Kolumne: Hilfe, ChatGPT nimmt mir die Leserschaft weg!

Bei der Diskussion rund um KI-Werkzeuge wie ChatGPT denken Content-Marketer oftmals zuerst an sich selbst: Wie kann mir ein solcher smarter Assistent bei der Arbeit helfen? Oder nimmt er sie mir etwa künftig weg? In seiner neuen Kolumne schreibt Jan Tißler nun über einen anderen Aspekt, der bislang nicht so häufig bedacht wird: Was passiert, wenn die eigene Leserschaft in den nächsten Jahren solche Assistenten ebenfalls mehr und mehr benutzt? Wie müssen sich die Content-Strategie und hier insbesondere das Content-Marketing verändern?

(Illustration: © studiostoks, depositphotos.com)

ChatGPT zwischen Hype und Revolution

ChatGPT auszuprobieren, war für mich ein Erlebnis, das ich mit zwei anderen Momenten aus meiner Karriere als Tech-Journalist und Nerd vergleichen kann: Als ich das erste Mal Google benutzt habe und als ich das erste iPhone selbst ausprobieren konnte.

Sowohl Google als auch das iPhone waren in ihrer ersten Version dabei längst nicht so ausgefeilt und allmächtig wie sie später noch sein würden. Aber in beiden Fällen zeigten sie sofort, wohin die Reise gehen würde. Im Kern waren sie revolutionär: Google mit seiner simplen Oberfläche und das iPhone mit seiner Multitouch-Fingerbedienung. Beides scheint heute selbstverständlich.

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Andere Hypes wie etwa Virtual und Augmented Reality hatten diesen Moment bislang nicht: Sie sind heute eher interessante Techdemos. Ihr Nutzen im Alltag ist noch begrenzt und ihr Potenzial liegt weiterhin einige Jahre in der Zukunft.

Andere KI-Schreibwerkzeuge vor ChatGPT waren für mich eher wie Virtual Reality: Sie waren ganz nett für ein, zwei Aufgaben, aber nichts, was sich fest in meinen Alltag integrieren würde. Ich hatte deshalb auch einen kritischen Artikel dazu verfasst, da mir der Hype um diese Werkzeuge immer deutlich zu weit ging. Die Ergebnisse waren einfach nie so gut, wie andernorts gern behauptet.

Man kann mir also hoffentlich nicht vorwerfen, dass ich Hypes kritiklos folge. Ich bin sicher nicht immun dagegen, einmal von der Begeisterungswelle mitgerissen zu werden. Aber mir ist es wichtig, eine kritische Distanz zu behalten. Ich habe vor einigen Jahren hier bei UPLOAD genauer erklärt, wie Hypes eigentlich entstehen und wie man sie erkennt.

Mit alldem als Vorrede: Bei ChatGPT hatte ich ein Aha-Erlebnis, das meiner Meinung nach viele andere in den nächsten Jahren ebenfalls haben werden – Menschen außerhalb der Tech-, Nerd-, Marketing-, Content-Kreise.

Was, wenn KI-Assistenten selbstverständlich werden?

Ich glaube also: Deine Zielgruppen werden entdecken, wie angenehm es sein kann, einen Assistenten wie ChatGPT zur Seite zu haben.

Warum das so ist, erklärt sich anhand meines Aha-Erlebnisses mit ChatGPT. Es hatte zwei Stufen:

  1. Wow, dieser „Chatbot“ versteht nicht nur, was ich ihn frage, sondern er hat zudem sinnvoll formulierte, detaillierte Antworten parat. (Dieses „Wow“ hat sich nach längeren Tests etwas relativiert, aber der Fortschritt gegenüber frühren Chatbots ist dennoch enorm.)
  2. Wow, es ist so viel schöner, ChatGPT etwas zu fragen, als eine Google-Suche zu bemühen.

Punkt 1 ist, wie erwähnt, heute nicht perfekt. KI-Werkzeuge verbreiten etwa mit großer Selbstsicherheit Falschinformationen. Oder sie verstärken Vorurteile, die sie in ihren Trainingsdaten vorgefunden haben. Außerdem ist es für einen Einsteiger nicht einfach, ein klar definiertes Ergebnis zu erzielen: Die „Benutzeroberfläche“ von ChatGPT ist eher mit der Befehlszeile von DOS zu vergleichen. Sie entfaltet ihr Potenzial also vor allem Eingeweihten.

Angesichts der technischen Fortschritte der letzten Jahre bin ich optimistisch, dass sich viele dieser Probleme und Kritikpunkte in absehbarer Zukunft aus dem Weg räumen lassen. Das passiert sogar bereits. So gibt es beispielsweise Ansätze dafür, dass KI-Assistenten ihre Aussagen mit Quellen belegen, die sich überprüfen lassen.

Punkt 2 ist für mich der eigentliche Google- oder iPhone-Moment, dessen Auswirkungen wir über die nächsten Jahre sehen werden. Er kann aus meiner Sicht spürbare Auswirkungen aufs Content-Marketing haben. Manches davon, was heute selbstverständlich zur Content-Arbeit gehört, würde dann überflüssig.

Was ChatGPT & Co. so interessant macht

Warum ist das so? Wenn ich ChatGPT etwas frage, bekomme ich direkt eine Antwort. Je nachdem, wie ich meine Frage formuliere, passt sich die Antwort an. Ich kann ChatGPT etwa bitten, es in einfachen Worten zu erklären, sich kurz zu halten oder im Gegenteil ins Detail zu gehen. Ich kann außerdem Folgefragen stellen zu Dingen, die ich noch nicht verstanden habe oder genauer wissen möchte. Und das alles passiert ohne Cookie-Banner, blinkende Werbung, Newsletter-Popups, Affiliate-Links oder „Call to Actions“. 

