Weblogs sind noch immer ein missverstandenes Phänomen. Von manchen werden sie mit Foren verwechselt, von anderen mit Online-Tagebüchern gleichgesetzt. Dabei sind Weblogs Internetseiten mit einigen besonderen Eigenschaften. Und diese besonderen Eigenschaften sollten vor allem Tageszeitungsverlage hellhörig werden lassen. Blogs wären die logische Plattform für eine Online-Lokalzeitung.
Rein technisch gesehen ist ein Weblog eine Seite, die ihre Inhalte chronologisch und in Rubriken sortiert. Zudem bietet sie verschiedene Möglichkeiten, sich mit anderen Weblogs zu verknüpfen und meldet selbstständig, wenn etwas aktualisiert wurde. Vor allem bieten Weblogs in der Regel eine Möglichkeit zur direkten Diskussion.
Weblogs sind beliebt bei den Machern, weil sie einfach zu aktualisieren sind. Eine Software im Hintergrund kümmert sich selbstständig darum, aus den Inhalten eine Website zu machen.
Heutige Weblogs sind beliebt bei den Lesern, weil sie Informationen und Meinungen bieten und auf interessante weitere Inhalte und Seiten aufmerksam machen. Ihrem Ursprung nach sind Weblogs Internet-Logbücher und dokumentieren, was der Inhaber (Blogger) online entdeckt hat. Aber das ist eben nur eine Anwendung einer Technologie.
Derzeit verbindet man mit ihnen meinungsstarke und persönlich gefärbte Internetseiten, bei denen der Autor oder die Autorengruppe im Vordergrund steht.
Schaut man einmal von außen auf diese Technik, dann bietet sie verblüffenderweise genau das, was eine Tageszeitung braucht. Denn eine Zeitung wählt aus dem Nachrichtenstrom die wichtigsten und interessantesten Meldungen aus, bereitet sie auf und präsentiert sie. Die Leser haben per Leserbrief eine Möglichkeit der Stellungnahme. Genau so funktionieren Weblogs. Warum eigentlich nutzt bislang keine Zeitung eine Weblog-Software als Online-Redaktionssystem? Die Verlage verpassen damit eine große Chance.
Mit einem Weblog ließe sich spielend leicht das jahrhundertealte Modell der gedruckten Tageszeitung in das Internet des 21. Jahrhunderts katapultieren. Sofort wäre die Zeitung mittendrin in dem Medium, das bereits zwei Drittel der 14- bis 49-jährigen Deutschen nutzen und dem in den nächsten Jahren erhebliche Steigerungen bei der Werbung prognostiziert werden. Plötzlich könnten alle Inhalte einer Zeitung verlinkt und direkt diskutiert werden. Die Inhalte der Zeitung wären auch online dort, wo Verlage sie außerhalb des Internets am liebsten sehen: im Mittelpunkt des Interesses.
Träume von bezahlten Inhalten wären in ihrer bisherige Form allerdings weitgehend ausgeträumt. Weblogs werden nur akzeptiert, wenn sie nicht kastriert wirken oder reine Werbeseiten für ein anderes Produkt sind. Geld verdienen ließe sich mit redaktionellen Zusatzleistungen, exklusiven Services, Partnerprogrammen und den verschiedenen Spielarten der Onlinewerbung. Das Weblog hätte die Aufgabe, die Leser zurückzugewinnen, die bereits ins Internet abgewandert sind. Diese Leser müssten dann wiederum für bezahlte Dienste und Inhalte begeistert werden, die eben nicht ein Abklatsch der Print-Ausgabe sind.
Gespeist würde das Weblog direkt aus den Beiträgen der Redakteure. Die Artikel könnten wie auch in der gedruckten Zeitung entsprechenden Rubriken zugeordnet und zusätzlich mit Schlagworten („Tags“) versehen werden, um sie auf vielfältige Weise zu sortieren. Sie müssten um Links und ähnliche Zusatzinformationen angereichert werden. Außerdem sind die Kommentare der Leser sowie Verlinkungen von außen zu moderieren und zu überwachen. Funktionieren könnte ein solches Weblog also nur mit einer Online-Redaktion im Hintergrund. Ist ein Verlag zu solchen Investitionen nicht bereit, wird das Projekt Weblog-Zeitung scheitern. Es gibt genügend leidenschaftlich gemachte Webseiten. Niemand wartet auf halbherzig präsentierte Informationen, nur weil der Name der heimatlichen Lokalzeitung darüber steht.
