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Welche Online-Marketing-Maßnahmen machen jetzt Sinn?

Angesichts der aktuellen Krisensituation und einer ungewissen Zukunft fragen sich viele unserer Leserinnen und Leser, welche Online-Marketing-Maßnahmen jetzt (noch) sinnvoll sind. Wir lassen in diesem Beitrag mehrere Fachleute mit sehr unterschiedlichen Sichtweisen dazu zu Wort kommen. Diese sind, anders als bei uns sonst üblich, streng subjektiv. Dafür können Sie hoffentlich als Anregung dienen.

(Foto: Carlos Muza, Unsplash)

Siamac Alexander Rahnavard: Jetzt ist die richtige Zeit für Markenbildung!

Siamac Alexander Rahnavard ist Co-Gründer und Managing Partner der Programmatic-Marketing-Agentur Echte Liebe. Mit einem strategischen, datengetriebenen Ansatz stellt er den Dialog zwischen Unternehmen und ihren Kunden her.

In Zeiten von Corona gilt im Marketing genau wie vor dem Nudel- oder Klopapierregal im Supermarkt: Bitte nicht in Panik verfallen! Kurzentschlossene Spontanaktionen und übereilter Aktionismus helfen wenig: Es gilt mehr denn je, Haltung zu zeigen. 

Immer wieder ist davon zu lesen, wie Marketingbudgets radikal gekürzt oder eingefroren werden, um Geld zu sparen. Dieses Vorgehen ist jedoch kontraproduktiv und kann im schlimmsten Falle dazu führen, dass eine Marke nach der Krise in der Bedeutungslosigkeit verschwindet.

Statt in einen kommunikativen Tiefschlaf zu fallen, sollten Unternehmen daher zeigen, dass sie weiterhin aktiv und somit handlungsfähig sind.

Statt in einen kommunikativen Tiefschlaf zu fallen, sollten Unternehmen daher zeigen, dass sie weiterhin aktiv und somit handlungsfähig sind. Denn der Konsument nimmt es wahr, wer jetzt mit einer konstruktiven Aktion aktiv ist und sich einbringt.

Ein möglicher Ansatz für ein positives Auftreten, ist: Kunden und Geschäftspartner können informiert und aufgeklärt oder die Kapazitäten und Expertise im Unternehmen dafür genutzt werden, das Leben mit der Pandemie erträglicher zu gestalten. Dass einzelne Anbieter ihre Lösungen nun kostenlos zur Verfügung stellen, mag auf den ersten Blick wirtschaftlich nicht vernünftig sein – genau solche Aktionen tragen jedoch dazu bei, dass Unternehmen positiv im Gedächtnis der Bevölkerung zu verankern und die Marke langfristig zu stärken.

Auch wenn der persönliche Kontakt mit der Zielgruppe wegfällt, weil etwa eine Messe abgesagt wurde, ist es wichtiger denn je, mit Kunden und Geschäftspartnern in Kontakt zu bleiben: Wenn alles wieder normal ist, will man seine Kunden schließlich nicht verloren haben. Manche Unternehmen inspiriert dies zu neuen kreativen Lösungen: Die Firma Foodboom ersetzt den großen Stand auf dem ausfallenden OMR-Festival mit einem regelmäßigen Live-Format auf YouTube. Auch die Messe „LogiMat“ in Stuttgart fiel in diesem Jahr ersatzlos aus – der schwäbische Maschinenbauer Grenzebach verlegte seinen Messestand daher kurzerhand aufs eigene Messegelände und macht diesen digital über eine Landingpage zugänglich.

Es müssen dabei nicht zwingend ausgefallene Marketingstunts sein, doch eine verstärkte Kommunikation über digitale Kanäle ist notwendig, damit Kunden und Geschäftspartner die eigene Marke im Gedächtnis behalten und das in vielen Fällen weiterhin vorhandene Angebot wahrnehmen.

Wenn Messen ausfallen und Out-of-Home-Advertising (OOH) an Relevanz verliert, müssen potenzielle Kunden dort erreicht werden, wo sie sich nun überwiegend aufhalten: Zuhause. Digital Advertising, Radio- und TV-Werbung sind keine neuen Kanäle, gewinnen jedoch zusätzlich an Relevanz. Spätestens jetzt ist die Zeit gekommen, um das Marketing zu digitalisieren und neue Formate auszuprobieren: digitale Kanäle statt OOH, Programmatic Advertising statt manuelle Werbeplatzbuchung und neue, der gegenwärtigen Lage angepasste Werbeinhalte statt vorproduziertem Content sind das Gebot der Stunde. 

Eine rundumerneuerte Marketingstrategie und das Implementieren agiler Methoden sollte nicht als notwendiges Übel gesehen werden, um die Krise zu überstehen.

