Wir streben oft nach mehr Effizienz, aber was macht das eigentlich mit den Menschen? Wir haben uns dazu mit dem Heilpraktiker Ulrich Heister unterhalten. Effizienz sei kein grundlegendes menschliches Bedürfnis, erklärt er im Interview mit uns. Selbstoptimierung könne sogar schaden, wenn sie übertrieben wird oder wenn falsche Ziele verfolgt werden. Was stattdessen wichtig ist und wie man das Gefühl des Burnout vermeidet, erklärt er hier.
Zu unserem Interviewpartner: Ulrich Heister, Jahrgang 1966, ist seit 1995 als Heilpraktiker in eigener Praxis in der Nähe von Düsseldorf tätig. Seine Schwerpunkte sind die Psychotherapie, die Psychosomatik und das Bewusstseinstraining. In seiner Sprechstunde arbeitet er mit Klienten vor allem in Einzelsitzungen, unterstützt aber auch Teams in Unternehmen. „Wie funktioniert das?“, lautet die Frage, die ihn seit jeher dazu antrieb, hinter die Dinge zu schauen und das scheinbar Offensichtliche näher zu ergründen. Deswegen wurde er Naturwissenschaftler. Als in diesem Bereich für ihn die meisten Fragen beantwortet waren, dehnte sich sein Interesse auf das menschliche Dasein aus: „Was heißt es, Mensch zu sein? Was ist der Urgrund der Existenz? Warum leiden Menschen? Wie kann man ihnen helfen, ihre Probleme zu lösen und tatsächliche Verbesserungen im eigenen Leben zu erreichen? “ Er absolvierte mehrere Zusatzausbildungen. Dabei wurde ihm klar, dass die Ursache von Leiden hauptsächlich im Bewusstsein liegt und darüber auch die meisten Beschwerden geheilt und Probleme gelöst werden können. Hier setzt sein eigener Behandlungsansatz an. Dazu wendet er verschiedene Methoden an, unter anderem Hypnose und weitere effiziente Formen der Bewusstseinsarbeit.
In der Wikipedia liest man zum Thema Effizienz im Sinne der Wirtschaft unter anderem vom „rationalen Umgang mit knappen Ressourcen“. Sie sei das „Verhältnis zwischen erreichtem Erfolg und dafür benötigtem Mitteleinsatz“. Wir wollen uns aber darüber unterhalten, was Menschen effizient macht. Wie würden Sie das in diesem Fall definieren?
Mensch und Effizienz: Das ist in unserer Zeit ein großes Thema. Doch eine unreflektierte Sicht- und Denkweise kann großen Schaden anrichten. Je schneller und mit weniger Aufwand oder Ressourcen ein Ergebnis erzielt ist, desto effizienter ist der Vorgang. Effizienz und Leistung hängen also eng zusammen. In technischen Anwendungen ist das eine sachliche Betrachtung. Doch das Prinzip der Effizienz auf den Menschen zu übertragen birgt Risiken und Gefahren in sich.
Natürlich muss man etwa in der Wirtschaft über effizientes Arbeiten nachdenken. Auch im Privatleben will niemand seine Kräfte unnötig verpulvern. Der Mensch ist aus wirtschaftlicher Sicht zweifellos ein Produktionsfaktor. Doch wird diese Sichtweise nicht dem ganzen Menschen gerecht. Leicht bleiben hier seine tatsächlichen Bedürfnisse auf der Strecke. Früher arbeiteten Menschen so lange, wie es nötig war, um ihre Grundbedürfnisse zu decken. Ich habe gelesen, dass dazu eine Drei-Tage-Woche in der Bronzezeit völlig ausreichte. Die übrige Zeit diente sozialer und musischer Betätigung.
Wann hat sich das geändert – und warum?
In dem Moment, in dem ein Mensch einen anderen Menschen dazu benutzt, den eigenen Reichtum zu mehren, muss der andere mehr arbeiten, als er für seinen eigenen Bedarf eigentlich bräuchte. Die Sklaverei stellte und stellt eine spezielle, besonders unmoralische Form von Effizienz dar. Mit der Industrialisierung wurde der Mensch als Produktionsfaktor angesehen. Er sollte möglichst viel leisten, bei minimaler Bezahlung. Die Menschen unterwarfen sich diesem System – aber nur, weil sie keine andere Möglichkeit sahen, ein Einkommen und damit eine Existenzgrundlage zu erwirtschaften. Arbeitskämpfe verbesserten die Arbeitsbedingungen. Trotzdem nahmen und nehmen Menschen Schaden bei der Ausübung ihres Berufes. Sie nehmen Risiken nicht nur auf körperlicher, sondern auch auf sozialer und psychischer Ebene buchstäblich in Kauf, um sich selbst und ihre Familie zu ernähren.