Idealerweise erscheinen die Artikel direkt nach Fertigstellung und nicht etwa erst am nächsten Tag. Wer hier zögert, überlässt das Feld anderen. Denn was mit den Anzeigenmärkten bereits in großem Stil passiert ist, droht auch bei den redaktionellen Inhalten. Die Kompetenz für überregionale Nachrichten ist schon beinahe an Seiten wie Spiegel Online verloren gegangen. Was morgen in der Zeitung steht, lese ich meist heute schon online – plus Zusatzinformationen und Videos. Müssen erst lokale Blognetzwerke entstehen, vielleicht gefördert von internetfreundlichen Verlagen wie Holtzbrinck oder Burda, damit in den Verlagen die Alarmglocken angehen?
Allerdings müssten die betreffenden Verlage und vor allem auch die Redaktionen zunächst akzeptieren, dass sie für das Internet vollwertige und eigenständige Produkte schaffen müssen und dass die Online-Ausgabe nicht eine nahezu unendlich große Ablage für alte Artikel ist. Zudem müssen sie sich an den Gedanken gewöhnen, dass in den Internet-Medien der Monolog des Journalisten durch einen Dialog zwischen Autor und Leser geworden ist – und die beiden ihre Rollen dynamisch wechseln können. Sie dazu auch meinen Artikel zu „User Powered Journalism“, in dem ich einmal dargestellt hatte, wie aus den von Lesern produzierten Inhalten im Zusammenspiel mit Journalisten eine neue Gattung von Medien entstehen könnte.
Eins jedenfalls ist klar: Gestandene Tageszeitungsredakteure winken beim Stichwort „Internet“ gern ab. Ihre Leser hingegen schon lange nicht mehr.
Tipps zum Weiterlesen
Über die Zukunft von Zeitungen und Verlagen wird in diesen Tagen vielfach diskutiert. Während sich meine Anregung der Weblog-Zeitung mehr an die lokale Heimatzeitung richtet, wird andernorts eher die Zukunft überregionaler „Qualitätszeitungen“ diskutiert. Hier einige Anregungen zum Weiterlesen:
- Falk Lüke vermutet, dass sich mit bezahlten Inhalt nie genug verdienen lassen wird. „Reichweite“ ist das neue Zauberwort.
- Automatisierte Newsseiten wie Rivva könnten der guten alten Tageszeitung gefährlich werden, sagt Matthias Schwenk. Und er überlegt, wie sich mit solchen Technologien ein Geschäftsmodell entwickeln ließe.
- Verleger Christian DuMont-Schütte sieht Googles Ende in zehn Jahren kommen. Er hat aber auch schon feststellen müssen, dass die junge Zielgruppe nicht mit Print zu erreichen ist: „Sie geht nicht zum Kiosk und zahlt für Informationen.“ Gefunden bei: turi2
- Thomas Knüwer nimmt einige Aussagen in dem Interview genüsslich auseinander und plädiert: „Wirklich revolutionär wäre es, gäben die Verlage ihre Austernpolitik im Netz auf und verlinkten munter nach außen. Ich bin mir sicher: Die erste Seite, die das ankündigt, wird Links zurückbekommen – und dann ohne Consultants bei Google nach oben klettern.“
- Andreas Göldi rechnet aus, dass die Neue Zürcher Zeitung als reines Online-Produkt nicht überleben könnte. Sie müsste radikal Personal abbauen. Von der heutigen Qualität wäre wohl nichts mehr übrig. Seine Ergebnisse basieren allerdings auf einer Reihe von Annahmen, die beispielsweise die Entwicklung des Werbemarktes im Internet betreffen.
- Dieser Rechnung widerspricht Matthias Schwenk und wirft den Verlagen vor, ihre bekannten Modelle aus Print 1:1 ins Internet übertragen zu wollen – was nicht funktioniert. Vor allem beim Abo müsse viel mehr Flexibilität her.
- In einem weiteren Artikel stellt Andreas Göldi Möglichkeiten vor, als Qualitätszeitung im Internet Geld zu verdienen. Er stellt allerdings auch fest: „Gerade die kleineren Zeitungen füllen ihr Printprodukt heute weitgehend mit Agenturmaterial, und die eigene inhaltliche Substanz ist zu dünn für ein überlebensfähiges Online-Produkt.“
Jan hat mehr als 20 Jahre Berufserfahrung als Online-Journalist und Digitalpublizist. 2006 hat er das UPLOAD Magazin aus der Taufe gehoben. Seit 2015 hilft er als CONTENTMEISTER® Unternehmen, mit Inhalten die richtigen Kunden zu begeistern. Und gemeinsam mit Falk Hedemann bietet er bei UPLOAD Publishing Leistungen entlang der gesamten Content-Marketing-Prozesskette an. Der gebürtige Hamburger lebt in Santa Fe, New Mexico.
So recht du auch hast, den Glaube daran, dass dies in naher Zukunft umgesetzt werden könnte, den habe ich nicht. Dazu nehmen die angesprochenen Zeitungen das Internet noch nicht ernst genug.
Die große lokale Tageszeitung hier in der Gegend (Auflage > 160.000) suchte vor nicht zu langer Zeit einen Praktikanten, der ihnen die Website neu macht. Unbezahlt versteht sich.
