Smart Work: Das Home-Office ist nur ein Zwischenschritt

Was jahrelange Diskussionen nicht schafften, wurde durch die Corona-Krise quasi über Nacht zwangsweise umgesetzt: Arbeiten im Home-Office ist für viele der neue Standard, zumindest aktuell. Dabei ist das nur die offensichtlichste Veränderung, denn auch andere New-Work-Aspekte erleben erzwungenermaßen einen enormen Aufschwung. Doch was bleibt davon auch nach der Krise bestehen? Und was muss sich auf dem Weg zu Smart Work noch verbessern? Das erklärt Falk Hedemann in seinem Beitrag.

(Illustration: © alphaspirit, depositphotos.com)

Home-Office: Komfortzone oder Alptraum?

Man könnte in den letzten Wochen den Eindruck gewinnen, dass wir mitten in die Ära eines neuen Arbeitens geworfen wurden: Endlich dürfen alle Wissensarbeiter im Home-Office arbeiten! Da ist fast egal, dass viele Arbeitnehmer das selbst gar nicht wollten – von den Arbeitgebern sprechen wir besser gar nicht erst.

Zugleich ist das Wasser, in das sie geworfen wurden, für einige kälter als für andere. Denn: Ob man das Home-Office für sich als neue Komfortzone entdeckt oder eher als Alptraum empfindet, hängt von vielen Faktoren ab: 

Wie sieht der Arbeitsplatz zuhause aus?

Gibt es einen echten Arbeitsraum mit einer arbeitsökonomischen Ausstattung oder sitzt man am Küchentisch auf einem Stuhl, der maximal für die Dauer einer Mahlzeit als bequem empfunden wird? Letzteres lässt sich auch nicht ohne Weiteres ändern, wenn Möbelhäuser geschlossen sind. Die Raumsituation ließe sich eh nur über einen Umzug verändern.

A N Z E I G E

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Wie gut ist die Infrastruktur?

Reicht der Internetzugang, gibt es einen vom Arbeitgeber gestellten Arbeitsrechner, hat man Zugang zu allen wichtigen Unternehmensressourcen? Nicht jeder hatte schon vor Corona ein volleingerichtetes Home-Office mit entsprechender Hardware und allen notwendigen Zugängen.

Wie ist die Arbeitssituation?

Arbeitet man hier alleine oder muss man sich den Raum mit einem Partner teilen, der ebenfalls abrupt ins Home-Office wechseln musste? Zwei verschiedene Videokonferenzen, die gleichzeitig in einem Raum stattfinden, sind mindestens gewöhnungsbedürftig.

Wie gut klappt die Organisation?

Kann ich mich selbst so gut organisieren, dass sich der Wegfall der gewohnten Leitplanken nicht auf meine Arbeit auswirkt? Was esse ich beispielsweise zum Mittag, wenn Kantine oder der Lunchwalk mit den Kollegen ausfallen?

Wie ist die Lebenssituation?

Um was muss ich mich parallel zur Arbeit kümmern? Wer zusätzlich zur neuen Arbeitssituation auch noch seine Kinder betreuen muss, weil Kitas und Schulen geschlossen sind, kommt damit schnell an ganz neue Belastungsgrenzen. 

Dazu gesellen sich noch weiche Faktoren. Beispielsweise kommt nicht jeder Mensch mit der Isolation im Home-Office gleichermaßen gut zurecht. Je nach Typ brauchen Mitarbeiter ein bestimmtes Maß an Feedback, um langfristig effektiv arbeiten zu können. Wer viel direkten Kontakt und Austausch mit den Kollegen benötigt, wird selbst nie das große Bedürfnis verspüren, für längere Zeit freiwillig im Home-Office zu arbeiten. Nur ist die Situation aktuell einfach sehr weit von dieser Freiwilligkeit entfernt. Auch mit diesem Zwang können Menschen unterschiedlich gut umgehen. Die einen nehmen es hin, weil sie eh keine Alternative sehen. Die anderen klammern sich an das Bekannte und spüren jeden Tag den inneren Widerstand gegen das Neue.

