Fintech-Startups haben die Finanzwelt letztlich nicht so aus den Angeln gehoben, wie von manchen erwartet (und erhofft). Ein Grund: Letztlich setzen sie auf dieselbe Infrastruktur wie klassische Anbieter. Decentralized Finance hingegen setzt genau bei diesem Fundament an. Die Blockchain und ähnliche Lösungen werden dabei eine wichtige Rolle spielen. Erfahren Sie mehr über die Zukunft der Finanzwelt in diesem Artikel von Peter Grosskopf, CTO der Börse Stuttgart Digital Exchange und Mitgründer der solarisBank.
Inhaltsverzeichnis
Einführung
Der Finanzsektor ist einer der am stärksten regulierten Wirtschaftszweige, da es Akteure in der Vergangenheit immer wieder geschafft haben, mit dem Vertrauen der Märkte zu spielen. Regulierung und strengere Gesetze waren die Folge. Das jüngste Beispiel Wirecard zeigt, dass unser System trotzdem Lücken aufweist.
Gleichzeitig entwickelt sich mit der Blockchain eine Technologie heran, die Vertrauen in Code propagiert. Da sowohl der Code (Open Source) als auch die (Transaktions-)Daten offen liegen, kann jeder alles einsehen, auditieren und sich so eine Grundlage für Vertrauen bilden. Der totale Gegenentwurf zur verschlossenen Finanzwelt. Das Bitcoin-Protokoll beweist seit Jahren, dass die Idee einer offenen, transparenten Finanzwelt keine Utopie ist.
Das Bitcoin-Protokoll beweist seit Jahren, dass die Idee einer offenen, transparenten Finanzwelt keine Utopie ist.
Im Fahrwasser des Bitcoin haben sich in den letzten Jahren weitere Projekte gebildet. Das vor fünf Jahren gestartete Ethereum-Projekt bietet mittels seines „Smart Contract“-Ansatzes eine beliebig programmierbare, dezentrale Plattform um Werte zu übertragen. Wo Bitcoin die Übertragung von Zahlungen bietet, lassen sich mit Ethereum beliebige Werte wie Nutzungsrechte, Unternehmensbesitz, Security Token, Rechnungen („Factoring“), Lending oder sonstige Finanzinstrumente in Form von sogenannten Tokens abbilden. Es entsteht ein komplett neues Ökosystem, das man als eine parallele Entwicklung zur Fintech ansehen kann: DeFi (Decentralized Finance).
Der Artikel durchleuchtet folgend, was uns DeFi alles neues bringen kann und welche Rolle Banken und traditionelle Finanzmarktakteure dort noch spielen.
Fintech vs. Decentralized Finance (DeFi)
In den letzten sieben Jahren konnte man einen starken Trend in der Startupwelt beobachten: Die sogenannten Fintech-Unternehmen schossen in allen Jurisdiktionen weltweit aus dem Boden. Aus den USA kommen frühe Vorreiter wie Wealthfront (Digitaler Asset Manager) und Simple (Retail Banking), in Europa hat sich z.B. Holvi (B2B Banking) aus Finnland hervorgetan; als nennenswerte Vertreter aus Deutschland sind zu nennen: N26 (Retail Banking), Raisin (Geldanlage), Scalable Capital (Digitaler Asset Manager), Smava (Kreditvergabe), SumUp (Paymentinfrastruktur) und die von mir mitgegründete solarisBank (Banking Platform as a Service).
Das Wort „Tech“ im Namen suggeriert, dass bahnbrechende Neuerungen in der Infrastruktur der Finanzwelt geschaffen werden, doch dem ist nicht wirklich so. Die Finanzwelt ist seit jeher stark technisiert. Beim sogenannten „Fiat“-Geld, also dem Geschäftsbankengeld, handelt es sich um digitale Kontobestände, die in Kernbankensystemen gepflegt werden und mittels SEPA ebenfalls digital transferiert werden.
Allerdings ist die Technik dahinter in die Jahre gekommen, zumal Banken sich in den letzten Jahrzehnten zu langsam von veralteten Systemen gelöst haben. Außerdem setzen sich Standards nur langsam durch, so dass sich so mancher an Realtime und Push Notifications gewöhnter „Digital Native“ fragt, warum Überweisungen nicht binnen Milisekunden ihren Empfänger erreichen.