Wir soll bei so einer Einstellung zum Medium etwas passieren? Das ist ja nicht die einzige Zeitung, bei der so operiert wird.
Ich glaube der Denkfehler ist die Aktualität. Blogs sind nicht aktueller (auch wenn sie vielleicht schneller sind). Im Lokalen passiert selten etwas mit Spiegel-Online-Eilmeldungscharakter, das ich noch am Nachmittag lesen müsste. Und lesen könnte. Trotz Spiegel Online lese ich zwei Tageszeitungen. Und ob eine Scheck-Übergabe in der Sparkasse oder der Bericht aus dem Bezirksausschuss wirklich schneller im Blog stünden?
Ich ergänze: entscheidend ist wohl die erste Aldi-Anzeige in einem Blog.
Aldi ist derzeit nicht sehr interessiert am Internet – ist jedenfalls meine Einschätzung bei Betrachtung der Website ;-) Aber trotzdem ist der Hinweis genau richtig: Was muss passieren, damit solche typischen Tageszeitungskunden im Internet werben? Aldi ist beispielsweise auf möglichst große Wirkung ausgelegt. Die würden nie mit einzelnen Blogs über Werbepreise verhandeln.
Deine Einschätzung zur Wichtigkeit der lokalen Nachrichten teile ich nicht. Es kommt einem lächerlich vor – gerade wenn man Journalist ist und große Ansprüche an seine Arbeit hat – aber genau diese banalen Dinge wollen die Leute lesen. Wenn sie abends auf einem Konzert waren, wollen sie nächsten Tag in der Lokalzeitung lesen, wie es war. Und wehe, es steht nicht drin. Da kannst Du dreimal einen Finanzskandal in der Stadtverwaltung aufgedeckt haben: Du bist untendurch. Ich habe immerhin fünf Jahre als Lokalreporter gearbeitet und entsprechende Erfahrungen gemacht.
Zudem gibt es Lokalzeitungen auch für Städte wie Berlin, Hamburg, München, Köln, Düsseldorf, Leipzig, Dresden…
Und mal ehrlich: Scheckübergaben kannst Du als Lokalblogger ja auch gern den Kollegen der Heimatzeitung überlassen. Du hast in Deinem Blog ja keinen festen Platz für eine Bildnachricht, der gefüllt werden muss – wenn Du es schlau eingerichtet hast, jedenfalls ;-)
kann ich aus sicht eines lokalblogs (schwerin-schwerin.de) und der eines ehemaligen lokalreporters (hallo jati) nur bestaetigen.
allerdings stelle ich mir in letzter zeit die frage, ob es nicht kalter kaffee ist, der bei dieser thematik immer wieder aufzukochen ist. die feststellung ansich ist nicht neu. die tageszeitungen interessieren sich (leider nur) vereinzelt fuer blogs als „ersatz“ eines herkoemmlichen auftritts. warum also weiter drauf rumpruegeln?
Ich glaube nicht, dass sich schon viele Tageszeitungsverlage intensiv und ernsthaft damit auseinandergesetzt haben. Meinst Du wirklich, ein deutscher Verlagsgeschäftsführer hat sich damit beschäftigt, welche Vorteile die Technologie „Weblog“ für sein Haus brächte? Dass er ein zweites, komplett anders organisiertes Produkt an die Seite der Zeitung stellen müsste? Dass er in den nächsten Jahren mit erheblichen Einbußen leben muss, um dann (vielleicht) gestärkt daraus hervorzugehen? Ich habe vielleicht Vorurteile, aber das kann ich mir nicht vorstellen. Ansonsten wäre über diese unseligen „E-Paper“ nicht einmal nachgedacht worden.
Vielleicht noch zur Klarstellung: Mir geht es nicht um Weblogs als Ergänzung zu einem Webauftritt einer Tageszeitung. Mir geht es darum, dass ein Tageszeitungsverlag im Internet ein lokales Teamblog betreibt – mit allen Möglichkeiten und Hindernissen, die damit verbunden sind. Und vor allem wie erwähnt: als eigenständiges Produkt.
Und was machen die Metteure? ;)
Ich sage ja seit Jahren: Print ist im Kommen. Irgendwann stimmt das sicher wieder ;-)
Ein nicht zu unterschätzendes Problem bei dieser Geschichte ist die Frage nach der Erwünschtheit von Feedback.
Man kann einer Lokalzeitung Leserbriefe schreiben, die dann von der Redaktion gesichtet werden und eventuell den Weg in die nächste Ausgabe finden.
