Die digitale Transformation beginnt bei den eigenen Mitarbeitern

In Deutschland geht derzeit keine Stunde ins Land, in welcher nicht mahnend auf die kommende große Welle der Digitalisierung hingewiesen wird. In vielen Unternehmen laufen mittlerweile die Vorbereitungen mit zunehmender Geschwindigkeit an – mit neuen Technologien, Digitalexperten und Geschäftsmodellen. Eine Gruppe von erheblicher Bedeutung wird dabei häufig übersehen: die eigenen Mitarbeiter und ihr unschätzbares Erfahrungswissen.

Symbol Mitarbeiter
(Foto: © Rawpixel, depositphotos)

Industrie 4.0, IoT, Blockchain, Künstliche Intelligenz, Robotik, Augmented Reality, Agile – die Liste ließe sich beliebig weiter fortsetzen. Alles Begriffe, die gegenwärtig in Führungsetagen zu besorgtem Stirnrunzeln führen. Man weiß ja, man tut ja, man ist auf Kongressen, tauscht sich mit Spezialisten aus, hat Kontakte zu Startups geknüpft und sucht immer noch eine(n) Chief Digital Officer oder Head of Digital.

Leider aber gehen die Monate ins Land und der Einsatz zentraler digitaler Technologien oder etwa agiler Arbeitsmethoden ist vielerorts noch nicht einmal in Ansätzen erkennbar. Stirnrunzeln kommt immer dann, wenn die Führungsetage realisiert, dass der große Veränderungsschub erst noch kommen wird.

An ehrgeizigen Zielen mangelt es nicht, aber häufig an der Einbindung der MitarbeiterInnen.

Im tagtäglichen Kleinklein erleben derzeit Millionen von Berufstätige selbst, was moderne Prozesse leisten können: zum Beispiel bei Amazon. Kundenzentrierung wird dort mit Hilfe von Daten zur Perfektion getrieben. Ähnlich verhält es sich auch bei der Reisebuchung, wo im Handumdrehen tausende von Hotelanlagen gesucht, Filterfunktionen aktiviert und Kundenbewertungs-Algorithmen verinnerlicht werden und mit Hilfe von Preisagenten stets das Haushaltsbudget im Gleichgewicht bleibt.

Konsumerisierung nennt man dieses Erleben von perfektionierten digitalen Business-Prozessen im Privatleben. Das unterscheidet die Innovationssprünge der vorherigen Jahrzehnte von der Digitalisierung: Jeder kann es tagtäglich erleben und viele stellen sich mittlerweile die Frage, warum das mit der Kundenzentrierung in der eigenen Firma noch nicht so funktioniert.

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Vorstände sind nicht darauf vorbereitet, Prozesse digital zu managen

Eine Ursache könnte im mangelnden Erfahrungswissen der handelnden Führungskräfte liegen. So ergab beispielsweise eine Analyse von Prof. Dr. Julian Kawohl (htw Berlin) und Dr. Jochen Becker (Investment Lab Heilbronn), dass die überwiegende Mehrheit aller DAX- und MDAX-Vorstände über eine nicht ausreichende digitale Expertise verfügt. Sie studierten dazu mehr als 400 Lebensläufe von Vorständen und stellten fest: 92 Prozent der CEOs haben in ihrer Karriere bisher keinerlei praktische Erfahrung mit der digitalen Welt gesammelt. Ein ähnliches Bild zeichnen Befragungen vom Mittelstand. Auch dort lässt das digitale Know-how und damit verbunden der Fortschritt bei der Digitalen Transformation viele Wünsche offen.

Know-how-Transfer und die Einbindung der unterschiedlichsten Abteilungen und Akteure eines Unternehmens sind auf dem Weg der Digitalisierung entscheidende Meilensteine. Diese Erkenntnis gilt heute als gesichert – von Großkonzernen bis hin zu kleineren Mittelständlern. In den meisten Fällen fehlen allerdings durchdachte Konzepte und die digitale Unternehmensrealität sieht eher ernüchternd aus. 