Fintechs sind hier mit großen Ambitionen angetreten. Es wurde von einer Revolution gesprochen und viele sahen die Bankentürme in Frankfurt bereits einstürzen.
Ganz so ist es dann doch nicht gekommen. FinTechs sind oftmals Prozessinnovationen, die auf der traditionellen Infrastruktur bestehend aus Konten, SEPA-Transaktionen, Krediten usw. aufbauen. Quasi wie ein schickeres Online-Banking oder eine ansprechendere Kreditsuche. Fintechs schließen so die Lücke zu einer jünger werdenden Kundschaft, die sich von traditionellen Banken nicht mehr angesprochen fühlt.
Die vorangegangenen Ausführungen sollen die Leistungen der FinTechs nicht schmälern, aber es ist sehr bemerkenswert, dass sich die meisten Unternehmen auf eine verbesserte Kundenschnittstelle konzentrieren. Das äußert sich auch daran, dass sich in der Realität vor allem Kooperationsmodelle als erfolgreich erwiesen haben, zumal FinTech-Unternehmen nicht viel ohne eine Lizenz anfangen können und daher unter den Lizenzschirm von Geschäftsbanken oder spezialisierten Anbietern wie der solarisBank schlüpfen.
Anders sieht es im Bereich Decentralized Finance aus. Hier entsteht eine komplett neue dezentralisierte Infrastruktur auf Blockchain-Basis, die ohne die gängigen Bankenstandards auskommt. Die Funktionalität eines Finanzinstruments ist hier nicht mehr in der Datenbank oder Infrastruktur einer Bank aufgehoben, sondern als Smart Contract auf der Blockchain.
Besonders aktiv ist das bereits genannte Ethereum-Projekt mit seiner Community, der zweitwichtigsten „Permissionless Blockchain“ nach dem Bitcoin: Nutzer können hier ohne Intermediäre Transaktionen gegeneinander ausführen.
Wird in Zukunft die Infrastruktur nicht mehr von Banken kontrolliert und bestimmt sondern von Tech-Startups?
In einem weiteren UPLOAD-Artikel erfahren Sie übrigens mehr über die grundlegende Techniken und Besonderheiten der Blockchain.
Die Tatsache, dass Kryptostartups die Abwicklungsinfrastruktur der Zukunft bauen, könnte zu einer Umkehrung der Vorzeichen führen: Wird in Zukunft die Infrastruktur nicht mehr von Banken kontrolliert und bestimmt sondern von Tech-Startups?
Was ist DeFi und wie funktioniert es?
DeFi dient der Schaffung einer alternativen, grenzenlosen, inklusiven, digitalen Infrastruktur zur Abwicklung von Finanzgeschäften aller Art. Dabei werden klassische Finanzinstrumente auf Basis von Blockchain und DLT (Distributed Ledger Technology) abgebildet und neu interpretiert.
Anwendungsfälle reichen von Krediten (Maker DAO) und Verzinsung (Compound) von Beständen in Kryptowährungen, dezentralem Exchange (Uniswap), Derivaten / Futures, Payments, bis hin zu Supply Chain Finance und Factoring Lösungen (Centrifuge). Weitere „heiße Themen“ im DeFi-Bereich sind aktuell Yield Farming (z.B. Balancer) und Liquidity Mining.
Dem Bereich ist seit 2019 ein regelrechter Boom widerfahren. Milliarden von Euro sind inzwischen im DeFi-Umfeld investiert worden. Die erzielbaren Zinsen unterliegen natürlich Schwankungen, können sogar jenseits der 5% betragen, was im aktuellen Niedrigzinsumfeld ein stattlicher Return ist.
Bei allen positiven Eigenschaften, sollte man die Risiken nicht verschweigen, zumal es sich um eine sehr neue Technologie handelt, die aufgrund seiner dezentralen Natur im Falle eines Hacks zu einem nahezu unendlichen Schaden führen kann. In sofern sollte man, wie eigentlich bei jedem risikobehafteten Investment, mit Augenmaß investieren und sein Risiko möglichst breit streuen.
Wie man sieht, sind die Anwendungsbereiche von DeFi bereits immens. Täglich kommen neue Projekte dazu. Es wird spannend bleiben den Bereich in den kommenden Monaten und Jahren zu beobachten.
