Die Aufmerksamkeitsspanne verkürzt sich immer mehr. Wie passt es da zusammen, dass auf YouTube lange Videos boomen und sogar TikTok auf längeren Content setzt? Simon Kaiser ist Geschäftsführer der YouTube-Agentur Klein aber und erklärt dir in seinem Beitrag, was der Inhalt der Videos damit zu tun hat und was genau das für Marken und Creators bedeutet.
Über 25 Jahre ist es her, dass Georg Franck den Begriff der „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ mit seinem gleichnamigen Buch prägte.
Dass die Aufmerksamkeit der Menschen ein knappes Gut ist, hat sich seither nicht nur weiter bestätigt, sondern noch zugespitzt. Täglich konkurrieren unzählige Medien in allen möglichen Formen, Lautstärken und Qualitäten um unsere Sinne.
Leidtragende sind sowohl Medienunternehmen als auch werbetreibende Unternehmen sowie Einzelpersonen, wie Influencer und Content Creators. Sie müssen sich einiges einfallen lassen, um die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zu lenken – und vor allem, um sie zu halten.
Es besteht weitgehend wissenschaftlicher Konsens darüber, dass Social Media die Aufmerksamkeitsspanne ihrer Nutzer*innen weiter verkürzt haben.
So bestätigte 2022 eine Metastudie des E-Learning-Innovationszentrums an der Universitat Oberta de Catalunya in Kooperation mit Accenture, dass die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne vom Jahr 2000 bis 2015 über alle Alters- und Bevölkerungsgruppen hinweg von 12 auf 8,2 Sekunden gesunken ist. Schnelles Durchscrollen und eine ausgeprägte Kultur des „Skippings“, des Vorspulens vermeintlich langweiliger Sequenzen, verschärfen den Effekt noch.
Da mag es anachronistisch wirken, dass ausgerechnet die Kurzvideo-Plattform TikTok jetzt längere Videos ermöglicht. Nach einer Verlängerung der möglichen Videolaufzeit auf 10 Minuten im vergangenen Jahr testet nun ausgerechnet die Plattform, die Ultra-Kurz-Content erst richtig populär machte, derzeit eine Laufzeit von bis zu 30 Minuten.
Als Vorbild dürfte TikTok dabei YouTube dienen – eine Plattform, die von ihren jungen Nutzer*innen im Schnitt 47 Minuten pro Tag genutzt wird. Dort boomen lange Videos und das ausgerechnet bei der Gen Z, der ja eine besonders kurze Aufmerksamkeitsspanne nachgesagt wird.
Dazu passt diese Erkenntnis:
„Im Zeitalter vermeintlich immer kürzerer Aufmerksamkeitsspannen und mundgerechter Inhalte ergab eine Ipsos-Umfrage aus dem Jahr 2022 unter Tausenden Angehörigen der Generation Z, dass Menschen dieser Generation mehr denn je bereit sind, sich stundenlange Videoinhalte zu Themen anzusehen, die ihnen wichtig sind. Egal, was die Leute mögen: Sie wollen mehr davon.“
Neuer Trend: Langformat-Videos auf YouTube stehen bei der Gen Z hoch im Kurs – Think With Google
In dem oben zitierten Artikel gehen Roya Zeitone, Head of Culture and Trends in Europe, the Middle East and Africa, und Earnest Pettie, Trends Insights Lead, dem Phänomen der langen Nutzungszeiten nach und heben vor allem das Super-Fan-Phänomen hervor.
Fan-Kanäle bieten Nutzer*innen die Möglichkeit, ihren spezifischen Interessen nachzugehen – seien es Musik, Serien oder abstruse Hobbys. Neben vertiefender Information bieten solche Kanäle zudem die Möglichkeit, mit Gleichgesinnten in Kontakt zu treten. Die Zuschauer*innen verbrächten mit den Creators Zeit wie mit guten Freund*innen, heißt es im Artikel. Einer solchen Gemeinschaft blieben Nutzer*innen lange treu, so eine Erkenntnis von YouTube-Betreiber Google.
Wichtig ist, dass Video-Creators, ob nun Einzelpersonen, Unternehmen oder Marken, ihre Zielgruppe gut kennen und wissen, mit welchen Inhalten sie sie lange bei der Stange halten.
Deshalb ist es so wichtig, Videokanäle genau auf eine Zielgruppe und die jeweilige Altersgruppe zuzuschneiden. In unseren eigenen Resultaten sehen wir, dass solche Videos viele Minuten lang geschaut werden und das sowohl als Werbung als auch organisch.
Zudem haben wir festgestellt, dass Longform-Videos zwischen 10 und 30 Minuten im Schnitt mehr Aufrufe erhalten, als kurze oder deutlich längere Videos.
Wir raten deshalb allen Content Creators: Nutzt lange Videos, um eure Zielgruppe möglichst lange bei euch zu halten. Sie erlauben es, im Gegensatz zu kurzen Videos, in die Tiefe zu gehen und einen höheren Mehrwert zu bieten.
Entscheidend ist nicht der schnelle Klick, sondern die Zeit, die Konsument*innen mit eurem Content und eurer Brand verbringen. Diese Watchtime ist letztlich der wichtigste KPI für euer YouTube-Engagement.
Natürlich muss man dafür auch Inhalte anbieten, die einen entsprechenden Mehrwert bieten, sei es Information, Unterhaltung oder einfach ein Zusammengehörigkeitsgefühl.
Perfektionieren können Creators ihre Video-Strategie übrigens, indem sie Short- und Longform-Content sinnvoll verbinden: Shorts können als eine Brücke hin zu längeren Videos dienen. Auch der YouTube-Algorithmus verbindet in seinen Empfehlungen mittlerweile beide Formate.
Die bereits genannte Studie von Google zeigt außerdem, dass sich 59 Prozent der von ihnen befragten Gen-Z-Gruppe längere Versionen von Videos mit fundierten Informationen, Erklärungen und Analysen ansieht, auf die sie über Kurzvideo-Apps gestoßen sind.
Das bedeutet, dass Zuschauer*innen wissen, was sie interessiert und begeistert. Sie wollen mehr über diese Themen erfahren und sind dementsprechend bereit, viel Zeit zu investieren.
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Fazit
Kurz gesagt: Bessere Videos machen, Bullshit weglassen. Meiner Meinung nach sinkt nicht die Aufmerksamkeitsspanne, sondern die Toleranz für minderwertige und schlecht gemachte Inhalte.
Wir akzeptieren nicht mehr, dass jemand zehn Minuten unserer Zeit mit Antextern, Moderation und Co. verschwendet, denn schnellere Alternativen sind nur einen Klick entfernt.
Werbetreibende, die sich die Aufmerksamkeit ihrer Zielgruppe sichern wollen, müssen demnach berücksichtigen, dass diese ein Bedürfnis nach tiefgründigen und für sie persönlich relevanten Videoerlebnissen hat. Und das kann auch bedeuten, dass Creator oder Marken, die Nischenthemen bedienen, abseits von Trends und Mainstream eine starke und engagierte Community aufbauen.
Dem müssen wir uns als Content Creator bewusst sein. Nur so können wir zu Gewinner*innen der Aufmerksamkeitsökonomie werden.
Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 113
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Simon Kaiser ist YouTuber, Gründer und Geschäftsführer von Klein aber, Deutschlands Nr. 1 YouTube-Agentur. Er berät Unternehmen zu ihren Videostrategien und wie sie ihre Kanäle erfolgreich aufsetzen, bespielen und vermarkten.
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