Effizienz auf den Menschen zu übertragen kann also fatale Folgen haben. Generationen von Menschen haben ihren Körper beispielsweise in Bergwerken zu Schaden geschuftet. Heute ist es nicht mehr nur körperliche Arbeit. Die Praxen der Therapeuten sind voll mit Menschen, die erschöpft und ausgebrannt sind. „Burnout“ lautet das dazugehörige Schlagwort. Viele sind bereit, Leistung zu bringen. Jeder braucht ein Einkommen. Doch das allein reicht manchem oft nicht. Das Streben nach Anerkennung, sozialem Status und Einfluss lässt viele Verpflichtungen eingehen, die sie stark belasten.
Erleben Sie das selbst auch in Ihrer Arbeit als Therapeut?
Häufig sogar. Manche Menschen kommen zu mir in die Praxis, weil sie sich schon mit Mitte dreißig oder Anfang vierzig völlig ausgebrannt fühlen. Andere leiden unter psychosomatischen Beschwerden, fühlen sich scheinbar grundlos traurig oder empfinden ein zunehmendes Gefühl der Sinnlosigkeit. Erstaunlich finde ich dabei häufig, dass sie selbst erst einmal gar nicht nach Wegen suchen, aus diesem Kreislauf auszubrechen. Nein: Sie wollen systemkonform möglichst schnell wieder ihre frühere Produktionskraft herstellen.
Manche Menschen fühlen sich schon mit Mitte dreißig oder Anfang vierzig völlig ausgebrannt.
Der Anspruch des Chefs muss erfüllt oder die eigene Firma vorangebracht werden, das Haus und die Autos müssen bezahlt werden, die Kinder sollen eine gute Ausbildung bekommen, das Engagement im sozialen Umfeld fordert seinen Tribut und so weiter. Es ist zu beobachten, dass die von diesem Druck Betroffenen ihr Lebensmodell unverändert an ihre Kinder weitergeben, obwohl ihnen bewusst sein müsste, wie sehr sie selbst leiden. Der Nachwuchs hat Woche für Woche einen Plan voll von täglichen Aktivitäten zu absolvieren, damit die Talente gefördert werden und die Ausbildung möglichst früh einsetzt, damit später etwas aus dem Kind wird.
Was sagen Sie solchen Menschen?
Ich rege vor allem dazu an, einmal innezuhalten und sich zu fragen, was die Person wirklich braucht und will. Was ihr Ziel im Leben ist. Was ihr von innen heraus Kraft gibt. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, ohne Frage. Wir haben von früheren Generationen gelernt, dass sich Leistung lohnt und dass wir etwas aus unserem Leben machen sollen. Das ist aus einer bestimmten Perspektive richtig. Aber es wird zu wenig hinterfragt, wofür und für wen die Leistung erbracht wird. Ich denke, dass sich dies zum Wohle der Menschen ändern sollte.
Die persönliche Effizienz, nämlich echte eigene Ziele mit vertretbaren Mitteln zu erreichen, kommt zu kurz.
Unsere Wirtschaft produziert konsumfreundliche Dinge in uferlosem Überfluss im Streben nach immer mehr Wachstum. Sie verbraucht dazu gesunde Umwelt und viele Ressourcen zum Schaden der Menschen. Dabei werden immer weniger Menschen gebraucht. Die Möglichkeiten für den Einzelnen, sich ein Einkommen, eine Lebensgrundlage, zu verdienen, werden geringer. So gesehen ist die Wirtschaft ein voller Erfolg! Seit Menschengedenken setzen Menschen ihre Erfindungskraft dafür ein, leichter und weniger zu arbeiten. Sie haben dieses Ziel nun fast erreicht. Die Effizienz der Wirtschaft ist groß wie nie. Doch die persönliche Effizienz, nämlich echte eigene Ziele mit vertretbaren Mitteln zu erreichen, kommt dabei zu kurz.
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Das heißt, es kann dem Menschen doch nützen, effizient zu sein?