Eine rundumerneuerte Marketingstrategie und das Implementieren agiler Methoden sollte nicht als notwendiges Übel gesehen werden, um die Krise zu überstehen. Die Mühen der Markenbildung machen sich nicht zwangsläufig in den Verkaufszahlen oder der Anzahl neuer Leads in den nächsten Wochen bemerkbar. Vielmehr handelt es sich um eine langfristige Strategie, die das Unternehmen nicht nur fit für eine mögliche nächste Krise macht, sondern grundsätzlich zukunftstauglich aufstellt.

Die gegenwärtige Corona-Situation sollte daher nicht die Ursache sein, um die Marke gezielt zu stärken, sondern lediglich der Anlass. 


David Lange: Antizyklisch handeln – Branding in Krisenzeiten

David Lange ist Co-Founder und Managing Director von adlicious, einer Hamburger Programmatic Advertising Agentur. Der Sinologe und Wirtschaftswissenschaftler hat einen Master in Corporate Management & Economics und ist Co-Autor des Buches „War for Growth: How to make it in the Chinese Internet Market“.

Die Corona-Krise stellt uns als Gesellschaft vor Herausforderungen, die wir uns vor kurzem noch nicht einmal hätten vorstellen können. Eine, in dem Maße, unvergleichliche Situation, auf die niemand vorbereitet war. Unser globalisiertes Wirtschaftssystem gerät ins Wanken, Lieferketten und Produktwege bereiten Probleme, vielen Branchen bricht aktuell nahezu das komplette Geschäft weg. Die erste Maßnahme vieler Unternehmen in einer solchen Krisensituation ist der Cut des Marketingbudgets. Auf den ersten Blick ein verständlicher Gedanke, denn in diesem Bereich lässt sich oft innerhalb kürzester Zeit Geld frei machen, das an anderer Stelle benötigt wird. Doch ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass es auch andere Möglichkeiten gibt.

Nicht direkt mit einer Pandemie vergleichbar, aber trotzdem ein einschneidendes Ereignis für die westliche Welt war der 11. September 2001 – mit all seinen Folgen. Schon vor den Anschlägen war die wirtschaftliche Situation in den USA angespannt und das Land von einer Rezession gebeutelt. Einige Unternehmen durchbrachen aber schon kurz danach die Schockstarre, in der sich das ganze Land befand.

Beispielhaft sei hier General Motors genannt, die nur zwei Wochen nach 9/11 eine groß angelegte Marketing Kampagne starteten – natürlich mit der für die USA üblichen Portion Patriotismus. Der Mut in dieser Situation zu investieren sollte belohnt werden. Durch den Erfolg von GM zogen andere Hersteller nach und 2001 wurde zum zweiterfolgreichsten Jahr der US Autoindustrie.

Auch andere Branchen zeigten sich unbeeindruckt. Apple behielt seinen Zeitplan bei und stellte im Oktober 2001 den ersten iPod vor, einen absoluten Kassenschlager. Durch solch mutige Entscheidungen, Marketing und Produktinnovation in den Fokus zu stellen gelang es den USA, trotz einer bis dato undenkbaren Ausnahmesituation, die Rezession bereits im November 2001, lediglich zwei Monate nach 9/11, hinter sich zu lassen.

Die größten Marktanteilsgewinne und dementsprechend auch die größten Marktanteilsverluste entstehen nicht in Wachstumszeiten, sondern in konjunkturellen Schwächephasen.

Key-Learning beim Blick auf die Vergangenheit: Antizyklisches Handeln und Marketinginvestitionen in Krisenzeiten können sich auszahlen. Untermauern lässt sich dies mit den Ergebnissen einer großen GfK-Studie, bei der die Entwicklung von rund 1000 Marken über neun Jahre beobachtet wurde. Erkenntnis der Studie: Die größten Marktanteilsgewinne und dementsprechend auch die größten Marktanteilsverluste entstehen nicht in Wachstumszeiten, sondern in konjunkturellen Schwächephasen.

So sollten Unternehmen aktuell überprüfen, ob sich Marke und Produkte neu aufladen lassen. Denn während der E-Commerce durch die aktuellen Beschränkungen zurzeit boomt und Omnichannel-Händler alle Hände voll zu tun haben, mit Performance-Kampagnen für ihre Onlineshops die Verluste aus dem stationären Handel auszugleichen, bleiben Branding und Markenaufbau auf der Strecke. Dabei können mutige Unternehmen gerade jetzt durch aussagekräftige Branding-Kampagnen von zögernder Konkurrenz profitieren.