Und trotz all dieser Faktoren, die die Rahmenbedingungen für jeden Einzelnen sehr unterschiedlich ausfallen lassen, soll das Home-Office nun der neue Standard sein?

Es geht nicht nur um das Home-Office 

Das Home-Office gehört seit vielen Jahren zu den zentralen Aspekten des New-Work-Konzepts. Und das auch vollkommen zurecht, denn das verteilte Arbeiten kann über einen längeren Zeitraum nur dann gelingen, wenn auch andere New-Work-Aspekte berücksichtigt werden. Letztlich steht und fällt damit auch die Etablierung einer Home-Office-Ära. Aber wie gut werden diese Aspekte während der Zwangsversetzung ins Home-Office mitgedacht und mitentwickelt?

Schauen wir uns erstmal an, worum es dabei eigentlich geht:

  • Flache Hierarchien: Die Reduzierung der Führungsebenen soll ein eigeninitiatives und eigenständiges Arbeiten ermöglichen. Das gesamte Unternehmen wird dadurch flexibler und dynamischer, da sich Entscheidungswege verkürzen und beschleunigen.
  • Agilität: Agile Arbeitsmethoden ergänzen die flachen Hierarchien und bilden zusammen mit Lernagilität die Basis für alle kommenden Herausforderungen.
  • Zusammenarbeit statt Silodenken: Abteilungen arbeiten an gemeinsamen Zielen und teilen untereinander Daten, Wissen und Erkenntnisse, statt sie in Abteilungssilos für andere wegzusperren.
  • Individualität: Mitarbeiter bekommen die Möglichkeit, ein individuelles Arbeitsmodell (Arbeitszeit, -dauer, -ort) zu wählen.
  • Offenheit und Transparenz: Jeder Mitarbeiter erhält Einblicke in die Unternehmensstrategie und kennt seine eigene Rolle dabei bestens.
  • Sinnhaftigkeit der Arbeit: Die Unternehmensstrategie verfolgt klar kommunizierte Ziele, mit denen sich die Mitarbeiter identifizieren können.

Es gibt weitere New-Work-Aspekte, aber für den aktuellen Kontext sind diese sechs besonders relevant. Wie weit die einzelnen Faktoren bereits in einem Unternehmen entwickelt sind, entscheidet letztlich darüber, wie gut die Mitarbeiter mit der aktuellen Krise umgehen können: Das dauerhafte Arbeiten im Home-Office verstärkt die Notwendigkeit der einzelnen Aspekte um ein Vielfaches.

Digitale Werkzeuge ersetzen keine fehlende Unternehmenskultur

Ohne flache Hierarchien und agiles Arbeiten wird die Organisation der Arbeit selbst zur zusätzlichen Vollzeitaufgabe für einen höhergestellten Koordinator, der in der Krisenzeit dafür kaum Zeit haben wird. In streng hierarchisch organisierten Unternehmen fehlt zudem häufig die jetzt unbedingt notwendige Kommunikationstechnologie. Tools wie Slack, Microsoft Teams oder Mattermost stehen für Offenheit und Transparenz innerhalb der Kommunikation, während die E-Mail das Sinnbild der Silokommunikation darstellt. Die Mitarbeiter verlieren den engen Kontakt zum Unternehmen, wenn sie den gewohnten Austausch morgens an der Kaffeemaschine oder mittags in der Kantine nicht mehr haben. Ihnen kommt das Wir-Gefühl abhanden, wenn die fehlende Kommunikation nicht durch digitale Kanäle aufgefangen wird.

Damit stehen besonders die Unternehmen unter hohem Druck, die noch sehr traditionell organisiert sind. Sie müssen in der Krise nicht nur mit den schwierigen Marktbedingungen umgehen, sondern gleichzeitig die Belegschaft bei Laune halten. Denn die leidet nun nicht nur unter der Krise, sondern auch unter den digitalen Versäumnissen des Arbeitgebers. Wer in einer solchen Situation neue Technologie zur Kommunikation und Zusammenarbeit erst noch einführen muss, läuft einen Marathon mit ordentlichem Zusatzgewicht.

