Wir Messies

Laufend fügen wir Inhalte hinzu und so gut wie nie entfernen wir sie wenn sie irrelevant geworden sind oder veraltet. Das ist auch nicht weiter erstaunlich, schreibt Jens Jacobsen in seiner neuesten UPLOAD-Kolumne: Schließlich werden wir schon von klein auf an dafür gelobt, wenn wir Neues schaffen. Warum das aber problematisch sein kann, erklärt er hier.

(Generiert mit SDXL)

Ich habe ein schlechtes Gewissen. Mit jedem Tastendruck wird es schlimmer. Ich produziere mehr und mehr Content. Ist das verantwortbar?

Dieses Bekenntnis wirkt auf alle, die selbst Inhalte produzieren vermutlich erstaunlich. Es steckt ganz tief in uns allen drin, Produzieren zu wollen. Schon als kleine Kinder lernen wir, dass Produzieren super ist. Ein tolles Bild? Strahlen bei den Eltern. Ein hoher Bauklotz-Turm? Lob ist garantiert. Ein Kuchen gebacken? Ungebremste Freude.
Wenn wir dagegen Bilder zerreißen, Türme einstürzen lassen oder Kuchen durch die Gegend werfen, gibt es meist Ärger. Und Aufräumen? Das macht kaum ein Kind freiwillig.

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Im Berufsleben bleiben diese kindlichen Vorlieben und Abneigungen genau so erhalten. Die starke Betonung auf dem Schaffen von Neuem findet sich in praktisch allen Unternehmen. Innovation, neue Ideen, Projekte, das sind Dinge, mit denen wir auf uns aufmerksam machen. Wenn wir aufräumen oder löschen, werden wir dabei kaum beachtet. Oder wir handeln uns sogar schlechte Metriken ein, weil die oft ans Erschaffen von Neuem gekoppelt sind und meist nicht einmal die Qualität des Ergebnisses berücksichtigen. Und schon gar nicht die Tatsache, wenn wir vielleicht Überflüssiges, Veraltetes oder sogar Falsches gelöscht haben.

Aber warum ist das überhaupt ein Problem?

Das Hauptproblem bei digitalem Content ist, dass jeder Inhalt, den wir neu erstellen, die Sichtbarkeit der bestehenden Inhalte verschlechtert. Die Suche nach dem, was wir suchen, wird damit schwerer und schwerer.

Das Hauptproblem bei digitalem Content ist, dass jeder Inhalt, den wir neu erstellen, die Sichtbarkeit der bestehenden Inhalte verschlechtert.

Natürlich helfen gute Suchfunktionen auf der eigenen Site, ein wohlstrukturiertes Menü und gut gepflegte Verlinkungen. Und doch: Jede Option mehr, die ich Besuchenden anbiete, führt zu mehr mentaler Last für diese. Biete ich ihnen einen Artikel für ein Thema an, müssen sie nur entscheiden, ob der Teaser für sie so klingt, als würde sich der Klick lohnen. Schon wenn ich zwei Alternativen habe, müssen sie eine Entscheidung treffen – welchen Inhalt nutzen sie (zuerst)? Biete ich mehr als drei, vier Optionen, dann werden die meisten Besuchenden die Liste gar nicht mehr genau ansehen, sondern sie bestenfalls überfliegen – oder sie nehmen einfach den ersten.

Löschen wäre also ein Dienst an denjenigen, die unsere Inhalte nutzen sollen. Und es wäre ein Dienst an uns selbst. Denn auch wir tun uns schwer damit, den Überblick zu behalten, die relevanten Dinge zu finden. Und je mehr Inhalte wir haben, desto größer ist die Gefahr, dass nicht mehr Aktuelles online steht, dass wir doppelte Inhalte haben, die verwirren – und auch unser Suchmaschinenranking verschlechtern.

So gut meine Inhalte auch sein mögen: Jedes neue Stück verringert den Wert der vorhandenen. Natürlich ist eine Website mit nur einem einzigen Blogpost nicht die Lösung. Natürlich sind viele Informationen sehr, sehr wichtig. Und natürlich können wir auch ein Thema von mehreren Seiten beleuchten, mehrere Aspekte davon aufgreifen und Zusatzinfos liefern, die nützlich sind. Es geht nicht um Inhalts-Askese. Es geht um Content-Produktion mit Hirn. Und ums Nachdenken bevor man loslegt.

Es geht nicht um Inhalts-Askese. Es geht um Content-Produktion mit Hirn. Und ums Nachdenken bevor man loslegt.

Ich habe vor ein paar Wochen einen Artikel für meinen Newsletter geschrieben, der mir recht leicht von der Hand ging. Als ich fertig war, habe ich in meinem Blog nachgesehen, welche älteren Beiträge ich verlinken könnte. Dabei musste ich feststellen: Exakt das gleiche Thema hatte ich vor ein paar Jahren schon einmal. Schlau wäre gewesen, vor dem Schreiben nachzusehen. Dann hätte ich den vorhanden Beitrag aktualisieren können, ich hätte ihn löschen können oder ich hätte ein anderes Thema wählen können.

1.011 Beiträge stehen mittlerweile auf meinem Blog. Selbst wenn ich Gedächtnisweltmeister wäre, wäre es unmöglich für mich, die alle im Kopf zu haben.

Weltweit gibt es derzeit über eine Milliarde Websites. Die meisten scheinen weniger Seiten zu haben als mein Blog – 15 Milliarden Seiten sind im Index des Suchmaschinenoptimierers Ahrefs. Und jeden Tag findet er 10 Millionen Seiten mehr. Und: die meisten Sites sind entweder nicht relevant oder werden nicht aktiv betrieben. Hier müsste man mal ordentlich aufräumen.

Diese unvorstellbare Masse an Daten bedeutet auch ein Nachhaltigkeitsproblem. Eine einzelne Seite, ein Foto, oder auch ein Video machen nicht viel aus. Aber das potenziert sich. Neben den Suchmaschinenoptimierern speichern natürlich vor allem die Suchmaschinen Google, Bing, Yandex & Co Daten unserer Inhalte. Die Wayback-Machine als Internetarchiv ebenso. Und bei größeren Sites spielen auch die Content Delivery Networks (CDNs) eine Rolle, die Inhalte größerer Sites zwischenspeichern, damit sie schneller bei den Nutzenden sind – was auch positive Effekte haben kann, aber tendenziell eher nicht hat. Und Backups gibt es ja auch noch …

Das Thema Social Media will ich gar nicht auch noch tiefer betrachten – es schwirrt sowieso schon der Kopf. Nur so kurz: Auf Instagram, Facebook, X/Twitter, Mastodon oder LinkedIn tauchen unsere Inhalte weitere Male auf, und werden auch dort wieder zwischengespeichert, indexiert, archiviert und gesichert.

Ich persönlich habe mir jedenfalls vorgenommen, jedesmal, bevor ich neuen Inhalt erstelle, nachzusehen, welchen ähnlichen alten ich bei mir entsorgen, recyceln oder verknüpfen könnte.

Und meine digitale Fotosammlung auf der Festplatte zu entrümpeln. Man muss sich ja ab und zu mal eine echte Challenge suchen.

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Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 114

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