Als das Magazin „Prinz“ im November 2012 die Einstellung seiner Print-Ausgabe verkündete, ging die Nachricht im Trubel der Hiobs-Botschaften über Frankfurter Rundschau & Co. beinahe unter. Das traditionsreiche Stadtmagazin zog damit die Konsequenz aus den seit Jahren sinkenden Leserzahlen. Denn die Leserschaft war längst zu alternativen Angeboten im Netz abgewandert. Als eine Art Nachschau haben wir uns ein paar Gedanken über die Zukunft von Stadtmagazinen gemacht, alte und neue Alternativen im Web durchforstet und Hürden für Startups im Event-Bereich entdeckt.
Schaut man auf die nackten Zahlen beim Prinz, wirkt die Entscheidung für den Online-Bereich durchaus nachvollziehbar: Während die Unique-User von November 2010 bis November 2012 um etwa 50% gestiegen sind (von 1.349.777 auf 2.023.019), sank die durchschnittliche verkaufte Auflage pro Ausgabe um ca. 17% von ca. 180.000 im November 2010 bis ca. 150.000 im Oktober 2012:
Jahr | Unique User | Verkaufte Auflage |
---|---|---|
Nov 2010 | 1.348.777 | 179.010 |
Okt/Nov 2012 | 2.023.019 | 149.467 |
Prozent | +50% | -17% |
Alle Zahlen von IVW. Die verkaufte Auflage für Nov 2010 ist der Mittelwert beider verkaufter Auflagen in dem Monat.
Ganz so drastisch sieht es nicht bei allen Stadtmagazinen aus. Doch auch bei den lokal ansässigen Vertretern kam es in den letzten Jahren durchweg zu einem Leserschwund (von Meedia bereits 2011 dokumentiert), wobei sich traditionsreiche und verwurzelte Magazine wie die Kölner StadtRevue noch am besten halten konnten. Der Online-Bereich der Stadtmagazine lässt sich Mangels IVW-Zahlen leider nicht dokumentieren, und die Alexa-Zahlen wirken schon beim Prinz im Vergleich zu den IVW-Ausweisungen wenig aussagekräftig. Laut Eigen- oder Fremd-Aussagen verzeichnet Tip-Berlin ca. 200.000 Unique User pro Monat, die Zitty dürfte kaum höher liegen (das Netzwerk BerlinOnline, Betreiber u.a. von Berlin.de, hatte den Wert 2011 mit rund 100.000 beziffert) und die Kölner StadtRevue hat ihre Zahl von 70.000 Visits seit 2008 nicht mehr aktualisiert. In diesem Korridor dürften sich die Online-Ausgaben also bewegen.
Stadtmagazine – Was leisten sie in Zukunft noch?
Der Niedergang des Magazins Prinz wurde in einem Beitrag der Ruhrbarone von zahlreichen Interview-Partnern in erster Linie der Redaktionspolitik angekreidet: Der Verlust der redaktionellen Qualität und die Konzentration auf einen „Nutzwert-Journalismus“ gelten neben den permanenten konzeptionellen Neuausrichtungen als entscheidende Fehler. Tatsächlich haben die traditionsreichen Stadtmagazine in der Vergangenheit meist beides verbunden und damit vermutlich auch zwei Leserschaften zusammengeführt: den Lokal- und Kuluturjournalismus und den Veranstaltungskalender für die Freizeitorganisation. Wie stehen die Überlebenschancen der beiden Bereiche im Web?
Die Ruhrbarone sind selbst ein gutes Beispiel dafür, wie der journalistische Teil eines Stadt- oder Regionalmagazins im bloggigen Gewand auch im Netz eine Zukunft haben kann: Mit inzwischen 200.000 Visits und vier begleitenden Print-Ausgaben steht das Projekt mehr oder weniger auf Augenhöhe mit vielen klassischen Stadtmagazinen.