Die jetzt geforderten und erforderlichen Werkzeuge müssen bei alldem nicht nur sorgsam eingeführt werden, sie brauchen zwingend auch eine unternehmenskulturelle Basis. In einer Arbeitsumgebung, in der Wissen nicht geteilt wird, weil die Angst vorherrscht, man würde damit einen persönlichen Vorteil aus der Hand geben, können auf Offenheit, Transparenz und Zusammenarbeit ausgelegte Werkzeuge einfach nicht funktionieren. Werden sie dann noch in einer Krisensituation ad hoc aufgesetzt, ohne dass ihre Funktionsweise und der Nutzen ausreichend erklärt und konkrete Anwendungsfälle aufgezeigt werden, fehlen die Motivation und Energie der Nutzer als Treibstoff für den erfolgreichen Einsatz dieser Kollaborationswerkzeuge.

Siehe ergänzend zu diesem Gedanken den UPLOAD-Beitrag von Lutz Hirsch: „Erfolgreiche Teamarbeit: Moderne Werkzeuge sind wichtig, aber nicht ausreichend“

Der Wille zur Veränderung fehlt vielfach

Es mag hier und dort auch Ansätze für unternehmenskulturelle Veränderungen geben, die irgendwann ein digitales Remote-Arbeiten vollumfänglich ermöglichen. In der Regel werden doch das jedoch Ausnahmen bleiben. Die aktuelle Notsituation wird zwar häufig als disruptive Veränderung beschrieben, die langfristige Veränderungen im Gang setzt, doch in der Regel erhalten in der Krise wirtschaftliche Faktoren die höchste Priorität.

So verständlich dieses Verhalten sein mag, wirklich profitieren werden letztlich aber die Unternehmen, die jetzt die Weichen in Richtung Zukunft stellen. Unternehmen, die entsprechende Ansätze bereits vor der Krise entwickelt haben, stehen im Vergleich plötzlich besser da. Für sie ist die Verbannung ins Home-Office ein Feldversuch mit Beschleunigungsfunktion, aus dem langfristige Veränderungen hervorgehen können.

Sobald es die Lage rund um Corona zulässt und politisch die nötigen Lockerungen beschlossen sind, werden die meisten Unternehmen aber sehr schnell wieder zurück zum gewohnten Arbeitsmodell wechseln. Es wird sich für sie wie eine Befreiung anfühlen, doch in Wahrheit wird es das Gegenteil sein. Sie werden keine Erkenntnisse aus der Krise ziehen, außer, dass Krisen nun mal schwierige Zeiten sind.

Die Politik hat das bereits erkannt. So versucht sich Arbeitsminister Hubertus Heil an einem neuen Gesetz für ein Recht auf Home-Office, das er im Herbst vorlegen will. Wenig überraschend gab es von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände dafür bereits Gegenwind. So erklärte Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter: „Politische Ladenhüter aus der Zeit vor dem größten Wirtschaftsrückgang seit vielen Jahrzehnten aufzuwärmen wirkt etwas aus der Zeit gefallen.“

Das Festhalten an traditionellen Arbeitsmodellen, die während der Krise zwangsweise aufgegeben werden mussten, ist aus Sicht der Arbeitgeberverbände scheinbar viel moderner.

Was Unternehmen aus der Krise mitnehmen könnten

Dabei müssten nun gerade die zaghaft erkannten Vorteile des Arbeitens im Home-Office mit zielgerichteten Maßnahmen unterstützt und ausgebaut werden. Denn eins ist doch klar: Wenn das Arbeiten im Home-Office sorgfältig geplant und strategisch gewollt ist, kann es im Vergleich zur ungeplanten Zwangssituation sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer sehr viel besser funktionieren und größere Vorteile generieren. Die oben aufgezählten limitierenden Faktoren ließen sich bei einem geplanten Home-Office beispielsweise auf ein Minimum reduzieren.

Bessere Meetings sind möglich

Aber auch analoge Ressourcenfresser wie Meetings sind plötzlich viel effektiver. Es wird nicht mehr dazwischen gequatscht, weil das virtuell noch mehr stört als analog. Ablenkende Nebengespräche bleiben aus, weil sie technisch gar nicht möglich sind. Es gibt auch keinen Mangel an Konferenzräumen oder Überbuchungen.