Ein aktuelles Beispiel liefert, wie schon nach 9/11, die Automobilbranche. Während viele Unternehmen Kampagnen stoppen oder verschieben, entschied sich Autobauer Ford dazu, seine aktuelle Kampagne durch eine Sonderkampagne zu ersetzen. Im Fokus steht dabei der Umgang mit der Pandemie und nicht wie gewohnt ein bestimmtes Automodell. Ford bietet dabei allen Kunden, die durch Corona in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind, Zahlungserleichterungen an. Zusätzlich werden ähnliche Aktionen aus der Vergangenheit des Autobauers aufgegriffen, etwa Unterstützungen und Hilfsaktionen nach Naturkatastrophen. So werden Solidarität und Kontinuität seitens des Autobauers vermittelt und das Image langfristig positiv beeinflusst.

Den Platz für entsprechende Branding-Kampagnen schafft ironischerweise Corona selbst. Zum einen ist durch die Ausgangsbeschränkungen die Mediennutzung in Deutschland stark gestiegen. Einer aktuellen Auswertung des Marktforschungsunternehmens Gemius und adzine zufolge ist der Medienkonsum von TV, Mobilgeräten und PCs zwischen 14 und 40 Prozent gestiegen. Es gibt also schlichtweg mehr Möglichkeiten, Nutzer zu erreichen.

Auch der Ausfall der großen Sportereignisse des Sommers schafft Raum für Kampagnen – und kann sogar für sinkende Preise sorgen. Einer Prognose nach wird Corona mit all seinen Auswirkungen Google und Facebook zusammen rund 44 Milliarden Dollar an Werbeumsätze kosten. Schon jetzt lässt sich feststellen, dass die Preise für bestimmte Werbeformate sinken. Allerdings muss hier unterschieden werden zwischen reinen Performance-Formaten wie z.B. SEA, die im Preis aktuell sogar steigen und Branding bzw. Mischformen wie Display-Advertising, dass sich aktuell sehr günstig einkaufen lässt.

Natürlich haben auch Performance-Kampagnen in der aktuellen Situation ihre Daseinsberechtigung. Insbesondere Unternehmen, die jetzt erst E-Commerce Angebote starten oder den Fokus vom stationären Handel ins Web verlagern müssen in Performance-Marketing investieren. Für schnelle Erfolge empfehlen sich hier SEA-Kampagnen, Display Advertising und E-Mail-Marketing. 

Unternehmen sollte klar werden, dass sich Marktanteile und Nutzerverhalten durch Corona nachhaltig ändern können. Um dafür gewappnet zu sein muss kurzfristig das Performance-Marketing optimiert und in Branding investiert werden. Nur so lässt sich diese Krise überstehen und langfristig die eigene Marke stärken.


Hartmut Deiwick: Diese SEA-Maßnahmen machen jetzt Sinn

Hartmut Deiwick ist Geschäftsführer der Löwenstark Online-Marketing GmbH. Die Full-Service-Agentur entwickelt und betreut seit 18 Jahren im gesamten D-A-CH-Gebiet SEO-, SEA-, Affiliate-Marketing-, E-Mail-Marketing- und Social Media-Projekte für Kunden aller Branchen.

Seit Beginn der Corona-Krise nehmen organische Klicks in der Suchmaschine zu, die Nachfrage der Verbraucher nach Informationen ist gestiegen. So wird das Internet seit dem Shutdown zur ersten Anlaufstelle für potenzielle Kunden. Von der aktuellen Entwicklung profitieren dem Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (bevh) zufolge vor allem Händler, die Lebensmittel, Drogerieware, Medikamente und Baumarktsortiment vertreiben. Im Gegensatz dazu verzeichnen laut dem bevh die Reisebranche und im Versandhandel die Bereiche Mode, Elektronik, Computer und Bücher Umsatzeinbrüche. Dem gegenüber steht allerdings der E-Commerce-Gigant Amazon, der hervorragende Umsätze macht, sodass DHL bisweilen ein Lieferaufkommen ähnlich zu Weihnachten hat.

Die Lage erfordert ein Umdenken hinsichtlich der Budgets und Planung von Kampagnen, denn der Markt ist dynamischer geworden.

Die Situation verdeutlicht, dass es jetzt besonders wichtig ist, eine gute Reichweite zu haben und gefunden zu werden. Langfristig gesehen ist Suchmaschinen-Optimierung (SEO) entscheidend – kurzfristig trägt Suchmaschinen-Werbung (SEA) in der Corona-Zeit dazu bei, Performance und Umsätze zu steigern. Die Lage erfordert ein Umdenken hinsichtlich der Budgets und Planung von Kampagnen, denn der Markt ist durch Budgetreduzierungen wie in der Reisebranche und Budgeterhöhungen im E-Commerce dynamischer geworden.