Die größte Barriere beim Einstieg in ein digital versiertes Unternehmen ist dabei die Tatsache, dass der Transformationsprozess nicht nur eine Angelegenheit der IT ist, sondern einem kulturellen Wandel gleichkommt. Es geht darum, Hierarchien abzubauen, Silos einzureißen, eine agile Organisation zu schaffen und eine Fehlerkultur zuzulassen. Da dafür meist eine übergreifende Strategie fehlt, entscheiden sich CEOs und Manager gerne für andere Maßnahmen. Als derzeit bevorzugte Einstiege in die Digitale Transformation zählen die Einstellung eines Chief Digital Officers (CDO), das Engagement qualifizierter Berater, das Outsourcing bestimmter Bereiche wie die Produktentwicklung, der Aufbau eines firmeneigenen Hubs, die Einrichtung abteilungsübergreifender Co-Working-Spaces oder der Start mit einem ersten, finanziell überschaubaren Referenzprojekt.

Innovation und Veränderungsprozesse entstehen Bottom-up und nicht Top-down

Jede dieser Maßnahmen hat ihre Berechtigung und ist in bestimmter Hinsicht zielführend. Allerdings ignorieren alle Vorgehensweisen die eigenen Angestellten. Doch die Mitarbeiter sind elementar auf dem Weg in die Zukunft, sie müssen die Digitale Transformation letztendlich umsetzen. Wichtig ist es deshalb, sie zu motivieren, zu unterstützen, von ihren (bislang verborgenen) Fähigkeiten zu profitieren. Sie sollten in einen kontinuierlichen Fortbildungsprozess involviert sein und mit der neuen Arbeitswelt vertraut gemacht werden. Denn die sieht ganz anders aus als früher: zeitlich flexibles Arbeiten statt 9 to 5, kein fester Arbeitsplatz statt immer der gleiche Schreibtisch.

Im Umkehrschluss bedeutet dies: Bislang gültige Management-Methoden verlieren in der digitalen Welt an Bedeutung. Gefragt sind nicht mehr Anweisungen der Geschäftsführer, die umgesetzt werden müssen. Digital Leader beziehen ihre Mitarbeiter ein, stellen ihnen die richtigen Fragen, lassen sie aber sonst weitgehend eigenverantwortlich arbeiten – sie nutzen damit deren Potenzial für ein agiles Unternehmen. 

Ein 10-Punkte-Veränderungsplan, der Bottom-up in den Vordergrund stellt 

Immer dann, wenn es in der Geschichte des Managements erfolgreiche Fallbeispiele für die Bewältigung von technologischem Wandel gab, wurden die Grundlagen durch eine motivierte und engagierte Mitarbeiterschaft gelegt. Der nachfolgende Vorschlag zu einer Vorgehensweise bei der Digitalen Transformation stellt die Mitarbeiter klar in den Vordergrund:

1. Status Quo bei Digitalisierung & Co. gemeinsam mit den Mitarbeitern hinterfragen und die relevanten technologischen Entwicklungen mit interessierten Kollegen sondieren. Dabei sollten drei Dimensionen die Überschrift bilden: Digitalisierungsbedarf bei internen Prozessen, Optimierungsbedarf bei der Kundenzentrierung und Status der innovationsorientierten Unternehmenskultur. 

2. Promotoren und Veränderungsbereite identifizieren. Für alle Mitarbeiter und Führungskräfte gilt: das Wichtigste ist die Bereitschaft, sich zu verändern und lernen zu wollen. Offenheit für Neues sollte auch von den Führungskräften vorgelebt werden. Wie entwickelt sich die Meinungsbildung zur Digitalen Transformation im Unternehmen?

