In seiner Kolumne „ENTER“ schreibt Jan Tißler über das Titelthema der jeweiligen Ausgabe. Oder auch nicht. Achtung: Kann Spuren von Humor enthalten. Oder in diesem Fall auch überraschend auftauchende Werbung.
Neulich soll ja eine Website unter der Last von zu viel Reklame in sich zusammengefallen sein – einfach so: Krachbumm, weg war sie. Praktisch wie eine altersschwache Hausfassade. Obwohl… wenn ich jetzt genauer darüber nachdenke: Aus irgendeinem Grunde _war_ die Website eine Hausfassade. Der Websitebetreiber jedenfalls wollte eigentlich nur ein Overlay einbauen. Also ergänzend zum Skyscraper, dem Banner, der sich automatisch aufklappenden Flash-Bühne, den drei Rectangles, dem Hockeystick, den Blöcken mit Google AdSense und den sechs „weiteren Artikeln aus dem Netz“ zu Themen wie „Autofahrer wütend über diese neue Regel“ oder „Kinderstars, die heute fett und hässlich sind“. Der Webmaster steht mit leicht wackligen Beinen auf dem Baugerüst vor der Website-Hausfassade und die Kollegen reichen ihm das Video-Overlay rüber – tolles Ding: Man kann es erst nach einigen Sekunden Wartezeit wegklicken. Keuchend und ächzend versuchen sie es mit vereinten Kräften in die Website einzuhängen – und plötzlich fällt alles krachend zu Boden. Lärm. Staub. Flüche. Husten. Und nachdem sich der Webmaster und seine Gehilfen den Staub aus der Kleidung geklopft hatten, sehen sie die Bescherung: nur noch Trümmer und Dreck. Sie stehen knietief im HTML-Code. Rechts oben hängt noch die Box mit den Top-Artikeln („Das sind Deutschlands heißeste Postleitzahlen [Bildergalerie]“). Die Facebook-Box darunter hat’s aber schon in der Hälfte auseinandergerissen.
Genau so war das. Vielleicht habe ich das aber auch einfach nur geträumt. Sie glauben ja gar nicht, was mir nachts alles durch den Kopf geht! Aber das wollen Sie vielleicht auch gar nicht so genau wissen.
So langsam frage ich mich aber trotzdem, ob im Web eigentlich noch die Werbung dazu da ist, Inhalte zu refinanzieren. Oder ob nicht vielmehr die Inhalte dazu dienen, Werbung einblenden zu können. Ich habe dabei grundsätzlich nichts gegen Werbefinanzierung. Das UPLOAD Magazin lebt schließlich auch zu einem Teil von unserem Exklusivsponsor Mittwald. Aber trotzdem stehen bei uns die Inhalte im Vordergrund – also wortwörtlich und im übertragenen Sinne.
Damals… Ja, damals!
Zugegeben: An sich ist das Thema nicht neu. Als ich vor 20 Jahren als Lokalreporter gearbeitet habe, hieß es schon:
„Die Redaktion füllt die von der Anzeigenabteilung freigelassenen Lücken mit Inhalten, die der Vertrieb verkaufen kann.“
Letztendlich ist ein Verlag natürlich ein Wirtschaftsunternehmen und kein gemeinnütziger Verein. Schon klar. Aber trotzdem wäre bei der Zeitung damals niemand darauf gekommen, die Titelseite zu 90% mit Werbung zu füllen. Oder Anzeigen auf Artikel zu kleben, so dass man sie erst abziehen muss, um den Beitrag tatsächlich lesen zu können. Für zahlreiche moderne Schandtaten der Onlinereklame gäbe es nicht einmal analoge Entsprechungen…
Kein Wunder, dass sich Internetnutzer zunehmend wehren. [Werbung im Wert von satten 22 Mrd. US-Dollar](https://www.internetworld.de/onlinemarketing/adblocker/werbeeinnahmen-sinken-adblocker-um-22-milliarden-us-dollar-998830.html) wird wohl allein in diesem Jahr durch AdBlocker gar nicht erst angezeigt. Im nächsten Jahr sollen es gar 41 Mrd. US-Dollar sein. Ein Grund für den rasanten Anstieg: AdBlocker kommen ins Mobile Web. Das neue iOS 9 wird beispielsweise entsprechende Funktionen von Haus aus mitbringen. Momentan haben nur 1,6 Prozent der Mobilgeräte einen AdBlocker.
Dabei ist das Problem gar nicht unbedingt, dass die Reklame mobil so nervig wäre. Aber viele große Seiten haben inzwischen gleich mehrere Werbenetzwerke eingebunden und deren Skripte blähen die Seite auf. Ergebnis: lange Ladezeiten, mehr Datentraffic, weniger Akkulaufzeit.