Beyond Decentralized Finance: Staking, Stablecoins und Investment Token
Staking
Wenn man über dezentrale Finanzanwendungen spricht, dann sollte man auch das sogenannte „Staking“ nicht unerwähnt lassen, auch wenn es der Definition nach nicht zu DeFi dazugehört, weil die Wertschöpfung auf einer tieferen Schicht stattfindet.
Am Konsensverfahren des Bitcoin-Protokolls gab es bald laute Kritik: „Proof of Work“ hat einen hohen Energieverbrauch beim Mining und führt zu langsamen Transaktionsverarbeitungen alle 10 Minuten. Ergebnis waren effizientere Verfahren, die in Blockchains der zweiten Generation implementiert wurden wie z.B. „Delegated Proof of Stake“ in Tezos.
Kernidee des Staking ist, dass Stakeholder einer Blockchain sich mit ihrem Tokenanteil bei der Auswahl des nächsten Blocks beteiligen können. Dafür erhalten sie eine Belohnung. Im Falle von Tezos entspricht diese ungefähr einem Zins von 7% p.a.
Im Grunde bedeutet das, dass Investoren des Protokoll Layers von Blockchains dafür belohnt werden, dass sie den Betrieb sicherstellen und andere auf Anwendungsebene DeFi nutzen können. Verglichen mit der klassischen Welt wäre es undenkbar, dass man in den Betrieb des SEPA-Netzwerks investieren könnte.
Stablecoins und Central Bank Digital Currency
Stablecoins haben das Ziel, einen wertstabilen Token zur Verfügung zu stellen, der sich in Alltagstransaktionen z.B. im Supermarkt oder in einem Onlineshop verwenden lässt. Da es sich in diesem Falle auch um einen Smart Contract handelt, kann man von digitalem, programmierbaren Geld sprechen, welches man auch zur Automatisierung industrieller Anwendungsszenarien einsetzen kann.
Dabei lassen sich verschiedene Arten von Stablecoins unterscheiden:
- Kryptographische Stablecoins: wie DAI von MakerDAO. Lässt sich vergleichen mit einer digitalen Zentralbank, die auf der Blockchain programmiert wurde und währungspolitische Aktionen durchführen kann, um den Wert stabil zu halten.
- Fiat Pegged Stablecoins: wie Tether, Circle Dollar, im weitesten Sinne auch Libra. Der Stablecoin ist hier an eine existierende Währung gekoppelt. Mit jeder auf einem Konto eingezahlten Währungseinheit wird ein neuer Token ausgegeben („gemintet“). Mit jeder Auszahlung wird ein Token gelöscht („geburnt“).
Langfristig wünschenswert in der Zukunft wäre eine echte, digitale Währung, eine sogenannte Central Bank Digital Currency (CBDC), zumal sich der internationale Wettbewerb zwischen Ländern verschärft. China ist im Bereich der CBDCs führend und treibt den digitalen Yuan mit Hochdruck voran. Damit könnte der Yuan in Zukunft zur Leitwährung werden.
Daher sollten Zentralbanken wie die EZB hier unbedingt ihr Engagement erhöhen, damit der Euro auch in Zukunft außerhalb von Europa eine Bedeutung behält. Leider wird es Jahre oder Jahrzehnte dauern, bis ein solches Projekt umgesetzt ist.
Um bereits früher den Nutzen von programmierbaren Geld zu heben, können Fiat Pegged Stablecoins eine attraktive und einfach umsetzbare Lösung sein, da man sich an der Regulierung von „E-Geld“ orientieren könnte.
Gefällt dir dieser Artikel?
Dann trage dich jetzt ein ins „Update am Montag“ und bleibe über neue Inhalte auf dem Laufenden. Kein Spam! Bereits knapp 2.000 Leser:innen sind dabei.
Investment Tokens
Kryptowährungen sind bereits heute eine interessante neue Anlageklasse. In Zukunft werden wir eine Vielzahl neuer Investment Token sehen, die die Bandbreite an möglichen Investments massiv erweitert.
Es lässt sich alles tokenisieren, was ein Besitz-/Eigentumsrecht oder Nutzungsrecht darstellt. Man kann Immobilien in beliebig viele Anteile zerlegen und tokenisieren. Der Besitzerwechsel und Tausch eines Token von Nutzer A zu Nutzer B wird dann rechtlich in der Blockchain dokumentiert.