Gewinner-Branchen sollten sich mit der Frage beschäftigen, wie sie die höhere Aufmerksamkeit in Abschlüsse wandeln können. Denn viele Kunden stöbern und klicken auf Ads, sodass das Kampagnenbudget erhöht werden sollte. Das Ziel muss aber stets sein, die Rentabilität zu gewährleisten. Dies stellen idealerweise die Algorithmen sicher, oft ist aber weiterhin eine manuelle Steuerung erforderlich, da insbesondere in sich verändernden Marktlagen Erfahrung und Marktverständnis eine wesentliche Rolle spielen.  

Verlierer-Branchen sind gut beraten, kein unnötiges Budget zu verbrennen. Es sollte regelmäßig überprüft werden, welche Kampagnen noch rentabel sind. Wenn Händler es sich leisten können, kann der Return On Ad Spend manuell angepasst werden, damit Kampagnen weiter laufen – die Rentabilität darf aber nicht vernachlässigt werden. Bei weiteren Performance-Einbrüchen ist es ratsam, auf manuelles Bidding umzustellen. Das bedeutet Keywords zu prüfen und diese gegebenenfalls zu pausieren oder gleich auf margenträchtige Produkte zu optimieren.

Um sich gegenüber den Wettbewerbern online durchzusetzen, können neue USPs in den Kampagnen und Onpage positioniert werden. Dazu zählen zum Beispiel kostenfreie Lieferung, Ratenzahlung oder die eigene Lieferfähigkeit. Ebenfalls lohnt es sich, mit besonderen Rabattaktionen zu werben oder Gutscheine zu verlängern.

Mit Hilfe von verstärktem Branding-Budget und Upper Funnel-Marketing können zudem die Aufmerksamkeit maximiert, mehr interessierte Neukunden akquiriert und als Folge höhere Marktanteile gesichert werden. Es gibt zum Beispiel deutlich mehr Display-Inventar, da mehr Seitenaufrufe generiert und damit mehr Banner ausgespielt werden. Darüber hinaus ist auch YouTube ein geeigneter Kanal, da die Plattform gerade eine hohe Beliebtheit erfährt. Doch Vorsicht: Diese Maßnahmen sind nur sinnvoll, wenn die Kunden trotz Krise Interesse an den Produkten zeigen.

Bei der Schaltung von Anzeigen sollte unbedingt auf die Tonalität geachtet werden, da bestimmte Wörter in Werbebotschaften und Texten sowie Bilder im Zusammenhang mit der Pandemie nicht zulässig sind. Die Zielseite sollte zudem angemessen sein und nicht auf Profit mit reißerischen Corona-Inhalten abzielen.

Wird zunehmend Werbung geschaltet, muss auch die eigene Warenwirtschaft berücksichtigt werden. Treten Lieferschwierigkeiten ein, sollten die Maßnahmen reduziert und eine offene Kommunikation gegenüber den Kunden gepflegt werden. Nur so kann langfristig Vertrauen erhalten und die Kundenbindung gestärkt werden.

Wenn die Nachfrage steigt und Kampagnen rentabel laufen, ist es nicht sinnvoll Budget abzuziehen.

Ist Branding aktuell sinnvoll und was passiert nach der Krise? Die Marketinglandschaft ist momentan dynamisch, daher kann nur im Einzelfall entschieden werden, ob verstärktes Branding für das jeweilige Unternehmen und die jeweilige Branche sinnvoll ist. Wenn die Nachfrage steigt und Kampagnen rentabel laufen, ist es nicht sinnvoll Budget abzuziehen. Im Gegenteil: Es ist ratsam, mehr Budget einzusetzen, da sogar zusätzlich über Display-Marketing und YouTube neue Nutzer angesprochen werden können. Die Empfehlung für Branchen mit starken Traffic-Einbrüchen lautet: Ad-Spending-Budget zurückfahren oder Kampagnen vollständig pausieren, um keine unnötigen finanziellen Ausgaben zu tätigen.

Der Wettbewerb verschärft sich, da viele Unternehmen seit Ausbruch der Pandemie neu in das Online-Marketing eingetreten sind und ihre digitale Strategie nun ausbauen und professionalisieren.

Grundsätzlich gilt: Jeder sollte die Entwicklung der Kampagnen und Suchanfragen im weiteren Verlauf der Corona-Pandemie genau beobachten. Schwächt die Krise ab, wird die Nachfrage bei den Performance-Gewinnern wieder rückläufig und bei den Performance-Verlierern progressiv sein. Dann ist eine erneute Strategieanpassung erforderlich und Unternehmen können ihre SEA-Maßnahmen wieder an eine ausgeglichenere Nachfrage anpassen. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sich der Wettbewerb verschärft, da viele Unternehmen seit Ausbruch der Pandemie neu in das Online-Marketing eingetreten sind und ihre digitale Strategie nun ausbauen und professionalisieren.