Soweit ist es also wie bei einem Blog auch. Allerdings darf man in diesem Zusammenhang den Komfort nicht vergessen, den ein Blog dem Nutzer bietet: Ich kann viel schneller reagieren und es würde auffallen, wenn die redaktionelle Auslese nur auffällig viele positive Kommentare zuließe, was allerdings angesichts der Tatsache, dass es wirtschaftlich gesehen mehr als unklug wäre, sich auf der eigenen Plattform schlecht machen zu lassen. Daher wäre es eine sehr zweischneidige Angelegenheit, solch ein Angebot aufzustellen, denn man würde zu sehr in Gefahr geraten, sich der Lächerlichkeit preiszugeben oder aber als meinungsfeindlich zu gelten. Nichts also, was man sich als kleines Lokalblatt leisten kann.
Die Frage ist also unabhängig von finanziellen Aspekten einfach prinzipieller Natur, so dass das Blog selbst als Tochterprojekt einer Tageszeitung immer noch als Teil der Tageszeitung angesehen wird. Nicht ohne Grund sind die Blogs u.a. der Zeit ja auch nicht direkt in den Online-Auftritt eingebunden und werden nur von sehr kleinen Teams (wenn es nicht ohnehin nur eine Einzelperson ist) geführt.
Es spräche ja nichts dagegen, das Online-Produkt tatsächlich in gewisser Weise vom Print-Produkt abzukoppeln – beispielsweise durch eine eigene (Sub-)Marke. Es gibt ja in der Regel auch lokale Anzeigenblätter, die aus gutem Grund unter einem anderen Namen auftreten und dennoch teilweise dieselben Redakteure beschäftigen.
Die Moderation der Kommentare dürfte aber tatsächlich ein großes Problem sein, vor dem sich viele scheuen. Überhaupt scheuen Journalisten vielfach die Diskussion mit ihren Lesern, wie ich meine. Deswegen sage ich ja: Der Verlag muss mit seiner Redakteursmannschaft dahinterstehen, dass man nun ins Internet geht und alle Konsequenzen mitträgt. Das ist bislang kaum der Fall.
Deshalb denke ich auch nicht wie Kollege aba, dass das Thema „kalter Kaffee“ ist. Um im Bild zu bleiben: Dieser Kaffee ist noch nichtmal geerntet.
Ich freue mich über einiges, was in deinem Beitrag steht. Als einer von wenigen weist Du darauf hin, dass die Gemeinsamkeiten von Blogs weder in ihren Inhalten noch in ihren Zielsetzungen liegen, sondern, schlicht und ergreifend, in der Technik. Blogs sind eine Möglichkeit des Publizierens. Blogs sind daher weder besser noch schlechter, weder interessanter noch langweiliger, weder braver noch provokanter als andere Medien. „Bloggen“ heißt einfach, einen von verschiedenen Kanälen der Kommunikation zu benutzen.
Leider rückst Du davon stellenweise wieder ab: „Weblogs werden nur akzeptiert, wenn sie nicht kastriert wirken oder reine Werbeseiten für ein anderes Produkt sind“ – das stimmt so nicht. Inhalte werden akzeptiert oder nicht akzeptiert. Und die Leserschaft einer Tageszeitung geht an diese Fragen sicher anders ran als meinungsführende Blogger, die Werbung ablehnen. Die Frage nach PR und Werbung in einem blogbasierten Online-Auftritt einer Zeitung würde sich nicht von der Fragen nach PR und Werbung in der Zeitung selbst unterscheiden.
Oder: „Zudem müssen sie sich an den Gedanken gewöhnen, dass in den Internet-Medien der Monolog des Journalisten durch einen Dialog zwischen Autor und Leser geworden ist – und die beiden ihre Rollen dynamisch wechseln können.“ Das ist nicht zwangsläufig der Fall. Man kann Kommentarfunktionen deaktivieren oder einen möglichen Dialog mit dem Leser ignorieren, wenn man das will. Und: Nicht jeder Internetnutzer ist scharf auf die Kommentarfunktion. Es ärgerst sich ja auch niemand darüber, dass am Ende der Tagesschau keine Leserbriefe verlesen werden.
Danke für Deine interessanten Ergänzungen. Was die Kommentarfunktion angeht, sehe ich es ein wenig anders als Du. Bei der „Tagesschau“ Leserbriefe vorzulesen, wäre rein praktisch nicht möglich. Im Web hingegen ist eine Kommentarfunktion kein Problem, wird sehr oft angeboten und von den Nutzern daher schon vielfach erwartet. Natürlich kannst Du diese Funktion weglassen. Du kannst alles weglassen. Es ist nur die Frage, ob die Nutzer das in einigen Jahren noch akzeptieren werden. Das kommt natürlich auch auf Deine Zielgruppe und Deine Inhalte an :-)
Wer will den schon ein Webblog, wenn er Morgens die Druckerschwärze riechen möchte. Wenns Webblogs mit Druckerschwärzegeruchsapparat gibt lese ich nurnoch blogs ;-)