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"Die Verlage waren zu behäbig" – Interview mit NZZ Folio-Redaktionsleiter Daniel Weber

Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) gehört zu den Flaggschiffen des Qualitätsjournalismus. Seit wenigen Tagen blickt das Blatt übrigens mit einem schicken neuen Layout stolz beim Zeitungshändler aus der Auslage. Und das zur Zeitung gehörende Monatsmagazin NZZ Folio beschäftigt sich in seiner Oktoberausgabe mit dem Themenschwerpunkt Zeitung und deren Zukunft. Abgesang oder Aufschwung mit neuen Ideen? Naht der Untergang des raschelnden Mediums oder haben Papier und Druckerschwärze noch eine Chance gegen den mächtigen Übervater Online? Mit diesen Fragen hat sich die Redaktion des Monatsmagazins auseinandergesetzt und interessante Beiträge hierzu verfasst. Daniel Weber ist Redaktionsleiter bei NZZ Folio und gibt uns einige Antworten zur Zukunft des Printmediums. Hinweis: Wir verlosen drei Exemplare des Hefts!

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Die Oktoberausgabe des NZZ Folio beschäftigt sich mit der guten alten gedruckten Zeitung, deren baldiger Untergang täglich neu verkündet wird. Hat sich bei der Arbeit an den Beiträgen die Lage als wirklich so dramatisch bestätigt? Bleibt den Lesern die morgendlich vor der Haustür schlummernde Printausgabe ihrer Tageszeitung auch in den kommenden Jahren erhalten?

Wir hatten nicht vor, in den Abgesang auf die gedruckte Zeitung einzustimmen. Und das Fazit nach der Arbeit an diesem Heft lautet: Hoffnungslos ist die Lage für die Printmedien nicht. Sie werden sich ändern müssen – hätten das wahrscheinlich schon viel früher tun müssen -, aber in den kommenden Jahren werden sie nicht verschwinden. Lokalzeitungen zum Beispiel stehen auch jetzt in der Krise in der Regel gut da, selbst in den USA sind sie auch dieses Jahr profitabel. Schwieriger haben es die überregionalen Blätter, die mit hohen Fixkosten belastet sind. Sie werden, auch wenn die Konjunktur wieder anzieht, um strukturelle Anpassungen nicht herumkommen; sie werden sich auf niedrigere Auflagen und eine kleinere Leserschaft einstellen müssen und notgedrungen schlanker werden.

Kann man den Zeitungshäusern tatsächlich vorwerfen, zu behäbig gewesen zu sein und wichtige Entwicklungen angesichts der Digitalisierung verschlafen zu haben? Diese entwickelte sich ja nun nicht über Nacht.

Ja, die Verlage waren zu behäbig. Als das Internet vor 15 Jahren seine Breitenwirkung zu entfalten begann, haben die Verleger etwa unterschätzt, wie umfassend die Kleinanzeigen ins Internet abwandern werden und überließen dieses Spielfeld Branchenfremden – inzwischen hat der eine oder andere Verlag für teures Geld gekauft, was zu entwickeln er versäumte. Die Verlage haben es auch nicht geschafft, mit ihren redaktionellen Inhalten online ein tragfähiges Geschäftsmodell zu entwickeln.

Wie könnten zukunftsweisende Modelle aussehen, die einen Qualitätsjournalismus auch künftig gedeihen und wirtschaftlich sein lassen? Wird das Bezahlmodell oder die Werbefinanzierung die entscheidende Rolle spielen?

Der Anteil der Werbung an der Finanzierung der Zeitungen, um die 70 Prozent, wird zurückgehen müssen. Das werden die Zeitungen durch höhere Verkaufs- und Abopreise kompensieren müssen. Dadurch werden sie Leser verlieren. Die Zeitungen werden sich also vermehrt an eine kaufkräftige Minderheit richten, Qualitätszeitungen werden zu Eliteblättern. Denkbar ist auch, dass alternative Finanzierungsmodelle, etwa Stiftungen, eine größere Rolle spielen werden.

In Deutschland hat der WAZ-Konzern einen sogenannten Content-Desk eingerichtet. Kritiker sehen darin und in ähnlichen Maßnahmen eher Sparprogramme, mittels derer immer weniger Journalisten möglichst viele Vertriebskanäle mit Inhalten füllen sollen. Sind die derzeit laufenden Konzentrationen von Zeitungsmärkten zum Scheitern verurteilt? Und spricht sich der sogenannte Qualitätsjournalismus nicht seinen eigenen Anspruch ab, wenn in den Redaktionen immer weniger Journalisten tätig sind?

Ich halte die Crossmedialität, bei der Journalisten für alle möglichen Kanäle Inhalte liefern sollen, für eine Fehlentwicklung. Ich sehe im Gegenteil zunehmend die Notwendigkeit der Differenzierung: Die gedruckte Zeitung erfordert ein anderes Schreiben als die Online-Plattform – falls sie den Mehrwert liefern will, der allein ihre Existenzberechtigung ausmacht.

Wie will sich die Tageszeitung NZZ im digitalen Zeitalter künftig positionieren? Gibt es bereits Pläne für besondere Innovationen, also den Empfang auf kleinen Mobilgeräten wie dem iPhone oder dem Schmökern mittels E-Readern? Und wie wird von den Lesern die Internetausgabe „NZZ global“ seit Einführung aufgenommen?