Nun könnte man dagegenhalten und sagen, dass virtuelle Meetings viel anstrengender sind. Das stimmt und hat sogar schon einen Namen, führt aber lediglich dazu, dass Meetings zeitlich nicht ausufern, sondern sehr konkret und konzentriert bleiben.

Zudem werden sich Meetings auch strukturell verändern, wenn sie überdauernd virtuell geführt werden. Aktuell erleben wir dagegen eher eine 1:1-Übertragung der Präsenzmeetings in den digitalen Raum. Dass dabei die vielen nonverbalen Kommunikationssignale auf der Strecke bleiben, ist eine logische Konsequenz, die uns nicht überraschen sollte.

In Zukunft könnten virtuelle Meetings aber auch ganz anders ablaufen. Technologie wie Virtual und Augmented Reality (VR/AR) könnten einen Teil der verloren gegangenen nonverbalen Kommunikation zurückbringen. Sehr wahrscheinlich werden wir in den kommenden Monaten zudem neue Funktionen in den Video-Meetings-Tools sehen, die Interaktionen ermöglichen und die digitalen Möglichkeiten besser ausschöpfen.

Teams können eine engere Bindung entwickeln

Vom Status „Alle arbeiten remote“ profitieren interessanterweise auch diejenigen, die vorher schon aus dem Home-Office gearbeitet haben, weil sie beispielsweise als Freelancer an ein Projekt angedockt sind. Plötzlich ist die Arbeitssituation nämlich für alle gleich und es entsteht ein größeres Verständnis für die Belange der entfernt arbeitenden Kollegen. Die wiederum können den Home-Office-Neulingen sicher noch den einen oder anderen Tipp aus ihrem oft seit Jahren gelebten Alltag geben.

Interessant ist an dieser Stelle auch die Verschmelzung von Arbeit und Privatheit. In Video-Calls blicken wir plötzlich in die privaten Wohnräume der Kollegen. Im Austausch über den neuen Home-Office-Alltag erhalten wir Einblicke in die Arbeits- und Lebenssituation von Menschen, die wir bis dahin nur durch ihre Arbeitsfunktion kannten. Das sind nur zwei Beispiele dafür, dass die strikte Trennung von Arbeit und Privatheit im Home-Office nicht mehr gilt. 

Es gibt sinnvolle Alternativen zu vielen Geschäftsreisen

In manchem Unternehmen wird in diesen Wochen zudem auffallen, dass die vielen physischen Treffen mit Geschäftspartnern, Kunden oder Dienstleistern auch problemlos virtuell stattfinden können. Es wird zwar nach Corona auch wieder Treffen im Reallife geben, aber in der einen oder anderen Situation wird eventuell auch mal ein virtuelles Meeting vorgezogen. Für ein einstündiges Treffen lohnen sich lange Reisezeiten, die zudem oft hohe Kosten verursachen, einfach nicht. Zumal viele Unternehmen in der angespannten wirtschaftlichen Phase fast zwangsläufig auf der Suche nach Einsparpotenzialen sein werden.

Unternehmen, die während der Coronakrise offene Stellen besetzen konnten, haben dafür ganz nebenbei digitale Onboardingprozesse entwickelt. Wäre es da nicht fahrlässig, diese zukünftig nicht mehr zu nutzen? Zumal die Option auf Remote-Work schon bald zu einer Notwendigkeit für Unternehmen werden könnte, um für die dringend benötigten digitalen Talente ein ausreichend attraktiver Arbeitgeber zu sein. Steigern lässt sich die Attraktivität noch, indem die Erfahrungen aus dem digitalen Onboarding für den Aufbau einer digitalen Akademie für die interne Weiterbildung genutzt werden. Hier gibt es sicherlich noch Aufholbedarf.

Die temporäre Home-Office-Ära ist der nächste Schritt Richtung Smart Work

Wenn es gar nicht anders geht, weil man durch äußere Bedingungen gezwungen wird, gibt man sich mit Dingen zufrieden, die man unter gewöhnlichen Umständen nicht akzeptiert hätte. So lässt sich der aktuelle Status zur Arbeit im Home-Office sehr gut beschreiben.

