Müssen Stories eigentlich glaubwürdig und wahr sein, um zu funktionieren? Das kommt ganz darauf an, wie Michael Schär in diesem Artikel aufzeigt. Je nachdem, wen und was man erreichen möchte, sollte man an die Emotionen appellieren oder eben doch mehr um Vertrauen werben.
Inhaltsverzeichnis
Alles ist austauschbar
Jedes Produkt ist perfekt, ultimativ, der unverzichtbare Begleiter. Jedes Unternehmen professionell, nachhaltig, kundenorientiert. Jede Dienstleistung individuell, maßgeschneidert, zielorientiert. So sehr, dass wir diese Begriffe schon fast nicht mehr aufnehmen.
Das liegt nicht nur daran, dass das Marketing keine Ideen hat. Tatsächlich werden Produkte immer besser, günstiger und austauschbarer und Prozesse immer weiter optimiert. Je wissenschaftlicher Produkte designt werden, je globaler sie produziert werden, desto mehr gleichen sie sich an. Jedes Auto wird im Windkanal getestet – und der Wind bläst immer aus derselben Richtung. Dabei entsteht die Form, die momentan vorherrscht – denn vor aller Eigenständigkeit geht es um Effizienz, Sparsamkeit, Stromlinienform. Den Unterschied beim Kaufentscheid macht eine Emotion.
Jedes Auto wird im Windkanal getestet – und der Wind bläst immer aus derselben Richtung.
Marketing kann deshalb nur noch bedingt mit Features auftrumpfen. Autos sind nicht sparsamer, schneller oder schöner als andere, sondern innerhalb einer Klasse durchweg vergleichbar. Was wir heute also wecken müssen, sind nicht rationelle Entscheide, sondern Gefühle. Werberischen „Frontalunterricht“ gibt es nicht mehr. Partizipation und Identifikation sind gefragt. Und die erreichen wir durch packende Geschichten. Das fängt ganz früh an – sozusagen bei Adam und Eva der Unternehmensgründung.
Wie findet man eine Story?
Wenn eine Story glaubwürdig sein soll, dann muss sie es von Beginn an sein. Deswegen wird gerne mal der wohlbekannte Sineksche „Golden Circle“ herbeigezogen: Der äußere Kreis bezeichnet, was ein Unternehmen anbietet – hier werden Fakten rübergebracht. Der mittlere Kreis kommuniziert USPs und sagt, wie sich diese Produkte von denen anderer Konkurrenten unterscheiden. Und im inneren Kreis, dem Why, spielt die eigentliche Musik: Dort geht es um eine Philosophie, um den Grund, warum eine Firma macht, was sie macht.
Wer mehr dazu wissen möchte, kann sich hier einen seiner Vorträge anschauen:
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Wenn Sinek auf der Bühne steht, zieht er oft das Beispiel Apple heran: Apple glaubt daran, dass man die Welt besser machen kann, schöner und angenehmer. Sie unterscheiden sich von Konkurrenten durch technologische und designtechnische Führerschaft (daran glaubt immerhin noch ein großer Teil der Konsumenten). Und ganz nebenbei verkaufen sie Computer, Smartphones, Uhren und sind ein Gigant in vielen Onlinediensten. Wichtig dabei ist vor allem eines: Jeder Laden, jedes Produkt, jede Verpackung, jede Werbung erzählt die Geschichte einer Firma, die daran glaubt, dass sie die Welt ein bisschen schöner, angenehmer und besser machen kann.
Red Bull glaubt daran, dass man jede Grenze sprengen sollte. Dass man sich jederzeit Flügel verleihen sollte, um höher, weiter, schneller als jeder andere zuvor zu sein. Dieses Why wird immer wieder aufs Neue kommuniziert – durch ein Vier-Milliarden-Budget, das ständig neue Events hervorbringt, an denen Menschen über sich selbst hinauswachsen. (Ach und ja, Red Bull ist auch ein Energy Drink, aber das spielt eigentlich keine Rolle.)
Die Story liegt im Why begraben
Ich habe eine Kommunikationsagentur, weil ich glaube, dass mit sinnvoller Kommunikation eine Menge Probleme auf der Welt gelöst werden können. Das ist unser Why. Und weil wir nicht auf der Suche danach sind, was wir unseren Kunden verkaufen können, sondern danach, was für sie sinnvoll ist, vertrauen sie uns.