Stephan Czysch: Gezielt neue Chancen finden

Stephan Czysch ist Geschäftsführer des Online Marketing Teams von Dept (deptagency.com) in Berlin. Seine Leidenschaft gilt besseren Websites. Er spricht regelmäßig auf Konferenzen zu Themen wie Online Marketing Strategien und datengetriebenes SEO. Sein Wissen können Sie in Form seiner Bücher konsumieren. Mehr über Ihnen finden Sie auf seiner privaten Website. Verbinden Sie sich gerne mit ihm via LinkedIn.

So schwer die aktuelle Situation für manche auf den ersten Blick auch erscheinen mag: Mit kühlem Kopf sind häufig mehr Dinge weiterhin möglich als zunächst gedacht. So liest man bei den Online Marketing Rockstars von kleinen Unternehmen, die z.B. nach der Schließung des Ladengeschäfts über Live-Videos ihre Produkte verkaufen und diese anschließend verschicken – auch wenn sie bisher kein E-Commerce betrieben haben. Werfen Sie durchaus einmal einen Blick auf den Artikel – vielleicht ist auch abseits der Tipps in diesem Beitrag etwas für Sie dabei.

Mit kühlem Kopf sind häufig mehr Dinge weiterhin möglich als zunächst gedacht.

Schaut man gesamthaft auf das eigene Angebot, dann mag einen schnell das Gefühl beschleichen, dass gerade gar nichts mehr möglich ist. Aktuell gut laufende Artikel sind kaum mehr auf Lager und die Nachlieferung ist ungewiss, während Saisonartikel wie Blei im Lager liegen und sich eine weitere größere Lieferung ankündigt. Vor diesem Hintergrund fällt es vielen schwer, den Blick auf „Was ist (noch) möglich?“ zu richten. Doch in diesen Modus muss man kommen um die weiterhin existierenden Chancen zu sehen.

Es sollte z.B. für E-Commerce-Händler weiterhin Produktgruppen geben, die gut laufen und deren Nachschub sicher ist. Auf diese Sortimentssegmente müssen sich die Online-Marketing-Maßnahmen in der aktuellen Situation konzentrieren. Anstatt also pauschal jegliche (bezahlte) Werbeaktivität zu stoppen, sollten Sie sich mehr denn je fragen, wie viel Ihnen nach Berücksichtigung aller Kosten durch einen Verkauf der einzelnen Produkte beziehungsweise -gruppen bleibt. Eine ordentliche Daten- und Entscheidungsgrundlage zu haben ist essenziell wichtig – für den Augenblick und für die Zukunft. 

Eine ordentliche Daten- und Entscheidungsgrundlage zu haben ist essenziell wichtig – für den Augenblick und für die Zukunft.

Viele Unternehmen tun sich trotz des weitreichenden Einflusses auf den (Miss-)Erfolg weiterhin schwer damit, eine klare Online-Marketingstrategie zu entwickeln und vor allem auch umzusetzen. Trotz der Unterschiede zwischen den Produktgruppen, egal ob zum Beispiel auf Marge, Marketing-Akquisitionskosten oder die Wettbewerbssituation bezogen, wird noch zu häufig angenommen, dass es sich um eine homogene Gemengelage handelt. Entsprechend kann zu selten die Frage beantwortet werden, wie viel die Akquisition eines (Neu-)Kunden für einzelne Produkte oder eben -gruppen kosten darf. 

Dabei kommt erschwerend hinzu, dass in großen Firmen eine kanalorientierte Verzielung der Online-Expertenteams stattfindet – dabei beeinflussen sich die unterschiedlichen Aktivitäten sehr stark. Anstatt die Teams auf ein gemeinsames Ziel auszurichten wird geschaut, welcher Kanal gerade wie viel beiträgt – dadurch wird unnötigerweise ein Abgrenzungskampf zwischen den Teams geschaffen und die Ergebnisse leiden darunter. 

Besonders deutlich wird dies im Bereich der Suche – sowohl SEA als auch SEO bekommen (zu?) hohe Wachstumsziele vorgelegt, ohne dass das adressierbare Suchvolumen steigt. Die Folge: Beide Teams konkurrieren intern um die Gunst ihres Chefs und der Blick geht davon weg, was die beiden Teams verbindet. Vor allem die Brand-SEA-Kampagne ist eine heilige Kuh, über die nicht gesprochen werden darf. Dabei laufen einige der Nonbrand-Kampagnen nicht profitabel, egal welche Attribution angelegt wird. Doch wozu darüber sprechen, wenn dies eine noch größere Lücke zum Jahresziel entstehen lassen würde? Deshalb lieber noch mehr des Brand-Traffics über bezahlte Anzeigen reinholen und dadurch hohe Erfolgsraten für die bezahlte Suche ausweisen. Bitte nicht falsch verstehen: Es gibt sehr gute Gründe für eine Brandkampagne über SEA – aber noch mehr für eine gesamtheitliche Search-Strategie.