Und der Service- und Veranstaltungs-Bereich? Bei den meisten Online-Ausgaben kann man den Veranstaltungs-Kalender im schlechtesten Fall als unbrauchbar, bestenfalls als userunfreundlich bezeichnen. Beispiel Konzerte: Bei der Online-Ausgabe der Zitty muss man sich bis heute durch eine wenig ansehnliches Web-Kopie des Print-Kalenders klicken, die lediglich den Künstler- oder Bandnamen und den Veranstaltungsort angibt. Alert-Funktion für meine Lieblingsbands? Zusätzliche Band-Infos oder mal ein YouTube-Video? Irgendein Profil oder Login per Social Media und entsprechende Nutzungsmöglichkeiten? Alles Fehlanzeige. Lediglich ein Filtern nach Kategorien ist möglich. Sofern man jedoch experimentieren will und nach etwas Neuem sucht, muss man für Hörproben auf YouTube ausweichen, die Location dann per Google erkunden und sich mit seinen Freunden über Facbook oder per E-Mail verabreden.
Alternativen im Netz – Meetup, BandsInTown, Vamos-App
Gegenargumente für einen Ausbau solcher Service-Funktionen sind schnell gefunden: Ein lokal begrenztes Stadtmagazin dürfte weder die Reichweite, noch die finanziellen Mittel oder die Bindungskraft besitzen, um im Web große Experimente zu unternehmen. Diese Argumente gelten aber nicht für den Prinz: Das Magazin war überregional aufgestellt und hätte durchaus als flächendeckendes Netzwerk funktionieren können. Natürlich mit einigem Mut zum Wandel und zu Investitionen – und mit dem Risiko, als „Startup-Modell“ auch scheitern zu können.
Auch das zweite Argument greift aus meiner Sicht nur auf den ersten Blick: Veranstaltungen und Verabredungen finden heute ohnehin auf Social-Networks statt, in früheren Zeiten über MySpace, heute über Facebook. Den großen Social-Networks nun mit einem Stadtmagazin ähnliche Funktionen entgegenzusetzen, wirkt erst einmal wie David gegen Goliath. Mag sein, mag aber auch nicht sein, denn im Web haben sich in letzter Zeit zahlreiche Modelle entwickelt, die auch neben oder sogar mit den großen Social-Networks sehr gut funktionieren. Um nur drei Beispiele zu nennen:
- BandsInTown: Ähnlich wie Songkick ein recht nützlicher Alert-Service, der die Nutzerprofile von Last.fm oder Pandora importiert und den User benachrichtigt, wenn eine seiner Lieblings-Bands ein Konzert in der Stadt gibt. Eine Funktionalität, die wie geschaffen wäre für das Angebot von Stadtmagazinen, zumal dort ja ohnehin alle nötigen Daten vorhanden sind.
- Meetup: Das allseits bekannte Meeting-Netzwerk erfreut sich seit Jahren wachsender Beliebtheit. Über Meetup lassen sich Interessen und Meetings lokal organisieren. Dabei ist die Plattform ein vollwertiges Netzwerk mit allen Funktionen, die man sich wünscht: Kommentare, Bildupload von Veranstaltungen, etc. etc. Und Meetup liefert als kostenpflichtiger Service gleich auch das Business-Modell mit. Natürlich spricht die Plattform derzeit noch eine etwas nerdige Szene an, doch das Prinzip lässt sich auf viele Bereiche übertragen.
- Vamos: Vamos ist eine sehr junge App (iPhone und Android) mit einem extrem simplen Prinzip: Vamos saugt die Veranstaltungsdaten aus Facebook ab und bastelt so einen Veranstaltungskalender für die eigene Stadt. Zugegeben fehlen Vamos noch zahlreiche Funktionalitäten, um als vollwertige Alternative durchzugehen, aber der Ansatz zeigt, dass auch ein Anzapfen bestehender Social-Networks reichen kann, um den User etwas potentiell Nützliches zu bieten.
https://vimeo.com/47001995
Man könnte noch dutzende andere Plattformen vorstellen, die die Service-Funktionen von Stadtmagazinen heute deutlich sinnvoller anbieten und die Möglichkeiten des Webs wesentlich besser ausschöpfen. Und es gibt auch noch dutzende Richtungen, in die man Stadtmagazine weiterdenken könnte. Wie wäre es zum Beispiel mit einer Integration von YouTube, SoundCloud & Co., wie es musicplayr vorbildlich realisiert? Und wie wäre es dann mit einem Lean-Back-Mode, mit dem Kickstarter gerade experimentiert?