Dieses Why kannten wir noch nicht, als wir unsere Agentur starteten. Wir begannen einfach mal, indem wir das machten, was wir am besten konnten, und es gelang, weil wir die Kunden dafür hatten. Irgendwann bemerkten wir aber, dass unser Unternehmen keine klaren Konturen hatte. Niemand konnte richtig sagen, was und wie wir arbeiteten – und wir auch nicht. Deswegen setzten wir uns hin und überlegten uns, was uns ausmachte. Was dabei rauskam, kochten wir weiter ein, bis die letzte Essenz übrigblieb – unser Why.
Glaubwürdig ist das deswegen, weil wir in jedem Meeting, mit jedem Kunden immer wieder die Frage stellen: Macht das Sinn? Weil wir einem Kunden auch mal eine Idee ausreden, die uns zwar eine Menge Geld gebracht hätte, aber für den Kunden nicht sinnvoll gewesen wäre. Und zwar nicht, weil wir das nach Sinek definiert haben, sondern weil wir so ticken. Wir mussten uns dessen bloß bewusst werden.
Was lernen wir daraus?
- Die Story liegt im Why begraben.
- Das Why gibt es immer, man muss es bloß finden.
- Je authentischer das Why gelebt wird, desto besser funktioniert es.
Jede Geschichte kommt letztlich von irgendwoher. Manchmal fußt sie im Why. Oder sie liegt woanders – beispielsweise in einer jahrzehntealten Generationentradition. Oder sie ist gebunden an einen Standort, ein spezielles Ereignis oder eine Innovation. Und manchmal liegt sie gar nicht unbedingt im Unternehmen selbst, sondern bei den Kunden.
Fielmann erzählt seine Story seit Jahren durch seine Kunden – auch wenn das alles Schauspieler sind. Kein einziges Mal in den letzten zehn Jahren hat Fielmann selbst eine Story erzählt. Aber weil die „Kunden“ ihre Testimonials so glaubwürdig spontan abgeben, glauben wir Fielmann, denken „Brille: Fielmann“ wenn wir eine Brille brauchen und sind überzeugt, dass die Brillen dort am günstigsten sind. Ungeachtet dessen, ob sie es wirklich sind.
Wie glaubwürdig muss eine Story sein?
Keiner glaubt die Geschichte vom Coca-Cola-Truck und dem Weihnachtsmann. Sie wird auch nicht vom Unternehmen gelebt. Trotzdem wird sie in der Weihnachtszeit immer wieder erzählt. Edeka wiederum bringt in jeder Weihnachtszeit eine neue, sehnsüchtig erwartete Tränendrüsenstory – mit Edeka selbst hat das aber wenig zu tun. Weil jeder weiß, dass Edeka sich nicht sonderlich darum schert, ob an Weihnachten jemand alleine ist, und wieviel Liebe in Weihnachten nun drin ist, sondern nur darum, zu Weihnachten besonders viele und besonders hochwertige Produkte zu verkaufen.
Man schaue sich nur einmal das Beispiel aus dem Jahr 2017 an:
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Die Wissenschaft sagt unter anderem, dass Stories nur dann einen hohen Nutzen und Überzeugungskraft haben, wenn sie glaubwürdig sind. Die Gegenfragen hier wären: Hohen Nutzen wofür? Und wovon überzeugen?
Edeka und Coca Cola bringen sich vor Weihnachten in Stellung. Wer sich überlegt, wo oder was er einkaufen soll für die Festtage, geht eher zu Edeka, wenn er der Marke zuvor auf verschiedenen Kanälen begegnet ist und kauft eher Coca Cola als Pepsi, wenn er vor dem Regal steht. Mit der Geschichte, die er dort gesehen hat, hat das wenig zu tun.
Hier geht es schlicht und einfach darum, Konsumenten mit der Marke in Berührung zu bringen, wann immer es geht. Das funktioniert unter anderem viral. Tatsächlich hat man bei den alljährlichen Edeka-Weihnachtsspots eher das Gefühl, es gehe um den Spot selbst als um die Marke. Aber den süßen Roboter aus der 2017-Ausgabe haben sich bis Weihnachten 4 Millionen Menschen auf YouTube angeschaut. Das ist eine ansehnliche Ausbeute, die den Einzelhändler für den Weihnachtseinkauf auf die Pole Position setzt, ohne dass er ein einziges Produkt beworben hat. Auch das ist ein Nutzen – der in diesem Fall erreicht wird, auch wenn die Story nicht glaubwürdig ist.
