Das Startup plenigo aus München setzt darauf, dass an Paid Content im Netz letztlich kein Weg vorbei führt – zumindest als ein Refinanzierungsmodell neben anderen. Das Unternehmen bietet deshalb Verlegern und anderen „digitalen Publizisten“ ein möglichst einfach zu integrierendes und trotzdem funktionsreiches System genau für diesen Zweck an. Im E-Mail-Interview mit uns erklärt Geschäftsführer Thorsten Petter, unter welchen Bedingungen Micropayment und Bezahlschranken funktionieren und wie sich die Denkweise in Verlagen dazu verändern muss.
Zu plenigo und seiner Vorgeschichte: Wer sind die Gründer und wie kam es zu der Idee?
Die Idee zum Start eines Paid-Content-Services ist schon ca. 6 Jahre alt. Mein Kompagnon Maximilian Schweitzer war zu dieser Zeit an der technischen Umsetzung von Paid Content in einem großen deutschen Verlag beteiligt. Das Ergebnis: Ein langes und teures Projekt mit zweifelhaftem Nutzen für den Leser und ein wirtschaftlicher Reinfall. Damals kam die Idee auf, dass dies auch anders gehen müsste. Dass Maßnahmen für eine notwendige Veränderung in der Verlagswelt anstanden, lag auf der Hand.
Vier Jahre lang hat Maximilian dann an dem Prototypen eines Micropayment-Dienstes gebaut – neben seinem normalen Job, inzwischen als Software-Architekt bei einem großen TV-Sender. Ein Projekt des TV-Senders, in das wir beide involviert waren, führte dazu, dass wir uns kennenlernten. Damals hat er mir von der Idee erzählt. Nach Abschluss des Projektes haben wir uns entschieden, aus dem Hobby ein Startup zu machen.
Schnell wurde klar, dass ein reiner Micropayment-Dienst nicht die richtige Antwort ist. Anbieter brauchen viel mehr Individualität bei der Gestaltung ihrer Angebote. Ende 2013 haben wir dann mit der Umsetzung von plenigo in der jetzigen Form begonnen.
Wir betrachten das Projekt aus zwei Perspektiven. Erstens: Wie können wir Lesern den an sich unangenehmen Vorgang des „Bezahlen müssens“ so wenig schmerzhaft wie möglich machen? Denn seien wir ehrlich: Die bisherigen Bezahlsysteme waren kompliziert, langwierig und damit garantiert nicht sexy. Hinzu kommt, dass die grundsätzliche Bereitschaft für digitale Inhalte zu bezahlen, beim Kunden erst akzeptiert und entwickelt werden müssen. Zweitens: Was brauchen unsere Kunden, die Verkäufer digitaler Inhalte? Wie machen wir diesen die Umsetzung ihrer individuellen Strategie so einfach wie möglich? Wie können wir sicherstellen, dass Autoren nicht zusätzlich belastet werden, sondern eher ihre Arbeit im besten Wortsinn mehr „wertgeschätzt“ wissen? Was müssen wir bereitstellen, damit neue Produkte im Vertrieb und nicht in der Technik angelegt werden können?
Und warum gerade jetzt?
Paid Content muss sich durchsetzten, dazu gibt es keine Alternative. Wenn wir nicht wollen, dass die professionelle Vielfalt von Inhalten verschwindet, müssen wir als Leser erkennen, dass dies nicht in einer Gratiskultur geht. Erst Recht nicht in einer digitalen Welt, in der durch Aggregatoren wie Pocket oder Flipboard oder schlicht durch Adblocker die ohnehin unzureichenden Werbeeinnahmen immer weiter sinken.
Enorme Aufbruchstimmung und viel Kreativität
Mit der zunehmenden Verbreitung von Paid-Angeboten steigt langsam aber sicher auch die Akzeptanz. Bisher waren professionelle technische Umsetzungen aber teuer und langwierig, für viele Publisher damit nicht darstellbar. Mit unserer Lösung haben Anbieter jeder Größe die Möglichkeit, schnell, flexibel, professionell und profitabel Inhalte gegen Bezahlung anzubieten. Aktuell herrscht eine enorme Aufbruchstimmung und viel Kreativität in der Welt der digitalen Inhalte.