Genauso könnte man Unternehmensbesitz in Form von GmbH-Anteilen tokenisieren, Anteile an Startups, Kunst, Autos usw. Ebenfalls tokenisieren könnte man Konzertkarten, Flugtickets …
Schön ist an der Blockchain-Technologie und der zugrundeliegenden Kryptographie („Besitz des Private Key impliziert Besitzer des Assets zu sein mit allen Rechten“): Man kann sogar weitere Prozessschritte digital abbilden könnte wie das Aufschließen einer Mietwohnung, Vorzeigen und Überprüfung des Tickets, virtuelles Gesellschaftermeeting mit Stimmrechten.
Besitzrecht | Nutzungsrecht |
Immobilie | Miete Kurzfristvermietung wie Airbnb |
Auto | Autovermietung |
Unternehmen (Aktien, Geschäftsanteile einer GmbH) | |
Kunst | |
Tickets |
Fazit und kritische Würdigung
Wie man sieht, wird die Blockchain-Technologie in der Zukunft die Finanzwelt auf den Kopf stellen. Typische Anwendungsfelder von Banken und Finanzdienstleistern werden auf komplett neuer Technologie erbracht. Investments werden in eine breite Anzahl an Assets verteilt.
Für unsere Kinder wird es normal sein, einen Anteil einer Wohnung in Rio de Janeiro, ihres liebsten Social-Media-Startups und ein tausendstel Picasso im Portfolio zu haben.
Bleibt zu hoffen, dass die Regulatoren die Chance der neuen Technologie erkennen und die Innovation nicht im Keim ersticken
Bleibt zu hoffen, dass die Regulatoren die Chance der neuen Technologie erkennen und die Innovation nicht im Keim ersticken, zumal neue Geschäftsfelder natürlich auch immer Betrüger und Kriminelle anziehen. Außerdem muss sichergestellt werden, dass notwendige Vorkehrungen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung eingehalten werden. Hier haben die Regulatoren bereits reagiert und in der AML5-Richtlinie Krypto Wallets aufgenommen.
Gleichzeitig können wir aber davon ausgehen, dass Bank-artige Dienstleistungen auch in Zukunft von entsprechend lizensierten Unternehmen erbracht werden, um den Kunden zu schützen und Vertrauen zu schaffen. Wilder Westen war also gestern.
Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 85
Wir bezahlen heute zwar meist noch immer mit Euro oder Franken, aber wie wir den Kauf abschließen, wie wir unser Geld verwalten und wie die Abläufe hinter den Kulissen funktionieren, wandelt sich. In dieser Ausgabe schauen wir uns das aus drei Perspektiven an. Der erste Beitrag versammelt viele Zahlen und Fakten dazu, wie sich die Zahlungsgewohnheiten ändern. Gerade in diesem Jahr hat die Coronaviruskrise das Bild stark verändert. In einem weiteren Artikel zeigen wir auf, wie der richtige Payment-Mix für einen erfolgreichen Onlineshop aussehen muss. Und der dritte im Bunde ist ein Fachbeitrag zum Wandel der Finanzwelt und erklärt, was es mit „Decentralized Banking“ auf sich hat. Dazu haben wir wieder zwei Bonus-Artikel für Sie: Lesen Sie darin, wie Sie eine internationale Linkmarketing-Kampagne aufziehen können und wie was Ihr Shopsystem mitbringen muss, damit es fit für SEO ist.
- Weitere Artikel aus dieser Ausgabe kostenlos auf der Website lesen ...
- Bleib auf dem Laufenden über neue Inhalte mit dem „Update am Montag“ …
Schon gewusst? Mit einem Zugang zu UPLOAD Magazin Plus oder zur Content Academy lädst du Ausgaben als PDF und E-Book herunter und hast viele weitere Vorteile!
Peter Grosskopf ist Geschäftsführer und CTO der Börse Stuttgart Digital Exchange, einer Handelsplattform für digitale Assets wie Kryptowährungen und tokenisierte Finanzinstrumente. Davor hat er die solarisBank AG mit gegründet und als CTO die Bankingplattform aufgebaut. Vor solaris war Peter Chief Development Officer bei den Company Buildern Hitfox und Finleap und gründete aus dem Studium heraus eine Firma für Software Entwicklung.