt. 2004 dann der Sprung nach Europa. Und hier wählten sie nicht etwa Großbritannien, was schon allein wegen der Sprache naheliegend gewesen wäre. Auch Deutschland kam offenbar nicht in Frage, trotz seiner potenten Wirtschaft und der guten Infrastruktur. Nein, die Wahl fiel auf Frankreich. Und das, wo man Amerikanern und Franzosen doch so gern eine Rivalität nachsagt. Aber die Franzosen waren schon damals leichter für Blogs zu begeistern. Und zudem gab es mit Ublog ein passendes Startup, das den Einstieg in diese neue Region erleichtern konnte. Gut für Loïc Le Meur und Olivier Creiche, die mit einem Mal Teil eines internationalen Unternehmens waren.
Ebenfalls 2004 fällten die Trotts allerdings auch eine andere schwierige Entscheidung: Für das bis dahin vollkommen kostenlose Movable Type sollte es nun auch kostenpflichtige Lizenzen geben. In der offiziellen Geschichtsschreibung der Firma lobt Mena Trott diesen Schritt. In ihrem eigenen Blog aber schreibt sie, man habe einige der besten Kunden dadurch verloren. Möglicherweise sei es eine dumme Entscheidung gewesen. „Aber Six Apart zu hassen ist so 2004.“
Ben Trott, Gründer von Six Apart
Six Apart ist in den nächsten Jahren dennoch gewachsen und heute mit seinen diversen Angebot sicher einer der wichtigsten Mitspieler im internationalen Blogmarkt. Movable Type entwickelt sich mehr in Richtung Social Network. Mit einem Open-Source-Projekt geht man seit einem Jahr vorsichtige Schritte in Richtung einer offenen Plattform. Und Enterprise 2.0 sei zwar heute ein sehr kleiner Markt, sagt Europachef Olivier Creiche, aber es sei ein Markt in seinen Anfängen. Und Movable Type sei schließlich eine Marke, die fürs Bloggen stehe und für Unternehmenslösungen. Einen Schwerpunkt lege man auf Medienunternehmen, auch im deutschsprachigen Raum. Ein Beispiel ist die Community der Salzburger Nachrichten. Blogs, Foren, Profilseiten – doch, das ist Movable Type. Journalisten bloggen, Leser melden sich zu Wort. „Alles dreht sich darum, wer Sie sind und was Sie auf dieser Plattform tun“, erklärt Olivier Creiche. In den nächsten Jahren würden sich sehr viele Zeitungs-Websites auf diese Weise verändern und den Leser mehr in den Mittelpunkt rücken. „Manchmal werden redaktionelle Inhalte und die Community mehr getrennt sein, manchmal werden sie sich vermischen. Aber es wird passieren. In den nächsten zwei Jahren.“
Six Apart ist somit ein Unternehmen mitten in einer Revolution, teilweise Antreiber, teilweise Getriebener. Kaum zu glauben, dass vor sieben Jahren alles in einem Wohnzimmer in San Francisco mit einem arbeitslosen Ehepaar begann, das die Zeit bis zum nächsten Job irgendwie sinnvoll rumkriegen wollte.
Jan hat mehr als 20 Jahre Berufserfahrung als Online-Journalist und Digitalpublizist. 2006 hat er das UPLOAD Magazin aus der Taufe gehoben. Seit 2015 hilft er als CONTENTMEISTER® Unternehmen, mit Inhalten die richtigen Kunden zu begeistern. Und gemeinsam mit Falk Hedemann bietet er bei UPLOAD Publishing Leistungen entlang der gesamten Content-Marketing-Prozesskette an. Der gebürtige Hamburger lebt in Santa Fe, New Mexico.
Six Apart ist schon ein bemerkenswertes Unternehmen, das jedoch einen Großteil seines Marktanteils an WordPress verloren hat, nachdem man die Lizenzen kostenpflichtig machte während Matt Mullenweg sein WordPress weiter kostenlos verteilte und damit zum Liebling der Blogger aufstieg.
In Sachen Vertrieb schätze ich Six Apart allerdings energischer ein als WordPress, so dass die Perspektiven spannend bleiben: WordPress hat zwar einen sehr hohen Marktanteil, Six Apart dürfte aber in den umsatzträchtigen Bereichen des Geschäfts besser aufgestellt sein.
Sehr treffend zusammengefasst, vielen Dank dafür. Das wird noch interessant zu beobachten sein in den nächsten Monaten und Jahren.
Ich bin auch gespannt wie sich das bloggen in den nächsten Jahren beobachtet. vielleicht gibt es ja bald wieder einen neuen trend, der das bloggen ablöst
Nicht selten wird das Microblogging bereits als Nachfolger angesehen, zumindest aber als scharfer Konkurrent. Siehe beispielsweise hier bei Cem Basman.