Je länger diese äußeren Bedingungen, wie in diesem Fall die COVID-19-Pandemie, anhalten, umso eher können sich einzelne Aspekte der neuen Arbeitsorganisation als vorteilhaft erweisen. Überschreiten die Vorteile eine wahrnehmbare Schwelle und sind zusätzlich noch ausreichend lange gültig, so können daraus neue Routinen entstehen, die einzelnen Arbeitnehmer als Komfortzone betrachten. Enden dann irgendwann die äußeren Zwänge und es soll die ursprünglich etablierte Arbeitsroutine wieder aufgenommen werden, müssen Arbeitgeber mit Widerständen rechnen.

Flexibilität ist die neue Norm

Etwas wieder aufzugeben, was in der Krise als nützlich und vorteilhaft erkannt wurde, erscheint einfach nicht richtig. Da müssen sich die Unternehmen überzeugende und nachvollziehbare Argumente zurechtlegen, wollen sie nicht die Motivation und das Engagement der eigenen Mitarbeiter gefährden. Für Neueinstellungen, die es auch in der wirtschaftlich schwierigen Postkrisenzeit geben wird, kann es sogar entscheidend sein, wie sich ein Arbeitgeber hier positioniert

Wie auch immer die Zeit nach COVID-19 konkret aussehen wird, sie wird sich auf jeden Fall spürbar von der Zeit vor der Pandemie unterscheiden. Das gilt für alle Gesellschaftsbereiche und daher auch für die Arbeitswelt. Allein schon aus diesem Grund scheint es nicht sinnvoll zu sein, wieder zurück auf Anfang zu wollen.

Stattdessen wäre es eine progressive Strategie, den zwangsweise eingeschlagenen Weg konsequent weiterzugehen. Das würde bedeuten, dass sich ein Arbeitgeber nicht fragt, wie er möglichst schnell wieder zum gewohnten Modell zurückkehren kann, sondern dass er bewusst nach neuen Optionen für weitere Veränderungen sucht. 

Damit wäre das Home Office lediglich der Anfang einer neuen Ära, die man als „Smart Work“ bezeichnen könnte. Ein wesentliches Merkmal wäre dabei der Arbeitsort, der sich weiter flexibilisiert. Statt entweder starr im Unternehmen oder im Home-Office zu arbeiten, wäre der Arbeitsort dauerhaft nicht festgelegt. Um aus diesem „Remote Work“ auch tatsächlich ein „Smart Work“ werden kann, müssen aber noch weitere Anforderungen und Rahmenbedingungen radikal verändert werden.

Anforderungen und Rahmenbedingungen für Smart Work

Arbeitszeit: Die Epoche der 40-Stunden-Woche hat ausgedient. Sie basiert auf einem historischen Arbeitsmodell und sollte zu hohe Ausfälle durch Arbeitsunfälle und Krankheiten verhindern.

Gedacht war es vor allem für körperliche Arbeit beispielsweise am Fließband in der Autoindustrie. Dort gibt es auch heute noch Fließbänder, doch die Körperarbeit wird mittlerweile durch den Einsatz von Maschinen unterstützt, so dass auch hier der kognitive Anteil durch die notwendige Steuerung der Maschinen gestiegen ist.

In der Wissensarbeit hingegen ist seit langer Zeit bekannt, dass unser Gehirn gar nicht in der Lage ist, acht Stunden am Tag konzentrierte und produktive Arbeit zu leisten. Und selbst wenn das kognitiv möglich wäre, belegen verschiedene Studien und Statistiken, dass es eine Vielzahl an anderen Ablenkungsquellen gibt, die unsere Nettoarbeitszeit spürbar reduzieren.

Britische Büroarbeiter kommen durchschnittlich auf 2:53 Stunden produktive Arbeitszeit pro Tag. Der Rest verbringen sie mit Dingen wie Social Media (47 Prozent), Zubereitung von Heißgetränken (31 Prozent) oder der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz (19 Prozent).