Oft hört man die generelle Aussage: Bezahlschranken funktionieren nicht, Nutzer wollen Inhalte kostenlos. Und dafür gibt es tatsächlich sehr viele Beispiele. Aber Sie sind da offensichtlich anderer Meinung. Erklären Sie doch einmal, warum.
Erst letztens habe ich im Zusammenhang mit Paid Content einen Artikel mit der Headline gelesen: „Den Porsche aus dem Schaufenster gibt es auch nicht kostenlos.“ An dieser Stelle versteht das jeder oder muss zumindest einsehen, dass der Konsum eines speziellen Produktes nicht ohne Gegenwert geschehen kann.
Nun hat diese Medaille zwei Seiten: Zum einen ist das Erstellen von digitalen Inhalten genauso mit Arbeitsaufwand für die verbunden. Die Menschen, deren Beruf das ist, müssen ebenso ihre Miete bezahlen und ihren Lebensunterhalt bestreiten wie die Menschen, die den Porsche bauen. Andererseits stellt Porsche aber auch ein einzigartiges und begehrtes Produkt her. Das ist in den Medien vielfach nicht der Fall. Für austauschbare Nachrichten, die ich inzwischen schneller in sozialen Netzwerken finde, gibt es kaum Zahlungsbereitschaft. Wenn das Produkt nicht stimmt, sind die Kunden nicht bereit zu zahlen.
Was sind denn Ihre Gegenbeispiele, dass Kunden doch bereit sind, für digitale Inhalte zu bezahlen?
Das banalste Beispiel ist die Stiftung Warentest. Ganz offen: Natürlich zahle ich auch nicht zwingend gern für Inhalte, gerade wenn sie anderswo gratis sind. Aber: Wenn ich weiterhin Qualität möchte, muss ich meine eigene Einstellung dazu verändern.
Jahrelang galt Pay-TV in Deutschland als unmögliches Modell
Zwei weitere Bespiele, die belegen, dass dies funktioniert: Pay-TV und Musik. Musik mit neuen Angebotsmodellen, erst iTunes, nun Spotify oder Apple Music. Noch spannender aber verhält sich das im Bereich Pay-TV: Jahrelang galt Pay-TV in Deutschland als unmögliches Modell, insbesondere aufgrund der Macht unserer öffentlich-rechtlichen Sender. Vier Dinge haben dazu beigetragen, dass eine Vielfalt von Pay-TV-Angeboten immer erfolgreicher wird. Erstens: „Ease of Use“. Angebote kommen aus den Arbeitszimmern mit Computern ins Wohnzimmer auf den Fernseher, sind mit der Fernbedienung intuitiv zu nutzen und inzwischen auf allen Geräten verfügbar. Zweitens: Qualität der Inhalte. Egal ob die Bundesliga als Monopolangebot von Sky in aufwendiger Präsentation, Hollywood Blockbuster auf Maxdome, iTunes oder Qualitätsserien bei Netflix. Statt mich durch die Musikantenstadl zu quälen zahle ich dann gern für gute Unterhaltung. Drittens: Die Ausbreitung des Internet in alle Lebensbereiche. Fernseher sind internetfähig und ermöglichen ganz neue Nutzungserlebnisse. Tablets, Smartphones und Apps ermöglichen TV- und Videostreaming quasi überall. Viertens: Unabhängigkeit. Nicht durch Sendezeiten gebunden zu sein, Serienfolgen zu verpassen etc. hat einen Wert und Menschen sind bereit, für diesen Komfort zu zahlen.
Nun mag Ihnen das etwas weit weg vorkommen von „Bezahlschranken“. Aber es gibt eine Vielzahl von Parallelen: Wie bei digitalen Inhalten herrschte in der Fernsehwelt der Gedanke vor, weil es so viel kostenlose Inhalte gibt, haben Bezahlangebote keine Chance. Die Fernsehwelt hat gezeigt, dass es trotzdem funktionieren kann, also warum soll es nicht auch in der Verlagswelt umsetzbar sein?
