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Gute Gründe, die Clubhouse-App (vorerst) zu ignorieren

Von heute auf morgen war die App „Clubhouse“ plötzlich das alles beherrschende Thema in der deutschsprachigen Onlinemarketing-Szene. In diesem Artikel erklärt Jan Tißler, warum Sie sich von diesem Hype nicht verrückt machen lassen sollten. Vielmehr gibt es gute Gründe, Clubhouse vorerst ganz entspannt aus der Ferne zu betrachten.

(Foto: Helena Lopes, Pexels)

Was ist Clubhouse?

Clubhouse ist eine App für Live-Gesprächsrunden. Die Nutzer:innen finden sich spontan oder geplant in virtuellen Räumen zusammen, um beliebige Themen zu diskutieren. Andere können zuhören oder signalisieren, dass sie selbst auch etwas zu sagen haben.

Clubhouse ist somit ein Nischen-Angebot für Live-Streaming innerhalb der Nische Audio, die an sich bereits deutlich kleiner ist als das Thema Video zum Beispiel.

Woher kommt der Hype?

Ich habe hier bei UPLOAD bereits grundsätzlich behandelt, wie Hypes und Buzzwords entstehen. Letztlich basieren sie auf unserer Angst, etwas zu verpassen (English: Fear Of Missing Out, FOMO). Andere nutzen diesen Effekt zu ihrem Vorteil.

Ein Teil des Clubhouse-Hypes ist es, dass man nur auf Einladung teilnehmen kann. Selbst das Zuhören geht nur mit einem Account. Zur Verteidigung der Macher sei gesagt, dass eine solche Einschränkung tatsächlich technische oder organisatorische Gründe haben kann, um einen Dienst nach und nach zu skalieren. Der Hype ist dann ein Nebeneffekt. Die Clubhouse-Macher schreiben, dass sie eigentlich erst ihr Konzept und Angebot verfeinern wollten, bevor sie richtig damit starten. Sie wurden selbst von der ersten Begeisterungswelle in den USA im letzten Jahr überrollt.

Letztlich reichen einige gut vernetzte Personen und Seiten aus, um einen Hype zu befeuern. Wie das im Fall von Clubhouse in Deutschland zustande gekommen ist, kann man hier bei OMR nachlesen.

Wesentliche Kritikpunkte an Clubhouse auf einen Blick

  • Die App ermutigt einen problematischen Umgang mit Nutzerdaten, da man dazu motivert wird, sein Adressbuch freizugeben. Auch an anderer Stelle scheint die US-App problematisch mit Blick auf den Datenschutz zu sein.
  • Sie ist nur für iPhones verfügbar. Es gibt keine Android-Version und keine Web-Version. Man kann an den Diskussionsrunden also nur direkt am Smartphone teilnehmen, das zwingend von Apple sein muss. Das schließt vor allem in Deutschland einen Großteil der Nutzerschaft direkt aus. Immerhin ist eine Android-App angekündigt, allerdings ohne Datum.
  • Wie bereits erwähnt nur mit Account nutzbar, den es wiederum nur auf Einladung gibt. Man verschenkt als Veranstalter:in einer Gesprächsrunde somit seine Inhalte, Energie und Mühe an ein 100% abgeschlossenes Produkt. Dadurch wird zudem die sowieso bereits geringe Reichweite weiter minimiert.
  • Keine Aufzeichnungen. Alle Events verpuffen nachdem sie vorbei sind. Ein weiterer Punkt, der die mögliche Reichweite und vor allem die Nachhaltigkeit der eigenen Aktivitäten hier noch einmal verringert. Wer selbst aufzeichnen will, braucht dazu laut der Nutzungsbedingungen von Clubhouse eine schriftliche Genehmigung aller Beteiligten.
  • Wie lange die aktuelle Begeisterung anhalten wird, ist vollkommen offen. In den USA hatte Clubhouse einen ähnlichen Hype im Mai/Juni 2020 erlebt. Seitdem ist es deutlich ruhiger darum geworden. Wie viel Zeit werden die Nutzer:innen langfristig für solche Live-Gespräche aufwenden?
  • Keine Moderation. Das wird den Clubhouse-Macher:innen noch auf die Füße fallen, sobald sie weiter wachsen. Schwer nachvollziehbar, wie man im Jahr 2021 ein Social Network starten kann, ohne diesen Punkt von Anfang an zu bedenken. Selbst an den Community Guidelines wird noch gearbeitet.