Wie belastend die tägliche Arbeit im Büro sein kann, zeigt eine Statistik aus Japan. Dort ist die Selbstmordrate im April im Jahresvergleich um 20 Prozent gesunken. Das japanische Gesundheitsministerium führt die Entwicklung darauf zurück, dass die Menschen im Home-Office einen geringeren Druck durch ihren Job verspüren und mehr Zeit für ihre Familien haben, weil sie nicht pendeln müssen.

Arbeitsort: Grundsätzlich leidet die Produktivität entgegen den weitverbreiteten Befürchtungen der Entscheider in den Unternehmen nicht, wenn die Mitarbeiter im Home-Office arbeiten. Die Time-Tracking- Experten von RescueTime haben die Arbeitssituation im Office und im Home Office gegenübergestellt. Im Jahresvergleich haben Remote Worker

  • 58 Stunden mehr für die Kernarbeit aufgewendet.
  • 256 Stunden weniger für Kommunikation aufgewendet.

Darüber hinaus sind sie entspannter bei der Arbeit, weil sie nicht pendeln müssen. Wer beispielsweise eine Stunde zum Arbeitsplatz pendelt, spart im Home-Office bereits 10 Stunden pro Arbeitswoche. Die folgende Grafik visualisiert das:

Das dauerhafte Arbeiten im Home-Office könnte also auch dazu genutzt werden, die generelle Arbeitszeit zu reduzieren, ohne dass die Produktivität darunter leidet.

Art der Arbeit: Während die traditionellen Zeiten und Orte als gesetzte Parameter von Arbeit schon heute durch die COVID-19-Pandemie quasi ausgehebelt wurden, fehlt eine wichtige Komponente noch fast komplett: Dabei geht es um die Frage, welche Wissensarbeiten wir zukünftig noch selbst erledigen wollen, müssen oder können.

Die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) schreitet, einmal in Gang gesetzt, unaufhaltsam fort. Doch wir können als Gesellschaft Leitplanken für eine wünschenswerte Entwicklung aufstellen und müssen vielleicht sogar ethisch-moralische Grundsätze entwickeln, die klar vorgeben, in welchem Rahmen KI wirken soll. 

KI bietet die große Chance, dass wir uns von vielen Routinejobs verabschieden, die zwar erledigt werden müssen, die aber keiner gerne macht. Stattdessen können wir uns auf Aufgaben konzentrieren, die wir als sinnvoll ansehen und für die wir deshalb auch intrinsisch motiviert sind. Das kann auch sehr gut Hand in Hand gehen mit den Aufgaben, die wir an Algorithmen und Automatismen abgegeben haben.

Letztlich nähern wir uns damit einem Arbeitsmodell, das der ursprünglichen Leitfrage der New-Work-Bewegung folgt: Was will ich wirklich, wirklich tun?

Arbeitsführung: Auch für die Arbeitsführung, von Unternehmensführung bis runter auf die Führung von Teams in den einzelnen Abteilungen, bedeutet die abrupt veränderte Arbeitssituation eine gewaltige Herausforderung.

Führungspersonen müssen es plötzlich aushalten, dass sie ihre Kontrolle verlieren, für die bislang vor allem die Präsenzkultur ausschlaggebend war. Arbeitet das Team verteilt im Home-Office, kann der Chef nicht mehr sehen, wer bereits am Arbeitsplatz ist und wer nicht. Natürlich ließe sich das auch mit digitalen Tools umsetzen, nur wäre es dann sehr offensichtlich, wofür es dient.

Einige Unternehmen haben schon vor COVID-19 gute Erfahrungen mit Vertrauensarbeit gemacht. Statt die Arbeitszeit der einzelnen Mitarbeiter zu kontrollieren, vertraut man ihnen und legt ihnen die Kontrolle in die eigenen Hände.

Die Erfahrungen der letzten Wochen könnten diese Entwicklung weitertreiben und auf ein neues Niveau bringen. Wenn Arbeitsführung so verstanden wird, dass Mitarbeiter größtenteils die Tätigkeiten übertragen bekommen, die sie als sinnvoll betrachten, die sie gut können und für die sie ein hohes Maß an Motivation mitbringen, dann erübrigt sich die Kontrolle der Arbeitszeit: Wer selbst Sinn in seiner Arbeit erkennt und weiß, wofür er bestimmte Tätigkeiten macht, arbeitet mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr fokussiert, motiviert und produktiv.