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Hey, Werbetreibende! Ja, ihr seid gemeint
Aber ich will hier nicht die Seitenbetreiber beschimpfen. Sie sind das letzte Glied in der Nahrungskette der Onlinewerbung.
Aus meiner Sicht muss das Umdenken bei den Werbetreibenden stattfinden. Darauf reagieren dann die Dienstleister und darauf letztendlich die Website-Anbieter. Umdenken insofern, dass weitere Kennzahlen herangezogen werden sollten, um Werbung zu schalten und zu bezahlen. So könnte man beispielsweise die Dauer des Aufrufs mit einbeziehen. Wer also heute als Website-Betreiber seine Abrufzahlen mit Bildergalerien, Schnipsel-Artikeln und „klickstarken“ Überschriften schönt, hat dann das Nachsehen. Ist leider nicht immer hundertprozentig exakt messbar. Aber da bekämen schlaue Ingenieure sicherlich etwas hin. Wichtig wäre außerdem aus meiner Sicht so etwas wie ein garantiertes Werbeumfeld. Eine Anzeige auf einem Reklame-Friedhof bringt nun einmal erheblich weniger, als wenn ich der einzige Werbekunde bin oder einer von wenigen, die ansprechend präsentiert werden.
Auf jeden Fall muss doch mal die Erkenntnis ankommen, dass es qualitative Unterschiede bei der Werbung gibt und dass es sich als Marke mit hochwertigen Produkten lohnt, in hochwertige Umfelder zu investieren.
Ich erwarte mir persönlich trotzdem keine 180-Grad-Wende bei der Onlinewerbung. Ich hoffe stattdessen auf mehr Vielfalt – so wie es ja auch am Kiosk vom billigen Blättchen bis zum Hochglanzmagazin etliche Auswahl gibt.
So. Jetzt lege ich mich erstmal schlafen. Vielleicht wache ich ja morgen auf und das Internet ist ein Platz, in dem Nutzer nicht als Klickvieh angesehen werden oder Inhalte als Trägermasse für Anzeigen herhalten müssen.
Na, man wird ja wohl noch träumen dürfen!
Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 26
Gemeinsam mit den Digital Media Women haben wir mit der Nummer 26 eine ganz besondere Ausgabe des UPLOAD Magazins auf die Beine gestellt: Wir schwenken das Rampenlicht auf „digitale Macherinnen“. Dazu haben wir beispielsweise 24 profilierte Frauen der Digitalszene im Kurzinterview. Wir beleuchten die Gründerinnenszene in Hamburg. Und wir geben praktische Tipps und Tricks rund ums Netzwerken.
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Jan hat mehr als 20 Jahre Berufserfahrung als Online-Journalist und Digitalpublizist. 2006 hat er das UPLOAD Magazin aus der Taufe gehoben. Seit 2015 hilft er als CONTENTMEISTER® Unternehmen, mit Inhalten die richtigen Kunden zu begeistern. Und gemeinsam mit Falk Hedemann bietet er bei UPLOAD Publishing Leistungen entlang der gesamten Content-Marketing-Prozesskette an. Der gebürtige Hamburger lebt in Santa Fe, New Mexico.
ja ja, aber selber diese dämlichen „cooky“ Hinweise auf der Seite machen….
Dazu vielleicht einmal diesen Beitrag von Rechtsanwalt Thomas Schwenke lesen. Dann wird deutlich, dass dieser Cookie-Hinweis laut EU Pflicht ist und nun z.B. auch Google alle Teilnehmer seiner Werbeprogramme dazu verpflichtet.
Abgesehen davon wird dieser Cookie-Hinweis auf unserer Seite genau einmal angezeigt und er legt sich auch nicht über den Inhalt. Das ist ein kleines bisschen was anderes als ich in meiner Kolumne schreibe ;)
Du sprichst mir aus der Seele! Ich persönlich sehe es ja an, dass private Webseiten nun einmal von Werbung finanziert werden, doch einen wirklich starken Werbepartner, der am besten exklusiv auf der Seite angezeigt wird, dürfte für beide Seiten eigentlich deutlich attraktiver sein, als irgendwelche mit Adsense-Blöcken und Overlays zugespammte Seiten.
Ich persönlich verdiene mit „klassischer“ Bannerwerbung, die in der Sidebar angezeigt wird, im Durchschnitt ziemlich genau einen Euro pro Monat, was nicht gerade kostendeckend ist. Hast du ein paar Tipps, wie man ein Angebot ohne solche Reklame finanzieren kann?
Viele Grüße
Benjamin