Wenn Sie an Beispiele für funktionierende Bezahlschranken denken: Gibt es dort Gemeinsamkeiten, also so etwas wie Best Practices? Oder sind die Erfolgsfaktoren jeweils zu individuell?
Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Für gute und einzigartige Produkte sind Leser bereit zu zahlen. Qualität bezieht sich sowohl auf Inhalt als auch Form der Präsentation.
Für gute und einzigartige Produkte sind Leser bereit zu zahlen.
Die Stiftung Warentest ist ein Beispiel für das Thema „Exklusivität“. Unser Kunde SegelReporter.com hat ein inhaltlich tolles Produkt, von leidenschaftlichen Seglern für Segelenthusiasten gemacht und die Leser honorieren dies. Die Rheinische Post ist ein Beispiel für Konsequenz und Transparenz. Die „Bild“ genauso wie die Süddeutsche haben sich für eine High-Tech-Lösung entschieden, die Prinzipien aus E-Commerce und Social Media für den Verkauf digitaler Medien anwendet. Keines der Beispiele taugt als schlicht kopierbare Vorlage.
Die Einführung von Paid Content ist ein individuelles und sehr am eigenen Produkt und der Leserschaft zu orientierendes Unterfangen. Es verlangt Engagement, Mut, Flexibilität, Liebe zum Produkt und die Orientierung am Kunden. Dabei geht es darum, sich die Methoden der Internetwelt zu eigen zu machen: Erstens: „Don’t have an opinion, trust your data.“ Meint: Daten sind der entscheidende Rohstoff, um den Leser kennenzulernen und in Kombination mit einem tollen Produkt aus Besuchern begeisterte Kunden zu machen. Amazon funktioniert schon lange so. Zweitens: „Launch early and often, fail fast and cheaply.“ Projekte werden schon von allein kompliziert. Starten Sie schnell und leicht, lernen und verbessern sie flexibel und dynamisch. Fertig werden sie sowieso niemals.
Und gibt es andersherum betrachtet typische Fehler, wenn es um Bezahlschranken geht? So manches Projekt ist schließlich gescheitert oder hinter den Erwartungen zurückgeblieben.
Wir glauben, dass es ein paar Grundregeln gibt, deren Missachtung garantiert in den Misserfolg führen. Erstens: Behandle deine Leser wie gute Gäste und ermögliche ihnen positive und einzigartige Erlebnisse. Zweitens: Beherrsche die richtigen Kniffe: Wer ist der „Gast“ = „Leser“? Begegnen Sie ihm freundlich, aufmerksam? Hören Sie zu und respektieren seine Bedürfnisse? Bieten Sie ihm den bestmöglichen Service, wo er schon bei Ihnen „zu Gast ist“? Denn wenn nicht, geht er sicher beim nächsten Mal woanders hin.
Hierzu ein kurzes Negativbeispiel: Im Rahmen unserer Kundenansprache sind wir auf eine Zeitung im östlichen Ruhrgebiet gestoßen. Nach kurzem Gespräch hat man uns abgewinkt, man hätte bereits ein Bezahlangebot. Als wir das ausprobieren wollten, bekamen wir eine E-Mail-Nachricht: Zur Aktivierung unseres Kontos sollte man die Hotline anrufen. Was schon kaum zu glauben war gipfelt darin, dass diese nur von Montag bis Freitag, 9:00 bis 17:00 Uhr erreichbar ist. Dazu gibt es nicht viel zu sagen.
Drittens: Kenne als Medium deine eigene Identität und steche aus der Masse heraus: Die immer gleichen Nachrichten? Vielleicht okay, wenn es nur bei Ihnen die besonderen, zum Beispiel lokalen Nachrichten gibt. Ansonsten: Wer ist Ihr Leser? Warum wählt er gerade Sie? Wer ist Ihr Wettbewerb? All die Fragen, die sich Marketing-Profis zum Beispiel in der Konsumgüter-Branche jeden Tag stellen.
Welche Überlegungen muss es dann also intern geben, welche Informationen werden gebraucht, bevor man eine Bezahlschranke einführt?