Ja und nein. Im Berufsleben kann die eigene Effizienz sicherlich den Druck vermindern. Betrachten wir jedoch die Natur, ist leicht zu erkennen, dass Effizienz hier keine große Rolle spielt. Die Sonne schickt ihre ausgestrahlte Energie ungezielt in alle Richtungen, gleichgültig, ob diese irgendwo genutzt wird. Gleiches gilt bei der Erhaltung der Arten. Es werden Samen in Hülle und Fülle produziert. Es ist nicht interessant, ob sie alle auf fruchtbaren Boden fallen und aufgehen oder verdorren. Die Kosten-Nutzen-Relation ist hier unbedeutend. Stattdessen gilt das Gebot des Überflusses. Die Natur setzt auf Effektivität statt Effizienz, also darauf, das Ziel, die Arterhaltung etwa, wirkungsvoll zu erreichen. Wirtschaftlichkeit ist nicht wichtig, weil sich alle Ressourcen in einem gesunden, ökologischen Kreislauf befinden.
Daher halte ich Effizienz auch gar nicht für ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Ich denke, es ist eher eine vom allgemein akzeptierten Leistungsprinzip der Wirtschaft abgeleitete Haltung und eine neuzeitliche Erscheinung. Jeder mag selbst entscheiden, wie weit er sich diesem Prinzip unterwerfen möchte.
Effizienz halte ich nicht für ein grundlegendes menschliches Bedürfnis.
Für den Einzelnen kann der Effizienzgedanke dennoch hilfreich sein, je nachdem, wie notwendig es für ihn ist, sein Leben zu vereinfachen und seinen Arbeitsaufwand zu minimieren. In Zusammenhängen, wie der beruflichen Wirksamkeit, in der die Wahl des Leistungsgrades nicht sehr frei ist, kann die Steigerung der Effizienz durchaus eine Erleichterung bedeuten. Die eigenen Grenzen sollte jedoch jeder im Auge behalten und nicht überschreiten. Die Vereinfachung und Erleichterung von heute ist der Normalzustand von morgen, und die scheinbar freigewordenen Ressourcen werden dann mit noch mehr Aufgaben befrachtet.
Was macht uns denn nun besonders effizient?
Wir sehen mindestens drei Ebenen, bezogen auf den Menschen, über Effizienz reden können: 1. der anonyme Mensch als Produktionsfaktor in der Wirtschaft, 2. der Mensch, wie er sich in seiner Rolle als Arbeitnehmer bei der Ausübung seines Berufes erlebt und 3. der Mensch, wie er subjektiv mit der Bewältigung seines Lebens im Sinne der gesunden Selbstverwirklichung zurechtkommt.
Um eine solche Selbstverwirklichung zu lernen oder zu verbessern gibt es ein enormes Angebot an Seminaren und Coachings. Bevor man sich auf diese Angebote stürzt, halte ich es jedoch für wichtig, die eigenen Motive zu hinterfragen: Verfolge ich eigene Ziele, oder versuche ich Vorstellungen und Ansprüchen anderer gerecht zu werden? Bin ich gerade dabei, meine Selbstausbeutung zu forcieren, oder will ich mein Leben verbessern? Wozu tue ich es und für wen? Wie sieht das Lebensmodell aus, das ich tatsächlich leben möchte? Wieviel Aufwand ist dazu notwendig? Kann und will ich das leisten?
In der eigenen Praxis erlebe ich oft, dass Klienten ein Lebensmodell verfolgen, das nicht ihres ist, sondern von anderen vermittelt wurde. Das beginnt oft schon bei der Berufswahl. Je tiefer sie sich dann in die Spirale der Fremdbestimmung hinein entwickeln, umso stärker wird der innere Widerstand gegen den eingeschlagenen Weg, gegen die Ausbildung, das Studium, den Beruf und so weiter. Umso höher wird der Kraftaufwand, die Rolle zu erfüllen, und umso belastender wird die Situation, bis es zum Zusammenbruch kommt. Das ist nicht effizient, sondern Raubbau an den eigenen Ressourcen.
Gibt es denn einen Weg zu einer gesunden Effizienz für Menschen?
Meine grundsätzliche Antwort darauf ist: Klarheit. Effizienz bezieht sich meist auf klar umrissene Aufgaben und möglichst vollständige Informationen. Dabei ist es nicht entscheidend, ob diese selbst gestellt sind oder von außen kommen. Zuallererst ist es wichtig, sich die Aufgabenstellung zu vergegenwärtigen und ihren Kern zu erkennen. Was genau wird verlangt? Was soll das Ergebnis sein? Wie umfangreich oder präzise muss das Ergebnis ein? Dies verhindert, dass Arbeiten erledigt werden, die gar nicht gefragt waren.