3. Job- und Rollenprofile definieren. Welche Fähigkeiten sind im Unternehmen vorhanden? Welche neuen und zukünftigen Job- oder Rollenprofile gibt es und welche Skills sind dafür erforderlich? Wo bestehen Kompetenzlücken?

4. Lern- und Entwicklungsziele ableiten. Aus einem Soll- und Ist-Vergleich werden Trainingsziele abgeleitet. Wie können die Trainingsziele zum Beispiel durch Online-Seminare, Massive Open Online Courses (oftmals kostenlose Kurse im Internet), Brown Bag Sessions (in der Mittagszeit schulen eigene Mitarbeiter mit kurzen Wissenshäppchen die Kollegen während diese essen) oder auch durch klassische Präsenzseminare erreicht werden?

5. Neue Kommunikationstools sondieren und für innovative Prozesse einsetzen. Eine ganze Reihe neuer Tools zur Organisation agiler Arbeitsweisen ist in den letzten Monaten auf den Markt gekommen. Mit Hilfe dieser Tools lassen sich abteilungs- und teamübergreifende Projekte, auch unter Nutzung von mobilen Endgeräten, produktiv managen. Tools für agiles Arbeiten und effektive Kollaboration sind zum Beispiel Slack, Jira, Trello oder Asana. Die Eignung des jeweiligen Tools hängt natürlich immer von den jeweiligen Gegebenheiten und der Unternehmensarchitektur ab. 

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6. Ideen und Teams generieren und auf Kundenzentrierung fokussieren. Der Ursprung bahnbrechender Innovationen liegt nicht mehr beim einsamen Erfinder, sondern im intelligent zusammengestellten Team. Um das kreative Potential der Mitarbeiter auszuschöpfen, gibt es eine Reihe denkbarer Formate: möglicherweise eignet sich ein firmenweit ausgeschriebener Innovationswettbewerb mit cleveren Incentives. 

7. Räumliche Veränderungen und Flächen zur Zusammenarbeit initiieren. Wie können zeitliche Freiräume und räumliche Flächen geschaffen werden, die zur Umsetzung neuer digitaler Projekte genutzt werden können? So haben einige Unternehmen bereits begonnen, zum Beispiel eine Etage eines Gebäudes als Experimentierfläche in Form eines Co-Working-Spaces umzubauen und für abteilungsübergreifendes Zusammenarbeiten von Mitarbeitern zu öffnen.

8. Erste digitale Referenzprojekte umsetzen. Die durch die Punkte 1 bis 7 entstandenen Ideen und Projekte sollten dann je nach kurzfristiger Machbarkeit umgesetzt werden. 

9. Erfolge und Misserfolge analysieren und Daten sammeln. „Build, Measure, Learn“ lautet ein Grundsatz des agilen Arbeitens. Nicht alles wird im ersten Anlauf glücken, aber entstehende Daten sollten für die Lernkurve genutzt werden.

10. Gehalts- und Anreizsysteme graduell ändern, um mehr Initiative zu fördern. Sobald erste Erfolge entstehen und vielleicht sogar teilweise zu neuen Produkten und Angeboten führen, werden involvierte Mitarbeiter nach einer angemessenen erfolgsabhängigen Bezahlung fragen. Die Unternehmen sollten frühzeitig überlegen, welche Anreizstrukturen dafür geeignet sind.

Die einzelnen Schritte des 10-Punkte-Plans zeigen, wie wichtig es ist, Mitarbeiter zu motivieren und zu unterstützen. Die Elemente des Plans an sich sind aber auch schon ein Zeichen für einen Paradigmenwechsel. 

Beispiel Corporate Barcamp

Beispiel für ein Corporate Barcamp. (Foto: Ute Lange)

Eine geeignete Methode, den erforderlichen Kulturwandel von Beginn an zu leben, ist ein Corporate Barcamp durchzuführen. Dabei handelt es sich um ein offen gestaltetes Diskussions- und Strategietreffen, bei dem sich alle Teilnehmer auf Augenhöhe begegnen. Diese auch als „Unkonferenz“ bezeichnete Veranstaltung geht auf den US-Software-Entwickler Tim O’Reilly zurück, der im Jahr 2005 ausgewählte Personen in Kalifornien zu einem Treffen mit Übernachtung – eben einem Camp – einlud, um sich mit ihnen auszutauschen und neue, digitale Ansätze zu entwickeln. Siehe dazu auch die Infobox am Ende des Beitrags.