Probleme für Startups im Event-Bereich: An Daten kommen
Dennoch fragt man sich, weshalb der lokale Event-Bereich und die Service-Funktionen von Stadtmagazinen auch im Jahr 2013 noch nicht vollständig vom Web übernommen wurden und weshalb meist nur Insel-Lösungen in diesem Bereich entstehen. Warum hat beispielsweise noch niemand die Daten von Googles Kino-Verzeichnis (Google Showtimes) genutzt und mit Hilfe von YouTube einen lokalen Kino-Stream mit Verabredungs-Netzwerk gebaut? Oder etwas ähnliches mit Konzertdaten von Bands gemacht? Ohne es für jede Gattung zu recherchieren dürfte Googles Kino-Verzeichnis exemplarisch sein, warum hier so wenig passiert: Die Daten sind aus Lizenzgründen nicht per API-Schnittstelle nutzbar (es gibt lediglich einen Test-Datensatz), und bei dem Versuch, die Daten z.B. über Scraping abzugreifen, rennt man schnell ins rechtliche Aus (ein interessanter Erfahrungsbericht zum Thema auf hackr-news).
Mit den übrigen Event-Bereichen dürfte es kaum anders sein, d.h. ein Startup, das den Event-Bereich auch überregional aufmischen will, dürfte schon im Vorfeld an den Linzenzkosten scheitern (beim Konzert-Bereich scheint Songkick eine Daten-API anzubieten, aber man kommt dennoch nicht umhin, sich bei jeder Kategorie sehr intensiv mit der Datenfrage zu befassen). Darin dürfte wohl der Hauptgrund liegen, weshalb sich viele Online-Angebote in der Vergangenheit auf User Generated Content und soziale Interaktion verlassen haben, auch wenn das Ergebnis dann oft einem schweizer Käse gleicht: sehr löchrig.
Fazit: Stadtmagazine haben eine Zukunft, aber…
… vermutlich in einer anderen Form. Dabei möchte man nicht unbedingt in der Haut kleiner unabhängiger Stadtmagazine stecken, denn die Budgets (auch für Experimente) sind knapp und der Überlebenskampf hart. Der Prinz hätte eigentlich eine gute Ausgangsposition, ob ihm nach dem Aus der Print-Version und dem massiven Aderlass bei der Belegschaft jedoch noch die Energie für die Erfolgsspur im Web bleibt, ist eher fraglich. Der Zitty mag man mit dem Tagesspiegel im Rücken noch ein wenig Experimentierfreude zutrauen, die derzeitige Web-Ausgabe legt das allerdings nicht nahe.
Dabei sind die Möglichkeiten im Web vorhanden, und vielleicht sind die Einstiegshürden für Startups gerade auch eine Chance für die Etablierten. Wetten würde ich dennoch auf origniäre Web-Ansätze wie Ruhrbarone im journalistischen Bereich und neue Web-Startup wie Vamos im Service-Bereich.
Sebastian ist Senior Product Owner und Web-Entwickler. Seit 2017 entwickelt er das kleine Open Source CMS Typemill und betreibt damit unter anderem cmsstash.de, eine Fach-Publikation zum Thema Content Management Systeme.
Nach der ersten Welle der Veranstaltungskalender (upcoming, wevent, venteria, popula, …) ist dies wohl als größeres Problem erkannt worden.
Vermutlich Hindernisse:
– Kataloge von Ticketanbietern, Volkshochschulen, etc. sind extrem umfangreich und die Struktur ist nicht einheitlich.
– Wenn diese Kataloge fehlen ist die Veranstaltungsauswahl dünn. Sind sie drin ist das Tagging oft schlecht und andere Anbieter gehen in den Suchergebnissen unter.
– Tourdaten möchte man deutschlandweit in einer Plattform pflegen
– Crowdgesource Veranstaltungen (barcamps, meetups, etc.) haben noch einmal ganz andere Anforderungen
Für Stadtmagazine wäre wohl ein manuell kuratierter Kalender der gangbare Weg.