Stories, Emotion und Identifikation
Eine Geschichte muss also nicht immer glaubwürdig sein, um zu wirken. Tatsächlich funktioniert Storytelling in der Werbung auf einer viel tieferen, unterschwelligen Ebene. Wenn eine Story gut erzählt ist, versetzt sich der Zuhörer in sie hinein. Er setzt sich an die Stelle der Hauptperson und lebt mit. Je besser die Geschichte erzählt ist, desto mehr seiner natürlichen Barrieren lässt der Zuhörer fallen.
Der Zuhörer identifiziert sich immer mehr mit der Hauptperson. Je weiter diese Identifikation fortgeschritten ist, desto mehr kann der Erzähler auf den Zuhörer Einfluss nehmen. Im Gehirn des Zuhörers werden die entsprechenden Regionen aktiviert. Wenn „Rot“ gesagt wird, dann sieht das innere Auge des Zuhörers rot, und wenn der Zuhörer „samtig weich“ hört, dann fühlt sein Hirn den zugehörigen haptischen Reiz. Ganz primitiv gesagt: Wenn der Lieblingsheld in der Story am spannendsten Punkt eine Fanta trinkt, dann hat der Zuhörer nicht nur Lust auf eine Fanta, sondern er sieht die Flasche, hört das Zischen, wenn sie aufgemacht wird, fühlt den ersten eiskalten Schluck mit zuviel Kohlensäure, der auf der Zunge fast brennt und würde um ein Haar „Aaaah…!“ sagen.
Das funktioniert auch ganz brillant, wenn es um Produktwerbung geht. Denn hier können wir mit starken Emotionen arbeiten, mit Glücksmomenten (Schrei vor Glück), mit Mitleid (Edeka-Roboter) oder mit gesellschaftlichen Konventionen (Weihnachten).
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Unternehmen und Vertrauen
Nicht jeder Entscheid wird aus dem Bauch heraus gefällt. Es gibt Entscheidungen, die nicht spontan vor dem Regal getroffen und von einem schnellen sinnlichen Reiz beeinflusst werden. Wir verabschieden uns hier einmal von der Marketing-Rockstar-Bühne der Produktwerbung und treten hinter die Kulisse.
Wenn wir beispielsweise auf der Suche nach einem Job sind, auf der Suche nach einem Architekten, der unser Haus bauen soll – kurz, wenn es ernst wird – dann lassen wir unsere Schranken nicht mehr einfach so fallen. Unter anderem spielt deswegen Employer Branding eine immer wichtigere Rolle: Oft ist es zentral, die besten Bewerbenden aus dem Arbeitsmarkt anzuziehen – und in vielen Branchen ist der Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte groß. Umgekehrt können Bewerbende eine ganze Menge über ein Unternehmen herausfinden, bevor sie ihre Bewerbung überhaupt abschicken. Und das tun sie auch, denn hier geht es nicht um einen Impulskauf, sondern um eine Vertrauensbeziehung.
Sobald es um Vertrauen geht, überprüfen wir die Stories, die uns erzählt werden. Weil wir uns nicht mehr von einer intensiven kurzlebigen Emotion leiten lassen und viel mehr für uns auf dem Spiel steht, sind wir vorsichtig. Stories mögen wir immer noch, denn sie machen menschlich. Aber nun achten wir ganz genau auf den Gehalt, darauf, was in den Stories erzählt wird.
Ein traditionsbewusstes Unternehmen erzählt davon, dass es in vierter Generation als Familienbetrieb immer noch existiert und stetig gewachsen ist. Das könnte mir als Bewerbendem sagen, dass die Hierarchien möglicherweise sehr starr sind und Aufstiegschancen vielleicht nur bis zu einem bestimmten Punkt möglich sind – aber es erzählt mir auch von Sicherheit und Beständigkeit.
Ein Life-Science-Unternehmen erzählt von Innovation, Entwicklung, Forschung und Fortschritt. Das kann mir sagen, dass die Arbeit eine große persönliche Investition in Sachen Zeit und Flexibilität voraussetzt, aber auf der anderen Seite verstehe ich auch, dass die Möglichkeiten, mich weiter zu entwickeln, groß sind und dieses Unternehmen vielleicht ein Schritt in meinem Lebenslauf ist, aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht der letzte.