Und was das Ganze insgesamt noch schlimmer macht: Wir dürfen nicht in Kanälen denken, sondern müssen den Nutzer in das Zentrum stellen. Denn wie soll sonst eine abgestimmte Kommunikation stattfinden, wenn jeder nur auf seinen Kanal ausgerichtet denkt und handelt? Dem Online-Erfolg ist dies absolut nicht zuträglich!

Denken Sie anstatt in Kanälen in Zielgruppen und stellen Sie den Nutzer in das Zentrum.

Was also bleibt? Schauen Sie, welche Produkte weiterhin gut vertrieben werden können. Denken Sie anstatt in Kanälen in Zielgruppen und stellen Sie den Nutzer in das Zentrum. Fragen Sie sich, zu welchen Kosten Sie diesen erreichen können und wählen Sie die Kanäle aus, durch die Sie innerhalb der Kostenstruktur bleiben können. Denken Sie daran, dass sich in einzelnen Werbenetzwerken bedingt durch eine höhere Nutzung die Anzahl der Werbeplätze erhöht haben – bei gleichzeitiger Vollbremsung anderer Marktteilnehmer. In der Folge sinken die CPCs. 

Wenn Sie sich die Frage stellen, wo Ihre Zielgruppe unterwegs ist, dann kommen Sie vermutlich auf neue mögliche Kanäle. Wie wäre es z.B., in einem Nischennewsletter zu werben? Sie werden erstaunt sein, welche Besucherqualität Sie für extrem wenig Geld erreichen können. Testen Sie also neue Kanäle aus und geben Sie Kanälen, bei denen es beim letzten Mal nicht geklappt hat eine neue Chance. Denn vielleicht lag der nicht eintretende Erfolg an einer zu breiten Aussteuerung oder einer nicht idealen Bildauswahl? Nur durch Experimentierfreude finden Sie heraus, was für einzelne Zielgruppen funktioniert. Arbeiten Sie daran, jeden Tag besser zu werden. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg!


Thomas Weigel: Aus der Not neue Formate machen

Thomas Weigel ist Chief Content Officer von HAPPY GANG. Das Unternehmen ist Teil des Medienaccelerators cormes und entwickelt Content-Formate in Social Media. Zu den Kernmarken gehört unter anderem „WISSTIHRNOCH?“, welche über Facebook, Instagram, Snapchat oder TikTok ein Millionenpublikum erreicht.

Ob beruflich, privat oder als gesamte Gesellschaft – die Corona-Situation stellt alle vor große Herausforderungen. Auch Marketing-Experten müssen derzeit auf teils altbewährte Maßnahmen wie die Out-of-Home-Kampagne verzichten und alternative Wege finden, um ihre Formate an die Frau und den Mann zu bringen. 

In Zeiten von #socialdistancing verbringt die gesamte Bevölkerung mehr Zeit in ihren eigenen vier Wänden und vor den heimischen Bildschirmen, deshalb sollten Vermarktungsspezialisten ihren Content mehr denn je dorthin bringen. In der Produktion der Inhalte müssen die Verantwortlichen allerdings einige Hürden nehmen, denn auch sie sind angehalten, möglichst zu Hause zu bleiben. Drehs oder Fotoshootings mit mehreren Personen sowie Außenaufnahmen sind derzeit kaum umsetzbar, es gilt also kreativ das Beste aus den einschränkenden Umständen zu machen. Edeka hat beispielsweise altes Video-Material und Stock-Footage recycelt, um in einer neuen Kampagne seinen Angestellten und Kunden in diesen schwierigen Zeiten zu danken.

Guter Content ist auch in Corona-Zeiten noch guter Content, allerdings mit neuem Spielraum in der Umsetzung. So beschreiten beispielsweise Joko Winterscheidt und Paul Ripke mit ihrem Podcast „Alle Wege führen nach Ruhm“ neue Marketing-Wege: Was bisher getreu der Natur des Mediums Podcast auf ein Hörerlebnis beschränkt war, wird nun zur TV-Show bei ProSieben. Auch die Retrotainment-Plattform „WISSTIHRNOCH?“ setzt kreative neue Formate um, indem sie ihre Community zu Challenges auffordert. So sollten die Follower z.B. zeigen, was sich im Kampf gegen Langeweile alles aus einem Blatt Papier falten lässt. „WISSTIHRNOCH?“ sammelte die Einsendungen der Nutzer und bereitete sie in einem unterhaltsamen Video auf. 