Wer bin ich (als Medium)? Wer sind meine Leser oder Zuschauer? Was erwarten sie? Wie kann ich Ihre Erwartung übertreffen? Wie unterscheidet sich mein Angebot von Alternativen, die ein Leser hat? Welche Argumente habe ich, damit er ausgerechnet bei mir/uns zum „Shoppen“ kommt?
Erst dann kommen die nächsten Fragen: Welches ist mein Geschäftsmodell? Welche Angebote will ich starten? Wie stelle ich sicher, dass ich schnell und flexibel testen und reagieren kann? Habe ich Alternativen, die ich ins Rennen schicken kann? Welche Geräte nutzen meine Leser? Ist das Nutzungserlebnis minimal invasiv? Wie gehe ich mit dem Verlust von Reichweite um, besonders intern? Sie werden einen längeren Atem brauchen und sich auf Gegenwind einstellen müssen. Sind Sie darauf vorbereitet?
Das sind viele, aber an sich einfache und grundsätzliche Fragen, die zu beantworten sind. Erst dann geht es darum, wie viele Meter Views sind optimal? Wie gehe ich mit Inhalten auf Social Media um?
Welche Rolle sehen Sie in Zukunft für Bezahlschranken für die Refinanzierung von (journalistischen) Inhalten – also im Wettbewerb mit oder als Ergänzung zu klassischer Bannerwerbung, Sponsoring/Native Advertising, Micropayment und anderen? Auf welche Entwicklung wetten Sie mit plenigo?
Mit plenigo wetten wir auf die Zukunft. ;-) Vorweg geschickt: Wir sehen Micropayment als eine Form von Paid Content und unsere Kunden haben die Möglichkeit, mit plenigo auch Micropayment-Angebote abzubilden. Paid Content wird wie in der realen Verlagswelt eine wichtige Ertragssäule neben Werbung sein, das steht für uns außer Frage.
Paid Content wird eine wichtige Ertragssäule neben Werbung sein
In diesem Zusammenhang drängt sich uns eher eine andere Frage auf: Wie weit sind Verleger bereit, in der digitalen Welt ihre eigenen Marken aufzugeben? Wenn nur noch der Inhalt selbst zählt, weil er über Facebook, Blendle oder newscase, um nur ein paar Beispiele zu nennen, gelesen wird, tragen die Leser aktiv dazu bei, neue, digitale Lesermarken zu etablieren und diese mit eigenen Inhalten zu befeuern. Bitte verstehen Sie das nicht falsch: Mit Ausnahme des Themas Facebook finden wir die neuen, kreativen Angebote großartig: Sie sind gut gemacht, setzen den Leser ins Zentrum und sind konsequent digital. Aber als Verlag müssen Sie sich dennoch Gedanken darüber machen, wie Sie Ihr eigenes Angebot attraktiver machen können, statt zum reinen Lieferanten von Inhalten zu werden.
Wir wetten darauf, dass Verlage dies erkennen und neben den „Outlets“ konsequent auch guten eigenen Inhalt entwickeln und lernen, diese professionell und konsequent zu vermarkten. Gern mit unserer Unterstützung.
Und abschließend noch zu plenigo: Wie sieht Ihr Geschäftsmodell aus? Wie sind Sie aktuell finanziert?
Unsere Kunden mieten die plenigo Plattform zu günstigen monatlichen Beträgen und beteiligen uns an ihren Umsätzen. Sie erhalten so ohne Investitionsrisiko eine Plattform mit dem Funktionsumfang, der dem, den die NewYork Times nutzt, in nichts nachsteht – für einen Bruchteil der Kosten. Die variable Beteiligung ermöglicht es quasi vom Start weg profitable Angebote zu entwickeln.
Die bisherige Entwicklung haben wir in Eigenleistung und mit Unterstützung zweier Business Angels gestemmt, zunehmend tragen nun unsere Kunden auch dazu bei.
- Weitere Informationen finden sich auf plenigo.com
Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 24
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1 Gedanke zu „Startup-Interview plenigo: „Paid Content muss sich durchsetzen““
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