Effizienz bezieht sich meist auf klar umrissene Aufgaben und möglichst vollständige Informationen.
Ganz wichtig ist die eigene Identifikation mit dem Ziel, das erreicht werden soll. Der Kontext muss natürlich auch passen. Jemand der in einem Unternehmen arbeitet, dessen Ausrichtung er nicht vertreten kann oder von dem er meint, dass es nicht gut genug zahlt, wird nicht sehr wirkungsvoll sein, selbst dann, wenn ihn sein eigenes Projekt eigentlich sehr interessiert. Befindet er sich in einem Umfeld, indem er nicht seinen Neigungen und Fähigkeiten nachgehen kann, wird er nicht sehr erfolgreich sein. Die größte Identifikation erreichen wir, wenn mit der Tätigkeit mehrere persönliche Bedürfnisse angesprochen und befriedigt werden.
Um Aufgaben zu bewältigen, braucht man natürlich gewisse Fähigkeiten, sowohl die fachlichen, als auch die persönlichen. Wer diese nicht mitbringt, wird sich schnell überfordert fühlen und eher ineffizient sein. Neben dieser Grundausstattung ist es hilfreich, sich Methoden und Tools anzueignen, die genau zum Aufgabenbereich passen. Dazu sind ständige Fortbildungen, der Austausch mit Kollegen und anderen Fachleuten nützlich. Die Rahmenbedingungen müssen zum Menschen passen.
Gibt es gesicherte Erkenntnisse für wichtige Randbedingungen?
Eine objektivierte Betrachtung würde dem Einzelnen kaum weiterhelfen. Hier geht es ja um Menschen und was für sie jeweils relevant ist, ist absolut subjektiv. Die Frage nach „gesicherten Erkenntnissen“ sucht objektive Antworten, die bestenfalls allgemeingültig wären. Die Allgemeingültigkeit ist auch ein bedeutender Nachteil von Ratgebern, die eher grobe Orientierung geben. Nur die individuelle Auseinandersetzung mit den eigenen Problemen oder Bewusstseinsmustern kann wirkliche Veränderung und subjektive Verbesserungen bringen.
Und umgekehrt: Was macht uns ineffizient? Welche Faktoren spielen dafür eine Rolle?
Was Effizienz natürlich stark einschränkt, sind fehlende Qualifikationen und mangelndes Handwerkszeug. Trotz gleicher fachlicher Kompetenz kann aber die Effizienz von zwei verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich ausfallen. Hier kommen die inneren, persönlichen Faktoren ins Spiel. Von ihnen hängt ab, wie strukturiert oder methodisch ein Mensch vorgeht.
Auch der Umgang mit anderen Menschen hängt sehr von persönlichen Mustern ab, etwa dem Selbstwert und dem Einfühlungsvermögen. Vorbehalte gegenüber Kollegen oder bestimmten Menschentypen basieren meist auf unreflektierten Erfahrungen mit anderen. Sie sind förmliche Effizienzkiller, weil sie Kommunikation und fruchtbare Zusammenarbeit stören. Daran kann man arbeiten, denn selbst Sympathie und Antipathie liegen ausschließlich in unseren eigenen Überzeugungen begründet. Überzeugungen sind beliebig änderbar.
Auch Belastungen, die möglicherweise im privaten Umfeld bestehen, können die Leistungsfähigkeit stark reduzieren. Die innere Haltung zu der Tätigkeit oder dem Projekt ist in diesem Zusammenhang ebenfalls ausschlaggebend: Kann sich jemand damit identifizieren, ist er uninteressiert oder hat er gar Widerstand dagegen?
Ein weiteres bedeutendes Hemmnis können mentale und emotionale Bewusstseinsstrukturen sein, die viel Aufmerksamkeit binden. Dann wird die interne Informationsverarbeitung behindert, oder es entstehen ungünstige Verhaltensweisen. Um Aufgaben zu verrichten, benötigen wir eine bestimmte Menge an Aufmerksamkeit. Ist die zur Verfügung stehende Menge an Aufmerksamkeit jedoch reduziert, kann es schwierig werden. Meint jemand beispielweise, dass er perfekte Arbeit abliefern muss, dass er kritisch beobachtet wird oder dass er nicht gut genug ist, dann kann das sehr kontraproduktiv sein. Der Fluss der Aufmerksamkeit leidet darunter deutlich, weil viel davon an diesen Nebenschauplätzen gebunden ist. Für die eigentliche Aufgabe bleibt nur noch wenig über.