Man vergleiche das mit deiner typischen Google-Suche:

  1. Als erstes musst du dir überlegen, wie du deine Suche formulierst, um die richtigen Ergebnisse zu erhalten.
  2. Auf der Ergebnisseite wirst du inzwischen mit einem chaotischen Mischmasch aus Werbeanzeigen, Links auf Websites, Informationskästen und weiteren Hinweisen konfrontiert, die dir deine Suche erleichtern sollen. Alles das macht es aber enorm unübersichtlich. 
  3. Als nächstes musst du schauen, ob du deine Antwort bereits auf der Suchergebnisseite findest und diese Antwort ausreicht. Falls nicht, musst du entscheiden, welchen der vielen dargebotenen Links du klickst. Wo verbirgt sich wohl am ehesten die Antwort, die du suchst?
  4. Klickst du auf einen Link, geht das Spiel weiter: Erst einmal das Cookie-Banner wegklicken. Nein, ich möchte den Newsletter nicht abonnieren, bevor ich eine volle Sekunde auf der Website war. Ja, ich nutze einen Adblocker und, nein, ich werde das nicht ändern für eine Seite, die ich kaum zwei Sekunden kenne. Oh, aha, der Artikel ist eigentlich nur ein Vehikel, um mir Affiliate-Links unterzuschieben. Außerdem hat er das aktuelle Jahr im Titel, aber die Informationen sind veraltet. Klick zurück zu Google. Nächster Link. Spiel von vorn.
  5. Nach und nach stellst du fest, dass immer mehr Inhalte nur für Google optimiert sind und nicht für dich als Leser:in. Da fängt jeder Artikel bei Adam und Eva an, anstatt dir eine einfache Antwort zu geben: Schließlich mag Google ausführlichen Content, heißt es, und die Konkurrenz hat schon 10.000 Zeichen geschrieben, da müssen jetzt mindestens 15.000 Zeichen her. Dass das so nicht stimmt, sei mal dahingestellt. Aber Google hat solches Verhalten in der Vergangenheit zu häufig belohnt.

Sicher ist meine Darstellung hier überspitzt. Die Google-Suche ist weiterhin nützlich – aber eben nicht in jedem Fall. KI-Assistenten könnten sich hier als eine Ergänzung etablieren und sogar als Alternative. So sehen es auch die Tech-Riesen: Microsoft hat ChatGPT bereits in die eigene Suchmaschine Bing und andere Dienste integriert. Google kontert mit seinem Assistenten Bard.

Die Auswirkungen aufs Content-Marketing

Gerade SEO-getriebenes Content-Marketing wird es zu spüren bekommen, wenn die eigene Leserschaft lieber Googles Bard oder eben ChatGPT nutzt, anstatt eine Suchmaschine.

Schließlich bemüht sich so manches Content-Team heute darum, alltägliche Fragen zu beantworten, um die Zielgruppe auf die eigene Seite zu bekommen. Einfache Fragen aber beantwortet Google heute bereits direkt auf der Ergebnisseite. „Zero Klick“-Suchen haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen: Menschen suchen etwas auf Google und finden sofort die Antwort.

KI-Assistenten können nun komplexere Fragen beantworten. Dabei werden sie vielleicht hier und da auf ihre Quellen verweisen. Aber die werden längst nicht immer gebraucht. Insofern lieferst du Material für die Antworten, bekommst aber seltener eine Belohnung in Form von Klicks.

Das ist ärgerlich und du kannst dich darüber natürlich empören. Du kannst auch versuchen, dich gegen diese Entwicklung zu stemmen.

Oder du kannst akzeptieren, dass die Reise in diese Richtung geht und überlegen, wie du am besten darauf reagierst.

Was bleibt nun zu tun?

Als erstes müssen Content-Teams aus meiner Sicht verstehen, welche Fragestellungen zukünftig wohl eher von einem KI-Assistenten beantwortet werden und wo es die besten Chancen für von Menschen erstellte Inhalte gibt.

Dabei ist es wichtiger denn je, Persönlichkeit und Individualität zu betonen. KI-Assistenten haben schließlich keine eigenen Erfahrungen, keine eigene Perspektive, keine eigenen Meinungen. Die aber sind auch in Zukunft weiterhin gefragt.

Achte also darauf, selbst in Erscheinung zu treten oder interessante Menschen zu Wort kommen zu lassen. 

Nutze Inhaltsformate, die ein KI-Assistent so nicht sinnvoll und glaubwürdig bieten kann: Reportage, Interview, Essay, Kommentar und viele andere. Ich stelle sie in einem eigenen Artikel vor.

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Versuche außerdem noch mehr als bisher, dir ein Publikum aufzubauen. Denn die Menschen, die auf deine Seite kommen, sind wertvoller denn je: Wenn sich KI-Assistenten in der breiten Masse durchsetzen, wird die Zahl der Klicks auf Websites spürbar zurückgehen.

Überlege dir, was du diesem Publikum bieten kannst. Communities könnten hier etwa eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Zu dem Thema haben wir noch in diesem Jahr eine eigene Ausgabe geplant. Möchtest du dazu auf dem Laufenden bleiben, trage dich in unseren montäglichen Newsletter ein!

Noch kritischer als bisher sehe ich persönlich allerdings Content-Marketing, das allein durch SEO gesteuert wird. Besser als Search Engine Optimization wäre da aus meiner Sicht Human Reader Optimization.

Oder idealerweise beides zugleich, wie Falk Hedemann in seinem Beitrag beschrieben hat.


Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 108

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