Live-Content schafft das Gefühl des gemeinschaftlichen Erlebens, das viele im Moment vermissen

Als reine Unterhaltung oder im Business-Kontext: Einer besonderen Hochkonjunktur erfreuen sich derzeit Live-Formate. Von hohen Zuschauerzahlen über endlose Kommentarströme schafft Live-Content dabei das Gefühl des gemeinschaftlichen Erlebens, das viele im Moment vermissen.

Um beispielsweise die Lücke im Bereich kultureller Veranstaltungen zumindest zu verkleinern, gibt der Pianist Igor Levit jeden Abend um 19:00 Uhr ein kleines Konzert, oft von seinem heimischen Flügel aus. Über Twitter oder Instagram können Musikliebhaber seine Interpretation von großen klassischen Werken kostenlos miterleben.

Das eigene Können und Wissen nutzen auch der Digital Food Publisher FOODBOOM und die Full-Service Food-Innovationsagentur Red Rabbit. Sebastian Heinz von FOODBOOM und Jochen Matzer von Red Rabbit riefen deshalb „WE ARE FOOD Mission Talks“ ins Leben. Jeden Donnerstag sprechen sie mit ihren Gästen im YouTube-Livestream über Entwicklungen sowie die potenziellen langfristigen Folgen von Corona im Lebensmitteleinzelhandel. WISSTIHRNOCH? setzt dagegen auf regelmäßige Liveformate auf Facebook und TikTok.

Corona ist gerade der Elefant im Raum. Über die Pandemie sprechen oder sie lieber wegignorieren ist eine Frage, die sich Unternehmen und ihre Marketing-Experten im Moment häufig stellen. Hier ist es wichtig, die eigenen Kompetenzen zu kennen: Brands sind kein Wissenschaftler, Politiker oder Medien, also sollten sie die Aufklärung über die aktuelle Lage diesen Parteien überlassen.

Corona ist ein sensibles Thema, Humor sollte in Marketing-Maßnahmen also mit Vorsicht verwendet werden

Wie so oft ist ein gesunder Mittelweg die beste Strategie. Die gegenwärtige Situation kann auf jeden Fall angesprochen werden, z.B. in dem in den Formaten auf Solidaritäts-Aktionen aufmerksam gemacht wird. Eine weitere Möglichkeit ist, Einblicke in den Umgang des eigenen Unternehmens mit dem Thema zu geben oder Tipps, die den Alltag in Zeiten der physischen Distanz erleichtern, zu teilen. Wichtig ist jedoch: Corona ist ein sensibles Thema, Humor sollte in Marketing-Maßnahmen also mit Vorsicht verwendet werden.

Dass ein humorvoller Umgang mit dem Leben in Corona-Zeiten dennoch funktionieren kann, beweist Edeka Esslinger auf TikTok. Toilettenpapier ist gerade in ganz Deutschland Mangelware. Immer, wenn eine neue Lieferung des begehrten Produkts eintrifft, teilt das Team seine Freude in Form eines unterhaltsamen Kurzvideos. 

Vielleicht führt der Blick über den Marketing-Tellerrand sogar zu einem neuen Lieblingsformat der Zielgruppe, das sonst nie entwickelt worden wäre!

Ein Fazit zum Schluss: Auch zu Zeiten von Corona müssen die Marketing-Kampagnen weitergehen. Die Kreativität von Vermarktungsspezialisten ist nun gefordert, um Alternativen für derzeit weniger sinnvolle Maßnahmen zu finden. Vielleicht führt der Blick über den Marketing-Tellerrand sogar zu einem neuen Lieblingsformat der Zielgruppe, das sonst nie entwickelt worden wäre!


Lukas Stuber: Wer die Krise gut bewältigt, geht gestärkt in die Zukunft

Lukas Stuber ist Mitgründer der Digitalagentur Yourposition, die seit 2018 zu Dept gehört. Seither ist Stuber bei Dept als Managing Director in Zürich tätig. Ausserdem ist er Dozent an Fachhochschulen in Luzern, Basel und Olten sowie einer der gefragtesten Referenten der Schweiz im Bereich Suchmaschinenmarketing.

Die Corona-Krise trifft jedes einzelne Unternehmen auf andere Weise. Während die einen alle Hände voll zu tun haben, um die sprunghaft gestiegene Online-Nachfrage zu bewältigen, sehen sich die anderen mit Kurzarbeit konfrontiert. Der Reflex, in einer solchen Situation mit aller Kraft auf die Kostenbremse zu treten ist verständlich, aber im Digital Marketing riskant. 