Es kann sein, dass die Informationsverarbeitung im Gehirn eines Menschen nicht zu seinen Aufgaben passt. So können durch ein traumatisches Erlebnis die visuellen Fähigkeiten oder durch verletzende Erfahrungen die Wahrnehmung von Gefühlen eingeschränkt sein. Ersterer wäre in gestalterischen Bereichen sicherlich nicht gut aufgehoben, Zweiterer nicht in Aufgaben, in denen er mit Menschen arbeitet.
Wir sehen, es gibt eine unüberschaubare Menge an Umständen, die die Effizienz reduzieren können.
Wenn ein solcher Umstand vorhanden ist: Kann man das dann überhaupt ändern?
Ich bin geneigt zu sagen, dass sie fast alle behoben werden können; die nötige Bereitschaft dazu vorausgesetzt. Vieles lässt sich mittels einer entsprechenden Therapie ändern; einige körperliche oder anlagebedingte Hindernisse einmal ausgenommen. Heute gibt es sehr effektive und wenig zeitaufwändige therapeutische Ansätze, solche Probleme oder Zustände aufzulösen. Ein Coaching oder eine Beratung kann viel dazu beitragen, die Lebensumstände zu verbessern. Hierbei ist es immer wichtig, zuvor die eigene Motivation zu hinterfragen. Selbstoptimierung sollte kein Selbstzweck sein. Sie kann schaden, wenn sie übertrieben wird oder wenn falsche Ziele verfolgt werden.
Selbstoptimierung kann schaden, wenn sie übertrieben wird oder wenn falsche Ziele verfolgt werden.
Die eigenen Lebensumstände spielen eine große Rolle in Bezug auf die Effizienz. Befindet sich jemand in einer unterstützenden oder energieraubenden Beziehung? Benötigen Verwandte Betreuung oder Pflege? Ist die Anfahrt zur Arbeit oder zum Auftraggeber anstrengend? Gibt es gesundheitliche Probleme? Bestehen Tendenzen zu einer Sucht? Wirken sich belastende Erfahrungen aus der Vergangenheit gegenwärtig aus? Bestehen Hemmungen, Ängste oder Zwänge? Dann muss man erst einmal an den Ursachen arbeiten.
Wenn Ziele und Rahmenbedingungen stimmen, sollte man doch denken, dass eine gesunde Effizienz erstrebenswert ist: viel erreicht mit wenig Aufwand. Wie kommt es dann, dass wir uns in dieser Hinsicht immer mal wieder selbst torpedieren? Oder anders gefragt: Wir wissen, wie hilfreich effizientes Handeln ist und doch halten wir uns nicht immer daran – warum?
Ich halte, wie gesagt, Effizienz gar nicht für eine typisch menschliche Eigenschaft. Wir Menschen sind, wie ich meine, grundsätzlich eher einfach gestrickt: Was uns antreibt, ist der Wunsch, gute Gefühle zu erleben und schlechte Gefühle zu vermeiden. Was jemand hierbei als gutes oder schlechtes Gefühl bezeichnet, kann sehr unterschiedlich sein. Kurz gesagt, wollen wir uns gut fühlen. Der Weg dahin ist sehr individuell. Die einen rauchen dazu eine „Tüte“, andere bauen ein Unternehmen auf.
Effizienz wird für uns erst interessant, wenn bestimmte Vorgaben zu erfüllen sind, etwa eine Zeitbegrenzung oder ein bestimmtes Budget. Aber auch Erwartungen von anderen, die wir meinen erfüllen zu müssen, können uns zu Effizienz motivieren. Wer Pluspunkte beim Chef sammeln möchte, gibt sich mehr Mühe. Aber auch Abneigungen können uns antreiben: Wer es nicht mag Hemden zu bügeln, wird eine Technik entwickeln, dies möglichst schnell hinter sich zu bringen.