Warum Sie Clubhouse (vorerst) ignorieren können

Eine Nische in der Nische

Die App ist wie oben beschrieben ein Nischen-Angebot innerhalb einer anderen Nische. Dadurch ist die zu erwartende Reichweite bereits von Beginn an sehr klein. Sie wird durch einige der genannten Einschränkungen (nur auf iPhone, nur mit Account, keine Aufzeichnungen) noch weiter verringert.

Richtig ist: Reichweite sollte nicht Ihr wichtigster Maßstab sein. Aber es macht in diesem Fall deutlich, warum der Hype der vergangenen Woche in keinem Verhältnis zum eigentlichen Angebot steht. Das gilt definitiv für Unternehmen und Organisationen, die jetzt darüber nachdenken, ob Clubhouse ein Kanal für Marketing und PR sein kann. Denn zum jetzigen Zeitpunkt ist die App ganz offensichtlich für Menschen gedacht, die sich spontan zu Gesprächen zusammenfinden wollen. Welche Rolle Unternehmen hier einmal spielen könnten, ist vollkommen offen.

Grundsätzlich gilt: Idealerweise wissen Sie generell bereits, was Sie erreichen wollen, wen Sie erreichen wollen und auf welche Weise Sie diese Zielgruppe(n) erreichen. Ist Ihnen das klar, können Sie sehr gut einschätzen, ob Clubhouse eine spannende Ergänzung für Sie ist oder nicht.

Nur darauf sollten Sie sich konzentrieren.

Geschäftliche Nutzung gar nicht erlaubt

In den Nutzungsbedingungen steht derzeit ausdrücklich, dass die App nur für private Nutzung gedacht ist. Rechtsanwalt Dr. Thomas Schwenke dazu:

Damit darf Clubhouse z.B. nicht für Chats mit Kunden, Geschäftspartnern, Mitarbeitern oder für Seminare, Schulungen oder ähnliche Angebote eingesetzt werden. Das gilt auch, wenn sie kostenfrei sind und nur der Imagepflege dienen.

Was an Clubhouse trotzdem interessant ist

Wie zuvor beispielsweise Snapchat kann eine App einen Hype durchlaufen, dem letztlich nicht gerecht werden und trotzdem einen nachhaltigen Trend schaffen. Denn Snapchat ist einerseits nicht mehr so im Fokus wie früher. Das von Snapchat erfundene Format der „Stories“ hat andererseits Teile des Social Web erobert. Insofern könnte Clubhouse einen Trend anstoßen, auch wenn die App selbst nicht zum Dauerbrenner wird.

Ein interessanter Punkt an der App: Spontane Zusammentreffen gehören zu den Dingen, die durch die Coronaviruskrise und die damit verbundenen Einschränkungen verloren gegangen sind. Insofern ist die Freude an einem solchen Tool gut zu verstehen. Vielen Menschen fehlt dieser spontane Austausch.

Außerdem ist es immer gut, weitere Werkzeuge zu haben, um Inhalte zu erstellen, sich zu vernetzen und mehr Menschen zu erreichen. Vor allem für Podcaster könnte ein Werkzeug wie Clubhouse eine gute Sache sein, so wie YouTube Live eine gute Ergänzung für YouTuber ist. Ein Unternehmen wie Spotify wird hier sicher genau hinschauen. Die hatten schließlich mit der App Anchor bereits ein Produktionswerkzeug für Podcasts eingekauft, bei dem die Zuhörer via Anruf Sprachnachrichten hinterlassen konnten. Der Schritt zum Livestream ist da zwar noch groß, aber machbar.

Insofern: Wenn Audio zu Ihren Zielstellungen und Ihrer Zielgruppe passt, dann sollten Sie auf jeden Fall ein Auge auf diesem Trend behalten. Und haben Sie über Audio nachgedacht, sich bislang aber vor dem Produktionsaufwand gescheut, ist Clubhouse eine gute Möglichkeit, sich daran zu versuchen. Seien Sie sich nur trotzdem der Einschränkungen und problematischen Punkte bewusst.

Live Talk: Von Hypes nicht verrückt machen lassen

Und wer lieber ein Video schaut: Ich habe mich hier mit Christian Müller (sozial-pr.net) darüber unterhalten, wie solche Hypes entstehen und wie man richtig mit ihnen umgeht.

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