Das gilt besonders für Remote Worker, da sie einerseits weniger aktiv (beispielsweise von Kollegen oder dem Chef) abgelenkt werden. Anderseits sind sie sehr darauf bedacht, Ergebnisse abzuliefern, weil die Präsenz im Unternehmen als Signal für „Ich arbeite“ fehlt.

Unternehmen, die in diesem Bereich schon weiterentwickelt sind und zum Beispiel auf Selbstorganisation statt strikter Führung setzen, haben eher das Problem, dass die Mitarbeiter zu viel arbeiten.

Fazit: Im Gestern finden wir nicht die Arbeitswelt von morgen!

Eine Krise, wie wir sie aktuell erleben, ist ein disruptives Ereignis. Die Antwort darauf kann kaum sein: Wir machen „danach“ alles wie vorher! Einerseits wissen wir gar nicht, wann dieses „danach“ tatsächlich startet oder wie es dann wirklich aussieht und andererseits würden wir damit alles aufs Spiel setzen, was wir in der Krisensituation gelernt haben.

Dennoch wird es Unternehmen geben, die auf Altbewährtes setzen werden und einige werden dafür sogar wieder einige Schritte zurückgehen. Aber es wird auch die progressiv denkenden und handelnden Unternehmen geben, die die Erfahrungen der Krisenzeit für ein Wachstum nutzen wollen – nicht für ein ökonomisches Wachstum, sondern für ein kulturelles Vorankommen.

Wer das konsequent weiterdenkt und auf den schmerzlichen Erfahrungen aufbaut, hat eine reelle Chance, sein Unternehmen neu auszurichten und zukünftige Krisen besser bewältigen zu können. Wer dagegen freiwillig zurück auf Anfang geht, darf nicht darauf hoffen, in der Vergangenheit die Zukunft zu finden. Es gleicht eher einem Sitzenbleiben, denn der Wissens- und Entwicklungsvorsprung der progressiven Unternehmen wird sich weiter vergrößern, bis er irgendwann nicht mehr aufzuholen ist.

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Und es ist sehr fraglich, ob der Befehl „Alle zurück ins Büro!“ bei den Mitarbeitern besonders gut ankommt. Nach einer aktuellen Befragung wollen 75 Prozent derjenigen, die zur Zeit im Home Office arbeiten, dies auch zukünftig gerne tun. Und dass, obwohl COVID-19 als direkter Auslöser für die aktuelle Home-Office-Phase zumindest teilweise einen negativen Kontext überträgt: Wir nehmen die aktuelle Arbeitssituation immer in Verbindung mit der Krise wahr, die zudem unseren Arbeitsplatz gefährden könnte.

Die wirkliche Stärke von Remote Work wird sich erst nach der Krise entfalten können. Dann, wenn wir wissen, wie es nach COVID-19 aussieht. Dann, wenn wir keine Einschränkungen mehr haben, weil wir nebenbei Kinder betreuen müssen. Dann, wenn wir ein volleingerichtetes Home-Office haben, an dessen Einrichtung sich unser Arbeitgeber beteiligt hat. Dann, wenn bei allen angekommen ist, dass Home-Office nicht nur eine Krisenoption ist.

Die Zeit nach COVID-19 wird dann auch zeigen, wie weit der Weg zu einer smarten Arbeitswelt noch ist. Wir brauchen dafür Technologie, die zwar schon in Ansätzen da ist, die aber noch besser und intelligenter werden muss. Vor allem brauchen wir aber eine arbeitskulturelle Weiterentwicklung, sowohl bei den Arbeitgebern als auch bei den Arbeitnehmern.

Überall dort, wo es sinnvoll ist, sollten wir Arbeit von Orten und Zeiten entkoppeln. Wir sollten die Menschen zurück in den Mittelpunkt stellen und ihre Motivation und ihr Engagement fördern. Produktivität und Effizienz, die bisher im Mittelpunkt stehen, werden dann zu sehr lohnenden Nebenprodukten. 


Dieser Artikel gehört zu: UPLOAD Magazin 81

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