Das gelingt jedoch nicht immer. Dafür kann es verschiedene Gründe geben. Effizienz ist meistens mit einer gewissen Anstrengung verbunden. Uns kann es jedoch manchmal wichtiger sein, ein gutes Gefühl zu erleben. Lieber bleiben wir noch ein bisschen im Bett liegen, statt ins Büro zu gehen. Oder wir sind auf Facebook unterwegs, obwohl Rechnungen zu schreiben wären. Der Wunsch nach einem guten Gefühl treibt Menschen an, nicht der abstrakte Wunsch, effizient zu sein. Es sei denn natürlich, jemand bezieht sein gutes Gefühl daraus, Leistung zu bringen, ein Ziel zu erreichen oder aus der Identifikation mit seinem Beruf. Das ist der Nährboden für Workaholics. Diese Neigungen beruhen auf entsprechenden Bewusstseinsprogrammen, die jemandem aufgeprägt wurden oder die jemand sich selbst antrainiert hat.
Bestimmte Muster führen zur Selbstsabotage. Häufig kommt es beispielsweise vor, dass Menschen sich Erfolg nicht erlauben. Vielleicht, weil Sie meinen, es nicht verdient zu haben oder weil nach dem Erreichen des Zieles, in das sie schon so viel Energie investiert haben, ein tiefes Loch droht, da nicht abzusehen ist, wie es weitergeht. Wer häufiger beobachtet, dass er seine Ziele nicht erreicht, weil er sich selbst sabotiert oder nicht das nötige Maß an Effizienz aufbringen kann, sollte seine Überzeugungen selbst hinterfragen oder sich dazu Hilfe holen.
Ist es nicht vielleicht sogar wichtig, gelegentlich vollkommen ineffizient zu sein? Also, ich meine damit bewusste Erholungsphasen, Hobbys, kreative Tätigkeiten. Setzen wir uns am Ende vielleicht zu sehr unter Druck? Und macht uns das nicht vielleicht sogar viel weniger effizient als wir sein könnten?
Ganz klar „ja“ zu allen Punkten. Effizienz resultiert immer aus einem gewissen Druck. Menschen, die ständig unter Druck stehen, gehen daran irgendwann zu Grunde. Es kommt nicht von ungefähr, dass der sogenannte Burnout heute ein so großes Thema ist. Wir müssen Phasen der Anspannung mit Phasen der Entspannung ausgleichen. Das hat jeder schon erfahren. Wer erschöpft ist, hat nicht die notwendige Klarheit und Energie für Effizienz. Nur wer ausgeglichen und ausgeruht ist, kann auch effizient sein. Allerdings kann auch Begeisterung für ein Ziel oder Projekt sehr viel Energie freisetzen, so dass sich Effizienz fast wie von alleine einstellt.
Wir müssen Phasen der Anspannung mit Phasen der Entspannung ausgleichen.
Gerade Kreativität resultiert aus einem Zustand, der von außen betrachtet nach Müßiggang aussieht. Das Gehirn braucht mentalen und emotionalen Freiraum, um Neues, um Inspiration hervorzubringen. Hier sind Ruhephasen und vielleicht auch Meditation sehr nützlich. Ein aktiver, denkender Verstand gibt neuen Ideen nicht den Raum, den sie brauchen. Viele bekannte Erfinder erzählen, dass sie ihre Eingebungen in Träumen, beim Dösen oder in der Naturbetrachtung empfingen.
Und zum Schluss einmal ganz persönlich gefragt: Welche Rolle spielt Effizienz in Ihrem Leben? Was macht Sie effizient?
Privat brauche ich nicht effizient zu sein. Allerdings verschwende ich zu meiner eigenen Bequemlichkeit nicht gerne unnötig Mühe. Ich halte zum Beispiel meine Sachen nicht deswegen in Ordnung, weil es mir ein besonders großes inneres Bedürfnis wäre, sondern weil ich keine Lust habe, ewig nach etwas zu suchen. Oder ich schreibe den Einkaufszettel in der Reihenfolge des Supermarktes, weil ich dann nicht immer hin- und herlaufen muss. Aber ich kann auch ganz gut einfach nur dasitzen und wahrnehmen, was gerade ist. Völlig ineffizient.
Auch in meiner therapeutischen Arbeit ist der Effizienzgedanke eher nebensächlich oder sogar schädlich. Menschen funktionieren so nicht. Natürlich ist es mein Ziel, dass die Klienten für sich möglichst viel aus der Sitzung mitnehmen. Aber sie brauchen Zeit und Raum, um zu heilen. Ich bin jedoch sehr dankbar, dass es heute in der Tat effizientere Methoden gibt als früher, die monate- oder jahrelange Therapien unnötig machen. Wenn es dem Menschen dient, kann Effizienz also sogar heilsam wirken!
Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 39
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1 Gedanke zu „Interview: „Effizienz auf den Menschen zu übertragen kann fatale Folgen haben““
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