Wer die Krise gut bewältigt, geht gestärkt in die Zukunft. Was also ist zu tun?

Die Kommunikation auf der Homepage ist gefragt: Aktuell, verständlich und vertrauensbildend. Nutzen Sie dafür nicht nur die Startseite. Eine Landingpage, auf der Sie die aktuellen Entwicklungen nachführen, hilft zusätzlich. Wenn Sie bereits Info-Updates verschickt haben, deponieren Sie diese hier. Auch ein FAQ hilft, die brennenden Fragen übersichtlich zu beantworten.

Wenn Sie vom Lockdown betroffen sind, lassen Sie das auch Googly MyBusiness wissen. Viele Menschen suchen im Web nach dem, was jetzt noch zu haben ist und viele kleine Unternehmen sind dazu übergegangen, ausgehend von ihrem Kernangebot kreative Lösungen anzubieten. Blumenläden, die auf Vorbestellung den Strauß nach Hause liefern. Restaurants, die auf Take Away oder Home Delivery umgestiegen sind. Buchläden, die zwar bisher keinen Online-Shop hatten, Ihnen Ihr Lieblingsbuch jetzt aber doch gerne per Post nach Hause schicken oder mit dem Rad vorbeibringen.  

Schalten Sie jetzt aber Ihre Ads ab, verschwinden Sie von der Bildfläche und überlassen das Feld anderen.

Passen Sie Ihre Google Ads an und lassen Sie vor allem gerade jetzt kein Informationsvakuum entstehen. Steuern Sie die Erwartungen, indem Sie sagen, was noch geht, und was nicht. Schalten Sie jetzt aber Ihre Ads ab, verschwinden Sie von der Bildfläche und überlassen das Feld anderen. 

Die Zeit verunsichert auch Ihre Zielgruppen und viele Unternehmen stellen fest, dass in Social Media vermehrt gefragt und kommentiert wird. Hier ist es von Vorteil, wenn Sie auf das FAQ auf Ihrer Homepage verweisen können, damit Sie nicht die immer gleichen Fragen beantworten müssen. Denken Die daran, diese um die Fragen aus der Community zu ergänzen. Lassen Sie Ihre Community nicht allein. Jetzt ist nicht nur Information gefragt, sondern auch Unterhaltung. So hat zum Bespiel die Rezeptplattform Betty Bossi mit einer Insta Story gezeigt, wie über Tage hinweg, gemeinsam (wenn auch remote), ein Sauerteig angesetzt und genährt wird.

Lassen Sie Ihre Community nicht allein. Jetzt ist nicht nur Information gefragt, sondern auch Unterhaltung.

Pushen Sie mit Werbung, was noch funktioniert. Im Online-Shop sind manche Angebote möglicherweise nur noch schwer verfügbar, andere Produkte hingegen gut erhältlich. Lenken Sie die Aufmerksamkeit um und bewerben Sie jetzt, was noch gut läuft. Auch wenn es weh tut: Es geht jetzt primär um Liquidität und nicht um Rentabilität. Das erfordert ein Umdenken. 

Krisen verändern den Umgang mit Kennzahlen, welche das Marketing und das Unternehmen steuern. Überlegen Sie sich genau, welche Daten jetzt für Sie wichtig sind. Bereiten Sie diese im Google Data Studio so auf, dass Sie in der Lage sind, diese sehr engmaschig, und vermutlich in deutlich engere Frequenzen wie vor der Krise, zu überwachen und steuernd einzugreifen. 

Auch wenn Sie sich das heute nicht vorstellen können: Diese Krise geht vorbei und vielleicht schneller, als wir denken. Wenn die Menschen an die Arbeitsplätze zurückströmen und der Konsum wieder zunimmt, wird Digital Marketing eine immense Rolle spielen. Dann sollten Sie bereit sein. Bereiten Sie sich jetzt auf die Zeit danach vor. Sie werden vermutlich nicht Ihre Kommunikation hochfahren, als ob nichts geschehen wäre. Überlegen Sie sich schon heute, in welcher Tonalität Sie sprechen wollen, wie Sie Ihre Kunden reaktivieren wollen, mit welchen Aktionen und Promotionen Sie diese zurückholen aber auch, wie Sie künftig Ihre Budgets auf die verschiedenen Touchpoints auslegen wollen. 

Die Lage verändert sich dauernd, teils ausgelöst durch behördliche Vorgaben oder Veränderungen in der Lieferkette. Bleiben Sie also dran, behalten Sie sämtliche Touchpoints engmaschig im Auge und passen Sie Ihre Massnahmen laufend an den sich verändernden Kontext an.  

Lesen Sie die Empfehlungen für Maßnahmen im Detail.