Beide Szenarien sind denkbar, und ob ich im einen oder anderen Umfeld arbeiten möchte, ist meine Entscheidung. Aber ich werde mich nur für eines der Unternehmen entscheiden, wenn ich ihnen ihre Geschichte abnehme.
Noch immer schaffen wir Sympathie, Emotion und Identifikation mit unseren Stories. Aber nur dann, wenn sie glaubwürdig sind.
Wenn die Story dem Why der Firma entspricht, dann ist sie glaubwürdig. Ist es so einfach? Nicht ganz. Das Why ist ein wichtiger Bestandteil, denn aus ihm können die glaubwürdigsten Stories kreiert werden. Doch das bedeutet nicht, dass die Stories schon da sind. Man muss sie finden und man muss sie erzählen. Das geht auf viele verschiedene Arten. Man kann Innovationen aus der Firma erklären, jeden Monat ein Stück aus der Firmenchronik erzählen oder Rezepte aus der Restaurantküche preisgeben (bloß dieses eine geheime Rezept natürlich nie), man kann bloggen, youtuben oder Kunden- oder Mitarbeiterzeitungen verschicken – wichtig ist, dass die Stories erzählt werden. Und noch wichtiger ist, dass sie in diesem Umfeld glaubwürdig sind. Denn hier sind sie überprüfbar und sie werden auf einer ernsten Bühne des Lebens erzählt. Hier geht es um mehr als Produkte. Wenn diese Stories nicht der Wahrheit entsprechen, wie kann ich einem Unternehmen dann meine Zukunft anvertrauen?
Noch immer schaffen wir Sympathie, Emotion und Identifikation mit unseren Stories. Aber nur dann, wenn sie glaubwürdig sind.
Fazit: Storytelling und Glaubwürdigkeit
Storytelling ist in jedem Unternehmensbereich, für jede Branche und für jedes Unternehmen mittlerweile ein Muss, um sich von einer zunehmends uniformen Konkurrenz abzuheben. Ob Produktwerbung oder Employer Branding: Stories helfen dabei, das notwendige Maß an Identifikation zu schaffen, das das Zünglein an der Waage beim Entscheid des Konsumenten oder Interessenten bedeuten kann.
Stories helfen dabei, das notwendige Maß an Identifikation zu schaffen, das das Zünglein an der Waage beim Entscheid des Konsumenten oder Interessenten bedeuten kann.
Storytelling muss nicht per se glaubwürdig sein. Man sollte sich aber ganz genau überlegen, auf welcher Ebene und in welchem Unternehmensbereich Stories erzählt werden, wer die Adressaten sind und was deren Reaktion sein soll. Je ernster die Entscheidungen, die stimuliert werden sollen, desto genauer werden die Stories unter die Lupe genommen und desto härter wird fehlende Glaubwürdigkeit abgestraft.
Gerade für kleinere Unternehmen empfiehlt es sich, sich immer wieder auf das eigene Why zu besinnen, die Story darin zu entdecken und sie mit Begeisterung zu erzählen. Denn das reißt die Zuhörer mit, macht das Storytelling glaubwürdig und mit ihm das Unternehmen.
Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 55
In dieser Ausgabe finden Sie zwar keine Märchen, aber dafür jede Menge interessanter und nützlicher Informationen rund ums Storytelling für Unternehmen. Unter anderem lernen Sie zahlreiche wirkungsvolle Strukturen und Formate für Ihre Geschichten kennen, wir behandeln die Frage der Glaubwürdigkeit in Zeiten von „Fake News“, zeigen wie sich Storytelling für Change-Prozesse nutzen lässt und wie es soziale Unternehmen und Organisationen einsetzen können.
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Michael Schär ist Gründer und Geschäftsführer der Kommunikationsagentur Schwindl Schär in Basel. Sinnvolle Kommunikation steht ganz oben auf seiner Prioritätenliste. Dazu gehört heute in jeder Branche und jedem Unternehmensbereich Storytelling. Geschichten finden, erzählen und verbreiten sind eine Herzensangelegenheit, die Michael Schär auf dem Agenturblog gerne beschreibt, unter @Texterkonzepter gerne betwittert und beispielsweise auf TheScope gerne kuratiert.