Bei der NZZ werden sehr viele Inhalte mehr oder weniger identisch im Print- und Online-Bereich angeboten. Es ist allerdings absehbar, dass die NZZ künftig zumindest Teile ihres Online-Angebots kostenpflichtig machen wird – der Trend geht ja international seit einiger Zeit in diese Richtung. In Diskussion bei der NZZ ist ein freies Grundangebot, ergänzt um kostenpflichtige Zusatzangebote. NZZ global hat steigende Nutzungszahlen, ist aber eindeutig ein Nischenprodukt, das vor allem von Leuten genutzt wird, die sich an Orten im Ausland aufhalten, wo sie die gedruckte Zeitung nur mit großer Verspätung bekommen. Eine für Mobilgeräte optimierte Version von NZZ Online gibt es bereits, demnächst kommt auch eine Applikation für das iPhone heraus. Zu Versionen für den Kindle und ähnlichen Geräte gibt es im Moment keine konkreten Pläne, aber die NZZ ist mit allen Anbietern im Gespräch und beobachtet die Marktentwicklung sehr genau…

Wie lebendig ist die Schweizer Blog-Szene? Haben sich hier in den vergangenen Jahre ein paar interessante und fundiert berichtende Blogger im Internet etabliert, die ein nennenswertes Publikum erreichen?

Ich empfinde die Schweizer Blogszene nicht als übermässig vital, was aber wohl in erster Linie mit der Kleinheit des Schweizer Marktes zu tun hat. Vier Empfehlungen:

  • Zum ersten der Medienspiegel, sehr fundierte und umfassende Beobachtung der Medienszene (Print und Online).
  • Zweitens der Journalistenschredder, ebenfalls ein Medienblog, selektiv und subjektiv.
  • Drittens Infamy, bloggt zu allen möglichen Themen, schräg und originell.
  • Und viertens edemokratie.ch, ein seriöser linksliberaler Politblog.

Verlosung: NZZ Folio „Die Zeitung“

091001-nzz-folioDas NZZ Folio 10/09 mit dem Titel „Die Zeitung“ erscheint am Montag, 5. Oktober.

Jetzt wird es oldschool: Was kann eine Zeitung, was andere nicht können? Das könnt Ihr nachlesen, denn die Eidgenossen spendieren den UPLOAD-Lesern drei Exemplare der Oktoberausgabe des  NZZ Folio. Wer Lust auf  Papierrascheln hat, hinterlässt hier einfach einen entsprechenden Kommentar und hat vielleicht schnell ein Folio im Briefkasten stecken. Teilnahmeschluss ist Mittwoch, 7. Oktober, 18 Uhr.

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Über den Autor des Interviews

Christian Noe ist freier Journalist. Seine Website: www.christian-noe.de

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BMA - Business Management Akademie

 

10 Gedanken zu „"Die Verlage waren zu behäbig" – Interview mit NZZ Folio-Redaktionsleiter Daniel Weber

  1. Mittlerweile ist es bei größeren Medienhäusern zur Mode geworden, Inhalte kostenpflichtig über eine eigene iPhone-Applikation anzubieten. Das verwundert auch nicht, denn mittlerweile kann nicht nur die Applikation selbst abgerechnet werden, sondern auch einzelne Inhalte. Problem dabei ist nur, dass der Marktanteil des iPhones mit etwa 13 Prozent verhältnismäßig gering ist und die Masse der Leser deshalb gar nicht erreicht wird.

    Aus meiner Sicht wäre es sinnvoller, einen kostenpflichtigen, für mobile Endgeräte jeglicher Art optimierten Zugang über einen mobilen Webbrowser anzubieten, um deutlich mehr Leser anzusprechen. Aber wahrscheinlich ist hier das Problem, dass kein vernünftiges Micropayment-Verfahren existiert, über das die Inhalte für Anbieter und Nutzer gleichermaßen kostengünstig abgerechnet werden können.

  2. Pingback: quartier-nord
  3. Auch ich bin gerne mit einem Folio dabei.
    Gerne würde ich auch für guten Qualtitätsjournalismus etwas zahlen. Es muss nur tatsächliches „Micro“-Payment im Sinne des Wortes sein. Ich will diese Idee hier gerne einmal ausentwickeln: die Bezahlung müsste natürlich pro Artikel möglich sein und dem Grundsatz folgen, dass es in Summe günstiger ist als die Printausgabe. Schließlich werden ja auch die gesamten Vertriebskosten über den Transport bis zum Kioskverkäufer eingespart und natürlich der gesamte Druck einschließlich Papier und Energie. Wenn ich alle Artikel lese, die auch in der Printausgabe eines Tages erscheinen, muss das in Summe Online deutlich günstiger sein, ansonsten fühl ich mich verarscht und abgezockt. Das kann man vielleicht mit iPhone-Usern machen…
    Daraus ergibt sich dann schon ein Preis pro Artikel, am besten einfach pro KB abgerechnet. Wenn ich ohne Bilder runterlade, möchte ich auch weniger zahlen (liebe Fotografen seid mir nicht böse, aber ich möchte selber entscheiden, ob und wann ich für Bilder zahlen will; im Endeffekt kann sich das als eine Frage des Preises entwickeln. Wenn dann also 2-4KB Artikel so zwischen 0,1 und 0,2 Cent bringen, dann wäre das doch schon erheblich mehr als heute, oder ?

    Die entsprechende Micropayment Technologie gibt es schon. Ich bin gespannt, wann der erste große Verlag hierauf einsteigt. Hier kann viel Geld gemacht werden mit weniger Umsatz für nicht gefällte Urwälder und Kioskbetreiber…

    Und für die iPhone-User kann man ja auch ein spezielles App machen, das pro Artikel ca. 0,69 € abgreift. So etwas wäre dann ein marktspezifisches Angebot ;D

  4. Gerne mache ich bei der Verlosung mit. Schließlich gibt es immer noch Orte und Zeiten an dem man Buchstaben auf Papier gedruckt lesen möchten.

    Danke für den tollen Blog und Podcast!

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