Im Unterschied zu eher formalen Veranstaltungen wie Open Space oder Brainstorming ist in einem Barcamp alles möglich, aber nichts nötig. Alle Teilnehmer können den Ablauf beeinflussen, organisieren, Vorträge und Diskussionsrunden – sogenannte Sessions – koordinieren. Ob Manager oder Praktikant: Alle können sich aktiv an Überlegungen über den künftigen Unternehmenskurs beteiligen.

Der offene Austausch fördert höchst kreative und innovative Ansätze, die ohne das Barcamp nie entwickelt worden wären. Weitere Vorteile sind der intensive Wissensaustausch, die Motivation der Mitarbeiter sowie die langfristigen Impulse, die von einer solchen Veranstaltung ausgehen können.

Zudem präsentieren Führungskräfte eine neue Seite. Durch ein Barcamp werden sie nachweislich als nahbarer, authentischer und „demokratischer“ von der Belegschaft wahrgenommen. Alles genau die richtigen Grundlagen, die für den Einstieg in einen digitalen Kulturwandel notwendig sind. 

Manchmal ist es auch sinnvoll, Kunden und Geschäftspartner in das Barcamp einzubinden. Dadurch erhält das Unternehmen zusätzliche Impulse von außen, gleichzeitig kann es sich als offen und innovativ präsentieren. Als ein Unternehmen, das die Digitale Transformation gezielt in Angriff nimmt und dabei das wichtigste Potenzial ausschöpft, das es hat: seine Kunden und Mitarbeiter. 

Hintergrundwissen

Woher stammt der Name Barcamp?

Tom O’Reilly nannte sein erstes Camp „FooCamp“, wobei „Foo“ für „Friends of O’Reilly“ stand. Vielen Programmierern war O‘Reillys Ansatz jedoch zu exklusiv. Sie wollten Veranstaltungen, die offen für alle Interessierten sind. Also wählten sie – sozusagen als Gegenentwurf – für ihre Treffen den Begriff „Bar“, der in der Informatik ebenso wie „Foo“ als Platzhalter verwendet wird.

Was braucht man für ein Barcamp?

Ein Corporate Barcamp kann je nach Bedarf einen halben, einen ganzen oder zwei Tage dauern. Das Format kann firmenintern oder mit zusätzlichen externen Teilnehmenden (z.B. Kunden, Projektpartnern, etc.) stattfinden.

Sie benötigen dafür:

  • mindestens einen großen Raum, in dem die Anfangs- und Schlussrunde mit allen Teilnehmenden stattfinden kann
  • mehrere kleinere Räume für Sessions
  • ein Foyer oder Raum, in dem ein Buffet aufgebaut, gegessen, Kaffee getrunken und geplaudert werden kann
  • idealerweise ist die Bestuhlung der Räume flexibel, damit bei Bedarf umgestellt werden kann
  • idealerweise sollten alle Räume mit Beamer, Leinwand, Flipchart, WLAN für Sessiongeber ausgestattet sein
  • eine Tonanlage, zumindest im großen Raum
  • falls angeboten, ein Raum für Kinderbetreuung
  • nach Möglichkeit barrierefreie Zugänge

Tipp zum Weiterlesen

Das UPLOAD Magazin hat sich mit vielen Themen dieses Beitrags bereits beschäftigt: Digital Leadership, Industrie 4.0, agile Unternehmen und vieles mehr. Gesammelt finden Sie diese Beiträge in unserem „Dossier Digitale Transformation“.


Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 63

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