Wann sind englische Wörter in einem deutschen Text notwendig, wann sind sie bereichernd und wann sind sie schlichtweg überflüssig? Und wie gehen wir mit Begriffen und Formulierungen um, die aus dem Englischen zu uns kommen, obwohl es einwandfreie und bewährte deutsche Gegenstücke dazu gibt? Jens Jacobsen schaut sich das in seiner neuesten Kolumne genauer an.

Na, hast du eben auch die Mails gecheckt und dabei diesen Post zwischen Pitch Deck, Meeting Notes und Brainstorming Feedback entdeckt? Insbesondere im beruflichen Alltag werfen wir mit englischen Vokabeln um uns, als gäbe es kein Morgen.
Aber warum tun wir das? Aus Bequemlichkeit? Oder wollen wir cool wirken? Tatsache ist, dass wir uns an diesen Sprachmix so gewöhnt haben, dass wir ihn kaum noch hinterfragen. So wie wir es klaglos hinnehmen, wenn auf Websites Cookie-Banner, Pop-ups und Notifications aufpoppen, so akzeptieren wir die Verenglischung unserer Alltagssprache.
Die Menschen vom Verein Deutsche Sprache heben mahnend den Zeigefinger. Sie schreiben:
Die deutsche Sprache wird seit Jahren von einer Unzahl unnötiger und unschöner englischer Ausdrücke überflutet.
Verein Deutsche Sprache
Mir persönlich wird bei solchen Formulierungen immer etwas unwohl. Unsere „Sprache zu bewahren“ hat für mich einen höheren Cringe-Faktor als viele denglische Begriffe.
Und doch: Viele Wörter, die wir aus dem Englischen reißen und in unsere Alltagssprache verfrachten, sind überflüssig, unpassend oder peinlich.
Nehmen wir das Wort „Kollaboration“. Im Englischen bedeutet „collaboration“ einfach Zusammenarbeit. Im Deutschen dagegen schwingt ein negativer Beigeschmack mit, erinnert es doch an unschöne Kapitel unserer Geschichte. (Viele, auch Jüngere, denken bei „Kollaboration“ an Menschen in den von Nazi-Deutschland besetzten Gebieten im Zweiten Weltkrieg, die mit den Besatzern zusammengearbeitet haben.) Trotzdem nutzen wir den Begriff munter, ohne über das möglichen Unbehagen nachzudenken, das wir damit bei manchen hervorrufen.
Überhaupt vergessen wir beim Kommunizieren oft diejenigen, an die wir uns eigentlich richten. Und das ist dann problematisch, wenn wir dadurch andere ausschließen.
Wer nicht so fit in Englisch ist, der hat es tendenziell schwerer mit unseren englischen Vokabeln. Doch andererseits muss man auch deutsche Fachbegriffe oder Modewörter lernen. Deshalb zieht das Gegenargument der Verständlichkeit für alle nicht immer. Auch sind viele englische Wörter inzwischen so gebräuchlich, dass keiner sie als Englisch erkennt, ohne darüber nachzudenken: Interview, Killer, Doping, Show, Quiz …
Ein weiteres häufiges Argument gegen Denglisch ist der Verlust von Bedeutungsnuancen. Das leuchtet mir noch weniger ein. Denn meist bleiben die deutschen Wörter – wir haben also mehr Möglichkeiten, uns nuanciert auszudrücken. Wenn Dinge z.B. nicht nur schön sein können, sondern auch nice.
Und mit dem Verlust der sogenannten „Sprachidentität“ kann ich schon gar nichts anfangen. Was soll das sein? Ein solches Konzept ist seit Äonen überholt. Sprachentwicklung ist ein natürlicher Prozess, der nicht aufgehalten werden kann.
Und doch bedeutet das nicht, dass wir uns passiv hingeben müssen. Ein bewusster Umgang mit Sprache erlaubt es uns, ihren Wandel aktiv mitzugestalten. Wir können entscheiden, wann ein englischer Begriff sinnvoll ist und wann ein deutsches Wort angemessener ist.
Wenn wir Lipstick sagen statt Lippenstift, dann sollten wir das bewusst tun und einen Grund dafür haben. Jugendlich zu klingen, ist übrigens meiner Meinung nach keiner. In Usability-Tests und bei Interviews mit Nutzenden stelle ich immer wieder fest: Die Präferenz von englischen Begriffen ist keine Frage des Alters. So gibt es 70-Jährige, die manche deutsche Begriffe altmodisch finden und 18-Jährige, die mit englischen Begriffen gespickte Marketingtexte oder Produktbeschreibungen als affig ansehen.
Und wie steht es mit Begriffen wie „vulnerabel“? Wir nutzen lateinische Fremdwörter, weil die im Englischen üblich sind, auch wenn es ein mindestens gleichwertiges deutsches Wort gibt: „verletzlich“. Warum greifen wir zum lateinisch-englischen Hybrid, wenn das deutsche Pendant nicht nur eingängiger, sondern auch für alle verständlich ist? Vielleicht, weil es wichtiger oder gebildeter klingt? Oder aus Faulheit? Faulheit ist vielleicht generell der Schlüssel, um das Phänomen zu erklären: Wer im Beruf häufig Englisch spricht, dem fallen die englischen Vokabeln oft schneller ein als die entsprechenden deutschen.
Besonders absurd wird es aber, wenn wir englische Wörter direkt ins Deutsche übertragen. „Preispunkt“ statt Preis, „Formfaktor“ statt Bauform oder einfach Größe. Da entstehen seltsame Wortgebilde, die nach schlechter Übersetzung klingen. Ganz zu schweigen von vermurksten Sprichwörtern und idiomatischen Begriffen. Wer hat nicht schon von der „Daumenregel“ gehört? Eine wörtliche Übersetzung von „rule of thumb“, obwohl „Faustregel“ die korrekte Übersetzung ist.
Ich würde sagen, englische Wörter einzustreuen, ist völlig ok. Das kann unsere Sprache bereichern und präzisieren, insbesondere in der Fach- und Modesprache. („Plaudern“ statt Chatten, „Wolkenberechnung“ statt Cloud Computing oder „Stöberer“ statt Browser, anyone? Nein, das kann niemand im Ernst sagen wollen.) Und doch kommunizieren wir besser und schöner, wenn wir nicht vergessen, welche Nuancen und präziseren Wörter uns oft im Deutschen zur Verfügung stehen.
Vielleicht sollten wir öfter mal checken, wie wir alle struggeln, den Sweet Spot zwischen mega up to date und herrlich beknackt zu finden.
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Jens Jacobsen begleitet Unternehmen auf dem Weg zu erfolgreichen interaktiven Anwendungen – von der Planung über die Umsetzung bis zur Optimierung. Als freiberuflicher Usability- und UX-Berater unterstützt er sowohl international etablierte Unternehmen als auch innovative Startups. Sein Fachwissen teilt er in seinen Büchern Praxisbuch Usability & UX (4. Auflage 2024), und Websites entwickeln mit KI (1. Auflage 2025), in Coachings und Seminaren sowie auf www.benutzerfreun.de